Folge 6

 

Buffy erwachte aus einem unruhigem Schlaf. Der allmorgendliche Blick auf ihren kleinen Wecker verriet, dass sie wieder mal viel zu früh aufgewacht war. Sie versuchte sich an den Traum zu erinnern, aus dem sie soeben erwacht war. Sie versuchte sich daran zu erinnern, ob es wieder ein solcher Traum war, in dem sie Spike begegnet war, und mit ihm sprechen konnte. Doch es war nur ein ganz gewöhnlicher Traum. Keine Vision oder versteckte Botschaft. Genauso wie in den vergangenen Nächten. Sie träumte nur noch wirres Zeug von ihrer neuen Arbeit, von Mr. Willington und Mr. Morgan, von Ethan Rayne und von ihrer kleinen Schwester.

 

Eine ganze Woche war es jetzt schon her, seit sie durch einen Zauber geschrumpft war. Während dieser Zeit hatte sie nicht das geringste von Spike gefühlt. Langsam kam ihr die Befürchtung, dass Willow vielleicht recht hatte, und er nun endgültig Tod war.

 

Dawn war immer noch auf diesem Schulausflug. Sie fehlte ihr sehr. Die Stimmung im Haus war in den letzten Tagen nicht besonders gut. Xander war so still. Offensichtlich hatte er irgendwelche Probleme, aber er wollte mit niemanden darüber sprechen. Willow und Kennedy beschäftigten sich die meiste Zeit mit sich selbst, genauso wie Andrew und Bertolin.

 

Die Gruppe hatte versucht etwas über Ethan und das Amulett herauszufinden, aber bisher ohne Erfolg. Ethan Rayne schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein, und über das Amulett konnten sie auch nichts näheres in Erfahrung bringen. Nicht einmal Angel, der Buffy damals das Amulett gegeben hatte, konnte ihnen näheres dazu berichten. Langsam nagte diese ständige Ungewissheit an Buffys Nervenkostüm. Die allgemeine Situation war bereits schwierig genug für sie.

 

Sie hoffte auf einen neuen Tag und auf neue Erkenntnisse. Nachdem sie sich im Bad kultiviert hatte, ging sie nach unten in die Wohnküche, um für alle Frühstück zu machen. Sie war zwar viel zu früh dran, und es würde noch einige Zeit dauern, bis die anderen aufstehen würden, aber wach im Bett zu bleiben, wollte sie auf keinen Fall. Dies hatte sie bereits die vergangenen Nächte zur Genüge getan, als sie jedes mal zu früh aufgewacht war.

 

Vollkommen unerwartet, bemerkte sie, dass bereits jemand in der Küche hantierte, und dort das Licht brannte. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee kam ihr entgegen.

 

Xander saß Gedanken versunken am Küchentisch. Scheinbar hatte er nicht bemerkt, dass Buffy gekommen war. Sie setzte sich neben ihm an den Tisch und fragte vorsichtig:

 

„Xander? Alles in Ordnung? Weshalb bist du schon auf?“

 

Er blickte nicht zu ihr, sondern starrte stattdessen in seinen bereits erkalteten Kaffee.

 

„Konnte nicht schlafen,“ war der einzige Kommentar, den er fallen lies. Er nippte kurz an seinem kalten Kaffee und verzog dabei das Gesicht. Ihm war nicht aufgefallen, wie lange er schon hier gesessen hatte.

 

„Ist es wegen Anya?“ fragte Buffy mit sanfter Stimme sachte nach.

 

Doch Xander verneinte dies sofort mit einem Kopfschütteln und antwortete: „Nein. Das heißt ja schon, aber nicht nur. Es ist was anderes.“

 

„Erzählst du es mir?“ fragte sie, obwohl sie nicht damit rechnete eine Antwort zu bekommen. Willow und sie hatten in den vergangenen Tagen öfter versucht zu erfahren, was mit ihm los war. Aber bisher wollte er nicht darüber reden.

 

„Ich habe keinen Job mehr.“

 

Überrascht über die erhaltene Antwort und erschrocken über die schlechte Nachricht blickte sie in perplex an.

 

„Wieso? Ich dachte es ging so gut in der neuen Baufirma.“

 

„Anfangs schon. Bis diese Unfälle passierten.“

 

„Welche Unfälle? Sind ungewöhnliche Dinge passiert? Steckt vielleicht ein Zauber dahinter?“

 

„Nein, kein Zauber. Nur ich.“

 

„Wie meinst du das?“

 

„Ich habe die Unfälle verursacht.“

 

„Aber wieso?“

 

Xanders Haltung verkrampfte sich immer mehr. Buffy erkannte, dass es ihn schmerzte darüber zu sprechen. Wut keimte in ihm herauf und er sah ihr direkt ins Gesicht.

 

„Weil ich ein Krüppel bin, Buffy! Ich habe dieses verfluchte Glasauge verstehst du? Ich sehe nur die Hälfte von dem was um mich herum geschieht,“ war es wütend aus ihm herausgesprudelt. Seufzend fügte er dann etwas ruhiger hinzu: „Ich werde nie mehr auf einer Baustelle arbeiten können. Ich hätte es wissen müssen. Der Arzt in Sunnydale hatte es mir damals schon gesagt, aber ich habe nicht darauf gehört. Ich wollte nicht darauf hören. Ich habe versucht es zu ignorieren. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Doch es half nichts. Erst waren es nur kleine Missgeschicke, doch dann wurde es immer schlimmer. Durch einen Fehler machte ich in nur wenigen Sekunden die Arbeit eines ganzen Tages zu Nichte. Nur weil ich dieses verfluchte Ding nicht gesehen habe. Ich hatte es meinem Boss verschwiegen, dass ich nur ein Auge habe, deshalb hat er mich fristlos gekündigt.“

 

„Oh Xander das tut mir so leid! Ich fühle mich irgendwie schuldig. Schließlich war es meine Schuld, dass wir damals in Calebs Hände gefallen sind. Wenn ich dich dorthin nicht mitgenommen hätte, dann wäre das alles nicht passiert.“

 

„Unsinn! So etwas möchte ich nie wieder von dir hören, verstanden!? Dich trifft keine Schuld. Wenn du nicht wärst, dann würde meine Leiche schon längst von den Maden gefressen werden, oder ich wäre ein blutsaugendes Monster.“

 

Dies so vehement aus seinem Munde zu hören tat ihr gut. Sie vergaß oft, dass Xander nur noch ein Auge besaß, da sein gläsernes Implantat sehr Lebensecht wirkte. Doch jedes Mal wenn es ihr bewusst geworden war, gab sie sich insgeheim die Schuld dafür. Ein dankbares Lächeln zeichnete sich zaghaft in ihren Mundwinkeln ab. Xander erkannte dies, und schenkte ihr sein bestes Xander-Lächeln, dass ihm im Moment möglich war.

 

****

 

Zusammen mit ein paar Schulfreundinnen saß Dawn am Frühstückstisch. Eines der Mädchen tat besonders geheimnisvoll und flüsterte den anderen zu: „ Ich hab den perfekten Ort gefunden. Heute Nacht geht’s los. Was sagt ihr? Wer ist dabei?“

 

Dawn wurde auf die Tuschelei aufmerksam und fragte: „Was habt ihr vor?“

 

„Halt dich da raus, Summers. Dich habe ich nicht gefragt.“

 

Neben Dawn saß Michele. Sie war bisher die einzige der Klasse, zu der Dawn engeren Kontakt hatte, und die nun Partei für sie ergriff: „Hey kommt schon. Nehmen wir sie doch mit. Sie ist in Ordnung.“

 

Das schwarzhaarige Mädchen, dass die Tuschelei begonnen hatte meinte daraufhin: „OK, also gut Michele, aber auf deine Verantwortung,“ und fügte zum Rest der Bande hinzu: „Wir treffen uns heute Abend um neun hinter dem Gebäude am Parkplatz. Alles klar?“

 

Die anderen nickten nur und erhoben sich nach einander vom Frühstückstisch. Zuletzt saßen dort nur noch Dawn und Michele.

