Folge 10

Märchenstund hat Gold im Mund

 

Als alle Schüler aus dem Computer-Nachhilfekurs das Klassenzimmer verlassen hatten, machte sich Willow daran, an einem der Internet-PC’s weitere Recherchen anzustellen. Sie suchte gerade auf einigen Seiten, die die mystischen Hintergründe der Ägyptologie genauer durchleuchteten, aber bisher fand sie nichts was in irgendeiner Weise behilflich sein könnte.

 

„Entschuldigen Sie! Sind Sie Willow Rosenberg?“

 

Willow fuhr herum, als sie die weibliche Stimme hinter ihr hörte. Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, einem bunten Batikrock und einem ebenso farbenfrohen Oberteil stand in der Tür und lächelte sie freundlich an. Ihr Outfit hatte etwas Flower-Power Mäßiges an sich. Rechts in ihrem langen seidig glänzenden Haar waren zwei Strang bunter Kunsthaare eingeflochten. Um die Hüften hatte sie ein rotes Tuch als Hüftgürtel geschlungen.

 

Nachdem sich Willow von ihrem ersten Schreck erholt hatte fand sie ihre Sprache wieder und erwiderte freundlich: „Ja, die bin ich.“

 

Daraufhin streckte die ihr die junge Frau freundlich die Hand entgegen und erklärte: „Freut mich Sie endlich kennen zu lernen! Mein Name ist Melissa Jenkins ich bin die Tante von Nancy. Sie hat mir gesagt, dass ich Sie hier finden würde. Nancy hat mir gebeichtet, dass sie in meinen Büchern geschnüffelt hatte, um einen Zauber auszuprobieren. Sie hatte erzählt, dass Sie dem Mädchen das Leben gerettet hätten. Dafür wollte ich Ihnen danken... und... ich wollte mich mit Ihnen unterhalten... nun ja… über Hexerei, denn ich gehe wohl recht in der Annahme, dass Sie einiges davon verstehen, da Sie meiner Nichte helfen konnten.“

 

Willow gingen jetzt einige Gedanken durch den Kopf. In erster Linie allerdings dachte sie sich: ‚Bitte nicht! Lass das bitte keine zweitklassige Anfängerin sein, die von mir jetzt erwartet, dass ich sie in die Gefilde der Magie einweise.’

 

„Ich verstehe ein bisschen davon, ja. Ich habe gern geholfen. Sie sollten ihre Bücher besser so aufbewahren, dass niemand darin schnüffeln kann, denn so etwas kann sehr böse Folgen haben.“

 

„Ja, das weiß ich. Ich achte normaler Weise sehr darauf, aber leider nicht gut genug. Ich halte nun alle gefährlicheren Werke unter Verschluss.“

 

Willow wagte gar nicht daran zu denken, von welchen „gefährlichen“ Werken sie wohl sprach. Sie wollte es sich gar nicht ausmahlen, was alles passieren könnte, wenn wirklich gefährliche Werke in die Hände von unerfahrenen Hexen geraten. Sie hatte es schließlich am eigenen Leib erlebt, wie gefährlich das sein kann.

 

„Gut, ich denke, dass das keine schlechte Idee war.“

 

„Interessieren sie sich für die alten Ägypter?“

 

„Ich? Wieso?“

 

„Ich dachte nur, weil Sie gerade im Internet nach Geb gesucht hatten.“

 

„Sie kennen Geb?“

 

„Ja. Die alten ägyptischen Götter sind eine kleine Leidenschaft von mir. Es gibt viele alte Zauber und Flüche, die die Götter den Priestern geschenkt hatten.“

 

„Zauber und Flüche? Wissen Sie vielleicht auch etwas über ein Amulett, dass im Zusammenhang mit Geb seht, und vermutlich die Macht besitzt gestorbenen Seelen gefangen zu halten?“

 

„Ich hatte mal etwas über ein Amulett gelesen, aber dies hatte angeblich die Macht das Licht der Sonne zu bündeln und die Erde erbeben zu lassen. Der Erdgott Geb selbst soll es angeblich geschmiedet, und einem damaligen Pharao zum Geschenk gemacht haben. Kein menschlicher Träger vermochte die Macht des Amuletts zu aktivieren, daher blieb es Jahrtausende lang unbenutzt und galt als verschollen. Allerdings sagt man Geb selbst auch nach, dass er die Toten verschlingt, also könnte ich mir gut vorstellen, dass dieses Amulett eine solche Wirkung haben könnte.“

 

Jetzt war Willow platt! Damit hatte sie nicht gerechnet. Da suchte sie jetzt schon seit Tagen im Internet nach allen möglichen Informationen, und dann kommt einfach diese Frau daher und erzählt ihr mehr, als sie zu erfahren gehofft hatte.

 

„Das ist ja unglaublich! Woher wissen Sie das alles?“

 

„Wie schon gesagt, hab ich einige bedeutende Werke der Zauberei und Hexerei zuhause, unter anderem ein paar Werke über die alten ägyptischen Götter der verschiedenen Zeitepochen. Wissen Sie was? Ich treffe mich regelmäßig mit ein paar Freundinnen zu einer gemeinsamen Plauschrunde, wo wir unsere gemeinsamen Erfahrungen austauschen. Wenn Sie möchten, sind Sie recht herzlich eingeladen. Heute Abend würden wir uns wieder treffen, wenn Sie Lust haben, dann kommen Sie doch einfach vorbei. Ich zeig ihnen dann die Bücher, die ich alle zuhause habe. Sie können dann nach Herzenslust darin stöbern.“

 

Willow überlegte, ob sie wirklich zusagen sollte. Auf eine Runde junger Frauen, die alle Möchtegern-Hexen spielten, hatte sie wahrlich wenig Lust. Aber das mit den Büchern hörte sich schon interessant an. Und dabei könnte sie sich auch ein Bild über die „gefährlichen“ Werke machen. Es würde sicher nicht schaden, und wäre vielleicht später hilfreich, wenn sie wüsste, welche Exemplare diese Melissa bei sich zuhause hütete.

