Kapitel Vier – Schatten der Angst

Als Jermyn viele Stunden später erwachte, war er zunächst völlig orientierungslos. Es war Jahre her, dass er so tief und fest geschlafen hatte. Nicht einmal die Geräusche einiger anwesender Vampire hatten ihn erwachen lassen. Es war der äußerst verführerische Duft von Essen, der ihn schließlich aus seinem Schlaf riss.

Er brauchte erst einen Moment, um sich wieder daran zu erinnern, wo er sich befand und was in der Nacht zuvor geschehen war, bis er dann bemerkte, dass er noch immer an Djosers Brust lag und einige Personen um ihn herumstanden. Noel und Zaida waren in Begleitung eines weiteren Vampirs, der ihm einen Teller mit herrlich duftenden Spiegeleiern mit Speck unter die Nase hielt.

„Morgen, Kleiner. Greif zu, bevor es kalt wird", flüsterte Djoser ihm zu. Daraufhin griff er zögernd nach dem Teller, richtete sich etwas auf und setzte sich an den Rand des großen Sessels, um sein Frühstück essen zu können, wobei die schwarze Decke, in die er eingewickelt war, seidig herab fiel und sich um seine Hüften legte. Auf diese Weiße saß er nun mit nacktem Oberkörper zwischen Djosers weit gespreizten Beinen und wirkte dabei wie ein kleiner verunsicherter Junge. Djoser hingegen nutzte die Gelegenheit, seine Glieder etwas zu strecken und lümmelte sich weiter zurück in das weiche Polster.

Während Jermyn sein Frühstücksei genoss, blickte er immer wieder verunsichert zu den drei Vampiren auf, die im Halbkreis vor dem Stuhl standen.

Noel blickte fragend zu Zaida, welche ihm zufrieden zunickte und ihm damit zu verstehen gab, dass sie die Gedanken des Jungen erkennen konnte und es an der Zeit war, ihm ein paar Fragen zu stellen.

Deshalb sagte Noel zunächst zu dem Jungen: „Jermyn, das hier ist Miguel. Als Mensch war er früher ein leidenschaftlicher Hobbykoch. Er wird ab jetzt für dich kochen, was immer du dir wünschst."

Ungläubig blickte Jermyn zwischen Noel und Miguel hin und her und antwortete überrascht: „Danke."

Darüber erfreut, dass der Junge ihm zumindest dürftig antwortete, meinte Noel weiter: „Du kannst ihm später sagen, was du gerne essen würdest, doch vorher hätten wir ein paar Fragen wegen der Volganer. Denkst du, du kannst uns dabei behilflich sein?"

Den letzten Rest seines Essens kauend, nickte Jermyn nur und erwartete mit großen unsicheren Augen, was Noel von ihm wissen wollte.

Noel blickte noch kurz zu Zaida, welche einen eher ratlosen Eindruck machte, und fragte dann: „Also gut, dann erkläre uns bitte, wie du zu uns in den Keller gelangen konntest."

Nichts als Leere und große Unsicherheit konnte Zaida in den Gedanken des Jungen erkennen, weshalb auch sie mit Spannung erwartete, was er darauf antworten würde.

Dann endlich fing Jermyn langsam an zu berichten: „Ich weiß nicht mehr genau wann es war. Einer von ihnen hatte mich zu sich geholt. Er hat mich…" Er stockte, da die Erinnerung daran ihn erschaudern ließ. Die Bilder, die Zaida dabei in seinem Geist empfang, waren verschwommen, doch sie konnte seine Schmerzen regelrecht fühlen. Nach einer kurzen Pause versuchte er weiterzusprechen: „Er hat…", doch er stockte erneut. Djoser richtete sich auf, schmiegte sich an seinen Rücken, nahm ihm den leeren Teller aus der Hand, um diesen an Miguel zu übergeben, und schloss sein Hände dann sanft um Jermyns Körper. Ruhig sagte er zu ihm: „Du brauchst nicht erzählen, was er mit dir gemacht hat. Wir wollen nur wissen, wie du zu uns gekommen bist."

Unbewusst drückte sich Jermyn zurück gegen Djosers Brust und begann dann erneut zu berichten: „Chaos brach im ganzen Clan aus. Ich hörte Schreie und Schüsse. Es war sehr laut. Ich wollte mich verstecken, doch der Vampir packte mich und zog mich mit sich. Ich verlor das Bewusstsein. Als ich aufwachte, saß ich in einem Auto auf dem Rücksitz. Vorne saßen der Clanführer und dieser andere Vampir. Neben mir saß mein Schalnar. Sie hatten vor irgendetwas sehr große Angst und stritten sich darüber, wohin sie fahren sollten. Ich versuchte mich still zu verhalten, damit… damit." Erneut stockte er, worauf Djoser ihn ganz leicht drückte, um ihm Halt zu geben.

Tief durchatmend beschloss Jermyn, alle schlimmen Dinge zu ignorieren und sich nur auf die Geschehnisse zu konzentrieren, von denen er annahm, dass die Vampire sie von ihm hören wollten: „Ich hörte, wie sie von anderen Clans sprachen. Sie suchten einen Zufluchtsort, doch ich weiß nicht wovor sie fliehen wollten. Sie haben es nie erwähnt. Eines Nachts trafen wir uns mit einem Vampir eines anderen Clans. Sein Name war Altair. Ich konnte nicht alles hören, was sie sagten. Ich weiß nur, dass der Clanführer der Volganer um Zuflucht bat und mich als Gegenleistung dafür anbot. Danach schafften sie mich in diesen Keller. Ich war lange allein. Der Vampir namens Altair kam manchmal und gab mir zu Essen und zu Trinken, doch er berührte mich nie. Ich weiß nicht, was mit den Volganern passiert ist. Ich hab sie nie mehr gesehen. Und dann kamen zwei andere, fremde Vampire und brachten mich hier rauf."

Dieser Bericht beunruhigte Noel sehr. Mit ruhiger Stimme fragte er weiter: „Kannst du uns in etwa sagen, wie lange du im Keller warst, bevor Thomas und Michael dich fanden und zu mir brachten?"

Kurz darüber nachdenkend, erwiderte Jermyn: „Ich bin mir nicht sicher. Eine Woche vielleicht. Vielleicht auch mehr. Es war vollkommen dunkel und so still. Ich weiß es nicht", wobei er sichtlich verzweifelt darüber schien.

„Schon gut. Es ist nicht so wichtig", beruhigte ihn Djoser und drückte sich mit ihm zusammen in den Sessel zurück, sodass Jermyn bequem auf seiner Brust lehnte. Noel half, indem er die schwarze Decke hochzog und den Jungen damit wieder zudeckte, während Jermyn seine Beine anzog und über Djosers Schenkel legte.

„Ich danke dir Jermyn, du hast uns sehr geholfen", sagte Noel zu Jermyn und strich ihm dabei sanft über die Stirn. Diese schlichte Geste beruhigte Jermyn und noch während er sich dessen bewusst wurde, wie angenehm dieses sanfte Streicheln war, wunderte er sich, weshalb er keine Angst mehr vor Noel hatte.

Noel und Zaida wandten sich ein paar Schritte von den anderen ab, bevor Noel fragte: „Was sagst du? Konntest du noch irgendetwas Wichtiges sehen?"

„Nein, er hat alles wahrheitsgetreu berichtet. Er ist ein guter Junge", erwiderte sie sanft, während sie zu Jermyn zurückblickte. Sie konnte Teile der grausamen Dinge erkennen, die er durchlebt hatte, weshalb sie großes Mitgefühl für ihn empfand.

Auch Noel blickte eine Weile stumm auf Jermyn. Dessen Erzählungen warfen weitere Rätsel auf und er spürte, dass es für ihn und seinen Clan wichtig war, diese zu lösen. An Zaida gerichtet, sagte er leise: „Wenn er der Preis für ein sicheres Versteck der Volganer war, wo sind dann die Volganer jetzt? Und warum hat Altair den Jungen nicht angefasst, wenn er ihm gehörte?"

„Vielleicht hat Altair den Volganern nicht geholfen und sie ließen den Jungen nur bei ihm, um ohne Last weiterreisen zu können?", überlegte Zaida laut.

„Oder er hat ihnen ein Versteck genannt und wollte den Jungen nicht für sich selbst, sondern hatte andere Pläne mit ihm?", gab Noel zurück.

„Wie auch immer, du solltest versuchen es herauszufinden", erwidert Zaida mit besorgter Miene. Die Nachricht darüber, dass es etwas gab, vor dem Vampire sich zu Tode fürchteten und deshalb sogar ins Gebiet ihrer Feinde flüchteten, war auch für sie sehr beunruhigend.

„Ich werde sofort meine Leute losschicken, um all unsere Verstecke zu überprüfen", informierte Noel sie über seinen Entschluss.

Während der Mora, Miguel, Jermyn über seine Lieblingsspeisen ausfragte, was gar nicht so einfach war, da Jermyn nicht mehr sehr gesprächig war, machte auch Djoser sich seine Gedanken über die Dinge, die sein Parley erzählt hatte. Wäre er im Moment nicht an seine Schalnar-Pflichten gebunden, hätte er sich sofort freiwillig bereiterklärt, das Gebiet der Altairs nach den Volganern abzusuchen. Insgeheim wünschte er sich sogar, dass diese noch in der Nähe waren. Liebend gerne würde er ihnen seine Meinung über sie mitteilen und zwar nicht mit Worten.

Karen stürmte plötzlich mit übertrieben guter Laune heran, worauf Jermyn aufschreckte und sie argwöhnisch anstarrte. Über diese Störung nicht gerade erfreut, gab Djoser ein unbewusstes Grollen von sich, das wie ein Knurren klang. Jermyn glaubte, dieses Knurren galt ihm und blickte erschrocken zu seinem Schalnar um, doch Djosers eindeutiger Blick zu Karen gerichtet, ließ ihn rasch erkennen, wem dessen Unmut galt.

Sich ihres störenden Auftritts nicht bewusst, trällerte Karen fröhlich los: „Hey Jermyn, wie wär’s, hast du jetzt Lust mit mir zu spielen?" Natürlich war sie für ihren Plan bestens gerüstet und hatte gleich mehrere Schachteln mit verschiedenen Spielen dabei, die sie ihm nun unter die Nase hielt.

Jermyns Augen begannen zu leuchten, als ihm bewusst wurde, welche Art von Spiel Karen meinte. Erneut blickte er zu Djoser auf, doch diesmal war sein Blick nicht ängstlich, sondern bettelnd und er fragte: „Darf ich?"

Djoser gefiel der Gedanke nicht sehr, dass sein Parley viel Zeit mit dieser störenden Person verbringen würde, doch er konnte verstehen, dass Jermyn mit einem gleichaltrigen Artgenossen spielen wollte. Und obwohl es eigentlich nicht üblich war, dass ein Parley an seinem ersten Tag etwas anderes tat, als in den Armen seines Schalnars zu liegen, stimmte er der Sache schließlich mit einem stummen Nicken zu.

„Danke", meinte Jermyn freudig strahlend und blickte dann erwartungsvoll zu Karen auf.

„Was willst du spielen?" fragte diese und bewegte die Schachteln hin und her.

Während Jermyn und Karen darüber entschieden, welches Spiel sie als erstes spielen wollten, war Djoser erleichtert, seinen Bruder zu erblicken. Bevor die beiden Menschen anfangen konnten, unterbrach er sie, indem er bestimmend sagte: „Zuerst versorgen wir noch deine Wunden, danach könnt ihr spielen."

Inzwischen war Peter herangetreten und brauchte nur einen kurzen Blick auf Djosers Gesicht und die vielen Spielekartons am Boden zu werfen, um genau zu wissen, was hier vor sich ging.

„Keine Zeit für eine kurze Verarztung?", witzelte Peter frech und hielt eine Dose Salbe fragend hoch.

„Red nicht, komm lieber her und walte deines Amtes", erwiderte Djoser brummig.

„Ja, ja, schon gut. Bin ja schon dabei", erwiderte Peter betont lässig, während er den Verband von Jermyns Bein löste und die Wunde erneut spülte, bevor er sie mit der Salbe versorgte und einen neuen Verband anlegte. Jermyn hielt artig still und wartete geduldig, solange Peter ihn versorgte. Währenddessen bemühte sich Karen, für Djoser möglichst hübsch und interessant auszusehen, was im Endeffekt nur bewirkte, dass sie ständig herumzappelte und Djoser penetrant anstarrte.

„Leg dich zurück", forderte Peter ihn auf, was Jermyn brav befolgte und sich zurück gegen Djosers Brust legte. Etwas verunsichert blickte er zunächst drein, als Peter seine schützende Decke zurücklegte und seinen Schenkel anhob, den Djoser dann übernahm und weiter hoch hielt, bis er merkte, dass Peter nur an die Stelle reichen wollte, wo er das frische Brandmahl hatte. Erst als Peter frische Salbe auf die Stelle auftrug, spürte er einen leichten Schmerz, der jedoch rasch wieder verflog. Danach verteilte Peter auch noch etwas Salbe an Jermyns Analbereich, der nur noch leicht gerötet war.