 

„Was habt ihr heute Abend vor?“

 

„Keine Ahnung. Nancy macht schon die ganze Zeit ein Mordsaufsehen darüber, aber sagt nicht genau was wir machen werden. Sie meint immer nur, dass es total toll und aufregend werden würde. Lassen wir uns einfach überraschen.“

 

Nachdenklich sah Dawn der schwarzhaarigen Nancy hinterher, die gerade den Frühstückssaal zusammen mit ein paar anderen Mädchen verließ. So ganz geheuer war ihr die Sache nicht. Sie hatte schon zu viele Erfahrungen in Sunnydale gemacht, sodass sie nur allzu gut wusste, dass nach Sonnenuntergang viele unheimliche Dinge geschehen konnten. Doch andererseits war sie hier weit weg vom Höllenschlund. Also was sollte da schon geschehen? Vielleicht würde es ja auch lustig werden. Und vielleicht gelänge es ihr so endlich ein wenig mehr bei den Mädchen anerkannt zu werden.

 

Also versuchte sie nicht weiter darüber nachzudenken, um ihren letzten Tag hier zu genießen. Schließlich würden sie gleich morgen früh wieder abreisen. Vermutlich war dies auch der Grund, warum Nancy gerade in dieser Nacht ihr Vorhaben in die Tat umsetzen wollte.

 

****

 

Willow rutschte dicht an Kennedy heran. Sie konnten heute länger schlafen, da Willow erst später unterrichten musste, und Kennedy bisher noch keinen passenden Job für sich gefunden hatte. So nutzten sie die Gelegenheit, um ein wenig miteinander zu kuscheln. Sie wurden jedoch durch ein leises Maunzen gestört. Eine schwarze Katze bahnte sich ihren Weg auf samtenen Pfoten durch das Bett und legte sich ungeniert zwischen die beiden Frauen.

 

„Hey, was soll das? Gönnst du uns denn gar keine Kuscheleinheiten?“ fragte Willow die Katze, während sie begann sie hinterm Ohr zu kraulen.

 

„Ich schätze sie duldet nur Kuscheleinheiten, wenn wir sie mit einschließen.“

 

Es war Aurelius, der sich in Gestalt der schwarzen Katze bei den Scoobies eingenistet hatte. Gleich nachdem er Ethan seinen Besuch abgestattet hatte war er wieder zu dem Haus gegangen, und hielt sich seither beinahe ständig dort in Katzengestalt auf. Auf diese Weise konnte er Willow beobachten. Sie faszinierte ihn sehr. Er konnte deutlich ihre Kraft spüren, aber dennoch nutzte sie niemals ihre Magie. Nicht ein einziges Mal seit sie seinen Zauber rückgängig gemacht hatte, hatte sie Magie verwendet. Und sie wirkte immer so verletzlich und unbeholfen. Er fragte sich, ob dies vielleicht nur ein geschicktes Täuschungsmanöver von ihr war.

 

Alle mochten den neuen pelzigen Gast sehr. Alle bis auf Bertolin. Verständlicher Weise hatte er versucht sich heftig dagegen zu wehren, aber er wurde eindeutig überstimmt. Und nachdem sogar sein Meister für den Neuankömmling gewesen war, blieb ihm nichts anderes übrig, als dies missmutig aber energisch fluchend hinzunehmend. Dies drückte er immer wieder von neuem aus, wenn er den schwarzen Mäusefänger im Haus begegnete.

 

****

 

Stolz saß Buffy an ihrem Arbeitsplatz. Sie hatte mittlerweile alles perfekt im Griff. Na ja mehr oder weniger perfekt. Gelegentlich hatte sie noch Schwierigkeiten mit dem Computer. Doch das ihr anfänglich als undurchdringliches Chaos vorgekommene Büro hatte sie nun vollkommen durchschaut. Mrs. Simon war inzwischen zuhause und bereitete sich voll und ganz auf die Geburt ihres Kindes vor. Gelegentlich telefonierten sie beide noch miteinander. In der kurzen Zeit, in der sie sich kennen gelernt hatten waren sie Freundinnen geworden und wollten miteinander in Kontakt bleiben.

 

Zu Buffys täglichen Pflichten gehörte es auch, Mr. Morgan einen Kaffee zu servieren. Dies war das einzige, was ihr an ihrem neuen Job überhaupt nicht gefiel. Der Museumsdirektor war stets unfreundlich und mies gelaunt. Ständig meckerte über belanglose Kleinigkeiten oder schnauzte Buffy an wegen ihrer Kleidung oder wegen der bloßen Tatsache, dass sie hier lebte. Buffy fragte sich, wie ein einzelner Mensch nur so unausstehlich und unangenehm sein konnte. Es war ihr kaum begreiflich.

 

Erleichtert verließ sie Mr. Morgans Büro. Ihr Blick fiel auf das Büro nebenan, welches Mr. Willington gehörte. Ein Lächeln huschte ihr übers Gesicht. Mr. Willington war wahrlich der komplette Gegensatz zu Mr. Morgan. Der perfekte Gentleman. Stets gut aussehend und charmant. Ihr plötzliches Verschwinden in Café hatte er ihr nicht übel genommen, weswegen sie sehr erleichtert war. Stattdessen machte er ihr immer mehr den Hof und schenkte ihr sogar manchmal einen kleinen Strauß Blumen. In der Hoffnung, dass sie ein weiteres Mal mit ihm ausgehen würde.

 

Bisher jedoch ließ sie ihn immer wieder abblitzen. Sie wollte zuhause sein, für den Fall das Dawn anruft. Was auch jeden bisherigen Abend geschehen war. Und sie wollte die Zeit nutzen mehr über Ethan, das Amulett und dessen Verbindung zu Spike herauszufinden. Was jedoch nicht geklappt hatte.

 

****

 

Ruhelos ging Ethan das Hotelzimmer auf und ab. Er war immer noch wütend auf Aurelius den Alten. Dieser hatte ihm all seine ganze Kraft entzogen, sodass er eine ganze Woche brauchte, bis er sich wieder einigermaßen erholt hatte. Er musste jetzt unbedingt einen Weg finden schnellstens am mehr Macht zu gelangen. Immer wieder hielt er kurz vor der stählernen Schatulle inne, in der sich das Amulett befand. Er wollte sie öffnen, zögerte jedoch und ging weiter auf und ab.

 

****

 

Dawn hatte vollkommen vergessen zuhause anzurufen. Michele drängte sie endlich zu kommen, bevor Nancy böse wurde und ohne sie losziehen würde. Dawn fand diesen Gedanken eigentlich gar nicht so schrecklich und folgte Michele nur widerwillig.

 

Die Nacht war kühl und feucht. Leichter Nebel zog sich durch den schwach beleuchteten Parkplatz. Vier Mädchen warteten bereits ungeduldig auf Dawn und Michele. Nancy musterte Dawn etwas herablassend, bis sie meinte: „Also gut Mädels, dann folgt mir.“

 

Die Mädchen eilten ihr bereitwillig hinterher. Dawn blickte sich immer wieder prüfend um. Ihr war die Sache nicht sehr geheuer. Ihr Weg führte die Mädchen über eine Nebenstraße an zwei vereinzelte Häuser vorbei zu einem dicht bewaldetem Waldstück. Der Nebel hatte sich an den zahlreichen Spinnenweben der Bäume gehängt, sodass diese gut sichtbar wurden und unheimlich gespenstisch wirkten.

 

Selbst das helle Mondlicht fand keinen Weg durch das dichte Geäst, wodurch die Mädchen kaum die Hand vor den Augen sehen konnten, so dunkel war es. Dicht aneinander gedrängt schlichen sie durch den schmalen Weg. Es wurde ihnen immer unheimlicher. Eines der Mädchen bekam es mit der Angst zu tun, und wollte schon zurückkehren, aber Nancy überzeugte sie, dass es keinen Grund gäbe sich zu fürchten, und dass sie bald da sein würden. Niemand wollte sich als Feigling zeigen, also schritten alle tapfer weiter.