 

„Gut ich komm vorbei.“

 

„Wunderbar. Wir treffen uns immer so gegen acht Uhr abends. Hier ist meine Adresse.“

 

Sie reichte Willow eine kleine Karte, auf der die Adresse und eine kleine Comic-Hexe abgedruckt waren.

 

„Ist gut, ich werde kommen.“

 

„OK, dann bis später.“

 

****

 

Es war ein sonniger Nachmittag. Alle waren zuhause versammelt und überall im Haus beschäftigt. Buffy hatte früher aus und half Kennedy gerade beim Abwasch. Xander reparierte gerade eine quietschende Schranktür am Wohnzimmerschrank. Andrew hatte sich angeboten ihm zu helfen, stand aber nun hauptsächlich daneben und diskutierte mit ihm über ein paar Folgen von Star Trek. Dawn saß bei Buffy und Kennedy in der Küche und machte Schularbeiten. Alle übernatürlichen Hausbewohner hingegen begnügten sich mit Nichtstun. Bertolin nahm ein Nickerchen unten im Waschkeller, wo er sein Lieblingseckchen eingerichtet hatte, und wo außerdem die Katze nicht hinkam. Diese lag ebenfalls schlafend auf der Couch und wartete geduldig bis Willow bald wieder kommen würde. Und Spike stand grinsend in der Küche und beobachtete Buffy, wie sie die Teller trocken wischte und bei seinen durchdringenden Blicken ganz offensichtlich nervös wurde.

 

Es läutete an der Türe und Giles kam mit Besuch im Gepäck herein. Faith und Wood waren aus England zurückgekommen und brachten Neuigkeiten vom Rat der Wächter mit.

 

****

 

Buffy und Spike waren oben im Speicher des Hauses.

 

„Kannst du mir mal sagen, was wir hier oben eigentlich suchen?“

 

„Giles hat mich gebeten hier rauf zu schauen, ob hier vorübergehend ein paar Jägerinnen untergebracht werden könnten.“

 

„Wozu? Ich dachte, der Rat hat hier in Cleveland ein Gebäude stehen, dass eine Art Jägerinnenschule werden soll, und wo die ganzen Mädels untergebracht werden.“

 

„Sag mal Spike, du warst doch die ganze Zeit neben mir, hast du eigentlich irgendwas von dem mitbekommen, was Giles zu mir gesagt hat?“

 

„Nun ja, klar hab ich das. Er hat erzählt, dass der Rat dieses Gebäude hat und, dass der Rat jetzt eigentlich nur noch aus ihm, Wood und noch ’nem Kerl aus England bestehen würde, da der Rest ja abgekratzt ist. Und das mit dem Geld hab ich auch mitbekommen.“

 

„Aha, und das mit den Jägerinnen hast du wohl dezent überhört?“

 

„Ich war vielleicht für einen Moment abgelenkt.“

 

„So? Wovon den? Hat dich Faith mit ihren wackelnden Hüften so aus der Fassung gebracht?“

 

„Faith war auch da? Hab ich gar nicht bemerkt!“

 

„Spike!“

 

„Nein ehrlich! Ich konnte mich deswegen nicht auf deinen verstaubten Wächter konzentrieren, weil ich die ganze Zeit auf... ach vergiss es.“

 

Buffy unterbrach ihre Inspektion des Speichers, wandte sich zu Spike und fragte:

 

„Weil du was?“

 

Er sieht ihr fest in die Augen und antwortet:

 

„Lies doch meine Gedanken, dann weißt du worauf ich mich konzentriert habe.“

 

Buffys Augenbrauen verdichteten sich und sie studierte seinen Blick, während sie ihre Konzentration auf seine Gedanken richtete. Alles was sie dort lesen konnte, war die tiefe Liebe, die er für sie empfand, und den Wunsch sie zu spüren und berühren zu können.

 

„Du konntest dich meinetwegen nicht auf Giles konzentrieren nicht wahr?“

 

„Ja so war es. Ich bin dir völlig ausgeliefert. Ich kann nichts vor dir verbergen.“

 

„So wie ich nichts vor dir verbergen könnte.“

 

Beide mussten lächeln. Es war eine beiderseitige Erkenntnis, dass sie einander vertrauten und einander nichts zu verheimlichten brauchten. Ein Gefühl der Erleichterung. Nicht gezwungen zu sein ein falsches Gesicht aufzusetzen, oder falsche Gefühle vortäuschen zu müssen. Es war ein Gefühl des Vertrauens. Des sich aufeinander verlassen könnens. Ein befreiendes Gefühl.

 

Regungslos standen sie sich eine kurze Weile gegenüber und sahen sich nur gegenseitig in die Augen. Es bedarf keiner Worte, um sich gegenseitig ihrer Gefühle Ausdruck zu geben. Jeder konnte in den Augen und in den Gedanken des anderen erkennen, dass sie sich liebten. Sich vertrauten. Doch plötzlich wurde beiden wieder bewusst, dass ihre Liebe unmöglich war. Dass sie niemals einander berühren und sich lieben könnten, da Spike nur eine geisterhafte Gestalt in einem unwirklichen Leben der Jägerin war. Buffys Blick verdunkelte sich, und sie zwang sich selbst ihren Blick von seinen blauen Augen abzuwenden, um weiter den Speicher zu inspizieren.

 

Spike ließ traurig den Kopf hängen. Wie gerne hätte er sie doch geküsst, oder einfach nur in den Arm genommen. Wie gerne hätte er einfach nur ihre bloße Berührung wahrgenommen. Auch wenn es nur einer ihrer Finger gewesen wäre.

 

Buffy schob eine große Holzkiste zur Seite, um in den hinteren Bereich des Speichers vordringen zu können. Dabei viel ein Buch von einem nebenstehenden Regal herab. Buffy bückte sich, um es hochzuheben. Während sie sich wieder erhob, las sie laut den Titel des Buches vor: „Rotkäppchen.“

 

 „Das ist ein Märchenbu...“ Buffy erstarrte mitten im Satz, als sie plötzlich realisierte, dass sie sich nicht mehr im Speicher befand, sondern mitten in einem großen Wald. Sie stand auf einem Pfad, der durch den Walt führte. Die Sonne strahlte und erfüllte den herrlich duftenden Waldboden mit wunderschönen Reflektionen. Die Luft war erfüllt von dem angenehmen Waldduft und von den Gesängen der zahlreichen gefiederten Waldbewohner.