Irritiert stellte Jermyn dabei fest, dass ihn diese Berührung und die Art, wie Djoser ihn dabei festhielt, sehr erregten. Sein bisher entspanntes Glied erwachte zum Leben und drückte sich steif gegen Djosers Bauch, was zu seinem peinlichen Unglück nicht unentdeckt blieb und weshalb er sich sehr schämte. Ihm war schleierhaft, wie sein Körper nach all den erlebten Dingen auf so etwas mit einer Erektion reagieren konnte. Zum Glück konnte wenigstens Karen seine Reaktion nicht sehen, da Djoser seinen Schenkel weit genug zu sich heranzog, sodass sein Glied für sie durch Jermyns eigenen Körper verdeckt war. Damit sie jedoch sein errötetes Gesicht nicht sehen könnte, versteckte er es in Djosers Halskuhle.

Djoser bemerkte seine Scham und flüsterte ihm leise ins Ohr: „Dein Körper reagiert noch immer auf das Blut und die Droge, die du gestern getrunken hast. Keine Angst, das passiert nur, wenn Peter, Noel oder ich dich berühren."

Natürlich hatte auch Peter sein Dilemma erkannt und steigerte die Wirkung noch, indem er seine mit Salbe benetzten Finger von Jermyns Analbereich weiter zwischen seinen Beine bis vor zu seinem harten Schaft wandern ließ, wo er nur leicht mit der flachen Hand dagegen drückte. Dieses bloße Gefühl an seiner Härte, zusammen mit den gehauchten Worten in seinem Ohr, ließen Jermyn sich wünschen, dass die Vampire nie mehr aufhören würden und Karen gerade nicht neben ihnen saß und auf sie wartete. Zu schnell war die Hand plötzlich verschwunden und er nahm enttäuscht wahr, wie man ihn wieder in die Decke einpackte. Er sah gerade noch, wie ihm Peter mit einem breiten Grinsen zuzwinkerte, bevor dieser wieder ging.

Ein wenig desorientiert versuchte Jermyn seinen erregten Zustand vor Karen zu verbergen, doch diese hatte während der ganzen Zeit nur Augen für Djoser gehabt und gar nicht bemerkt, was in Jermyn vorgegangen war. Dementsprechend unbekümmert fuhr sie dann fort über die Entscheidung des ersten Spieles zu diskutieren, als ob sie nie unterbrochen wurden. Djoser stellte sich schon mal mental auf einen sehr nervigen Nachmittag ein und auch Jermyn war sich plötzlich nicht mehr ganz so sicher, ob er mit Karen spielen wollte. Dennoch richtete er sich sitzend auf, wobei er seine Decke in seinem Schoß etwas bauschte, damit sie sein noch steifes Glied nicht erkennen würde.

Schließlich traf Karen die Entscheidung, welches Spiel sie als erstes spielen würden, und begann zwischen ihnen Karten zu verteilen.

So verbrachten sie den ganzen Nachmittag. Jermyn fügte sich ihren herrischen Entscheidungen, Djoser versuchte sie zu ignorieren, während Karen ihrerseits versuchte Djosers Aufmerksamkeit zu erregen, indem sie besonders nett zu Jermyn war und ihn immer wieder zu einem Gespräch animierte. Jermyn wollte jedoch nicht über seine Vergangenheit reden, da dies nur schmerzliche Erinnerungen weckte. Er wollte eigentlich gar nicht viel reden, sondern einfach nur die Tatsache genießen, dass er ganz ohne Schmerzen in der sicheren Obhut eines Vampirs saß, von dem er wirklich das Gefühl hatte, dass dieser sich um ihn kümmerte und ihn beschützte. Und dass er seit einer sehr langen Zeit endlich einmal ohne Angst etwas so banales wie Schiffe versenken spielen durfte.

Am späteren Nachmittag wurden sie unterbrocken, als Miguel ein köstliches Mahl servierte, das Jermyn und Karen gemeinsam genossen. Und auch Edmond durfte sich an Miguels Kochkunst erfreuen. Jermyn konnte sein Glück kaum fassen und kaute jeden Bissen mit vollem Genuss, als wäre es ein teures Gourmetdinner. Es war nach langer Zeit das köstlichste, das seinen Gaumen berührte.

 

*****

 

Voller Sorge blickte Noel aus einem der Fenster des Hauses. Hierher zog er sich früher oft zurück, wenn er allein sein wollte, oder er Streit mit seinem Sirus hatte. Doch manchmal war er auch hier, um einfach so zu tun, als ob er ein normaler Mensch wäre und er hier wohnen würde. Die Stille in dem leeren Haus schenkte ihm die notwendige Ruhe, um über wichtige Dinge nachzudenken. Es würde ihm fehlen, nicht mehr hier hoch kommen zu können, sobald Edmond hier wohnen würde.

Er spürte es sofort, als Joshua sich in seiner Nähe befand. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass dieser in der offenen Tür des Wohnzimmers stand, welches liebevoll häuslich eingerichtet war, obwohl nie jemand hier gewohnt hatte.

Joshua wartete ab, ob sein Sirus seine Anwesenheit wirklich wünschte und wollte gerade wieder gehen, als er dessen leise Stimme vernahm: „Ist alles in Ordnung?"

„Ja, ich wollte nur sehen, wie es dir geht. Ich lass dich wieder allein", erwiderte Joshua sanft und machte kehrt, um zurück nach unten zu gehen. Er litt sehr unter der distanzierten Haltung, mit der Noel ihm in letzter Zeit begegnete.

„Warte, bitte bleib", hielt Noel ihn auf, während er sich zu seinem Loraib umdrehte. Dieser nickte ihm erleichtert zu und näherte sich. Absichtlich fragte er nicht nach dem Grund, warum Noel sich zurückgezogen hatte, da er hoffte, dass sein Sirus es ihm von alleine erzählen würde.

Noel ergriff die Hand seines Loraibs, drehte sich zurück zum Fenster und zog Joshua zu sich heran, sodass dieser nun dicht an seinen Rücken angeschmiegt ebenfalls aus dem Fenster blicken konnte. Seufzend lehnte er sich in die Umarmung seines Loraibs zurück und genoss den ungestörten Moment. In Gegenwart der anderen Clanmitglieder zeigte Noel sich nur sehr selten so anlehnungsbedürftig, um äußerliche Stärke zu zeigen. Doch wenn sie unter sich waren, half es Noel sehr, dass er gefahrlos seine Schwächen zeigen konnte, denn was zwischen ihm und seinem Loraib vorfiel, blieb für Außenstehende verborgen.

Joshua genoss diese kleine Zärtlichkeit sehr. Es gab ihm für einen Augenblick lang das Gefühl, dass alles wieder wie früher war.

Gerade in den letzten Jahren, in denen Joshua krank war, hatte Noel sehr darunter gelitten, keine seelische Stütze bei sich zu haben, wodurch sich die Familienbande zwischen ihm und seinen drei Nachkommen sehr stark gefestigt hatten. Es war nicht üblich, dass Vampirbrüder untereinander ein so enges Verhältnis haben, wie seine Nachkommen, worüber er jedoch sehr stolz war. Es war eine Besonderheit, die sie von allen anderen Vampiren unterschied.

Nun musste er sich jedoch wieder daran gewöhnen, dass Joshua jederzeit für ihn zur Stelle war, was ihm im Moment etwas schwer fiel. Immer wieder musste er sich selbst daran erinnern, dass Joshua nicht mehr gelähmt in seinem Zimmer lag.

„Der Junge sagte, er hätte Schüsse gehört. Kein Vampir würde eine Pistole verwenden", sagte Noel nachdenklich und offenbarte Joshua damit einen Teil seiner Gedanken.

„Denkst du, es waren Menschen?"

„Ich kenne nichts, wovor die Volganer sonst so große Angst haben sollten."

 

*****

 

Die Stunden vergingen und Karen merkte, dass sie ihrem Plan bisher noch keinen Schritt näher gekommen war, weshalb sie ihre Taktik schließlich ändern musste und zum Direktschlag überging: „Hey Djoser, weißt du schon, wen du als Centra verwandeln willst?"

„Huh?", erwiderte Djoser zunächst überrascht, da er Karen bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

„Ob du dir schon Gedanken über deinen Centra gemacht hast, wollte ich wissen", wiederholte sie ihre Frage lauter.

Peter, Joshua und Noel waren inzwischen im Saal anwesend und saßen ganz in der Nähe an einem Tisch, um zusammen ein paar interne Dinge zu besprechen. Als sie Karens Frage mitbekamen, richtete sich ihre Aufmerksamkeit unweigerlich auf dieses Gespräch.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht", wich Djoser der Frage aus. Er hatte sich bisher noch keine Gedanken darum gemacht, weil er noch gar keine Gelegenheit dazu hatte. Innerlich litt er noch immer unter den Dingen, die Altair ihm angetan hatte und im Moment schenkte er all seine Konzentration allein seinem Parley.

„Nun ja", druckste sie ein wenig herum, bevor sie meinte: „Was wäre, wenn ich dir die Suche nach einem Centra ersparen könnte?"

Wenig interessiert fragte Djoser: „Und wie denkst du das zu schaffen?"

„Du könntest mich zu deinem Centra machen", erörterte sie ihm engagiert.

Daraufhin musste Djoser auflachen und schüttelte fassungslos den Kopf. Auch Noel und seine beiden anderen Nachkommen waren über diesen Vorschlag amüsiert. Ein wenig beleidigt über Djosers Reaktion, betonte Karen: „Ich wäre die perfekte Wahl für dich! Was Vampire betrifft, weiß ich bereits alles. Ich habe genau das richtige Alter und ich bin hübsch!"

Djosers Miene wurde ernster, blieb aber amüsiert, während er zweifelnd erwiderte: „Du weißt also alles über Vampire, huh?"

„Ja sicher! Ich weiß, wie ihr lebt und ich kenne die verschiedenen Ränge. Ich weiß alles, was ich wissen muss", bestätigte sie sofort.

„Stimmt, du weißt genau das, was du wissen musst, doch du weißt nichts über Vampire. Und du weißt noch weniger über das Leben", meinte Djoser trocken.

„Was soll das heißen?", fragte Karen erbost.

Edmond, der das Gespräch ebenfalls mitbekommen hatte, lenkte nun ein und meinte zu Karen: „Ich finde, Djoser hat recht. Bevor du darüber nachdenkst zu sterben, solltest du erstmal das wahre Leben kennen lernen. Du solltest dich bilden und eine Lehre abschließen. Ich wette, sogar Jermyn hat mehr Bildung als du."

„Ich kenne das wahre Leben! Und ich bin nicht dumm! Ich bin viel intelligenter als der da!", fauchte sie unbeherrscht zurück und deutete dabei mit dem Finger auf Jermyn. Dies verletzte Jermyn, da er nun deutlich erkannte, dass all ihr freundliches Getue nicht aufrichtig gewesen war, sondern nur dazu dienen sollte, sich bei Djoser einzuschmeicheln. Enttäuscht legte er seine Spielsteine zurück und kuschelte sich zurück an Djosers Brust.

Djoser spürte den tiefen Schmerz, den Karen damit verursachte, womit er endgültig genug von ihr hatte. Es war bereits Abend und somit war der offizielle erste Tag so gut wie vorbei. Zusammen mit Jermyn im Arm erhob er sich von dem Stuhl. Als er an Karen vorbeiging, sagte er noch: „Ich würde lieber einen heimatlosen Säufer von der Straße zum Centra machen, als eine so eingebildete und dumme Person, wie du." Damit ging er davon.

Karen kämpfte darum, nicht in Tränen auszubrechen, sprang auf und lief den zweiten Gang entlang aus dem Saal.

Als Peter seinem Bruder in das kleine Badezimmer folgte, setzte Djoser Jermyn gerade behutsam auf der Toilette ab. Gleich als Djoser die Anwesenheit seines Bruders bemerkte, fragte er ihn: „Kannst du Jermyn etwas von dir zum Anziehen leihen? Meine Sachen sind ihm alle zu groß."

„Huh? Äh, ja klar, sicher", erwiderte Peter überrumpelt, da er mit den Gedanken gerade woanders war.

„Musstest du so hart zu ihr sein?", fragte Peter schließlich, als ihm wieder einfiel, was er eigentlich sagen wollte.

„Sie hat es nicht anders verdient", erwiderte Djoser brummig.

Vorsichtig konterte Peter: „Du bist doch nur sauer, weil sie Jermyn beleidigt hat." Worauf Jermyn überrascht aufblickte.

„Ja, das bin ich, und auch mit Recht! Es ist nicht seine Schuld, dass er sich so schüchtern verhält und nur weil sie ein größeres Mundwerk hat, bildet sie sich ein, sie wär’ klüger als er!", zeigte Djoser seinen Ärger nun deutlich.

„Du hast ja Recht, aber trotzdem hättest du nicht so hart mit ihr zu sein brauchen. Ich denke, es ging ihr sehr nah. Vermutlich träumt sie davon, ein Vampir zu werden."

„Sie wollte nicht nur Vampir werden, sondern erste Centra im Clan. Ein ziemlich hochgestecktes Ziel, wenn du mich fragst. Und außerdem, wenn sie dir so Leid tut, dann mach du sie doch zum Vampir."