 

Vor ihnen wurde es nun wieder heller, als sie an eine kleine Waldlichtung ankamen. In der Mitte der Lichtung befand sich ein Hügel aus Steinen. Und um den Hügel herum im Abstand von etwa zwei Metern befanden sich fünf weitere kleinere Hügel. Hätte man die kleineren Hügel mit einer Linie verbunden, so hätte dies einen fünfzackigen Stern ergeben. Das Mondlicht strahlte hell vom Himmel herab. Hier an diesem Ort schien das Mondlicht noch heller als zuvor zu sein.

 

„Kommt schon! Habt keine Angst. Gleich werdet ihr staunen.“

 

„Was hast du eigentlich vor?“

 

„Das wirst du gleich sehen, Summers.“

 

Dawn fühlte sich immer noch unwohl bei der ganzen Sache. Sie wollte aber nicht als Buhmann dastehen. Insgeheim hoffte sie, dass nichts übernatürliches passieren würde, und entschloss das Spiel mitzuspielen. Sie wollte von den anderen akzeptiert und anerkannt werden.

 

****

 

Kennedy kämpfte mit einem Vampir, der ganz offensichtlich aus den 50ern stammte. Zumindest seiner Kleidung nach. Als Kampfgegner stellte er sich als harter Brocken heraus. Buffy war währenddessen einem zweiten hinterhergelaufen, der flüchten wollte. Also musste Kennedy alleine mit ihrem Gegner fertig werden.

 

Ein harter Schlag traf sie in der Seite und ließ sie ins Straucheln geraten. Gerade noch rechtzeitig richtete sie sich aber wieder auf, um einen Tritt mit seinem Fuß auszuweichen. Nun war sie es, die zu einem gekonnten Schlag mit der Faust ansetzte und ihn dabei genau am Kinn traf, sodass er nach hinten torkelte. Doch er schien wenig beeindruckt von den Kräften der Jägerin, weswegen er sich sogleich wieder auf sie stürzte.

 

****

 

Buffy folgte einem Vampir durch ein paar dunkle Gassen. Endlich hatte sie ihn eingeholt und verpasste ihm gleich Mal einen kräftigen Hieb, damit er nicht weiter davon laufen konnte. Buffys Gegner war nicht so anspruchsvoll wie der Vampir aus den 50gern, aber dennoch reichten seine Kampfkünste aus für ein kleines Gerangel. Sie war geradezu in Höchstform und genoss diesen Tanz. Im Kampf konnte sie all ihre Sorgen vergessen, um sich nur auf eines zu konzentrieren: Den Vampir ihr gegenüber vernichten.

 

****

 

Nicht Weit entfernt von dem nächtlichen Kampfgeschehen in Cleveland entschloss sich Ethan die Schatulle doch endlich zu öffnen. Die Macht des Amuletts würde ihn kräftigen. Auch wenn er wusste, dass es gefährlich für ihn war, so musste er das Risiko eingehen. Die Macht, die das Amulett in sich barg war unberechenbar und nicht für einen menschlichen Träger bestimmt. Er musste jedoch wieder an Kraft gewinnen. Er deaktivierte den Zauber, der über der Schatulle lag und starrte andächtig auf den Deckel, während er ihn langsam öffnete.

 

****

 

Buffy zögerte. Gerade wollte sie zu einem nächsten Schlag ansetzten, als es wieder geschah. Sie spürte Spike. Völlig verwirrt starrte sie auf ihren Gegner. Dieses Gefühl, was in ihr brannte war so stark. So sehr hatte sie sich danach gesehnt es wieder zu fühlen. Und jetzt war es wieder da. Ihre Augen füllten sich mit Tränen vor Glück und vor Schmerz.

 

Der Vampir ihr gegenüber erkannte seine Chance und wollte rasch davon eilen. Kam jedoch nicht sehr weit, da Buffy ihren Holzpflock durch die Luft wirbelte, welcher genau in dem toten Herzen des Vampirs landete. Sie beobachtete wie der Staub zu Boden fiel, war mit ihren Gedanken aber ganz wo anders. Sie versuchte zu erfühlen von wo dieses starke Gefühl kam und ging ein paar Schritte in die Dunkelheit.

 

****

 

Die sechs Mädchen hatten sich auf der Waldlichtung verteilt. Jedes an einem der Hügel aus Steinen und Nancy in der Mitte bei dem größerem.

 

„OK, hört jetzt zu, ihr müsst mir alles Nachsprechen was ich sage. Verstanden?“

 

Die Mädchen nickten bestätigend.

 

„Wir rufen Euch, ihr Kinder der Nacht,“ fing Nancy an, worauf die Mädchen im Chor wiederholten: „Wir rufen Euch, ihr Kinder der Nacht.“

 

Auch die nächsten Sätze, die Nancy vorgab wiederholten die Mädchen wortgetreu:

 

„Zeigt uns eure strahlende Pracht.“

 

„Kommt herbei, ihr Lichter der Dunkelheit.“

 

„Eilt zu uns aus der Vergangenheit.“

 

„Wir reichen euch demütig die Hand.“

 

„Auf das ihr euch mit uns verband.“

 

„Wir rufen Euch ihr Kinder des Waldes.

 

„Bleibt bei uns bis zum Anbruch des Tages.“

 

Ein leichter Wind zog nun auf. Die Äste der Bäume begannen sich hin und her zu wiegen. Erst ganz langsam, und dann etwas schneller. Der Wind blies durch die Haare der Mädchen und lies ihnen allen einen kalten Schauer den Rücken herunter laufen.

 

Plötzlich erschienen aus dem dunklen Geäst kleine tanzende Lichter. Gleichsam wie kleine Glühwürmchen. Doch für diese Jahreszeit war es untypisch für Glühwürmchen zu erscheinen. Die kleinen Lichter wurden immer mehr und tanzten um den mittleren Hügel herum. Es war ein wunderschöner Anblick, und die Augen der Mädchen glänzten vor Staunen.

 

****

 

Ethan Rayne stand vor der offenen Schatulle und griff zögerlich nach der Kette des Amuletts. Er lies das Schmuckstück auf der Höhe seines Gesichts herabhängen und betrachtete es genauestens. Kaum hörbar sprach er zu sich selbst:

 

„Wenn ich doch nur einen Blick in dich hinein werfen könnte. Wenn ich doch nur all deine Geheimnisse offenbaren könnte. Dann würde mir die Welt zu Füßen liegen.“

 

 

****

Tagelang war alles in Finsternis getaucht gewesen, doch plötzlich erschien wieder Licht. Als ob sich ein riesiges Tor für ihn geöffnet hätte. Ein Tor, wodurch nicht nur Licht, sondern auch seine Liebe zu ihm gedrungen war. Hoffnungsvoll erhob sich Spike und blickte suchend ins Nichts. In dem Nichts, das ihn seit schier unendlicher Zeit umgab. Er suchte nach seiner einzigen Liebe, dessen Herz er förmlich schlagen hören konnte. Er lief ein paar Schritte. Doch schien er sich dadurch nicht von der Stelle zu bewegen. Es war nutzlos. Auch wenn er sich noch so anstrengen würde, so wusste er, dass er diesen Ort nie mehr verlassen könnte.

 

 

Doch dies wäre nicht so schlimm, wenn er weiterhin das Herz seiner Liebe hören dürfte. Wenn er sie weiterhin spüren dürfte. Und sie manchmal sogar sehen könnte. Dann würde er dies alles hier ertragen können. Er fürchtete sich vor der Dunkelheit. Vor der Einsamkeit Fürchtete sich davor, dass sich das Tor wieder schließt. So laut er konnte schrie er ihren Namen.

 

****

 

„Buffy!“

 

Er war es. Ganz sicher. Sie konnte es ganz sicher hören. Es war seine Stimme. Und es lag Schmerz darin. Buffys Herz machte einen Sprung und schlug daraufhin unerbittlich laut in ihrer Brust. Ihre Schritte wurden rascher. Sie folgte ihrem Gefühl, das von Meter zu Meter immer Stärker wurde.

 

****

 

Ethan Rayne nahm die Kette, und legte sie sich um den Hals. Er versuchte seinen Geist auf die Macht des Amuletts zu lenken. Versuchte einen Weg zu finden um sich diese Macht zu Nutzen machen zu können. Doch er scheiterte. Er hat es schon so oft versucht, als er es gefunden hatte, jedes mal ohne Erfolg. Wut keimte langsam in ihm herauf. Aufgeregt eilte er hin und her. Fluchte vor sich her, und griff schließlich nach seinem dunklen Mantel, um daraufhin das Hotelzimmer zu verlassen.