 

Sie drehte sich verängstigt um ihre eigene Achse, bis ihr schmerzlich bewusst wurde, dass Spike nicht mehr in ihrer Nähe war. So laut sie konnte rief sie seinen Namen.

 

„SPIKE!“

 

Sie griff sofort nach dem Amulett, das noch immer um ihren Hals gelegt war, sie konnte ihn aber weder sehen noch spüren. Nach einer kurzen Weile entschied sie, dem Pfad zu folgen.

 

****

 

Xander, Giles und Robin Wood begutachteten gerade das Gebäude, das schon seit mehreren Jahren in Besitz des Rates war. Leider war es nicht gerade im besten Zustand und bedürfte dringend ein paar Renovierungsarbeiten. Das war der Grund, weshalb Xander mitkommen sollte, um sich das Gebäude anzusehen.

 

„Wahnsinn! Das Teil hier ist ja echt riesig! Sieht aus, als wäre das mal eine riesige Bibliothek gewesen.“ stellte Xander überwältigt von der Größe des Gebäudes fest.

 

„Ganz recht. Dies war tatsächlich mal eine Bibliothek gewesen. Der Rat hatte hier einige bedeutende Werke aufbewahrt, bis die Aktivitäten des Höllenschlundes hier bedrohlich zugenommen hatten. Daraufhin wurden alle Werke in Sicherheit nach London gebracht“, gab Giles zur Erklärung.

 

„Dort, wo sie jetzt nur noch ein Häufchen Asche sind, nicht wahr?“

 

Wood, der gerade einen der Räume inspiziert hatte kam nun auf die beiden zu und fragte: „Na, was haltet ihr davon? Lässt sich daraus was machen?“

 

Xander ließ seinen Blick noch mal umherschweifen und erläuterte dann: „Das Fundament ist sehr gut. Wir könnten hier und da ein paar Wände reinziehen, dadurch würden genug Zimmer entstehen, um eine ganze Kompanie hier unterzubringen. Alles in allem eine Menge Arbeit. Aber wenn es wirklich wahr ist und sie von nun an über die Geldmittel des ehemaligen Rates verfügen, dann dürfte es kein Problem sein hier in nur wenigen Wochen eine Art Jägerinnenzentrum einzurichten.“

 

Wood erklärte zum wiederholten Male: „Geld spielt ab jetzt keine Rolle mehr. Wir verfügen über mehr als genug Geldmittel. Wenn es sein müsste, könnten wir das hier alles niederreißen und ein völlig neues Gebäude errichten. Die Frage ist also nur, ist es Wert dies hier alles umzubauen, oder sollen wir gleich etwas Neues bauen lassen.“

 

„Ich glaub das ist nicht nötig. Mit einem kleinen Trupp Handwerker kriege ich das hier schon auf die Reihe.“

 

„Wie lange wirst du brauchen?“ wollte Giles wissen.

 

„Kommt darauf an, woran sie so alles gedacht haben? Rein einrichtungsmäßig meine ich. Also wenn es nicht allzu ausgefallen werden soll, dann schätze ich mal so um die vier bis fünf Wochen.“

 

„Also gut, dann übergebe ich dies alles von nun an in deine Verantwortung. Wie gesagt, Geld spielt keine Rolle mehr. Also veranlasse alles, was du für richtig hältst. Es ist wichtig, dass wir sobald wie möglich eine Art Zentrale errichten, wohin sich die zahlreichen Jägerinnen der Welt wenden können, und wo wir ihnen die Gelegenheit geben können über sich und über ihr Dasein alles zu erlernen, was wichtig für sie ist“, erläuterte Giles.

 

Mit Stolz geprellter Brust reichte Xander ihm die Hand, als Zeichen eines Vertragsabschlusses, und war glücklich darüber, dass er nun einen eigenen Verantwortungsbereich hatte. Er würde von nun an die Verantwortung dafür tragen, dass das neue Ratsgebäude baldigst bezugsfertig sein würde. Ein großartiges Gefühl für ihn.

 

*****

 

Spike blickte sich ebenfalls verwirrt um und fand sich an einem fremden Ort wieder. Er war definitiv nicht mehr im Speicher. Und auch Buffy war definitiv nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe. Mehrmals hatte er bereits nach ihrem Namen gerufen, doch es kam keine Antwort aus dem dunklen Wald, in dem er sich befand.

 

Es war Nacht. Der Waldboden roch nach feuchtem vermoderten Waldboden. Vereinzelte Geräusche von den Waldbewohnern störten die unheimliche Stille des Waldes. Spike blickte sich erneut ungläubig um und versuchte zu begreifen wo er sich befand. Gerade eben war er noch bei Buffy oben im Speicher gestanden. Und jetzt war er hier. Das war mehr als merkwürdig und es gefiel ihm ganz und gar nicht. Er folgte seinem Gefühl und schlug eine bestimmte Richtung ein. Nicht sicher, ob es auch der richtige Weg sei den er gehen würde.