„Damit sie mir noch mehr auf die Nerven gehen kann? Nein danke", wehrte Peter sofort ab. Djosers Stimmung war nicht gerade die beste und Peter wusste genau, dass es klüger war, ihn erst einmal in Ruhe zu lassen. Deshalb beschloss er zu gehen, um die versprochenen Sachen für Jermyn zu holen.

 

*****

 

„Noch immer keine Nachricht von ihnen?", fragte Noel seinen Bruder nach den Spähern, die er am Morgen aussenden ließ.

„Nein, mein Sirus", antwortete Jacob respektvoll.

Unruhig ging Noel in seinem Zimmer auf und ab. Es dauerte ihm viel zu lange. Er sorgte sich sehr um die Vampire, die er geschickt hatte. Währenddessen lag Joshua ausgestreckt im Bett und folgte Noels Bewegungen mit trauriger Miene. Zu gern wollte er seinen Sirus unterstützen und ihm die Anspannung nehmen, doch Noel schien ihn nicht einmal wahrzunehmen, geschweige denn auf die bloße Idee zu kommen, seine Unterstützung zu fordern.

„Sag mir sofort, wenn sich einer von ihnen meldet!", forderte Noel harsch.

„Selbstverständlich, mein Sirus", erwiderte Jacob mit einer leichten Verbeugung, worauf Noel sofort innehielt, als er bemerkte, dass er sich schon fast so verhielt wie Altair.

Etwas ruhiger sagte er deshalb: „Bitte entschuldige. Ich mache mir nur Sorgen um unsere Leute. Bitte verzeih mir, mein Bruder. Ich wollte nicht…"

„Noel", unterbrach Jacob ihn mit einem warmen Blick und fügte hinzu: „Du bist noch immer mein Bruder, doch vor allem anderen bist du nun unser Clanführer. Deine Sorge um unsere Leute ehrt dich und zeigt mir, dass du würdig für diese Verantwortung bist. Du brauchst dich dafür nicht zu entschuldigen. Du warst schon immer der Stärkere von uns beiden und mir mehr ein Sirus, als Altair es je hätte sein können. Sei dir meiner Loyalität gewiss. Ich bin der deine, wie ich es seit meiner ersten Tage war."

„Danke, mein Bruder", sagte Noel mit aufrichtiger Erleichterung darüber, dass sein Bruder ihn so bedingungslos akzeptierte.

Mit einem respektvollen Nicken wollte sich Jacob daraufhin verabschieden und das Zimmer verlassen, bis Noel ihn aufhielt und rasch meinte: „Warte, ich begleite dich. Ich halte diese ewige Warterei nicht aus." Damit folgte er seinem Bruder und ließ Joshua ohne einen einzigen Blick allein zurück.

 

*****

 

Auch Jermyn war nicht entgangen, dass Djosers Stimmung ein wenig gereizt war, weshalb sich ein mulmiges Gefühl in seinem Magen bildete. Soweit er verstanden hatte, war Djoser nicht direkt seinetwegen wütend, aber es hatte dennoch etwas mit ihm zu tun. Darum behielt er den Vampir vorsichtig im Auge, während dieser im Badezimmer in der Dusche herumhantierte. Ein lautes Klirren war zu hören, worauf ein unschicklicher Fluch des Vampirs folgte. Als Djoser dann plötzlich vor ihm erschien und die Hand nach ihm ausstreckte, wagte Jermyn es nicht sich zu bewegen, sondern blieb starr sitzen.

„Was ist? Bist du noch nicht fertig?", fragte Djoser ungeduldig.

„Doch", schickte Jermyn sich zu antworten, wobei ihm deutlich seine Beklommenheit anzusehen war.

Djoser bemerkte den Grund dafür recht schnell, weshalb er resigniert aufseufzte und entschuldigend meinte: „Ich bin nicht böse auf dich. Mich hat nur genervt, wie Karen dich behandelt hat."

„Warum?", fragte Jermyn, noch bevor er darüber nachdenken konnte was er gerade tat. Er stellte gerade das Verhalten seines Schalnars in Frage, was ihm früher eine sehr harte Bestrafung eingebrockt hätte. Erst als das Wort seine Lippen verließ, wurde er sich seines Fehlers bewusst und zuckte innerlich zusammen. Erschrocken wich er deshalb zurück, als Djoser vor ihm in die Hocke ging und ihn sanft an der Wange berühren wollte.

Als der Junge vor ihm zurückwich, wurde Djoser erneut klar, dass es noch ein langer Weg sein würde, bis Jermyn ihm vollkommenes Vertrauen schenken konnte. Er stellte sich wieder auf und antwortete ihm mit bewusst ruhiger Stimme: „Du bist Parley der Altairs und ich bin dein Schalnar. Niemand darf es in meiner Gegenwart wagen, dich so herablassend zu behandeln, wie Karen es getan hat. Kein Vampir und auch kein Mensch hat das Recht dazu, dich als minderwertig zu betrachten. Sie kann von Glück sagen, dass ich sie als zu dumm einschätze, um sich ihres Fehlers bewusst zu sein, sonst hätte ich sie deutlicher zurechtgewiesen. Du magst mir jetzt vielleicht noch nicht glauben oder es noch nicht verstehen, doch eines Tages wirst du es verstehen. Du kannst mir vertrauen."

Eine weitere Frage lag Jermyn auf den Lippen, doch er wollte sein Glück nicht verspielen und den Ärger des Vampirs doch noch auf sich lenken, deshalb schwieg er. Zu gern hätte er gefragt, was es für ihn bedeuten würde, Parley der Altair zu sein. Stattdessen blickte er nur stumm zu Djoser auf und wartete, was dieser von ihm verlangen würde.

„Willst du mich irgendetwas fragen?" Für den erfahrenen Vampir war es nicht schwer, die Emotionen des Jungen zu lesen. Es stand ihm offen ins Gesicht geschrieben.

Halbherzig öffnete Jermyn den Mund, doch er brachte die Frage nicht heraus. Beschämt über seine eigene Unfähigkeit blickte er schließlich zu Boden und schüttelte nur den Kopf.

„Komm, gib mir deine Hand. Lass uns in die Dusche steigen und uns die Reste des Rituals vom Körper waschen. Vielleicht beantworten sich deine Fragen später von selbst und wenn nicht, findet sich bestimmt ein Weg, wie ich sie dir beantworten kann", forderte Djoser ihn mit erneut ausgestreckter Hand auf.

Überrascht blickte Jermyn zu Djoser auf und ergriff schließlich die ihm dargereichte Hand. Langsam zog der Vampir ihn auf sein gesundes Bein, nahm ihn an die Seite heran und half ihm schließlich zur Dusche zu hoppeln. Ein wenig umständlich schaffte es Jermyn, durch den engen Eingang in die Dusche zu klettern und suchte sich dort einen sicheren Stand. Als Djoser ihm folgte, fühlte er sich in dem engen Raum sofort bedrängt und wollte am liebsten die Flucht ergreifen, dennoch schaffte er es, Ruhe zu bewahren.

Für den Vampir war es eine echte Geduldsprobe, Jermyn nicht anzumeckern, warum dieser ständig vor ihm Angst hatte, obwohl er ihm nie etwas getan hatte, auch wenn er den Grund für dessen Verhalten sehr wohl kannte.

Djoser beschloss den deutlichen Geruch der Angst zu ignorieren, der in der Luft lag, und Jermyn die Gelegenheit zu geben, sich von selbst zu beruhigen, indem er den Duschkopf in die Hand nahm und das Wasser in einer angenehm warmen Temperatur anstellte. Zuerst hielt er sich den Duschkopf eine Weile lang selbst über den Kopf, bevor er dann das Wasser über Jermyns Körper laufen ließ, wobei er sich zunächst erst die Beine vornahm, dann den Oberkörper und erst ganz zum Schluss den Kopf. Währenddessen kniff Jermyn die Augen fest zu und versuchte nicht daran zu denken, wie andere Vampire ihn früher gewaschen hatten.

Zuerst kam immer das Wasser und nur manchmal, wenn er Glück hatte, war es warm. Dann kam die Bürste, die unerbittlich über alle Körperstellen scheuerte und in den offenen Wunden brannte. Dann kam der Schlauch, den man ihm unter Schmerzen in den Hintern drückte. Dann war da wieder Wasser, doch diesmal berührte es seine Haut nicht, sondern es wurde durch den Schlauch in seinen Körper gedrängt. Er spürte, wie es sein Inneres füllte. Wie es ihn aufblähte. Er spürte es, zusammen mit der Angst und der Panik, die in ihm anstieg. Dann zogen sie den Schlauch heraus, doch er durfte das Wasser nicht hinauspressen. Noch nicht. Sie warnten ihn, es nicht zu tun, sonst würden Sie ihn bestrafen und dann von vorne beginnen, also gehorchte er. Er gehorchte, und kämpfte gegen den Drang an, der immer stärker wurde. Er kniff die Backen zusammen und verkrampfte sich, mehr als es notwendig gewesen wäre, um nur ja nicht gegen die Anweisung zu verstoßen. Fast immer presste er dabei einen Teil des Wassers mit hinaus, da einfach zu viel in ihm war, und sie schlugen ihn, also verkrampfte er sich noch mehr und ein Großteil des Wassers wurde herausgedrückt. Mehr Schläge folgten und wie angedroht begann die ganze Prozedur von vorne. Immer und Immer wieder, bis er zu schwach war, sich auf den Beinen zu halten. Doch damit endete sein Leiden noch lange nicht, denn nun war er richtig sauber. Innen und außen und die Vampire konnten von neuem beginnen, ihn schmutzig zu machen.

„Jermyn", sprach Djoser sanft auf ihn ein, als er merkte, dass dieser mit seinen Gedanken irgendwo weit weg in seinen Erinnerungen gefangen war. Mit aller Kraft hatte Jermyn sich in die Ecke zurückgedrängt und war vollkommen verkrampft.

Erneut sagte Djoser seinen Namen. Als dieser nicht reagierte, legte er den Duschkopf zur Seite und berührte Jermyn leicht an der Wange. Daraufhin schlug Jermyn wild um sich und versuchte sich aus seinem selbst erschafften Gefängnis in der Ecke zu befreien. Um ihn davor zu bewahren, sich selbst zu verletzen, packte Djoser ihn, zog ihn zu sich und hielt ihn fest, während er deutlich auf ihn einredete: „Jermyn, beruhige dich. Es ist alles in Ordnung. Niemand tut dir etwas."

Schwer atmend kam Jermyn langsam zur Ruhe und erinnerte sich wieder, wo er war. Als endlich die Anspannung von seinem Körper wich, brach er in verzweifelte Schluchzer aus.

Beruhigend redete Djoser weiter auf seinen Jungen ein und hielt ihn einfach in einer schützenden Umarmung fest. „Es wird nie wieder geschehen", versprach er ihm, ohne zu wissen, welche schlimmen Erinnerungen es genau waren, die Jermyn geplagt hatten. Er brauchte es nicht zu wissen, da er sich selbst schwor, dass niemand jemals wieder Hand an Jermyn legen würde, solange er es verhindern konnte.

 

*****

 

Eigentlich wollte Peter nicht an diese Türe klopfen und das, obwohl es sein eigenes Zimmer war. Nur leider wurde es im Moment von Mateo und Karen bewohnt und nach dem Vorfall mit Djoser, war er nicht sehr erpicht darauf, das Mädchen zu sehen. Doch es blieb ihm kaum etwas anders übrig, wenn er sein Versprechen einhalten und für Jermyn ein paar seiner Sachen aus seinem Zimmer holen wollte. Also wappnete er sich innerlich für den Kampf und klopfte an die Tür.

Es folgte keine Reaktion, worauf Peter annahm, dass niemand im Zimmer wäre und weshalb er einfach hineinging. Schließlich war es ja sein Zimmer. Allerdings hatte er sich in seiner Annahme, was die Anwesenheit gewisser Gäste betraf, ziemlich getäuscht. Karen lag seitlich zusammengerollt auf dem Bett und kuschelte sich ins Kissen. Sie wirkte nicht einmal überrascht, ihn zu sehen und fragte nur: „Was hast du mit den Dingern vor? Willst mich damit erschlagen?"

Damit meinte sie die Krücken, die Peter gerade besorgt hatte und nun lässig über der Schulter balancierte. Die leichten Stangen waren aus blau eloxiertem Alu, weshalb sie ihm Licht metallisch schimmerten.

„Spinnst du? Wieso sollte ich dich damit erschlagen wollen? Die sind für Jermyn, damit er wieder laufen kann. Sehen die nicht cool aus? Denkst du, ihm gefällt die Farbe?", versuchte Peter ein freundliches Gespräch zu beginnen, da ihr ihre Traurigkeit noch deutlich anzusehen war.

„Ich hab schon kapiert, dass ich dumm bin", brummte sie verärgert und drehte sich herum, sodass sie ihm den Rücken zuwandte.

Verwirrung machte sich auf Peters Gesicht breit und er ging in Gedanken noch mal genau durch, was er gesagt hatte, um zu verstehen, wieso sie so eingeschnappt reagierte. Bis es ihm schließlich dämmerte und er sagte: „Du bist nicht dumm. So hat Djoser es nicht gemeint."