 

****

 

Mit dem Licht kamen nun auch wieder die Schmerzen zurück. Verkrampft hielt er sich die Hände an die Brust, die auseinander zu reißen drohte. Zumindest fühlte es sich so für ihn an. Wehrlos fiel er auf die Knie, auf einen nicht vorhandenen Boden. Zumindest keinen, den man sehen konnte. Er befand sich immer noch in einem Nichts aus dichten Nebelschwaden. Er hoffte inständig, dass diese Schmerzen bald wieder aufhören würden. Das dieser Alptraum endlich vorbei gehen würde. Lieber wollte er Tod sein, als für immer hier gefangen.

 

Oder war er vielleicht schon tot? War dies hier sein Schicksal? Gefangen in einem Nichts. Gequält von Schmerzen, die ohne erkennbarem Grund auftraten. Dunkelheit, die ihn ohne Vorwarnung umgab und nicht enden wollte. War dies seine Strafe für all die bösen Taten in seinem Dasein als Vampir? Hilflosigkeit breitete sich in ihm aus. Die Hilflosigkeit darüber nicht zu wissen weshalb und wann etwas hier an diesem seltsamen Ort geschah. Und die eiskalte Tatsache nichts daran ändern zu können.

 

Wäre da nicht die Wärme von Buffy, die er spüren konnte, würde er längst den Verstand verlieren, da er sich ebenso hilflos fühlte wie damals, als er im Keller der Sunndyale High lebte. Irgendetwas oder irgendwer schien auch hier Einfluss auf ihn auszuüben. Er befürchtete wieder zu einem Werkzeug einer bösen Macht zu werden, und wollte sich mit aller Kraft dagegen wehren. Deshalb konzentrierte er sich mit allen Sinnen auf seine Liebe. Lauschte auf ihren Herzschlag, der immer lauter zu werden schien, und ignorierte alles was um ihn herum passierte. Was eigentlich gar nicht so schwer sein sollte, da er sich ja in einem endlosen Nichts befand.

 

****

 

Die kleinen tanzenden Lichter auf der Waldlichtung leuchteten verführerisch und hell. Der Wind war stärker geworden und blies energisch durch die Haare der Mädchen. Einige hielten ungläubig die Hände in die Luft, als wollten sie nach den Lichtern greifen. Daraufhin warnte Nancy:

 

„Hey lasst das! Ihr dürft sie nicht berühren, OK? Niemand darf sich bewegen ist das klar?“

 

Die meisten hörten sofort auf ihre Warnung und nahmen ihre Hände zurück. Nur Michele ignorierte die Worte und hielt ihren Arm weiterhin ausgestreckt in der Luft. Eines der Lichter verließ den tanzenden Kreis um den großen Hügel und wirbelte vor Micheles Gesicht.

 

Dawn bemerkte Micheles Achtlosigkeit und ermahnte ihre Freundin:

 

„Michele hör auf! Du hast gehört, was Nancy gesagt hat.“

 

Michele jedoch schien Dawns Worte nicht wahrzunehmen. Ihre Hand immer noch in die Höhe gestreckt starrte sie fasziniert auf das helle Licht vor ihrer Nase.

 

„Michele! Hörst du nicht?“ versuchte Dawn sie ein weiteres Mal zu ermahnen.

 

Auch Nancy versuchte Michele davon abzuhalten und meinte etwas lauter: „Michele! Nimm deine Hand runter!“

 

Dawn wollte ihren Platz verlassen um zu Michele zu eilen, doch Nancy warnte rechtzeitig: „Nicht Dawn, tu das nicht! Wir dürfen unsere Plätze nicht verlassen, sonst zerstören wir den Kreis.“

 

Dawn gehorchte, blickte aber besorgt auf ihre Freundin nebenan. Aufgebracht fragte sie Nancy: „Was passiert, wenn jemand von uns eines der Lichter berührt?“

 

Nancy antwortete nicht sondern starrte nur mit vor Furcht erweiterten Augen auf Micheles Hand. Das Licht welches den tanzenden Kreis der anderen Lichter verlassen hatte, setzte sich auf die Fingerspitze ihres Zeigefingers. Michele spürte wärme auf ihren Fingern. Neugierig zog sie ihre Hand zu sich und begutachtete das magische Leuchten. Es fing an ein wenig in einem gleichmäßigen Rhythmus zu pulsieren. In Micheles Augen spiegelte sich das Licht wieder und schien darin heller zu werden, bis sich ihre Pupillen in ein helles Gold änderten.

 

Dawn, Nancy und die anderen Mädchen beobachteten dies teils neugierig, teils mit Entsetzen. Die einzige, die sich der Gefahr bewusst war, welche sie bald bedrohen könnte war Nancy. Dawns ungutes Gefühl wurde jetzt wieder sehr stark.

 

Mit goldenen Augen starrte Michele immer noch auf das helle Leuchten, welches ihre Hand wieder verlies um dann in Augenhöhe vor Michele zu schweben. Das pulsieren des Lichtes wurde immer stärker, als sich ganz plötzlich das Licht ausdehnte und in leuchtend hellen Umrissen eine schrecklich unheimliche Gestalt blitzschnell größer und somit erkennbar wurde. Es sah aus wie eine unansehnliche alte Hexe mit holen Löchern, wo Augen sein sollten, einer langen krummen Nase und langen spitzen Zähnen. Die Gestalt schien nur aus einem Oberkörper zu bestehen, der eingehüllt in zerlumpten Fetzen an ihr herabhing. Dort wo der Unterleib sein müsste hingen nur die Fetzen des Umhangs herab. Mit wehenden ausgestreckten Armen schwebte sie blitzschnell auf Michele zu, die erschrocken zusammenzuckte und sich duckend zu schützen versuchte. Die gold leuchtende Gestalt schwebte über Micheles Kopf hinweg und machte eine hohen Bogen um die gesamte Waldlichtung.

 

Die andern Mädchen hatten dies mit entsetzen beobachtet und folgten mit ihren Blicken nun der fliegenden Gestalt. Eines der Mädchen bekam Panik und lief hysterisch schreiend davon. Woraufhin sich eines der tanzenden Lichter von dem Kreis löste und hinter her flog.

 

„NEIN NICHT!“ rief Nancy hinterher, aber es war schon zu spät.

 

Währenddessen kam die fliegende Gestalt herunter und begab sich zu den tanzenden Lichtern, um synchron mit ihnen um den Hügel zu fliegen. Dabei schenkte sie jedem der noch verbliebenen Mädchen einen höhnisch lachenden Blick.

 

„Was geht hier vor?“ wollte Dawn wissen und starrte böse auf Nancy.

 

Diese bekam es nun selber mit der Angst zu tun und antwortete: „Ehrlich das wollte ich nicht. Wenn Michele auf mich gehört hätte, dann wäre dies nicht passiert. Es sollte doch nur ein Spaß sein.“

 

„Schöner Spaß!“ erwiderte Dawn.

 

Eines der Mädchen fing an zu weinen und schluchzte: „Ich will hier weg!“

 

Doch Nancy sagte: „Nein! Niemand darf sich bewegen! Das ist zu gefährlich!“

 

„Was wird passieren? Sag es endlich!“ fragte Dawn abermals.

 

Die fliegende Gestalt drehte derweilen ihre Runden und schien jedes der tanzenden Lichter in sich aufzunehmen, bis kein einziges mehr vorhanden war. Ein schriller Schrei hallte plötzlich durch den Wald. Der Schrei kam von dem Mädchen, das davon gelaufen war.

 

„Oh mein Gott! Wir werden alle sterben,“ fing Nancy jetzt an zu wimmern und sackte auf ihre Knie.

 

Eine zweite schwebende Gestalt ebenso hässlich wie die erste gesellte sich nun zu ihnen.