 

****

 

„Hey Will, wo ist B?“

 

„Sie ist oben im Speicher. Sie wollte nachsehen, ob dort genug Platz ist um ein paar der Mädchen unterzubringen, bis das neue Ratsgebäude fertig ist.“

 

„Verstehe. Und sag mal, ist es echt wahr, dass sie ihren Blondschopf sehen kann?“

 

„Ja, das ist war.“

 

„Ziemlich verrückte Sache.“

 

„Ja.“

 

„Und was macht ihr hier in Cleveland so, wenn ihr euch amüsieren wollt?“

 

„Oh, ähm bisher hatten wir noch nicht viel Gelegenheit uns zu amüsieren. Seit wir hier sind geht es eigentlich ständig rund. Aber in der Stadt gibt es einige Kneipen. Du kannst dich ja mal umsehen.“

 

„Das werde ich auch. Wie steht’s kommt ihr mit?“

 

„Ich kann nicht. Ich bin verabredet. Aber Kennedy hat vielleicht Lust. Soll ich sie fragen?“

 

„Ja, tu das. Ich hab nämlich so richtig Lust auf ein bisschen abgetanze.“

 

„OK, ich werd’ sie gleich fragen. Ich muss nämlich bald los.“

 

„Wo geht’s denn hin?“

 

„Ich treffe mich mit einer Frauengruppe, die sich selbst als Hexen bezeichnen. Ehrlich gesagt, bin ich gar nicht so scharf darauf, aber eine der Frauen hat vielleicht Informationen über das Amulett.“

 

„Aha, na dann viel Spaß“

 

****

 

Dem Weg folgend, kam Buffy in einem immer dunkleren Bereich des Waldes. Als ob mit jedem Schritt der Tag ein Stück weichen würde und die Nacht immer mehr Einzug halten würde. Ein Blick zurück in die Richtung aus der sie gekommen war, bestätigte ihre Empfindung. Der Wald dort schien viel heller zu sein.

 

Sie kam schließlich an eine kleine Hütte und zögerte nicht näher zu kommen, um zu sehen, wer dort wohl wohnen würde. Die kleine Hütte schien direkt irgendeinem Märchen entsprungen zu sein, und Buffy musste sofort an das Buch denken, dass sie vom Boden aufgehoben hatte. Was war es noch für ein Märchen? Rotkäppchen? War das vielleicht die Hütte der Großmutter, worin der böse Wolf bereits wartete um sie zu verschlingen?

 

Buffy musste über ihre Vermutung lächeln und klopfte schließlich an die kleine hölzerne Tür des Häuschens. Eine raue piepsige Stimme lud sie schließlich ein, einzutreten.

 

Buffy öffnete die Türe und ging in die kleine Stube, die wohl der einzige Raum des Häuschens war. Dort befanden sich ein Tisch und zwei Stühle, eine offener Kamin und ein kleines Regal an der Wand. Ein Teil des Raumes war durch einen großen roten Vorhang verhangen und bildete offensichtlich eine Art Raumtrennung. Hinter diesem Vorhang erklang nun wieder diese seltsame Stimme:

 

„Komm doch näher mein Kind.“

 

Buffy folgte der Stimme und blickte schließlich hinter den Vorhang. Buffy verschlug es vollkommen die Sprache, als sie tatsächlich in einem Bett einen großen Wolf liegen sah, der eine weiße Haube und ein weißes Nachthemd trug. Als sie sich endlich an den ungewöhnlichen Anblick gewöhnt hatte, meinte sie:

 

„Gott, was bist du für ein hässlicher Kerl? Dir kauft doch keiner die Großmutter-Rolle ab!“

 

„Das war zwar nicht das, was ich erwartet habe von dir zu hören, mein liebes Rotkäppchen, aber was spielt das schon für eine Rolle? Ich werde dich so und so fressen!“

 

Mit einem Satz und einem tiefen grollen sprang der Wolf aus dem Bett und direkt auf Buffy zu. Erst jetzt fiel ihr auf, wie groß dieses Ding war, das gerade durch die Luft direkt auf sie zu flog.

 

****

Nicht weit entfernt hörte Spike plötzlich die Geräusche eines wilden Tieres. Es klang wie ein Raubtier das grollte. Er musste sofort an Buffy denken und fürchtete, dass sie vielleicht in Gefahr sei. Deshalb lief er so schnell er konnte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.

 

Nur wenige Bäume weiter entdeckte er ein kleines Häuschen. Er lief direkt darauf zu und wollte geradewegs durch die Türe gleiten, als er schmerzhaft abprallte. Erst jetzt hatte er realisiert, dass er keine geisterhafte Gestalt mehr war, sondern einen richtigen Körper hatte. Seinen Körper. Ein weiteres Geräusch weckte seine volle Aufmerksamkeit. Es klang nach Buffy, als würde sie gegen etwas kämpfen. Er riss sofort die Türe auf und erblickte seine Buffy kämpfend mit einem riesigen Wolf, der gar nicht aussah, wie ein richtiger Wolf. Es erinnerte ihn mehr an eine Zeichentrickfigur. Zumal das Ding ein weißes Nachthemd trug.

 

Buffy keuchte vor Anstrengung, auf dem Boden liegend und eingezwängt von den großen Pranken des Großmutterverschnittes. Das Ding war wirklich stark. Ihre Augen begannen zu Leuchten, als sie Spike plötzlich neben ihr erkannte, der geradewegs auf das Ungetüm zustürmte und begann darauf einzuschlagen. Verwundert darüber, dass er einen resistenten Körper hatte beobachtete sie sein Tun. Dabei bemerkte sie, dass er das Antlitz seines Dämon trug und mit einem tiefen grollen aus seiner Kehle gegen den Märchenwolf kämpfte. Er war wieder da, hatte wieder einen Körper. Und er war wieder ein Vampir.

 

Ein kurzes Lächeln huschte ihr über die Lippen, bis sie schließlich in den Kampf mit einwirkte und zusammen mit ihm gegen den Wolf kämpfte.

 

Wutendbrand darüber, dass dieses Ding es wagte, seine geliebte Buffy anzurühren, schlug er auf den Wolf ein. Buffy stand ihm zur Seite und in einer perfekten Synchronisation kämpften sie gemeinsam gegen die Übergewalt des riesigen Gegners.

 

Spike fühlte sich großartig. Endlich konnte er all seinen Frust darüber bisher nichts berühren zu können und nichts bewirken zu können an diesem Monster auslassen. In gewisser Weise war er ihm sogar dankbar, dass er es gewagt hatte Hand an Buffy zu legen, denn nun konnte er mit aller Gewallt gegen diesen Wolf ankämpfen, um ihn zu vernichten.