„Doch, hat er sehr wohl!"

„Na ja, kann sein, aber das hast du dir im Grunde selber zuzuschreiben. Wenn du nicht immer so taktlos wärst und aufhören würdest als erstes immer nur an dich zu denken, wäre dir vielleicht aufgefallen, wie sehr du Jermyn mit deinem Auftritt verletzt hast. Djoser war nur deshalb wütend auf dich, weil du Jermyn für deine Ziele benutzt hast. Oder glaubst du, ihm ist nicht aufgefallen, wie sehr du versuchst hast, dich bei ihm einzuschleimen?"

„Er hat es bemerkt?", fragte Karen nun mit einem vorsichtigen Blick zurück nach, da sie bisher dachte, Djoser hätte nie auf sie geachtet.

„Jeder im Raum hat es bemerkt. Und damit meine ich wirklich jeden. Es war ziemlich gemein von dir, Jermyn auf diese Weise zu benutzen, nachdem was er alles durchmachen musste", versuchte Peter ihr ins Gewissen zu reden, während er die Krücken auf dem Bett ablegte und zum Schrank ging, um ein paar Sachen für Jermyn herauszusuchen.

„Was meinst du damit? Wieso, was musste er durchmachen?" Ein Blick auf Karens Gesicht sagte Peter, dass sie wirklich nicht wusste, was er meinte.

„Hat es dir niemand erzählt?", fragte er zunächst nach, bevor er mehr dazu sagte.

„Nein, was denn?", drängte sie ihn, es ihr zu sagen. Sich aufrichtend, setzte sie sich zurück ans Kopfende des Bettes, während sie das Kissen mit ihren Händen umschloss und an ihren Körper drückte, wie ein kleines verlorenes Kind, das nach Halt suchte.

Peter unterbrach seine Suche im Schrank und setzte sich in Höhe ihrer Füße neben sie an den Bettrand, bevor er zu erklären begann: „Jermyn war vorher das Parley eines anderen Vampirclans. Dort hat man ihn nicht besonders nett behandelt. Um es genauer zu sagen, er wurde schwer misshandelt." Während er dies schilderte, fragte er sich insgeheim, warum eigentlich immer er die schwierigen Gespräche mit Menschen führen musste.

„Wie misshandelt?", fragte Karen nach, da sie es sich nicht vorstellen wollte, was er damit meinte. Tief im Inneren war ihr klar, was er damit zu sagen versuchte, doch dieses Thema hatte sie absichtlich aus ihrem Bewusstsein verdrängt, da ihr als Kind ähnliches widerfahren war. Gerade deshalb hatte sie die vielen Anzeichen nicht wahrgenommen, die bei Jermyn auf diese schlimmen Erlebnisse hingedeutet hatten.

Einen Moment lang fragte sich Peter, ob Karen wirklich ein wenig begriffsstutzig war, bis ihm ihre Augen auffielen, die nun voller Angst waren.

„Er wurde vergewaltigt und das mehr als einmal", meinte er nur und ging nicht näher auf Einzelheiten ein.

Die Arme fester um das Kissen schließend, blickte sie ihm betroffen entgegen. Plötzlich erinnerte sie sich an Jermyns furchtvolle Blicke und ihr wurde bewusst, woher ihr diese Angst vertraut war, die sie in ihm erkannte. Damit wurde ihr auch bewusst, wie sehr sie Jermyn verletzt haben musste.

„Es tut mir leid", murmelte sie reumutig und senkte beschämt den Blick.

Wie sie so dasaß, tat sie ihm leid, weshalb er aufmunternd sagte: „Mach dir keinen Kopf. Ist ja nichts Schlimmes passiert und das nächste Mal passt du einfach besser auf, wem du was an den Kopf wirfst."

Stumm nickte Karen und nahm sich vor, seine Worte in Zukunft zu beherzigen.

Um sein eigentliches Vorhaben endlich zu beenden, erhob sich Peter und suchte weiter nach Anziehsachen, von denen er ein paar neben Karen auf dem Bett verteilte, um besser entscheiden zu können, was er dem Jungen bringen wollte.

„Er wird mich nie verwandeln, nicht wahr?", fragte Karen kaum hörbar, worauf Peter den Blick verzog, verneinend den Kopf schüttelte und offen sagte: „Ganz bestimmt nicht."

„Warum nicht? Bin ich wirklich so abstoßend?", fragte sie verletzt.

„Huh? Niemand behauptet, du bist abstoßend! Du bist ein nettes Mädchen. Okay, manchmal bist du ein wenig nervig. Manchmal sogar ziemlich nervig, aber du bist ganz bestimmt nicht abstoßend", versicherte er ihr sofort.

„Toll", grummelte sie eingeschnappt über das dürftige Kompliment.

„Hör zu, Djoser wird seinen Centra nach denselben Kriterien aussuchen, wie Noel es bei ihm getan hat. Er wird nach einem starken Charakter suchen, der Führungsqualitäten in sich trägt. Ein Centra muss im Falle des Falles stark genug sein, den Clan anzuführen. Selbst wenn er nie Clanführer werden sollte, muss er eine Persönlichkeit repräsentieren. Dies sind keine Qualitäten, die einem Centra in die Wiege gelegt werden. Djoser muss nach einem Mensch suchen, der diese Charaktereigenschaften in sich trägt. Und du besitzt keine dieser Eigenschaften. Deshalb wird er dich nie zu seinem Centra machen."

Immer mehr sah sie damit ihre Hoffnung schwinden, weshalb sie enttäuscht aufseufzte. Sie erkannte die Wahrheit in Peters Worten, womit ihr klar wurde, dass Centra zu werden für sie immer ein unerreichter Traum bleiben würde.

„Warum willst du überhaupt Vampir werden? Und warum ausgerechnet Centra? Warum nicht Centradu oder Loraib?", wollte Peter genauer wissen.

„Ich will keine zweite Wahl sein und ganz bestimmt will ich kein hirnloses Püppchen werden, das ihren Sirus anhimmelt."

„Ja, wie ich sehe verstehst du wirklich viel von Vampiren", betonte Peter mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme und fuhr mit seinem eigentlichen Vorhaben fort.

„Ich will nicht sterben", offenbarte Karen nach einer Weile ihre wahren Beweggründe.

Ihm war es unmöglich sie weiter zu ignorieren, weshalb er erneut innehielt und sie fragend ansah. „Dir ist aber schon klar, dass du stirbst, wenn du in einen Vampir verwandelt wirst, oder?"

„Doch nur der Körper, oder? Ich meine, danach lebt man für immer. Ich wäre unsterblich. Das ist doch so, oder nicht?"

„Das schon, aber ein Teil von dir wird sterben und es gibt manche Vampire, die diesem Teil ihr ganzes Dasein lang nachtrauern", gab Peter ein dunkles Geheimnis der Vampire preis.

„Tut es sehr weh?", fragte Karen nach der Verwandlung und ignorierte Peters Warnung vollkommen.

„Mehr als du dir vorstellen kannst", meinte Peter mit ernster Miene.

„Aber danach ist man frei", sagte sie mit einem Glänzen in den Augen.

„Wenn du Freiheit suchst, dann geh hinaus in die Welt. Als Vampir wirst du keine Freiheit finden. Und schon gar nicht als Centra", meinte er abschließend, während er einige der Sachen achtlos in den Schrank zurückwarf und die ausgesuchten Dinge zusammen mit den Krücken packte, um zu gehen.

Karen blickte ihm verdutzt hinterher und ließ sich seine Worte genauer durch den Kopf gehen. Sie fragte sich, was er damit gemeint habe. War ein Centra nicht frei?

 

*****

 

Nach der langen Zeit hätte Peter erwartet, dass Djoser und Jermyn inzwischen wieder im Zimmer wären, doch ganz offensichtlich hatte er sich darin getäuscht, denn das Zimmer war leer. Also legte er die Anziehsachen und die Krücken auf der Couch ab und machte sich auf die Suche nach seinem Bruder.

Er fand ihn in dem kleinen Badezimmer, wo Djoser gerade dabei war, Jermyn einen frischen Verband um sein Bein zu legen, während dieser eingewickelt in der warmen Decke auf der geschlossenen Toilette saß und Peter aus roten Augen ansah. Irgendetwas schien vorgefallen zu sein, weshalb Peter vorsichtig fragte: „Alles okay bei euch? Kann ich fragen, was passiert ist, oder soll ich lieber…" Er hielt inne, als Djosers Blick ihn traf, welcher ihm ohne Worte zu verstehen gab, dass er nicht fragen solle.

Verstehend nickte Peter und versuchte die Stimmung aufzulockern, indem er freudig verkündete: „Hey Jermyn, ich hab eine Überraschung für dich. Es liegt in unserem Zimmer. Ich hoffe, die Farbe gefällt dir."

Der Gedanke an eine Überraschung lockte ein schüchternes Lächeln auf Jermyns Antlitz hervor, worüber Djoser seinem Bruder dankbar war. Seine Arbeit beendet, griff er unter den Körper des Jungen und hob ihn hoch, um ihn zurück ins Zimmer zu tragen, während Peter ihnen folgte.

Zurück im Zimmer, stand Noel in der Mitte des Raumes und schien auf sie gewartet zu haben. Djoser blickte sich verwirrt zu Peter um, mit der deutlichen Frage auf dem Gesicht, ob Noel die Überraschung war, von der dieser zuvor gesprochen hatte, worauf Peter verneinend den Kopf schüttelte.

„Mein Sirus?", eröffnetet Djoser respektvoll das Gespräch, um den Grund für dessen Anwesenheit zu erfahren.

Noel wirkte seltsam verloren und ging im Raum auf und ab, während Djoser und Peter abwartend dastanden, bevor er endlich sprach: „Drei von vier Spähern werden noch immer vermisst. Ich mache mir Sorgen. Sie müssten schon längst zurück sein."

Es war nicht das erste Mal, dass Noel zu Djoser kam, um ein Gespräch zu suchen, wenn ihn etwas bedrückte und immer hatte Djoser versucht ihm eine Art Ersatz für den Sirus zu sein, den Noel in einer solchen Situation gebraucht hätte. Auch diesmal war Djosers erster Impuls, seinem Sirus zu helfen, doch aus einem ihm unbekannten Grund fehlte ihm die innere Kraft dazu, weshalb er zunächst Jermyn auf das Bett ablegte und dann zu Noel meinte: „Sie werden schon kommen."

Noel war so ein abweisendes Verhalten von seinem Centra nicht gewohnt, weshalb er ihn verwundert musterte. Er fühlte sich zurückgestoßen und wollte Djoser nicht länger zur Last fallen, also entschloss er sich wieder zu gehen. Als dieser jedoch sah, wie verletzt Noel wirkte, hielt er ihn auf und rief ihm nach: „Vater!"

„Mein Sohn", erwiderte Noel liebevoll, während er sich zu ihm umdrehte und ihn abwartend ansah.

„Wenn du es möchtest, kann ich nach den Spähern suchen", bot Djoser seine Hilfe an. Niemand konnte einer Fährte so gut folgen wie Djoser. Für ihn wäre es ein leichtes, die Späher ausfindig zu machen.

„Nein!", betonte Noel sofort und fügte ruhiger hinzu: „Du hast andere Pflichten." Damit deutete er auf Djosers Schalnarpflichten hin, doch in Wahrheit hatte er einfach nur Angst um seinen Sohn, und wollte ihn nicht hinausschicken, solange er nicht wusste, welche unbekannte Gefahr dort drohte.

„Jawohl mein Sirus", erwiderte Djoser sichtlich enttäuscht. Seit der Sache mit Altair behandelte Noel ihn wie ein Baby, was anfangs sehr heilsam war, doch mittlerweile nervte es ihn. Seine körperlichen Wunden waren alle verheilt und er fühlte sich im Stande genug, seine Pflichten für den Clan zu erfüllen, doch Noel verwehrt es ihm.

Erklärend fügte Noel schließlich hinzu: „Ich will dich nicht verlieren. Solange ich nicht weiß, wer oder was die Volganer bedroht hat, will ich nicht, dass einer von euch beiden nach oben geht. Das gilt für alle Clanmitglieder, doch ganz besonders gilt dies für euch beide!"

Während Noel dies sagte, wanderte Peter möglichst unauffällig um Noel herum, setzte sich auf die Lehne der Couch und versperrte diesem damit den Blick auf die Krücken, die Peter zuvor von oben besorgt hatte.

„Ja mein Sirus", antworteten beide im Chor, wobei Noel sich fragte, was plötzlich zwischen ihm und seinen Söhnen lag, denn nie zuvor waren diese ihm gegenüber so reserviert. Natürlich hatte er Peters Versuch, die Krücken zu verbergen, bemerkt, da er diese bereits vorher entdeckt hatte, als er auf seine Söhne gewartet hatte. Bevor er ging, meinte er deshalb zu Peter: „Das Blau passt gut zu seinen Augen."

Als Noel gegangen war, fragte Djoser neugierig: „Was hat er damit gemeint?"