 

„Das werden wir nicht,“ fing Dawn energisch an, richtete einen entschlossenen Blick auf Nancy und fuhr fort: „ich habe nicht vor zu sterben! Nicht hier, und nicht heute. Hast du verstanden? Du sagst mir jetzt sofort, was du über diese Dinger weißt. LOS!“

 

****

 

Ethan Rayne ging in eiligen Schritten durch die von der Dunkelheit geschützten Straßen der Stadt. Er war auf dem Weg sich mehr magische Kraft zu verschaffen. Er wusste, das es hier irgendwo einen Ort geben musste, an dem sich solche Kräfte bündelten. Diesen Ort wollte er um jeden Preis finden. Er bemerkte nicht, dass nur zwei Straßen weiter eine Jägerin ihrem starkem Gefühl folgte, das direkt vom dem Amulett aus ging.

 

Mit geschärften Instinkten folgte Buffy dem immer stärker werdenden Gefühl. Ihr Herz sagte ihr, dass Spike hier irgendwo sei, jedoch ihr Verstand und ihre Augen suchten nach Ethan Rayne. Zwei Straßen weiter in einer dunklen Gasse erblickte sie schließlich eine von der Dunkelheit umhüllte Gestalt. Ihre Schritte wurden schneller, bis sie schließlich zu rennen anfing, um ihn ein für alle mal aufzuhalten.

 

Ungestüm griff sie der Gestalt an die Schulter und wirbelte sie unsanft herum. Buffy starrte in das fremde Gesicht des Mannes, der sich lautstark beschwerte: „Hey Lady, was soll denn das?“

 

Buffy murmelte eine unverständliche Entschuldigung und blickte sich hektisch um. Ein Schatten huschte am Ende der Gasse davon. Sie ließ den verärgerten Mann einfach stehen und lief dem Schatten hinterher.

 

****

 

Mit Tränen in den Augen und verzweifelten Schluchzern begann Nancy endlich zu erzählen: „Es sind verlorenen Seelen aus der Vergangenheit. Sie sind Geschöpfe der Nacht, die bestraft wurden und verdammt sind zu einem Dasein im Nichts. Gefangen in der Zeit. Mit diesem Ritual kann man sie kurzzeitig beschwören. Bei Tagesanbruch verschwinden sie wieder. Sie können einem aber nichts anhaben, solange sie sich nicht mit einer menschlichen Seele vereinen.“

 

„Und das ist mit Michele passiert?“

 

„Ich fürchte ja.“

 

„Wie kann man das rückgängig machen? Wie kann man diese Dinger bekämpfen?“

 

„Bekämpfen? Keine Ahnung. Wie kommst du darauf?“

 

„Hey ich hab nicht vor hier zu verrecken. Lieber kämpfe ich gegen diese grässlichen schwebenden Dinger, als dass ich mich töten lasse.“

 

Nancy erhob sich schließlich und blickte ungläubig auf Dawn. Diese fing an angestrengt nach einer Lösung zu suchen. Als ihr schließlich etwas auffiel: „Es sind keine kleinen Lichter mehr da. Nur noch diese beiden hässlichen Dinger. Um sich mit der Seele eines Menschen zu vereinen müssen sie dann so klein sein wie vorher? Oder können sie das jetzt auch noch?“

 

„Ich weiß nicht? Kann sein? Vielleicht auch nicht.“

 

Entschlossen sagte Dawn zu sich selbst: „OK, dann finden wir es eben raus,“ und schrie dann zu den Mächen: „Lauft, JETZT! So schnell ihr könnt!“

 

Ohne zu zögern rannten alle in die Richtung aus der sie gekommen waren. Dawn griff sich unterm Laufen die zusammengekauerte Michele, zog sie hinter sich her und lief so schnell wie möglich den flüchtenden Mädchen nach.

 

Die hässlichen Gestalten funkelten ihnen böse hinter her und verfolgten sie seelenruhig, als wüssten sie, dass ihnen die Mädchen nicht entkommen können. Grelles Gelächter zog sich durch den Wald. Nancy lief an der Spitze der Mädchen und stolperte nun über das eine Mädchen, welches zuvor den Kreis verlassen hatte. Dessen Augen leuchteten so golden wie die von Michele. Nancy rappelte sich wieder auf, während zwei der anderen an ihr vorbeiliefen. Gleich darauf folgte Dawn, die Michele hinter sich her zog, und rief Nancy zu: „Schnell! Nimm sie mit!“

 

Nancy griff sich das Mädchen und eilte Dawn und den anderen hinterher. Die beiden leuchtenden Gestalten kamen bedrohlich näher. Ein schwacher Lichtschein am Ende des Pfades deutete das baldige Ende des Waldes an. Dawn trieb die Mädchen erneut an, und rief erneut: „LAUFT!“

 

****

 

Das helle Mondlicht spiegelte sich kurz in der Kette des Amuletts wieder und deutete Buffy, dass sie den richtigen Mann verfolgte. So schnell ihre Füße sie tragen konnten eilte sie hinter ihm her. Als sie ihn schließlich erreichte, zögerte sie keine Sekunde. Bereits im Laufen holte sie mit der Faust aus und schlug Ethan von hinten nieder. Ächzend fiel dieser zu Boden. Aus Furcht er könnte sich wieder aus dem Staub machen, im wahrsten Sinne des Wortes, packte sie ihm am Kragen und verpasste ihm sofort eine rasche Rechts-Links-Kombination. Sie holte erneut aus, schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, so dass sein Kopf zurück in den Nacken geworfen wurde. Gleich darauf schlug sie ihm mit ihrem Knie direkt in den Magen. Ethan krümmte sich stöhnend vor Schmerzen. Als er so vor ihr gekrümmt da stand, hob sie ihren Ellbogen und schlug ihm ins Genick. Dieser Schlag streckte ihn zu Boden, wo er bewusstlos liegen blieb.

 

Eine Weile starrte Buffy auf Ethan herab. Die silberne Kette des Amuletts leuchte verführerisch im Mondlicht. Buffy zögerte. Sie fürchtete sich davor, was sie durch dieses Schmuckstück finden würde. Das Gefühl die Nähe von ihm zu spüren war nun deutlicher den je. Voller Hoffnung sagte sie seinen Namen.

 

****

 

Die Schmerzen hatten nachgelassen. Immer deutlicher konnte er seine Geliebte wahrnehmen. Sein totes Herz begann plötzlich zu schlagen. Verwirrt griff sich Spike an die Brust. Er fühlte deutlich einen Herzschlag darin. Oder war es ihr Herz? Voller Hoffnung wartete er darauf was passieren würde. Dann hörte er ihre Stimme:

 

„Spike?“

 

****

 

„Buffy?“

 

Buffy wich erschrocken zurück. Klar und deutlich konnte sie seine Stimme hören. Klarer, als in ihren Träumen. Als wenn er direkt neben ihr stehen würde.

 

„Spike, hörst du mich?“

 

„Ja, Buffy ich kann dich hören! Laut und deutlich. Wo bist du?“

 

Buffy konnte ihren Ohren nicht glauben. Fassungslos schüttelte sie den Kopf und murmelte:

„Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott, ich glaub es nicht.“

 

„Was soll das werden, Luv? Versuchst du zu beten?“

 

„Halt die Klappe, ich denk nach.“

 

Endlich griff sie nach der Kette und legte sich das Amulett um den Hals. Plötzlich geschah etwas, womit sie niemals gerechnet hätte.

 

Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie nun auf das Bild, dass sich ihr darbot.

 

****

 

In letzter Sekunde liefen Dawn und die Mädchen aus dem Wald heraus. Die leuchtenden Gestalten hatten sie beinahe eingeholt, zögerten jedoch den Waldrand zu überqueren.

 

„Was machen wir jetzt?“ jammerte Nancy und sah verzweifelt zu Dawn rüber, die als einzige ihre Nerven behielt.

 

Dawn beobachtete mit entsetzten das Schauspiel der beiden leuchtenden Gestalten. Irgendetwas schienen sie vor zu haben. Sie tanzten miteinander und begannen ganz langsam ineinander zu verschmelzen.

 

„Ich wünschte Willow wäre hier! Halt, das ist es! Willow! Sie weiß sicher eine Lösung.“

 

Zu den Mädchen schrie sie laut: „Los lauft weiter!“ während sie schnell nach ihrem Handy griff. „Oh, Buffy ich danke dir für dieses Geschenk.“

 

Hastig wählte sie die Nummer von Willow und beobachtete dabei den Tanz der beiden Gestalten.