 

Und genau das tat Spike. In einem perfektem Zusammenspiel mit Buffy an seiner Seite. Es dauerte schließlich nicht mehr lange, bis die beiden die Überhand über die Märchenfigur gewannen. Spike schnappte sich ein Stück zersplittertem Holz, das durch den Kampf auf dem Boden lag, und rammte es mit aller Kraft dem Wolf in das Herz, wodurch dieser laut aufheulte und zusammenbrach.

 

Gehetzt durch den Kampf standen Buffy und Spike über dem toten Körper. Ihre Blicke trafen sich und sie brauchten eine Weile bis sie realisierten, dass die Gefahr gebannt war und sie beide sich nun gegenüberstanden. Wahrhaftig gegenüberstanden. Ohne Barriere. Ohne von einander getrennt zu sein durch eine geisterhafte Gestalt. Spike war wahrhaftig da.

 

Gleichzeitig stürmten sie aufeinander zu und küssten sich heftig und leidenschaftlich. Ängstlich darüber, das dieser Moment jeden Augenblick wieder zu ende gehen könnte. Dass der Traum oder das Märchen, in dem sie sich befanden zu Ende wäre, ehe sie sich einander berühren und fühlen könnten. Ihre beiden Hände tasteten verzweifelt nach dem Körper des jeweils anderen. Um zu spüren und zu fühlen um sich sicher zu sein, dass dies gerade wirklich geschah, und keiner ihrer Träume war.

 

Buffy ertastete sein hübsches Gesicht, das bereits wieder menschliche Züge angenommen hatte. Sie wollte ihn sehen. Wollte ihn fühlen. Wollte ihn berühren. Sie unterbrach völlig außer Atem den Kuss um ihn in die Augen sehen zu können. Seine Arme eng um ihren Körper geschlungen, hielt er sie fest und blickte ihr ebenfalls in ihre Augen. Erstaunen, Unglaube und Angst konnte er darin erkennen. Auch er hatte Angst. Zu schön war dieser Augenblick. So lange hatte er sich danach gesehnt sie zu fühlen. Er konnte nur hoffen, dass dieser lang ersehnte Augenblick nie wieder vergehen würde.

 

Fasziniert strich er ihr über das Haar. Küsste sie erneut. Zärtlicher, intensiver. Seine Hände fuhren in ihren Nacken um sie zu fühlen, um sie zu halten. Damit sie nie wieder aus seinen Armen gleiten würde. Und auch sie wünschte für immer in seinen Armen bleiben zu können.

 

Neben sich vernahmen sie plötzlich ein Räuspern eines Kindes und beide blickten verwirrt in die Richtung aus der das Räuspern kam. Ein junges Mädchen, das ganz offensichtlich das echte Rotkäppchen aus diesem seltsamen Märchen war stand neben ihnen und blickte sie erwartungsvoll an.

 

****

 

Willow verglich noch mal die Adresse auf der Karte mit der Hausnummer, die an der Türe stand und läutete schließlich. Melissa Jenkins öffnete freudestrahlend die Türe und bat Willow einzutreten. Willow grüßte ebenfalls freundlich und trat in die Wohnung. Melissa führte Willow in ihr Wohnzimmer, wo bereits sechs weitere Frauen um den Wohnzimmertisch saßen. Zwei der Frauen waren offensichtlich mit ihrer Geschmacksrichtung genauso noch in der Flower-Power-Zeit gefangen, wie Melissa selbst, die auch an diesem Abend wieder in grellen bunten Farben gehüllt war. Die anderen Frauen allerdings waren eher normal und schlicht gekleidet und erweckten äußerlich nicht den Eindruck, dass sie an okkulten Dingen interessiert seien. Als Melissa Willow hereinführte, stellte sie einander jeden vor und bat Willow sich zu ihnen zu setzten.

 

Eigentlich wollte Willow viel lieber in den Büchern stöbern, von denen Melissa gesprochen hatte, aber sie ließ sich schließlich überreden und setzte sich zu den Frauen dazu.

 

Sie plauderten eine Weile über allerlei allgemeine Dinge und Willows Verdacht schien sich somit zu bestätigen, dass dies eine sogenannte Hexengruppe war, die vom Zaubern selbst allerdings kaum Ahnung hatte. Melissa schien zu merken, dass Willow sich nicht recht wohl fühlte und auch dem allgemeinem Gesprächsthema nicht so recht beiwohnen wollte.

 

„Mädels, ich glaube kaum, dass Willow sich für unsere Kochrezepte interessiert. Was haltet ihr davon, wenn wir endlich zur Sache kommen würden.“

 

Eine der Frauen, Maria, meinte daraufhin zu Willow: „Melissas Nichte hat erzählt, dass sie den Kindern geholfen hätten. Sie hat berichtet, sie hätten gegen Waldfurien gekämpft und sie zurück geschlagen.“

 

Dies war für Willow wohl der schmerzliche Augenblick, an dem diese Möchtegernhexen von ihr über ihre Zauberkräfte informiert werden wollten. Sie fragte sich, was sie wohl antworten sollte? Sie entschied sich möglichst neutral zu bleiben, und nicht zuviel zu erzählen.

 

„Ja, das habe ich getan.“

 

„Dann müssen sie aber über sehr viel Macht verfügen. Nur eine sehr mächtige Hexe ist ohne größere Vorbereitung und Hilfsmittel dazu in der Lage einer solchen Gefahr gegenüberzutreten.“

 

„Ich hatte Glück.“

 

Eine andere Frau, sie hieß Jenny, lenkte nun ein: „Glück? So etwas hat nichts mit Glück zu tun. Ich hatte mich mal gegen einen Poltergeist gestellt, und hatte sehr große Mühe in aus einem Haus zu vertreiben.“

 

Plötzlich fingen alle Frauen über verschiedene Erlebnisse zu berichten, in denen sie verschiedenen geisterhaften Gestalten und Dämonen gegenüberstanden und diese mit magischen Hexenkräften vernichteten. Sie berichteten Willow über ihre langjährigen Erfahrungen. Über die Stufen der Magie, die sie alle erreicht hatten und die Arten der Beschwörungen, die schon seit langem erfolgreich praktizierten. Willow war völlig fasziniert. Sie hatte tatsächlich eine Gruppe Frauen gefunden, die wie sie echte Hexen waren, und mit denen sie ihre Erfahrungen austauschen könnte. So begann es doch ein interessanter Abend zu werden.