„Damit meinte er Jermyns Überraschung", erwiderte Peter und warf eine der Krücken auf Djoser zu, welcher die Alustange gekonnt in der Luft auffing.

Die zweite Stange ebenfalls auffangend, fragte Djoser: „Wo hast du die her?", wobei er nicht besonders glücklich darüber wirkte.

„Na von oben. Es gibt Geschäfte, in denen man die kaufen kann", erklärte Peter als würde er mit einem Begriffsstutzigen reden.

„Er braucht keine Krücken" meinte Djoser griesgrämig und warf diese aufs Bett. Er fühlte sich nutzlos, weil sein Sirus seine Hilfe nicht annehmen wollte und jeder ihn behandelte, als müsste man große Rücksicht auf ihn nehmen. Jermyn war der einzige, der ihn brauchte, doch wenn dieser nun alleine laufen konnte, brauchte er ihn weniger. Obwohl er wusste, dass dieser Gedanke dumm war, konnte er seine Gefühle nicht verdrängen. Er fühlte sich zurückgesetzt.

„Ist dir entgangen, dass er nicht alleine laufen kann?", fragte Peter verwirrt.

„Er braucht nicht zu laufen, ich trage ihn", erwiderte Djoser forsch, worauf Peter endlich verstand, was eigentlich in Djoser vorging. Und langsam begann dessen ganzes Verhalten einen Sinn zu ergeben.

Eine Bewegung in Djosers Augenwinkeln lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Bett, wo er gerade noch sah, wie Jermyn seine Hand erschrocken zurückzog. Er hatte sich nur das schimmernde Blau der Alustange genauer ansehen wollen und es deshalb berührt. In diesem Augenblick erkannte Djoser, dass er sich wie ein Idiot benommen hatte. Jermyn hatte ganz andere Probleme, als nicht laufen zu können, und er würde ihn ganz bestimmt noch sehr lange brauchen.

„Gefallen sie dir?", fragte Djoser sanft, worauf Jermyn vorsichtig nickte.

„Worauf wartest du dann? Probier sie aus!", forderte Djoser ihn nun freundlich auf.

Jermyn war ein wenig verwirrt über die sprunghafte Laune des Vampirs. Dementsprechend verhalten griff er sich zunächst eine der Stangen und bewunderte die Farbe genauer, doch anstatt Djosers Aufforderung zu folgen, blickte er ihm unentschlossen entgegen.

„Na komm schon. Es ist in Ordnung. Sie gehören dir", versicherte ihm Djoser, griff sich die zweite Stange und hielt sie Jermyn direkt unter die Nase.

Vorfreudig nahm dieser beide Krücken in eine Hand, und wickelte sich selbst mit der andern aus seiner Decke, bevor er vorsichtig ans Bettende rutschte und die Krücken in den Armen positionierte. Sein Gewicht erfolgreich auf die Krücken stützend, konnte er nun endlich ganz alleine aufrecht stehen. Er versuchte ein paar erste Schritte, was ihm großen Spaß bereitete. Freudig strahlend lief er schließlich das ganze Zimmer auf und ab, als wären dies die allerersten Schritte seines ganzen Lebens. Seine Nacktheit störte ihn dabei nicht im Geringsten. Schließlich war er es mittlerweile gewohnt, in Gegenwart anderer nackt zu sein.

Peter setzte sich neben Djoser aufs Bett und gemeinsam beobachteten sie Jermyn, wie er glücklich mit den Krücken durchs Zimmer ging.

„Noel hatte Recht, was die Farbe betrifft. Danke, dass du sie besorgt hast", meinte Djoser kaum hörbar zu seinem Bruder, worauf sich ein breites, zufriedenes Grinsen auf Peters Gesicht abzeichnete. Er vermied es jedoch Djoser wegen seiner schlechten Laune zuvor zu triezen, da er ahnte, dass sein Bruder mit tieferen Problemen zu kämpfen hatte. Er musste nur noch einen Weg finden, wie er ihm helfen konnte.

„Jermyn", rief Djoser nach dem Jungen, worauf dieser kehrt machte und zurück ans Bett trat, wo er mit unsicherer Miene darauf wartete, was sein Schalnar von ihm wollte.

„Was für eine Frage wolltest du mir vorhin stellen?", fragte Djoser nun nach, da er den Eindruck hatte, dass Jermyn im Moment wesentlich ausgeglichener war als zuvor.

Jermyns Blick wanderte zwischen den beiden Vampiren hin und her. Er fürchtete, mit dieser Frage sein kleines Glück zu zerstören, welches er gerade empfand. Auf eine direkte Frage nicht zu antworten, war allerdings ein sicherer Verstoß gegen die Regeln, die er von den Volganern jahrelang eingetrichtert bekommen hatte, was immer mit Strafe endete. Er dachte darüber nach zu lügen, doch die Vampire erkannten es immer, wenn er log, also antwortete er wahrheitsgemäß: „Ich wollte wissen, was ich bin. Was genau ist ein Parley?"

Sowohl Djoser, als auch Peter blickten nun etwas ratlos drein. Wie erklärt man einem Parley, was ein Parley ist?

„Ein Parley ist…", begann Djoser und suchte dann nach den richtigen Worten, die Jermyn nichts Falsches vermuten lassen würden.

„Soll ich es versuchen?", fragte Peter frech.

„Denkst du, du kannst das besser?", zweifelte Djoser ernsthaft.

„Yeah, schließlich scheine ich der offizielle Fragenbeantworter für Edmond zu sein", argumentierte Peter mit erhobener Augenbraue.

„Also gut, nur zu. Erkläre du es ihm", meinte Djoser schließlich, worauf nun alle Blicke auf Peter gerichtet waren.

„Kein Problem", meinte Peter noch überzeugt, bis er Jermyns wartenden Blick sah, dann fehlten auch ihm die Worte.

Nach einer kurzen Denkpause fing er schließlich an weit auszuholen und begann zu erzählen: „Also, vor vielen tausend Jahren waren Vampire und Menschen so eine Art Verbündete. Die Vampire beschützten die Menschen und als Gegenleistung versorgten die Menschen sie mit Blut. Doch dabei wurde niemand getötet, oder so. Die Leute ließen sich einfach nur beißen. Tut gar nicht weh, wenn man’s richtig macht. Jedenfalls gab es da irgendwann mal einen Herrscher, der den Vampiren als Dank für ihre Dienste seine persönliche Konkubine zum Geschenk machte. Diese lebte von da ab bei den Vampiren und beglückte diese mit ihren Talenten. Irgendwie wurde das dann zur Mode und alle Völker, die von Vampiren beschützt wurden, machten dasselbe. Entweder sie schenkten ihnen eine Konkubine, oder eine jungfräuliche Tochter als freiwillige Opfergabe, damit die Vampire ihnen weiter gut gesonnen wären. Und so entstand das Parley."

„Ich bin also eine Konkubine?", fragte Jermyn traurig nach.

„Unsinn", lenkte Djoser ein. „Du bist keine Konkubine. Du bist ein Parley." Womit sie jedoch wieder am Anfang standen und Jermyn nun erwartungsvoll zu ihm blickte.

„Ein Parley ist…", begann Djoser von vorn, erneut ohne Erfolg.

„Ein Ding, das jeder Vampir im Clan benutzen kann, wie es ihm gefällt?", fragte Jermyn verbittert nach, wobei es ihm egal war, ob er dafür nun bestraft werden würde oder nicht. Diese Worte lagen schon zu lange in seinem Herzen.

Djoser sah ein, dass es an der Zeit war, Klartext zu reden, also versuchte er es auf andere Weise: „Mag sein, dass es in manchen Clans so gehandhabt wird, bei uns jedoch nicht. Niemand wird dich hier absichtlich verletzen, oder sich dir aufdrängen. Niemand wird dich zu etwas zwingen, das du nicht tun möchtest. Es gibt kein passendes Wort, das den Status eines Parleys richtig beschreibt. Es ist eine Mischung aus Haustier und Geliebte, doch nicht im negativen Sinne. Es ist ein Mensch, der unter den Vampiren lebt und dort einen festen Platz im Clan einnimmt. Vampire brauchen nicht nur Blut zum Überleben, sie brauchen auch Sex. Und für uns gibt es kein großartigeres Gefühl, als mit einem lebendigen Menschen zu schlafen. Es berauscht unsere Sinne. Es ist wie eine Droge. Allerdings zwingen wir niemanden dazu. Es entspricht mehr einer geschickten Verführung."

Jermyn wirkte nicht so, als könnte er mit dieser Erklärung wirklich etwas anfangen, weshalb Djoser weiter hinzufügte: „Verstehst du, es geht dabei nicht darum, das Parley zu benutzen, sondern mehr, es zu umgarnen. Es ist eine Art Kunstform."

„Ich bin eine Kunstform?", fragte Jermyn nach, wobei er nun noch weniger verstand als zuvor.

Stöhnend mischte sich Peter erneut ein: „Mensch Djoser, rede doch nicht ständig um den heißen Brei herum, so versteht er es nie!"

„Verstehe, deine prähistorische Erklärung war also viel direkter als meine?", motzte Djoser zurück.

„Ich hab nur etwas zu weit ausgeholt, doch ich hab ihm keinen Quatsch von einer Kunstform erzählt", verteidigte sich Peter und meinte dann zu Jermyn: „Es spielt keine Rolle, was ein Parley genau ist. Jeder Clan legt das anders aus. Ich schätze mal, das was du wirklich wissen willst, ist, was es bedeutet Parley der Altairs zu sein und das kann ich dir ganz einfach beantworten. Es bedeutet Sicherheit, Geborgenheit und wenn du es zulässt, bedeutet es auch Leidenschaft."

All diese Dinge, die Peter aufzählte, waren das pure Gegenteil von dem, was er bisher als Parley kennen gelernt hatte, weshalb er ihm kaum Glauben schenken konnte. Doch ganz offensichtlich war Parley zu sein, sowohl bei den Volganern als auch hier, gleichbedeutend damit, Vampiren sexuell zur Verfügung stehen zu müssen, worauf all seine Hoffnungen zerbrachen. Er hatte begonnen Vertrauen zu den beiden Vampiren zu fassen und gehofft, nie wieder als Sexspielzeug benutzt zu werden.

Etwas verwirrt stellte Peter fest, dass seine Worte den Jungen eher traurig gemacht haben, anstatt ihn zu beruhigen. Zu Djoser meinte er deshalb: „Vielleicht versteht er es besser, wenn wir ihm einfach zeigen, was wir meinen?"

„Das halte ich für keine so gute Idee", zweifelte Djoser, worüber Jermyn sehr erleichtert war.

„Natürlich nicht mit ihm direkt. Wir könnten es ihm einfach nur ein wenig demonstrieren. Durch die Droge ist er ohnehin noch empfänglich, also wird es ihm Spaß machen", versuchte Peter seinen Bruder zu überzeugen und fügte mit bettelnden Augen hinzu: „Es ist eh lange her, dass wir zusammen Spaß hatten. Und Noel beschäftigt sich nur noch mit Josh. Ich könnte etwas Liebe also gut gebrauchen."

Er brauchte seinem Bruder nur in die Augen zu schauen, um zu erkennen, dass er ihn soweit hatte. Ein triumphierendes Grinsen breitete sich auf Peters Lippen aus, während er von seinem Platz aufstand und Jermyn mit einer einladenden Handbewegung andeutete, sich auf das Bett zu begeben.

Verunsichert trat dieser zurück und blickte mit ängstlich flehenden Augen zu Djoser, welcher ihm einen warmen Blick schenkte und mit ruhiger Stimme sagte: „Hab keine Angst, wir werden dir nichts tun, was dir Schmerzen bereitet. Du kannst mir vertrauen. Komm her und leg dich hier hin."

Schweren Herzens folgte er den Anweisungen und ging auf das Bett zu, um sich dort wie angeordnet hinzulegen, während Djoser ihm die Krücken abnahm. Stocksteif lag er nun da und erwartete mit ungutem Gefühl, was die Vampire mit ihm vorhaben würden.

Zunächst begannen die beiden Vampire sich selbst gegenseitig auszuziehen, während sie sich immer wieder zwischendrin küssten. Die Volganer hatten sich in seiner Gegenwart nur sehr selten untereinander geküsst, weshalb ihn dies etwas irritierte.

Als beide nackt waren, übernahm Djoser die Führungsrolle und manövrierte Peters Körper vor ihm auf Hände und Knie, während er sich selbst direkt an Peters Kehrseite positionierte und gleichzeitig erklärte: „Vampire haben eine wilde innere Wesensart. Ranghöhere Vampire sind sehr dominant, während die niederen von Natur aus unterwürfiger sind. Doch in jedem Vampir steckt sowohl eine dominante, als auch eine unterwürfige Seite, die gepflegt werden muss. Jemand anderen dazu zu bringen, dass dieser sich freiwillig unterwirft, ist für einen Vampir so aufregend wie die Jagd nach einem wilden Tier. Es gibt zwei Arten, einen Menschen dazu zu bringen, dass er gefügig wird. Entweder man bricht ihn mit Gewalt…" Mit diesen Worten packte er Peter grob in seinem roten wuschligen Schopf und zog seinen Kopf zurück, worauf Peter schmerzvoll aufstöhnte, doch die Lust in seinen Augen verriet deutlich, wie sehr er diesen harten Griff genoss. „… so wie die Volganer es mit dir gemacht haben, oder man verführt sie und zeigt ihnen, wie sie sich in ihrer Lust verlieren können. So wie es bei uns üblich ist." Seinen Griff noch immer fest in den Haaren, beugte er sich vor, um Peter mit der Zunge über den Hals zu fahren, und ließ gleichzeitig seine freie Hand über dessen Brust zu seinem empfindlichen Nippel wandern, worauf Peters lautes Stöhnen zu einem sehnsüchtigen Wimmern wurde.