 

**

 

Zum Glück ging Willow sofort ran. Aufgeregt erklärte Dawn so schnell und so genau wie in dieser Situation möglich was vorgefallen war:

 

„Willow du musst mir helfen! Wir haben verlorenen Seelen in einem Wald beschworen. Sie sahen aus wie Glühwürmchen. Eines der Würmchen hat sich mit Micheles Seele verbunden und sich in ein riesiges leuchtendes fliegendes Monster verwandelt. Das hat dann alle anderen Lichter gefressen. Wie auch immer jetzt schweben auf jeden Fall zwei dieser Monster direkt vor mir und beginnen sich zu vereinen. Ich fürchte, wenn sie zusammen geschmolzen sind, können sie den Wald verlassen und gehen dann auf Jagd nach noch mehr menschlichen Seelen.“

 

Dawn sprach so schnell, dass Willow Mühe hatte ihr gedanklich zu folgen. Im Endeffekt verstand sie nur etwas von leuchtenden verlorenen Seelen, von einer Verschmelzung und von der Jagd nach menschlichen Seelen. Diese Informationen reichten aber, um sich von der Dringlichkeit der Situation ein Bild machen zu können. Daher verkniff sie sich eine Empörung darüber, dass Dawn offensichtlich mit Magie herumexperimentiert hatte.

 

Angespannt erhob sie sich von ihrem gemütlichen Platz auf der neuen Couch, die sie sich vor kurzem angeschafft hatten und stieß dabei die Aurelius-Katze unsanft von ihrem Schoß, was dieser mit einem mürrischen Knurren quittierte. Willow begann aufgeregt hin und her zu laufen und suchte hektisch nach einer Lösung. Mehr zu sich selbst als zu Dawn begann sie laut zu denken:

 

„OK, leuchtende Lichter... verlorene Seelen.. da war doch was. Das hab ich schon mal gehört. Leuchtende fliegende Monster? Menschliche Seelen....hmmm.“

 

„Willow mach schon! Beeil dich. Die beiden Dinger verschmelzen immer mehr.“

 

„Beschreib sie mir!“

 

„Langen Nasen, leeren Augenhöhlen, spitze Zähne, keine Beine, zerfetzte Lumpen..“

 

„Keine Beine?“

 

„Nein. Nur Oberkörper, Arme, Kopf...“

 

„Ich weiß es! Es sind Furien. Sie gieren nach Rache. Gar keine gute Sache!“

 

„Was muss ich tun?“

 

„Das beste wäre gewesen sie nicht zu beschwören.“

 

„Dafür ist es zu spät! Willow bitte hilf mir!“

 

Willow fühlte sich in der Zwickmühle. Sie konnte unmöglich tatenlos zusehen, wie Dawn von einer wilden Furie ihrer Seele beraubt würde. Doch der einzige Weg ihr zu helfen wäre ihre Furcht zu überwinden und sich ihrer Kräfte zu bemächtigen. Das Risiko wieder in die Abhängigkeit der schwarzen Magie zu geraten war sehr groß. Nervös ging sie hin und her, bemerkte aber dabei nicht, wie zwei grün funkelnde Augen sie neugierig und fasziniert beobachteten. Aurelius hatte alles mitbekommen und wartete jetzt gespannt auf Willows Handeln.

 

„Oh Gott, Willow sie haben sich gleich vereint! Hilf mir bitte!“

 

„impero portatio me ad sua!“ wiederholte Willow nun mehrmals hintereinander. Sie konzentrierte ihren Geist auf den Ort wo sich Dawn befand. Ein Wind, angetrieben durch eine unsichtbare Macht wehte durch ihr rotes Haar. Willow fiel auf die Knie und wiederholte abermals die lateinischen Worte. Das Handy fiel achtlos zu Boden, als sich plötzlich um sie ein leichter Kegel aus blauem Licht bildete, und Willow spurlos verschwand. Der Wind hatte sich gelegt, und zurück blieb nur noch das Handy und eine zufrieden schnurrende Katze.

 

****

 

Dawn sah mit Schrecken auf die leuchtende Furie, die sich ihr nun in doppelter Größer näherte. Verzweifelt rief sie Willows Namen ins Handy, bekam aber keine Antwort mehr. Die Furie schwebte nun direkt über ihr und streckte mit schallendem Gelächter ihre Hand nach ihr aus. Dawn wollte zurückweichen, konnte sich aber nicht mehr bewegen. Ihr Blick war gefangen in den leeren Augenhöhlen der Gestalt. Mit entsetzten starrte sie auf die leuchtende Hand, die sie jeden Moment berühren würde, als plötzlich aus dem Nichts Willow an ihrer Seite erschien.

 

„CEDERE!“ schrie Willow der Furie entgegen und zeigte mit der flachen Handfläche auf sie, wodurch diese zurück geschleudert wurde.

 

 

Ein schriller Schrei kam von der Furie. Wütend sah sie auf Willow herab, die dann ihre ganze Macht gegen sie ausspielte:

 

„Liberare omnis animus actutum!“

 

Willows Augen füllten sich tiefschwarz. Die Furie wich heulend zurück und löste sich in lauter kleine Lichter auf, um gleich darauf wieder im Wald zu verschwinden.

 

Erschöpft fiel die Hexe auf ihre Knie. Dawn kam sofort näher und fiel ihr dankbar um den Hals.

 

„Oh, ich danke dir!“

 

Willow erwiderte die Umarmung jedoch nur passiv und blickte mit schwarz gefüllten Augen in den Wald. Erschrocken wich Dawn zurück, als sie Willows Zustand bemerkte. Die schwarze Magie, die Willow beschworen hatte schien wieder Besitz von ihr zu ergreifen. Vorsichtig sprach sie Willow mit ihrem Namen an.

 

„Willow?“

 

Diese kniff ihre Augen fest zusammen und versuchte sich mit aller Kraft gegen die dunklen Mächte in ihr zu wehren. Sie konzentrierte sich auf ein kleines helles Licht vor ihrem inneren Auge. Ein Licht ähnlich wie diesem, dass sie überflutete, als sie allen Jägerinnen ihre Kräfte gegeben hatte. Sie spürte diese starke Energie tief in ihr drin und versuchte sie zu erreichen. Dadurch, dass sie all ihre Konzentration auf diesen einen hellen Punkt in ihr selbst richtete gelang es ihr alle schwarze Mächte in ihr zu bändigen und zurück zu drängen.

 

Als sie ihre Augen wieder öffnete, erstrahlten sie im selbigen sanften Ton wie eh und je. Ein stolzes Lächeln huschte über ihr erschöpftes Gesicht. Sie war stolz auf sich selbst die gefährlichen dunklen Mächte in ihr kontrollieren zu können. Erleichtert fielen sie die beiden nun um den Hals. Jegliche Gefahr war gebannt.

 

****

 

Buffy stand in der dunklen Gasse und starrte auf Spike, der in voller Lebensgröße vor ihr stand! Ethan Rayne lag immer noch bewusstlos neben den beiden. Niemand wagte etwas zu sagen. Eine unheimlich bedrückende Stille lag in der Luft.

 

Spikes Blick war auf den ihrigen geheftet und beobachtete mit glasigen Augen die Jägerin, wie sie langsam eine Hand nach ihm ausstreckte. Die Seine ebenfalls ihr entgegen streckend bereitete er sich darauf vor, was passieren würde, wenn sie sich berühren. Kurz bevor sich ihre Hände berührten zögerte Buffy. Sie dachte nach, ob er wirklich vor ihr stehen würde. Ob sie ihn berühren könnte oder nicht? Sie sehnte sich nach einer Berührung. Sie fürchtete aber, dass dies nur einer ihrer Tagträume sein könnte, und er sich wieder in Luft auflösen würde, sobald sie nach ihm greifen würde. Spike konnte in ihren Gedanken lesen und spürte ihre Ängste und Zweifel. Auch er hatte die selben Gedanken und Befürchtungen wie sie. Schließlich meinte er mit leiser Stimme:

 

„Wir werden es nicht herausfinden, wenn wir es nicht versuchen.“

 

Buffy wusste genau, was er meinte. Auch sie las seine Gedanken. Die Tatsache, dass sie sich auf diese Weise verstehen, und sogar unterhalten konnten war faszinierend und beängstigend zugleich. In Gedanken meinte sie ‚Also gut’ und sie nickten sich beide bestätigend zu. Als sich ihre Hände zu einander bewegten, glitt Buffy ohne Widerstand durch Spikes Hand hindurch.