 

****

 

Buffy und Spike unterbrachen ihren Kuss zwar, aber glitten keinen Zentimeter auseinander. Zu gut fühlten sich die Berührungen des jeweils anderen an, um sich zu trennen. Buffy wand sich lediglich in seinen Armen herum, um das Mädchen direkt ansehen zu können. So stand ihr Spike nun im Rücken und hielt sie mit beiden Armen fest umschlossen, während Buffy ihre Hände fest um die seinen hielt.

 

„Es tut mir leid, wenn ich euch beide stören muss, aber ich habe eine wichtige Nachricht für euch.“

 

„Wer bist du?“ wollte Spike sofort wissen.

 

„Spike, das sieht man doch. Das ist das Rotkäppchen. Tut mir leid, dass wir deinen bösen Wolf getötet haben. Ich hoffe du bekommst jetzt keine Schwierigkeiten dadurch?“

 

Das Mädchen grinste breit, bevor es zu erklären begann: „Keine Angst. Ich bekomme keine Schwierigkeiten. Und ich bin nicht das Rotkäppchen. Auch wenn ich im Moment vielleicht so aussehe. Ich musste einen Weg finden mit dir in Kontakt zu treten. Also benutzte ich dieses Märchen dazu.“

 

Buffys Blick verdunkelte sich sofort und sie blickte argwöhnisch auf die kleine Person vor ihnen. Egal ob Kind oder nicht. Falls es eine Bedrohung für sie oder für Spike darstellen würde, würde sie es bekämpfen.

 

„Wer bist du dann!“ wollte Buffy bestimmend wissen.

 

„Ich bin ein Bote. So ist es für euch am einfachsten zu verstehen. Ich bin hier um dich zu warnen. Mit der Macht, die du um deinen Hals trägst, beschwörst du dunkle Mächte herauf. Der ursprüngliche Besitzer des Amuletts wurde auf dich aufmerksam. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er kommt, um sich das zu holen, was ihm gehört.“

 

„Geb?“ fragte Buffy nach.

 

„Die alten Ägypter nannten ihn so. Er ist so alt, wie die Erde selbst. Genauso alt, wie der Stein, der in dem Amulett eingefasst ist. Er ist bereits auf dem Weg hierher.“

 

Diese Worte waren sehr beunruhigend. Spike schlang seine Arme etwas fester um Buffy und drückte sie etwas fester an sich.

 

„Was sollen wir tun?“ wollte Buffy wissen.

 

„Du musst das Amulett zerstören.“

 

Buffy starrte entsetzt auf das Mädchen.

 

„Nein! Das geht nicht. Das wäre Spikes Tod!“

 

„Dein Freund ist schon längst Tod! Du musst das Amulett zerstören. Die Seele deines Freundes wird dann ihren weiteren Weg folgen.“

 

„Ihren weiteren Weg? Wohin?“

 

„Dorthin, wo es die Bestimmung vorsieht.“

 

„Bullshit! Ich werde das Amulett nicht zerstören. Ich werde nicht zulassen, dass Spike aus meinem Leben verschwindet und du wirst mich nicht daran hindern.“

 

Mit diesen Worten stürmte Buffy auf das Rotkäppchen zu, drückte es gegen die Wand und begann ihr die Gurgel zuzudrücken.

 

****

 

Willow verstand sich auf Anhieb sehr gut mit den Frauen. Sie berichtete ihnen über Buffy, den Jägerinnen, über Giles dem Wächter und über das Amulett und Spike, der im Amulett gefangen sei. Interessiert lauschten die anderen Hexen ihrem Bericht. Als Willow alles berichtet hatte, holte Melissa ihre Bücher herbei, und gemeinsam suchten die Frauen nach Informationen, die ihr dienlich sein könnten.

 

Maria fand etwas über das Thema und begann zu berichten: „Mit der Sache ist nicht zu Spaßen! Das Amulett besitzt große Macht, aber es ist nicht für einen menschlichen Träger bestimmt. Deine Freundin muss gut aufpassen! Sie sollte es nicht tragen, sonnst ruft sie noch Geb selbst herbei.“

 

„Buffy wird das Amulett nicht freiwillig ablegen. Sie würde dadurch den Kontakt zu Spike verlieren. Ich glaube sie liebt ihn sehr.“

 

„Spikes Seele ist in dem Amulett gefangen, das war der Tribut für den Zauber, den ihr heraufbeschworen habt, und mit dem der Höllenschlund in Sunnydale zerstört wurde. Geb wird sich diesen Tribut holen kommen.“

 

 

****

 

Spike schritt rasch hinter sie und legte ihr beruhigend die Arme auf die Schulter.

 

„Buffy beruhige dich. Ich glaub nicht, dass es was bringt, wenn du die Kleine umbringst.“

 

Buffy reagierte nicht sofort bis das Mädchen anfing zu grinsen und kommentierte:

 

„Dein Freund hat Recht. Du kannst mich nicht töten. Du tötest nur das Rotkäppchen. Ich aber kann sofort eine andere Gestalt annehmen, wenn ich möchte. Alles hier, was du siehst, habe ich erschaffen. Es bringt also nichts, wenn du das Rotkäppchen erwürgst.“

 

Frustriert ließ Buffy von dem Mädchen ab.

 

„Ich werde es nicht zerstören!“ bekräftigte Buffy ihren Standpunkt erneut.

 

„Ich habe befürchtet, dass du das sagen wirst. Deshalb bleibt mir leider keine andere Wahl. Es tut mir leid, aber ich muss dafür sorgen, dass Geb nicht herbeigerufen wird. Und wenn dein Freund der Grund dafür ist, dass du es nicht tun willst, dann muss ich dafür sorgen, dass dieser Grund nicht mehr existiert.“

 

„Was soll das bedeuten?“ fragte Buffy entsetzt und voller Angst um Spike.