Abrupt löste sich Djoser von Peter, wodurch dieser erneut wimmerte und enttäuscht zu seinem Bruder zurückblickte.

„Siehst du? Er würde jetzt alles tun, damit ich weitermache, weil ich genau weiß, wie ich ihn berühren muss und das ist es, was wir bei einem Parley erreichen wollen. Es ist das, was du heute Nachmittag gefühlt hast, als Peter deine Wunden versorgte. Pure Lust, ganz ohne Gewalt und Schmerz."

Langsam begann Jermyn zu verstehen, auch wenn er nicht wirklich begreifen konnte, wie dies funktionieren sollte. Zumindest im Augenblick erschien es ihm unmöglich.

„Gestern Nacht hast du mir ohne Aufforderung einen Gefallen erwiesen und mir mit deinem Mund Vergnügen bereitet. Warum hast du das getan, obwohl ich dir sagte, dass du es nicht zu tun brauchst?", fragte Djoser nun.

„Ich habe es getan, weil ich es wollte. Weil es sich gut angefühlt hat", gestand Jermyn nach kurzer Bedenkzeit.

„Das lag an der Droge, die wir dir gegeben haben, doch es ist auch ohne Rauschmittel möglich, dass du diese Gefühle empfindest. Gestattest du mir, dass ich dir den Gefallen erwidere?", fragte Djoser, während er sich ganz langsam zu Jermyns noch schlaffen Glied herüberbeugte, ihn dort jedoch nicht berührte, sondern geduldig auf eine Antwort wartete.

Noch nie war er so etwas gefragt worden, weshalb er verunsichert nickte. Dies reichte Djoser als Antwort völlig, weshalb er anfing, mit seiner talentierte Zunge über das schlaffe Glied zu streifen. Wie gebannt beobachtete Jermyn seinen Schalnar dabei und konnte kaum fassen, dass dies wirklich gerade passierte. Nie hätte er für möglich gehalten, dass ein Vampir ihn dort auf diese Weise berühren würde. Und es fühlte sich unglaublich gut an.

Peter rückte nun ein Stück näher und fragte seinerseits: „Ich würde gerne den Geschmack deiner Lippen kennen lernen. Erlaubst du mir, dass ich dich küsse?" Sich an seinen ersten Kuss erinnernd, den Djoser ihm während des Rituals gegeben hatte und der ihm durch und durch gegangen war, nickte er auch Peter zu und gab ihm damit die Erlaubnis ihn zu küssen, denn er wollte zu gern wissen, ob jeder Kuss so gut sein würde.

Zaghafte Lippen senkten sich auf die seinen und er konnte regelrecht spüren wie zärtlich und vorsichtig beide Vampire mit ihm umgingen und dies schenkte ihm Vertrauen. Sich unter den zarten Streicheleinheiten entspannend, fühlte er, wie sein Schaft anschwoll und sich ein erregender Schauer in seinen Lenden ausbreitete. Er konnte nicht mehr sehen was Djoser bei ihm machte, doch er konnte dessen feuchte Zunge spüren, die noch immer spielerisch über sein Glied leckte, als würde er einen winzigen Gegenstand mit der Zunge über seine Länge schieben. Gleichzeitig wurden Peters sanfte Küsse mutiger und auch auf den Lippen spürte er die Nässe einer weichen Zunge, die mit ihm spielte.

Als Djoser einen Schritt weiter ging und Jermyns Härte ganz mit dem Mund aufnahm, formten sich Jermyns Lippen zu einem erstaunten O. Es war ein so unbeschreiblich gutes Gefühl, dass er für einen kurzen Moment lang alles um sich herum vergaß. Peter nutzte die Gelegenheit und ließ seine Zunge in Jermyns Mundhöhle gleiten, um sich dort auf die Suche nach Jermyns Zunge zu machen. Ein überraschtes Stöhnen entwich Jermyn dabei und sein erster Impuls war es, zurückzuweichen, doch dann spürte er, wie Djoser um seine Härte zu saugen begann und er fing an sich vollkommen in diesem Gefühl zu verlieren. Eher unbewusst erwiderte er Peters Zungenspiel mit der seinen, wobei ihm erst allmählich bewusst wurde, welch seltsame Gefühle dies in ihm bewirkte. Es wirkte auf ungewöhnliche Weise tröstend und schenkte ihm Vertrauen. Noch nie zuvor war er von jemandem auf so intime und liebevolle Weise berührt worden, wie von diesen beiden Vampiren.

Es dauerte nicht lange, bis sein unerfahrener Körper auf natürliche Weise reagierte und er rasch auf einen Orgasmus zuraste. Zuckend ergoss er sich in Djosers Mund und war gleichzeitig enttäuscht, dass es so schnell vorbei war. Gierig saugte er noch an Peters Zunge, bis auch dieser sich ihm entzog und nun zwei prüfende Gesichter ihn musterten. Schwer atmend rang er um einen klaren Gedanken. Sein Geist und sein Körper waren noch immer in den Gefühlen gefangen, die die Vampire in ihm ausgelöst hatten.

„Alles okay?", fragte Djoser sanft, worauf Jermyn nur nicken konnte. Ein glänzendes Strahlen in seinen blauen Augen zeigte jedoch deutlich, dass es ihm mehr als gut ging.

„Gut, ruh dich jetzt aus. Hast du etwas dagegen, wenn ich mich noch um Peters Bedürfnisse kümmere?"

Jermyn schaffte es seinen Kopf zu schütteln und einen verneinenden Laut von sich zu geben, während er sich verwundert fragte, welche Art von Bedürfnissen damit gemeint war.

„Danke Kumpel", meinte Peter mit aufrichtiger Dankbarkeit. Seinem Geschmack nach war es viel zu lange her, als er zuletzt richtig guten Sex hatte.

Staunend beobachtete Jermyn, wie Djoser sich direkt neben ihm zwischen Peters Beine positionierte, die Peter sofort bereitwillig spreizte. Bauch an Bauch lagen die Vampire nun übereinander und küssten sich leidenschaftlich, während Djosers Hand zwischen ihnen nach unten wanderte. Die beiden Körper lösten sich nur kurz voneinander, damit Djoser seinen längst harten Schaft positionieren konnte. Ohne jegliche Vorbereitung drückte sich Djoser in den Körper seines Bruders, worauf dieser laut aufstöhnte.

Keuchend meinte Djoser: „Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, wenn ich etwas stürmisch bin? Der Kleine hat mich ziemlich auf Touren gebracht."

„Fuck, nein mach so weiter, bitte!", flehte Peter regelrecht und beugte seinen Kopf weit nach hinten, womit er Djoser seinen nackten Hals entblößte. Dies war ein deutliches Zeichen der Unterwerfung und es war genau das, was sowohl Peter als auch Djoser in diesem Moment brauchten. Es half Djoser über seine schrecklichen Erlebnisse hinwegzukommen, indem er nun Macht über einen andern Mann ausüben konnte, und gleichzeitig befriedigte es Peters natürliches Bedürfnis nach Unterwerfung, wie es in jedem Vampir tief verwurzelt ist. Auf diese Weise war sichergestellt, dass ein ranghöheres Clanmitglied sich den notwendigen Respekt der anderen verschaffen konnte.

Zwischen harten drängenden Stößen blickte Djoser zu Jermyn, um zu sehen, ob dieser mit dieser Situation klar kam. Ein Ausdruck von Faszination und Unglaube stand Jermyn ins Gesicht geschrieben. Er konnte nicht fassen, dass Peter sich freiwillig unterwarf und wie viel Lust ihm dies ganz offensichtlich zu bereiten schien.

Djoser verringerte sein Tempo ein wenig, worauf Peter sehnsüchtig aufwimmerte und bettelnd zu ihm aufblickte, doch Djoser schien irgendetwas auszuhecken und er sagte zu Jermyn: „Leg deine Hand auf seine Brust."

Leichtes Unwohlsein zeichnete sich sowohl in Jermyns, als auch in Peters Blick ab, doch Djoser meinte zu Jermyn: „Vertrau mir. Wenn, dann wird es nur ihm etwas tun."

Zögernd legte Jermyn seine Hand wie gefordert auf Peters Brust, worauf dieser ein verzweifeltes Wimmern von sich gab.

Sich ein wenig aufrichtend, fuhr Djoser mit seinem quälend langsamen Rhythmus weiter fort und erklärte Jermyn: „Er reagiert auf deine Hand, weil sein Körper auf deinen Körper reagiert. Das ist deshalb so, weil du wirklich lebendig bist und er im Grunde nur eine tote Hülle ist, die künstlich am Leben erhalten wird. Allein diese einfache Berührung erhöht seinen bereits erregten Zustand noch mehr und nun stell dir vor, wie es sich für einen Vampir anfühlen muss, wenn er Sex mit einem Menschen hat."

Verstehend nickte Jermyn, doch eine Sache war ihm noch unklar, weshalb er fragte: „Und warum all dieser Schmerz?" Er wollte endlich verstehen, weshalb er all die Jahre so leiden musste.

Daraufhin stoppte Djoser seine Bewegungen und blickte Jermyn traurig entgegen. Peter protestierte mit einem sehnsüchtigen Wimmern und fragte drängend: „Können wir das nicht nachher disku…?" Blitzschnell schoss Djosers Hand nach oben, packte Peter erneut in den Haaren und zog dessen Kopf zurück. Stöhnend ergab sich Peter der plötzlichen Gewalteinwirkung, indem er die Augen schloss und kein Wort mehr sagte.

„Habe ich dir erlaubt zu sprechen?", fragte Djoser mit einer drohenden Stimme, die Jermyn und Peter durch Mark und Bein ging.

Peter schüttelte verneinend den Kopf und fügte sich damit freiwillig in die Rolle, in die Djoser ihn gerade drängte. Es war eine Art Spiel, das jedoch nahe an der Grenze zu blutigem Ernst lag. Nur selten benutzte Djoser seine Macht über Peter so deutlich wie er es nun tat.

Erstaunlich gelassen beobachtete Jermyn dieses Machtspiel, wobei ein Funke Angst in seinen blauen Augen lag.

Djoser brauchte einen kurzen Moment, um seine Gemüter zu beruhigen, bis er für Jermyn zu erklären begann: „Es ist ein unheimlich starkes Gefühl der Macht, Gewalt über einen anderen Körper zu besitzen. Besonders über einen lebendigen Menschen. Es ist wesentlich leichter einen Mensch mit Gewalt gefügig zu machen, als mit Geduld und Liebe. Dein Schmerz war nur ein Mittel zum Zweck, um dich soweit zu bringen, dass du ihnen gehorchst und alles tust, was sie sagen. Das ist der Grund, warum sie dir Schmerzen zugefügt haben. Allein, um dich gefügig zu machen."

Damit schloss sich der Kreis und Jermyn begann endlich zu begreifen, weshalb er so leiden musste. Auch wenn es ihm im Moment nichts brachte, aber wenigstens verstand er es nun.

Als Djoser die Erkenntnis in den Augen des Junges erfasste, befreite er Peter aus seinem harten Griff. Dieser blieb dabei regungslos liegen und entblößte damit weiterhin seinen ungeschützten Hals, als Zeichen seiner Fügsamkeit. Für Peter war es die reinste Hölle so ruhig liegen zu bleiben, während Djoser noch immer tief in ihm vergraben war. Gleichzeitig aber erregte es ihn in höchstem Maße und berauschte seine Sinne so stark, dass er in einen rauschähnlichen Zustand abdriftete.

Ein feines Lächeln zeichnete sich auf Djosers Lippen ab, als er bemerkte wie sehr Peter in seiner Rolle gefangen war, und er fuhr fort sich mit einem langsamen Tempo zu bewegen. Sich gegen den Körper seines Bruders bäumend, stöhnte Peter erleichtert auf. Noch immer hielt er seinen Hals weit zurückgestreckt. Ein Akt vollkommener Unterwerfung und des Vertrauens seinem Bruder gegenüber. Allein dieser Anblick ließ Djoser schließlich seine Beherrschung verlieren, weshalb seine Stöße schneller wurden und er sich zu dem ihm dargereichten Hals herabbeugte. Daraufhin zog Jermyn seine Hand wieder zurück und beobachtete die beiden Vampire weiter aus direkter Nähe.