 

Enttäuschung zeichnete sich auf Buffys Gesicht, was Spike jedoch nicht bemerkte, da er aufgebracht zu schimpfen begann: „Fuck! Was bin ich, ein Geist?“

 

„Scheint so.“ versuchte sie so teilnahmslos wie möglich zu erwidern.

 

„Verdammt, das fehlte mir grade noch. Wo zum Teufel sind wir eigentlich? Und wer ist dieser Kerl da?“

 

„Cleveland, Ethan Rayne,“ erläuterte Buffy während sie mit ihren Händen erst auf die umliegende Gegend, und dann auf den bewusstlosen Ethan deutete.

 

„Verstehe. Und wie kommt’s, dass ich jetzt hier bin?“

 

„Ich vermute das liegt an dem Amulett, das ich Ethan abgenommen habe.“

 

Dabei deutete sie auf das schillernde Schmuckstück um ihren Hals.

 

„Wieso fragst du mich das eigentlich alles? Ich dachte du kannst meine Gedanken lesen?“

 

„Klar kann ich, aber nur wenn ich mich darauf konzentriere. Außerdem ist es doch viel schöner, wenn ich mich mit dir unterhalte.“

 

Buffy nickte nur verstehend. Dies alles war ein bisschen zuviel für sie. Die Tatsache ihn direkt in Lebensgröße vor sich zu sehen, mit ihm zu sprechen aber ihn nicht berühren zu können verwirrte sie sehr. Ein Teil in ihrem Verstand sagte, dass dies nicht sein konnte, da er tot war. Doch ein Anderer jubelte insgeheim.

 

Die beiden waren so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass es ihnen vollkommen entging, wie Ethan Rayne wieder zu sich kam und sich lautlos davon schlich.

 

Als Buffy schließlich durch ein entferntes Geräusch aufgeschreckt wurde, bemerkte sie, dass er sich schon wieder aus dem Staub gemacht hatte.

 

„Verdammt! Nicht schon wieder. Das ist deine Schuld!“

 

„Hey, gib mir nicht die Schuld, dass du nicht aufgepasst hast.“

 

„Und wo waren gerade deine scharfen Vampir-Sinne, wenn ich sie mal gebraucht hätte?“

 

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich in diesem Zustand überhaupt über Vampir-Sinne verfüge.“

 

„Oh,“ meinte Buffy sichtlich sprachlos. Dies alles schien eine völlig neue Situation zu sein, und sie war gespannt, was noch so alles auf sie zukommen würde. Schließlich fügte sie noch hinzu: „OK, dann lass uns zu mir gehen. Mal sehen, ob wir mehr über deinen neuen Zustand herausfinden können. Immerhin haben wir ja jetzt das Amulett. Wenigstens werden die anderen mir endlich glauben müssen, dass ich mir das ganze nicht nur eingebildet habe, wenn sie dich nun mit eigenen Augen sehen können.“

 

****

 

Zuhause angekommen kam ihnen Kennedy völlig aufgelöst entgegen und fing sofort an aufgeregt zu berichten: „Buffy komm schnell, Willow ist verschwunden!“

 

Buffy und Spike betraten das Haus, wo Xander und Andrew in dem neu eingerichtetem Wohnzimmer standen. Sie waren ebenfalls sehr nervös und aufgeregt. Als Buffy das Zimmer betrat fragte sie sofort: „Was ist passiert?“

 

Andrew berichtete kurz: „Ich hab ein Geräusch gehört, und als ich hier rein kam, war Willow verschwunden. Kurz zuvor hatte sie noch hier gesessen. Und ihr Handy lag auf dem Boden.“

 

Kennedy war sehr besorgt und stand den Tränen nahe. „Buffy tu doch was!“

 

Xander legte tröstend seinen Arm um Kennedy und sagte: „Keine Sorge Willow passiert so schnell nichts. Sie ist eine gefährliche Hexe, schon vergessen?“

 

Daraufhin meinte Andrew: „Vielleicht ist sie wieder böse geworden?“

 

Was Buffy sofort vehement verneinte: „Unsinn! Jetzt beruhigt euch erst einmal alle. Dann überlegen wir in Ruhe, was wir tun, OK?“

 

Spike hatte sich derweilen im Hintergrund gehalten und sich neugierig im Haus umgesehen. Nun meinte er zu Buffy: „Kann man bei diesen Dingern nicht feststellen, mit wem sie zuletzt telefoniert hat?“

 

„Großartige Idee!“ erwiderte Buffy und griff sich das Handy aus Andrews Hand.

 

Dieser sah sie perplex an und fragte: „Was für eine Idee?“

 

„Na Spikes Idee, das letzte Gespräch zu überprüfen.“

 

„Spikes Idee?“ fragte Xander nach.

 

„Ja, Spikes Idee! Ihr könntet ihn ruhig mal begrüßen. Schließlich ist es nicht gerade selbstverständlich, dass er hier ist.“

 

„Spike ist hier?!“ kam es von Andrew und Xander gleichzeitig.

 

„Klar, dort! Seht ihr ihn nicht?“ meinte Buffy und deutete auf Spikes Körper, der im Rundbogen zum Wohnzimmer stand.

 

Andrew ging unter dem Rundbogen direkt durch Spikes Körper hindurch.

 

Spike beschwerte sich lautstark und sagte: „Hey muss das sein?“

 

„Ich sehe hier keinen Spike“ stellte Andrew fest.

 

„Buffy alles in Ordnung? Geht es dir gut?“ wollte Xander wissen.

 

„Warum nur fragt mich jeder, ob es mir gut geht? Mir geht es bestens. Spike ist hier! Ich kann ihn sehen, und er sieht euch, aber offensichtlich seht ihr ihn nicht. Na wunderbar!“

 

„Was ist nun mit Willow?“ lenkte Kennedy energisch ein.

 

„Eine Sekunde,“ murmelte Buffy unzufrieden darüber, dass offensichtlich niemand außer ihr Spike sehen konnte und tippte an Willows Handy herum, bis sie schließlich fand wonach sie suchte und allen berichtete: „Dawn hat sie zuletzt angerufen! Ich werde versuchen sie zu erreichen.“

 

„Grüß den Krümel von mir.“ setzte Spike an, was Buffy jedoch nur mit einem genervten Blick erwiderte.

 

Kurz darauf ging ihre Schwester ran. Erleichtert stellten Buffy und die anderen fest, dass es Willow gut ging. Dawn hatte ihnen alles genauestens berichtet, und Kennedy schnappte sich das Handy um dann oben ihn ihrem Zimmer ungestört mit Willow zu sprechen. Sie hatte schreckliche Angst um sie gehabt, und war nun froh, dass nichts schlimmes passiert war. Bei all der Aufregung um Willow machte sich auch keiner genauere Gedanken darüber, dass Dawn wohl mit Magie herum experimentiert haben musste.

 

Nachdem sich alle beruhigt hatten ging Buffy in die Küche um sich aus dem Kühlschrank etwas zu Trinken zu holen. Sie war etwas erschöpft von der Jagd und immer noch nervlich angeschlagen. Spike folgte ihr wie ein unsichtbarer Schatten. Er spürte, dass Buffy dies alles sehr mitnahm. Niemand schien ihr recht glauben zu wollen, dass er hier war. Es schien fast so, als würden sie sie für unzurechnungsfähig halten. Und niemand schien sich wirklich dafür zu interessieren. Er konnte in ihren Gedanken die Sorgen lesen. Sie machte sich um so vieles sorgen. Um das Geld für das nächste Abendessen oder für neue Schuhe, um ihren Job, um Ethan Rayne, der ihr wieder mal entwischt war und darum, dass ihr niemand so recht glauben wollte, dass sie mit ihm sprechen konnte.