 

Auch Spike blickte voller Furcht auf Buffy und das Mädchen, das in diesem Augenblick eine ihrer Hände hob und einen grellen Lichtstrahl auf Buffy richtete. Das grelle Licht aus der Hand des Mädchens traf direkt in das Amulett, brach sich im Schliff des Steines und erhellte den ganzen Raum. Geblendet von dem grellen Licht verdeckten Buffy und Spike sich die Augen mit ihren Händen.

 

Als Buffy und Spike vorsichtig ihre Augen wieder öffneten, befanden sie sich beide wieder in dem Speicher. Noch immer Schockiert von dem erlebten blickten sie sich gegenseitig an. Spike war wieder in seiner geisterhaften Gestalt gefangen und stand genau da, wo er stand, bevor sie in diese Märchenwelt verschwunden waren. Genauso wie Buffy, die noch immer das Buch in der Hand hielt. Angewidert warf sie es weit von sich.

 

„Was zum Teufel war das?“

 

„Keine Ahnung. Bist du OK?“

 

„Soweit man meinen Zustand OK nennen kann, ja.“

 

„Gut. Ich dachte schon diese Göre hätte dir was ange...Oh mein Gott!“

 

Buffy sah entsetzt auf Spike.

 

„Was ist los? Was hast du?“

 

„Deine Füße!“

 

„Was ist damit?“ fragte Spike noch, während er selbst auf seine Füße herabsah, und mit Schrecken erkannte, weswegen Buffy so aufgeregt war. Spikes Füße waren verschwunden, so als würde er sich langsam auflösen.

 

****

 

Buffy rannte sofort hinunter um nach den anderen zu suchen. Sie fand nur Andrew und Dawn im Wohnzimmer vor.

 

„Hey Buffy, wo warst du? Ich hab oben nach dir geschaut, aber du warst nicht da?“ wollte Dawn wissen.

 

Doch Buffy hatte jetzt keine Zeit für Smalltalk und kam sofort zur Sache:

 

„Wo sind die anderen? Wo sind Willow und Giles?“

 

„Willow ist bei dieser Hexengruppe, das hat sie dir doch erzählt, und Giles ist zusammen mit Xander und Direktor Wood zu dem Gebäude gefahren.“

 

„Verdammt!“

 

„Buffy, was ist den los?“

 

„Das ist eine längere Geschichte, Spike und ich waren grad in einem Märchen. Ich kann es nicht so genau erklären, aber jedenfalls brauche ich sofort den Rest der Truppe. Spike löst sich auf. Er verschwindet. Ich glaube das Rotkäppchen hat ihn irgendwie verzaubert!“

 

„Buffy, geht es dir gut? Ist alles in Ordnung? Sagtest du gerade Rotkäppchen hätte Spike verzaubert.“

 

„Ja, ich sagte doch, dass es eine lange Geschichte ist. Ich muss Willow anrufen.“

 

****

 

Willows Handy störte die Frauengruppe in ihren tiefen Gesprächen. Willow ging ran.

 

„Buffy? Was ist los?“

 

„Willow bitte, du musst sofort kommen. Etwas stimmt nicht mit Spike! Ich glaube er löst sich auf.“

 

„Er löst sich auf?“

 

„Ja doch bitte komm schnell, ich weiß nicht was ich tun soll.“

 

„Ich bin sofort da.“

 

Sie legte auf und entschuldigte sich bei den anderen Hexen. Dann machte sie sich sofort auf den Weg nachhause.

 

****

Buffy tigerte nervös hin und her. Immer wieder richtete sie einen prüfenden Blick auf Spikes Füße. Sie hatte das Gefühl, dass mit jedem Blick immer mehr von ihm verschwinden würde. Tatsächlich aber waren bisher nur seine beiden Füße davon betroffen.

 

Als jemand einen Schlüssel in das Schloss der Haustüre steckte, eilte sie sofort hin und riss die Türe auf. Den Schlüssel in der Hand blickte Xander überrascht auf Buffy.

 

„Hi Buff, kannst es wohl gar nicht erwarten mich zu sehen, was?“

 

„Wo ist Giles?“

 

Xanders Strahlen verschwand wieder und er meinte: „Es freut mich auch dich zu sehen. Giles kommt gleich. Er parkt nur noch das Auto.“

 

„Xander tut mir leid. Ich bin auch froh dich zu sehen. Komm rein.“

 

Buffy blieb in der Türe stehen und wartete ungeduldig auf ihren Wächter. Ein Taxi fuhr vor, und Willow kam ebenfalls nachhause. Sie eilte sofort zu Buffy.

 

„Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte. Wie sieht’s aus? Ist Spike noch da?“

 

„Ja. Noch. Aber ich glaube er verschwindet immer mehr. Willow ich habe angst.“

 

„Wir finden eine Lösung.“

 

„Das hoffe ich auch.“

 

Giles war inzwischen zur Veranda hoch gekommen und fragte: „Eine Lösung wofür? Was ist los?“

 

****

 

Bis auf Faith und Kennedy waren alle versammelt. Die beiden Jägerinnen hatten sich für den Abend mit Mina verabredet, um einen kurzen Rundgang zu machen und um anschließend das Nachtleben zu erforschen.

 

Buffy berichtete allen genauestens, was am späten Nachmittag oben im Speicher passiert war. Sie hoffte, das Willow vielleicht mit einer Art Zauber das Verschwinden von Spike aufhalten könnte.

 

Mit den Informationen, die Willow von den Hexen erfahren hatte, begannen sie und Giles über die Sache zu diskutieren und alle Möglichkeiten abzuwägen.

 

Giles versuchte zu erläutern: „Was auch immer das war, was euch in dieser Märchendimension begegnet ist, hat vermutlich bewirkt, dass Spike sich von dem Amulett langsam löst. Ich schätze er verschwindet nicht, sondern er geht nur seinen Weg.“

 

„Seinen Weg wohin?“ wollte Buffy wissen.