Zuerst waren es leichte Küsse, die Djoser an Peters Hals verteilte, dann war es eine Zunge, die an seiner Haut leckte, worauf Peter erneut winselte, als würde er sehnsüchtig auf etwas warten. Als Djoser seine Lippen um seinen Hals schloss und die zarte Haut einsaugte, bäumte Peter sich ihm wimmernd entgegen und brachte zum ersten Mal seine Hände mit ins Spiel, indem er Djosers Kopf mit beiden Händen fester an sich drückte. Djosers Stöße waren nun hart und schnell, als er plötzlich zubiss und Peter damit zum Schreien brachte. Jermyn erschrak etwas und fühlte beinahe Mitleid mit Peter, doch bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass es kein durch Schmerzen verursachter Schrei, sondern pure Lust war, die sich in dessen Augen spiegelte. Peter hatte sie in dem Moment weit aufgerissen, als Djoser zubiss und nun funkelten sie Jermyn wie zwei leuchtend grüne Smaragde entgegen. Erst dann bemerkte Jermyn, dass die beiden Vampire zusammen mit diesem Schrei gleichzeitig ihren Höhepunkt erreicht hatten, weshalb Djoser nun erschöpft auf Peters schlaffem Körper lag.

„Das war ziemlich heftig", murmelte Peter von dem Akt noch benommen.

„Du hattest die Idee mit der Demonstration, also beschwer dich jetzt nicht", brummte Djoser zurück.

„Spinnst du? Ich werd mich hüten mich zu beschweren! Das war verflucht fantastisch!", betonte Peter diesmal etwas klarer.

Djoser lachte leise auf und kuschelte sich mit dem Gesicht tiefer in Peters Halskuhle, wo er mit der Zunge über das Bissmal strich und worauf Peter erneut aufstöhnen musste.

„Wolltest du Jermyn nicht zum Doc bringen?", fragte Peter nun neckend nach.

Brummig erwiderte Djoser: „Ich will mich jetzt nicht bewegen. Ich bring ihn morgen."

Nun war es Peter, der leise auflachte und auch Jermyn musste darüber leicht grinsen. Zudem war er ganz froh darüber, dass er der Untersuchung des Doktors vorläufig entkam.

„Könnten wir uns zumindest soweit bewegen, dass wir unter der Decke liegen und nicht oberhalb?", schlug Peter vor, worauf Djoser sich seufzend einverstanden zeigte, indem er von Peters Körper rollte. Mit nur den allernotwendigsten Bewegungen kämpften sie die Decke unter sich hervor und kuschelten sich darunter eng zusammen.

„Na komm, worauf wartest du? Wir beißen dich nicht, großes Ehrenwort", meinte Djoser zu Jermyn, um ihn dazu zu bewegen ebenfalls zu ihnen zu schlüpfen. Erst dann wagte Jermyn es, sich den Vampiren anzuschließen, wobei er seine eigene schwarze Decke ebenfalls mit unter die Bettdecke legte, da diese so herrlich warm und kuschelig war. Mit einem sicheren Abstand zu den Vampiren legte er sich dann zurück und schmiegte sich in sein Kissen.

„Wer macht jetzt das Licht aus?", brummte Peter widerstrebend.

„Immer der, der fragt", erwiderte Djoser mit einem frechen Grinsen.

 

*****

 

Edmond hatte sich bereits seine wenigen Untersuchungsgeräte, die er noch besaß, auf dem Tisch bereitgelegt und wartete geduldig auf Djoser und Jermyn. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, las er in einem Buch. Das kleine Zimmer, in dem er einquartiert war, war gerade groß genug, um ein einfaches Bett, einen kleinen Tisch mit einem Stuhl und einem schmalen Schrank zu beherbergen. Nicht gerade eine Luxussuite, doch Edmond fühlte sich recht wohl. Zumindest musste er diese Zimmer nicht mit einem Vampir teilen, wie bei den Antares.

Als es an der Tür klopfte, erhob sich Edmond rasch von seinem bequemen Sitzplatz auf dem Bett, um seinem erwarteten Patienten Einlass zu gewähren. Umso erstaunter war er dann, als nicht Djoser und Jermyn vor der Tür standen, sondern Karen.

„Hallo Doktor, kann ich Sie kurz sprechen?", fragte Karen nervös und Edmond fragte sich, was die junge Dame wohl auf dem Herzen hatte.

„Sicher, komm rein. Ich hatte zwar eigentlich jemand anderen erwartet, aber wie mir scheint, werden die Beiden doch nicht kommen", zweifelte Edmond offen an Djosers Versprechen.

„Wer?", wollte Karen neugierig wissen.

„Nicht so wichtig. Komm endlich rein und erzähl, was du auf dem Herzen hast", erwiderte Edmond rasch und winkte sie herein.

Karen folgte der Aufforderung und blieb mitten im Raum stehen. Sich zu Edmond umdrehend, fragte sie: „Würden Sie mich bitte unterrichten?"

„U…U…Unterrichten? In was?", fragte Edmond vollkommen überrumpelt.

„Na in was auch immer. Solche Dinge eben, die man halt braucht. Sie sind doch Doktor, also müssen Sie ziemlich klug sein. Ich will auch so klug sein wie Sie. Ich will lernen", erklärte sie genauer.

Edmond staunte sehr über das Engagement der jungen Dame, zweifelte aber offen: „Nun, ich mag ein Doktor sein, aber ich bin kein Lehrer. Du solltest in eine Schule gehen und dort lernen."

„Mateo würde nie zulassen, dass ich in eine öffentliche Schule gehe. Dafür muss ich ihn und Zaida erst einmal davon überzeugen, dass ich es ernst meine und ich auf mich selbst aufpassen kann. Doch ich fürchte, ehe dieser Tag eintritt, werde ich alt und grau sein. Ich will jetzt lernen. Ich will nicht dumm sein." Eine feste Entschlossenheit stand ihr ins Gesicht geschrieben, was Edmond von ihren Worten überzeugte.

„Also gut, ich könnte es versuchen, aber erwarte nicht zu viel von mir. Ich werde sehen, was ich für dich tun kann", erklärte Edmond sich schließlich einverstanden.

„Großartig!", rief sie begeistert aus und setzte sich sogleich an den kleinen Tisch, von wo aus sie erwartungsvoll zu ihm aufblickte.

„Was soll das jetzt werden?", fragte Edmond ein wenig verwirrt nach.

„Na ich dachte, Sie unterrichten mich?", meinte Karen.

„Ja sicher, aber doch nicht jetzt!"

„Warum nicht? Haben Sie hier grad etwas Wichtigeres zu tun?", wollte Karen wissen und blickte sich dabei fragend in dem kleinen Raum um.

„Nun ja", zögerte Edmond und suchte nach einem triftigen Grund, warum er in diesem Moment gerade keine Zeit hätte, denn er wollte sich zumindest etwas vorbereiten, bevor er anfangen würde sie zu unterrichten. Unglücklicherweise fiel ihm aber kein passender Grund ein, weshalb er sich schließlich geschlagen gab und sagte: „Also gut, dann eben sofort. Wir fangen am Besten damit an, dass du mir erzählst, welche Schulen du bisher besucht hast, damit ich feststellen kann, wie weit es um deine Bildung steht. Du hast doch Schulen besucht, oder etwa nicht?"

„Ich war 12, als ich von Zuhause weglief und Mateo mich auf der Straße gefunden hatte. Bis dahin war ich auf einer ganz normalen, öffentlichen Schule. Danach hat Mateo versucht mir ein paar Dinge beizubringen, aber ich war nicht sehr kooperativ, also hat er es aufgegeben", gab Karen reumutig zu und wünschte sich, sie könnte noch einmal zurückgehen und ihr dummes Verhalten rückgängig machen.

„Darf ich fragen, warum du weggelaufen bist?", fragte Edmond vorsichtig nach, um ein wenig über Karens Vergangenheit zu erfahren.

Karens Blick wurde traurig und schien irgendwo in die Ferne zu schweifen, als sie offen erzählte: „Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Mein Vater gab mir die Schuld an ihrem Tod. Dauernd schimpfte er auf mich ein, dass ich ihm eine so große Last war und ich ihm das einzige gestohlen habe, das er je geliebt hat. Irgendwann kam er dann zu mir und sagte, ich solle ihm das zurückgeben, was ich ihm genommen habe. Ich sollte ihm gefälligst seine Frau ersetzen. Ich verstand damals nicht, was er damit meinte und ich wollte ihm wirklich alles geben, damit er nicht mehr böse auf mich wäre, also sagte ich ihm, dass ich ihm alles geben würde, was er von mir verlangt. Ich hab wirklich alles versucht, ihn glücklich zu machen und hab getan, was er von mir wollte, doch es war nie genug. Er hat mich nie geliebt. Irgendwann lief ich dann fort, doch ich wusste nicht wohin. Wenn Mateo mich nicht gefunden hätte, wäre ich vermutlich zu ihm zurückgegangen."

„Hat er dich…?", wollte Edmond genauer nachfragen, doch seine zugeschnürte Kehle verschluckte die Worte.

Karen verstand auch so, was er wissen wollte, und antwortete trocken: „Während andere Kinder am Eis lutschten, tat ich es mit seinem Schwanz und wenn er nachts einsam war, bediente er sich an meinem Körper. Ja, er hat und ich hoffe, er schmort dafür in der Hölle!"

 

*****

 

Gequält von den Alpträumen seiner Vergangenheit, wälzte sich Jermyn in einem unruhigen Schlaf. Über die Jahre hinweg hatte sein Körper gelernt selbst bei einem Alptraum kaum Geräusche von sich zu geben, weshalb die beiden Vampire zunächst nicht von ihm geweckt wurden. Doch plötzlich schreckte er aus seinem Schlaf hoch und versuchte in Panik getrieben von dem Ort seines Schreckens zu fliehen. Dabei schlug er unbewusst die Richtung der beiden Vampire neben sich ein und stolperte mehr oder weniger über deren Körper. Peter stöhnte vor Schmerzen auf, als Jermyn ihm genau dort einen kräftigen Tritt verpasste, wo es einem Mann am meisten wehtat. Gleich darauf erreichte Jermyn das Bettende und stürzte laut krachend zu Boden. Hastig richtete er sich in der Dunkelheit auf und flüchtete weiter, doch sein verletzter Fuß brachte ihn erneut zum Stolpern, weshalb er dann kriechend weiterkrabbelte und verzweifelt nach einem Versteck suchte.

Hin und her gerissen, wusste Djoser im ersten Augenblick nicht, um wen er sich zuerst kümmern sollte. Seinen Bruder, der sich stöhnend im Bett krümmte, oder Jermyn, der sich mit panischer Angst in eine Ecke drängte. Er entschied schließlich, dass sein Bruder auch allein zurechtkommen würde und knipste zunächst das Licht an, damit Jermyn etwas sehen konnte.

Langsam ging er dann vor dem Jungen in die Hocke und redete sanft auf ihn ein: „Jermyn, beruhige dich. Es ist alles in Ordnung. Niemand tut dir etwas."

Zaghaft lugte Jermyn unter seinen Armen hervor. Als er Djoser erkannte, hauchte er dessen Namen, sprang regelrecht auf ihn zu und klammerte sich verzweifelt an Djosers Hals. Dieser war so überrascht, dass er kaum reagieren konnte und ihn mehr oder weniger automatisch in die Arme schloss.

„Hilf mir! Bitte! Hol mich hier raus! Lass mich nicht allein", flehte Jermyn noch immer halb in seinem Traum gefangen.

„Du bist hier bei mir. In Sicherheit. Ich bin bei dir", versicherte Djoser ihm beruhigend, während er ihm mit der Hand über den Rücken strich.

Allmählich entspannte sich Jermyn unter den gleichmäßigen Streicheleinheiten, klammerte sich aber weiter an Djosers Hals. Mitsamt dem Jungen im Arm stand Djoser schließlich auf, um ihn zurück ins Bett zu tragen, wo sein Bruder sich inzwischen von Jermyns Anschlag einigermaßen erholt hatte. Am Bettrand sitzend, blickte Peter ihnen mit einem schmerzerfüllten Gesicht entgegen.

„Alles okay bei dir?", fragte Djoser bei seinem Bruder nach.

„Ja, es geht schon. Ist ja nicht so, als würde ich die Dinger zum Kinderzeugen brauchen", meinte dieser scherzend, worauf Djoser erkannte, dass es Peter schon wieder besser ging.

Zu Jermyn meinte Djoser einfühlsam: „Ich werde dich jetzt auf dem Bett absetzen, okay?"

Als dieser bestätigend nickte, setzte Djoser ihn wie angekündigt vorsichtig auf dem Bett neben Peter ab. Rasch wischte Jermyn sich ein paar Tränen aus dem Gesicht, da er sich für sein Benehmen schämte. Djoser fasste an ihm vorbei unter die Bettdecke und zog die schwarze Kuscheldecke hervor, die er Jermyn dann um die Schultern legte. Ein deutlicher Geruch von Blut hatte den Vampir schon vorher erkennen lassen, dass Jermyns Wunde sich erneut geöffnet hatte, weshalb er sich diese nun genauer ansehen wollte. Jermyn zischte vor Schmerzen auf, als Djoser nach seinem Bein griff und den blutigen Verband entfernte.

„Du solltest besser aufpassen, wohin du mit deinen Füßen trittst", neckte Peter den Jungen mit einem Augenzwinkern.