 

Nachdenklich beobachtete er sie. Xander lehnte im Türrahmen direkt hinter Spike, den er allerdings nicht sehen konnte und fragte mit sanfter Stimme: „Spike ist wirklich hier?“

 

Buffy wirbelte herum, da sie nicht bemerkt hatte, dass außer Spike noch jemand hier war. Ebenso wie Spike selbst, der nun ein paar Schritte weiter in die Küche ging, bevor Xander ebenfalls durch ihn hindurch gehen würde.

 

„Ja. Er steht direkt vor dir.“

 

Xander hob ungläubig die Hand und versuchte etwas zu erfühlen.

 

„Sag ihm, dass er damit aufhören soll.“

 

„Er sagt du sollst damit aufhören.“

 

„Er spricht mit dir? Jetzt gerade im Augenblick?“

 

„Ja, das sagte ich doch schon! Hört mir denn überhaupt keiner zu?“

 

„Ich höre dir immer zu, Liebes.“

 

„Nicht du.“

 

„Wie? Ich meine, warum kannst du ihn jetzt sehen? Ich dachte du sagtest du würdest nur mit ihm sprechen, wenn du träumst?“

 

„Ich habe Ethan Rayne das Amulett abgenommen. Seit dem ich es trage, kann ich ihn sehen.“

 

Dabei zeigte sie Xander das funkelnde Amulett.

 

„OK, das erklärt einiges. Heißt das, dass Blondie von nun an bei uns wohnt?“

 

Empört lehnte sich Spike zu ihm herüber und sagte: „Hey pass auf, was du sagst du einäugiger ..... ach was weiß ich.“ So recht viel ihm nichts passendes ein, weswegen er frustriert abwinkte.

 

Buffy schmunzelte über Spikes Reaktion. Versuchte es aber so gut wie möglich zu verbergen und erwiderte zu Xander: „Sieh es mal so, immerhin nimmt er keinen Platz weg, und er braucht auch kein Blut mehr. Und da du ihn nicht sehen kannst, wird er dir auch nie zu unpassenden Zeitpunkten begegnen.“

 

Spike warf ihr einen gekränkten Blick zu und meinte in Gedanken ‚Wusste gar nicht, dass ihr meine Anwesenheit so lästig empfunden hattet,’ was Buffy gedanklich mit ‚nicht ich, du Idiot!’ erwiderte und ihn dabei durchdringend anstarrte.

 

Xander beobachtete verwundert ihren Gesichtausdruck und fragte: „Hat er gerade was über mich gesagt?“

 

„Nein nichts.“ Konnte Buffy wahrheitsgemäß antworten, da Spike ja wirklich nichts gesagt hatte.

 

„Gut, das hätte ich ihm auch nicht geraten!“

 

„Was willst du denn dagegen tun?“

 

„Glaubst du mir den endlich?“ fragte Buffy schließlich.

 

„Ja. Ich glaube dir. Auch wenn es total verrückt ist. Aber wenn du sagst, du kannst ihn sehen, dann glaube ich dir.“

 

„Ich glaube dir auch!“ meinte plötzlich Andrew, der sich inzwischen unbemerkt der Küche genähert hatte, und fügte vollständiger Weise noch hinzu: „Bertolin glaubt dir auch.“

 

„Wer zum Geier ist Bertolin?“

 

„Danke Andrew! Und dir auch danke Bertolin, wo immer du auch gerade bist.“

 

„Buffy behandle mich bitte nicht wie Luft, es reicht schon, wenn die anderen mich nicht sehen können!“

 

„Entschuldige Spike. Bertolin ist unser Hauskobold. Er ist die meiste Zeit unsichtbar. So gesehen habt ihr also etwas gemeinsam.“

 

Xander beobachtete Buffy, wie sie offensichtlich mit dem unsichtbaren Spike sprach, was ziemlich seltsam aussah und meinte: „OK, Leute ich geh dann mal schlafen. Ihr könnt euch ja weiter unterhalten. Gut’ Nacht.“

 

Die anderen wünschten sich gegenseitig auch eine ‚Gute Nacht’ und machten sich auf den Weg nach oben. Auch Spike wünschte „Gute Nacht“, was jedoch außer Buffy niemand bemerkte.

 

„Geh nur schlafen, Liebes. Ich werde inzwischen hier unten bleiben.“

 

„Du kannst es dir ja auf der Couch gemütlich machen.“

 

„Sicher, wenn ich nicht durch sie hindurch fallen würde, könnte ich das. Aber mach dir keine Gedanken um mich. Ich schlafe schon länger nicht mehr.“

 

„OK, dann geh ich mal.“

 

Etwas zögernd verließ sie die Küche und ließ Spike alleine zurück. Damit er wenigstens nicht im Dunkeln stehen musste ließ sie das Licht im Gang an. Sie ging nach oben in ihr Zimmer und befreite sich von ihren Klamotten. Gerade wollte sie sich ein Nachthemd überziehen, als plötzlich Spike wie aus dem Nichts erschien und wieder vor ihr stand. Spike starrte zuerst völlig überrascht auf die splitterfasernackte Buffy doch dann konnte er sich ein anzügliches Lächeln nicht verkneifen. Buffy griff rasch nach dem Nachthemd und bedeckte ihre Nacktheit.

 

„Was machst du hier?“

 

„Keine Ahnung? Ich hab mich grad ein wenig unten umgesehen, als ich ganz plötzlich hier bei dir auftauchte. Scheinbar bin ich gezwungen in der Nähe des Amuletts zu bleiben. Vielleicht legst du es einfach ab? Obwohl ich ehrlich gesagt nicht sehr gern zurück an den seltsamen Ort möchte.“

 

„Nein. Schon gut. Du kannst ruhig hier bleiben. Äh.. würdest du dich bitte kurz umdrehen?“

 

„Oh, entschuldige bitte, ich bin ja so ein Idiot.“

 

Spike schaffte es nur mühsam seinen Blick von ihr abzuwenden, drehte ihr aber dann in Gentleman-hafter Manier solange den Rücken zu, bis sie ihm ein OK gab und unter der Bettdecke verschwunden war. Obwohl es ja eigentlich keine Stelle ihres Körpers gab, die er noch nicht gesehen hätte, weshalb es ihn irgendwie verletzte, dass sie ihm gegenüber wieder so schamhaft war. Buffy kuschelte sich in ihre Bettdecke und beobachtete wie Spike sich wieder zu ihr umdrehte. Etwas Unschlüssig stand er im Raum und wusste nicht so recht, was er jetzt tun sollte.

 

„Gute Nacht Spike.“ murmelte sie gähnend ins Kissen.

 

Buffy war sehr müde. Die vielen Ereignisse des Tages und die vergangenen schlaflosen Nächte forderten ihren Tribut. So dauerte es nicht lange, bis Buffy fest einschlief und nicht mehr mitbekam, wie Spike leise antwortete: „Gute Nacht, Liebes. Träum was schönes.“

 

Er näherte sich der schlafenden Buffy und blickte auf ihr wunderschönes Antlitz. Sie sah so friedlich und glücklich aus, als ob sie von etwas schönem Träumen würde. Er hätte gerne gewusst wovon sie gerade träumte. Ob sie vielleicht auch an ihn denken würde? Er versuchte sich auf ihre Gedanken zu konzentrieren, doch er konnte nichts erkennen. Offensichtlich konnte er ihre Gedanken nicht lesen, wenn sie schlief. Nachdenklich beobachtete er sie in ihrem ruhigen Schlaf.

 

Eine widerspenstige Haarsträhne hatte sich in ihrem Gesicht verirrt. Er strich liebevoll darüber. Wollte ihr die Strähne aus dem Gesicht streifen. Seine Hand glitt jedoch ohne Widerstand durch die Strähne hindurch. Schmerzhafte Erinnerungen kamen in ihm hoch.

 

Nach allem was geschehen war schien er nun wieder am Anfang zu stehen. Er war ihr so nah, konnte sogar in ihren Gedanken lesen, doch gleichzeitig blieb sie unerreichbar für ihn.

 

****

 

Folge 7