 

„Das weiß ich nicht? Dorthin, wo die Seelen normaler Weise nach dem Tod hingehen. Vermutlich in einen neuen Körper. In ein neues Leben.“

 

„Oder in die Hölle, wo ich hingehöre. Schöne Aussichten.“

 

„Ich will nicht dass er geht!“

 

Direktor Wood mischte sich ein und meinte: „Buffy du solltest dich mit seinem Tod abfinden. Sei dankbar, dass du noch die Gelegenheit dazu hattest mit ihm zu sprechen und ihn zu sehen, lass ihn ziehen. Es bringt dir nichts, wenn du dich an ihn klammerst.“

 

„Buffy, er hat recht“, stimmte Xander zu und meinte weiter: „Jeder von uns hat schwere Verluste erlitten. Ich wünschte auch Anya wäre noch bei mir. Doch das ist leider nicht möglich. Ebenso wenig, wie Spike wieder zurückkommen kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ewig als Geist neben dir existieren möchte, um dir zusehen zu müssen, wie du eines Tages einen anderen Mann heiratest, oder in einem Kampf gegen einen Dämon getötet wirst.“

 

Buffy sah fragend auf Spike und dachte über Xanders Worte nach.

 

„Da hat er Recht. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe. Aber das was er sagt ist wahr. Ich bin echt nicht scharf drauf ewig als Geist an deiner Seite zu existieren. Dich immer nur sehen zu können ohne die geringste Berührung. Ich weiß nicht, ob ich das auf Dauer aushalten werde.“

 

Traurig blickte Buffy zu Boden. Ihr wurde langsam klar, dass die anderen Recht hatten. Es würde niemals einen Weg für sie beide zusammen geben. Er wäre immer an sie gefesselt. Auf ewig wie ein durstiger Gefangener, dem man das Wasser unter die Nase hält ohne dass er jemals einen Schluck davon bekommt. Mit verschränkten Armen blickte sie starr geradeaus und versuchte sich ihren Schmerz nicht anmerken zu lassen.

 

„Ich denke ihr habt Recht.“

 

Dawn hegte immer noch große Sympathien für Spike und lenkte daher ein: „Ihr könnt doch nicht einfach so aufgeben! Lasst uns doch wenigsten irgendetwas versuchen.“

 

„Dawn glaub mir, wenn ich einen Weg wüsste, dann würde ich ihn gehen. Aber Xander und die anderen haben Recht. Und Spike denkt auch so.“

 

„Hat er das gesagt? Oder sagt du das nur so, damit ich mich damit abfinde.“

 

„Er hat es mir selbst gesagt. Gerade eben. Ich schwöre es.“

 

Man konnte es Dawn deutlich ansehen, dass es sie sehr schmerzte. Buffy wunderte sich ein wenig darüber, denn bisher hatte sie sich nicht großartig darüber geäußert. Aber jetzt, da feststand, dass Spike für immer verschwinden würde und damit endgültig tot wäre, konnte man ihren Schmerz deutlich erkennen. Spike war gerührt über Dawns Anteilnahme. Er ging zu ihr und kniete sich neben sie, sodass er mit seinem Gesicht auf gleicher Höhe zu ihrem war. Buffy beobachtete ihn, wie er mit einem liebevollen Lächeln auf Dawn sah und mit der Hand über ihren Kopf strich ohne, dass es Dawn bemerkte.

 

Dann fasste Buffy einen Entschluss.

 

„Ich werde das Amulett zerstören.“

 

Alle, einschließlich Spike sahen sie überrascht an.

 

„Ich werde nicht mit ansehen, wie er Stück für Stück verschwindet. Lieber beende ich es selbst. Außerdem wenn diese Märchenfigur recht hat, birgt das Amulett eine Gefahr für uns alle, sodass es das Beste ist, wenn es so schnell wie möglich zerstört wird. Morgen. Ich werde es morgen zerstören.“

 

****

 

Melissa fragte nach: „Was haltet ihr von Willow? Ist sie die jenige?“

 

Annabelle meinte daraufhin: „Nein. Sie hat zwar große Macht. Und sie trägt auch einen großen und gefährlichen Teil schwarzer Magie in sich, aber ich glaub nicht, dass sie es ist.“

 

„Dann ist es vielleicht doch Aurelius der Alte“, lenkte Jenny ein.

 

„Nein, Aurelius ist es ganz sicher nicht. Das ist nicht seine Handschrift. Außerdem glaube ich nicht, dass er dahinter steckt. Es ist fraglich, ob er überhaupt noch in der Stadt ist? In letzter Zeit habe ich so gut wie nichts von ihm gespürt.“

 

„Vielleicht ist er in einer anderen Dimension unterwegs. Das hat er schon öfter getan“, stellte Maria fest.

 

„Kann sein.“

 

„Und was ist mit Willow? Denkt ihr sie ist gefährlich?“ fragte Melissa erneut.

 

Und Annabelle gab wieder zur Antwort: „Nein. Ich denke wir können ihr vertrauen. Auch wenn sie sehr große Macht besitzt. Könnt ihr euch noch daran erinnern, als vor etwa zwei Jahren eine große Erschütterung der Macht auf der ganzen Welt zu spüren war? Ich denke dass sie das damals war.“

 

„Willow? Bist du sicher?“ fragte Maria ungläubig nach.

 

„Ja.“

 

„Aber dann ist sie ja doch gefährlich!“ stellte Melissa entsetzt fest.

 

„Nicht gefährlicher als du oder ich, oder sonst jemand von uns. Sie hat ein reines Herz. Sie steht auf unserer Seite. Und wir werden ihr bald helfen müssen, denn wer auch immer verantwortlich ist, für die letzten magischen Ereignisse, er ist offensichtlich hinter der Jägerin her, die hier zu uns gekommen ist. Also werden wir alles tun müssen um sie zu beschützen. Vielleicht ist es aber auch die Macht des Amuletts, das die starken Schwingungen verursacht. Egal wer oder was es ist, wir werden morgen zu ihnen gehen, und uns zu erkennen geben.“

 

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Folge 11