„Es tut mir Leid", erwiderte Jermyn beschämt und wich Peters Blick aus.

„Hey, so war das nicht gemeint. Ich bin hart im nehmen. So ein kleiner Tritt macht mir nichts aus", versuchte Peter den Jungen ein wenig aufzumuntern, was jedoch kaum Wirkung zeigte.

Während Djoser vor Jermyn auf dem Boden kniete, die Wunde sorgfältig spülte und mit frischem Verband versorgte, fragte er Jermyn: „Willst du uns erzählen, wovon du geträumt hast?"

Kaum hörbar erwiderte Jermyn: „Ich dachte, ich wäre wieder zurück bei anderen Vampiren. Sie wollten mir wieder dieses Halsband anlegen und mich an die Wand ketten. Ich hatte Angst und versuchte zu fliehen." Dabei griff Jermyn sich unbewusst an den Hals, um zu erfühlen, ob er nicht doch ein Halsband trug, oder ob dies alles nur ein böser Traum war.

„Niemand wird dir ein Halsband anlegen. Ich werde das nicht zulassen, hörst du? Niemals!", betonte Djoser mit fester Stimme, was Jermyn ein wenig beruhigte.

„Hey, ich hätte da vielleicht eine Idee", meinte Peter und erhob sich vom Bett, um sich im gleichen Moment stöhnend in den Schritt zu fassen, da das plötzliche Aufstehen wehtat.

„Du scheinst ihn wirklich gut getroffen zu haben, Kleiner. Hast du gut gemacht. Er brauchte schon längst wieder mal einen kräftigen Tritt", sagte Djoser neckend zu Jermyn, worauf sich tatsächlich ein zaghaftes Lächeln auf dessen Lippen bildete.

„Hey! Das habe ich gehört!", beschwerte sich Peter gespielt verärgert, während er in einer Kommode nach etwas suchte. Mit einem triumphierenden Grinsen kam er zurück, als er schließlich fündig wurde, und hielt Djoser ein dünnes Lederband unter die Nase.

„Wozu gibst du mir eine Lederschnur?", fragte Djoser und blickte skeptisch zu seinem Bruder auf.

„Benutze deine Fantasie! Das ist keine Lederschnur, sondern ein Parleyband", erörterte Peter stolz grinsend.

Djoser verstand nun, was Peter damit meinte und nahm die Schnur entgegen. Argwöhnisch beobachtete Jermyn, was Djoser nun damit vorhaben würde. Mit einem freundlichen Lächeln näherte sich Djoser dem Jungen und legte ihm die Schnur locker um den Hals, um sie vorne mit einem einfachen Knoten zusammenzubinden, und ließ die beiden Enden einfach herab hängen, sodass Jermyn nun eine dünne Halskette aus Leder trug, was nebenbei unheimlich sexy aussah.

„Dieses Band soll dich immer daran erinnern, dass du nicht mehr bei den Volganern bist, sondern bei uns. Solange du es trägst, bist du in Sicherheit", erklärte ihm Djoser, worauf Jermyn mit der Hand nach dem Leder griff, um es sich genauer anzusehen. Der Gedanke, dass dies das Zeichen für seine Zugehörigkeit zu diesen Vampiren bedeutete, war auf seltsame Weise tröstlich. Vorsichtig erfühlte er es mit den Händen, als wollte er sicherstellen, dass es real war.

„Okay, wie sieht’s aus, bist du müde?", fragte Djoser nun und lenkte Jermyn von seiner Untersuchung des Bandes ab.

Verneinend schüttelte Jermyn den Kopf, da er im Moment überhaupt nicht müde war. Soviel wie in den letzten Tagen, hatte Jermyn schon eine Ewigkeit nicht mehr geschlafen.

„Gut, dann lass uns anziehen und den Doktor besuchen", erwiderte Djoser gut gelaunt, während er sich erhob und Jermyn dann die Sachen in den Schoß warf, die Peter für ihn besorgt hatte.

„Was, jetzt?", fragte Peter ungläubig nach.

„Ja, wieso nicht?", meinte Djoser simpel.

„Na weil der gute Doc jetzt vermutlich schläft", gab Peter zu bedenken.

„Er wohnt hier unter Vampiren. Er ist doch ohnehin immer so neugierig und will wissen, wie wir leben, also wird es Zeit, dass er erfährt, dass Vampire keine festen Schlafenszeiten haben", erklärte Djoser gewitzt, während er in seine Sachen schlüpfte.

Währenddessen starrte Jermyn ungläubig auf das T-Shirt und die Hose, die in seinem Schoß lagen. Es schien ihm eine Ewigkeit her zu sein, als er zuletzt solche Sachen tragen durfte. Bei den Volganern war er immer nackt gewesen.

„Was ist los? Gefallen dir die Sachen nicht? Ich weiß, Peter hat keinen guten Geschmack, was Klamotten betrifft, aber ich verspreche dir, wir kaufen dir später eigene Sachen in deiner Größe", meinte Djoser versöhnlich, nachdem Jermyn keinerlei Anstalten machte, sich anzuziehen.

„Doch, doch! Sie gefallen mir sehr gut!", versicherte Jermyn sofort.

„Na dann, zieh dich an", erwiderte Djoser mit einem freundlichen Augenzwinkern.

Die Vampire ahnten, warum Jermyn zögerte sich anzuziehen, und gerade deshalb gingen sie nicht näher darauf ein, sondern warteten geduldig, bis Jermyn von alleine in die Sachen schlüpfte.

Wenig später wurde Edmond aus einem tiefen Schlaf gerissen, als es plötzlich an seiner Tür klopfte. Grummelnd erhob er sich aus seinem Bett, um nachzusehen, wer ihn zu solch unchristlicher Stunde weckte.

Djoser und Peter waren an der Tür und zu Edmonds großer Überraschung stand Jermyn vollkommen bekleidet und selbständig auf Krücken stehend zwischen ihnen.

„Oh", war das einzige, was Edmond auf die Schnelle herausbrachte. Worauf Djoser freundlich sagte: „Wir sind hier wegen der versprochenen Untersuchung."

„Oh, äh ja richtig. Ähm… wolltet ihr nicht viel früher kommen? Ich hatte auf euch gewartet", fragte Edmond nach, während er die Drei mit der Hand hereinbat.

„Ich sagte doch, wir würden heute Nacht kommen", meinte Djoser simpel, was im Grunde auch der Wahrheit entsprach.

„Ja stimmt", erwiderte Edmond nur abwesend, da er gerade zu seinem Schrecken bemerkt hatte, dass er im Nachtgewand dastand und sich deshalb eilig einen Morgenmantel aus dem Schrank suchte.

Djoser griff sich den Stuhl und stellte ihn in die Mitte des Raumes, sodass Jermyn sich darauf setzen konnte, was dieser dann auch tat, während er selbst sich dicht neben ihm auf das Bett setzte. Peter lehnte sich hinter dem Stuhl an den Tisch. Erwartungsvoll blickten nun beide Vampire zu dem Doktor auf. Jermyn jedoch blickte nervös zu Boden und wünschte sich, er könnte sofort zurück zu Djosers Zimmer gehen. Er war nicht sonderlich angetan von dem Gedanken, von einem Arzt untersucht zu werden.

Der Doktor wusste nicht so recht, wie er mit seiner Untersuchen beginnen sollte. In der Regel kamen seine Patienten aus bestimmten Gründen zu ihm und berichteten über ihre Leiden. In diesem Falle war dies ein wenig anders, weshalb er erst einmal nachfragte: „Nun gut, ähm… hast du irgendwelche Beschwerden?"

Einen kurzen Augenblick darüber nachdenkend, antwortete Jermyn wahrheitsgemäß: „Nein." Schließlich ging es ihm schon lange nicht mehr so gut, wie in diesem Moment.

„Nein?", fragte Edmond verwundert nach und wollte genauer wissen: „Du hast keine Schmerzen, keine Verwundungen, keine Probleme, kein Unwohlsein oder Ähnliches?"

„Meine Wunde am Fuß tut weh, doch daran bin ich selber Schuld", gab Jermyn schließlich kleinlaut zu und deutete auf seinen rechten Fuß, welcher nur mit einer Socke bekleidet war.

„Darf ich mal sehen?", fragte Edmond freundlich nach.

Nachdem Jermyn, nach einem kurzen Kontrollblick zu Djoser, schließlich zustimmend nickte, wickelte Edmond den Fuß vorsichtig aus der Socke. Bewundernd musste Edmond feststellen, dass der Verband auf fachmännische Weise angelegt worden war, weshalb er Djoser neugierig fragte: „Haben Sie ihm den Verband angelegt?"

„Ja, warum? Stimmt etwas nicht damit?", fragte Djoser mit leichter Abwehrhaltung.

„Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Ich habe mich nur gewundert, da der Verband wirklich sehr gut angelegt wurde. Haben Sie das mal gelernt?", versuchte Edmond die deutliche Kampfstellung des Vampirs zu beschwichtigen, indem er persönliches Interesse an Djosers Person zeigte.

„Ja", antwortete Djoser nur knapp, da er eigentlich nicht bereit war, dem Doktor gegenüber von seiner Vergangenheit zu erzählen.

Dessen Neugierde war größer als der nötige Anstand erlaubte, weshalb er nachhakte: „Waren Sie als Arzt tätig?"

„Nein, und bevor Sie weiter fragen, ich habe durch den Krieg gelernt, wie man einen Verband anlegt", gab Djoser schließlich von sich preis.

„Oh, ich verstehe, dann haben Sie diese Fertigkeit vermutlich in Ihrer Ausbildung zum Soldaten erlernt. Darf ich fragen, in welcher Armee Sie gedient haben?", plapperte Edmond geschäftig, während er Jermyns Fuß vorsichtig von dem Verband befreite.

Mit einem amüsierten Schmunzeln fügte Djoser hinzu: „Ich kämpfte Mitte des 17ten Jahrhunderts während des englischen Bürgerkriegs."

Vollkommen verdutzt blickte Edmond zu Djoser auf. Er glaubte, sich verhört zu haben und fragte ungläubig nach: „Wie bitte? Sagten Sie gerade Mitte des 17ten Jahrhunderts?"

„Ja, das sagte ich", bestätigte Djoser noch mal, während Peter eifrig hinzufügte: „Yeah, Djoser war mal ein echter Highlander, nicht wahr Bruderherz?"

„Ein Highlander? Ist das wahr?", fragte Edmond daraufhin fasziniert nach.

„Ich denke, wir sind nicht wegen meiner Abstammung hier, sondern um sicherzustellen, dass Jermyn unter keinen lebensbedrohlichen Krankheiten leidet und um Ihnen zu zeigen, dass Vampire durchaus in der Lage sind, sich um die Bedürfnisse eines Menschen zu kümmern", erinnerte Djoser den Doktor an den eigentlichen Grund ihres Besuches.

„Oh, ähm… ja natürlich. Bitte verzeihen Sie meine Neugierde", meinte Edmond rasch und versuchte sich weiter auf Jermyns Fuß zu konzentrieren. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass er ganz automatisch anfing Djosers Alter auszurechnen. Über seine ungefähre Schätzung erstaunt, sagte er: „Wenn das wahr ist, dann sind Sie mehr als dreihundert Jahre alt!"

„Ich bin 353 und jetzt konzentrieren Sie sich bitte auf Ihre Arbeit", mahnte Djoser mit ernster Miene.

„Verzeihung", erwiderte Edmond beschämt und wandte seinen Blick nun endlich auf Jermyns Wunde. Die beiden identischen Wunden jeweils rechts und links neben dem Knöchel verwirrten Edmond ein wenig, weshalb er verwundert meinte: „Das sieht so aus, als würde die Wunde direkt durch den Fuß ragen."

„Es war ein Achillesring", erklärte Peter dem Doktor.

„Wollen Sie etwa damit sagen, dass Jermyn hierdurch einen Ring trug?", fragte Edmond entsetzt nach.

„Yap, einen Achillesring", wiederholte Peter. Da der Doktor nicht den Eindruck machte, als würde er ihn verstehen, erläuterte er genauer: „Das ist ein relativ kleiner Ring, der hinter der Achillessehne durchgestochen und verschweißt wird. Dem Träger ist es danach unmöglich davonzulaufen, außer er schneidet sich die Sehne durch, doch wie Sie sich sicher vorstellen können, kann er danach noch weniger laufen."

Entsetzt wich Edmond zurück und rief: „Oh mein Gott, das ist ja barbarisch! Wie abartig müssen Vampire sein, um jemanden etwas so Schreckliches anzutun zu können?"

Djosers Geduld begann langsam zu schwinden. Ein wenig ungehalten sagte er: „Der Achillesring ist keine Erfindung der Vampire. Es ist eine alte Foltermethode aus dem Mittelalter, die in der menschlichen Geschichte in Vergessenheit geraten, bei manchen Vampiren jedoch noch sehr gut in Erinnerung ist. Besonders bei denen, die selber einmal einen getragen haben. Passen Sie auf, wen Sie hier als abartig und barbarisch bezeichnen, Doktor Lemon."

„Es mag sein, dass im Mittelalter solche Methoden herrschten, doch heutzutage würde kein Mensch so etwas Grausames einem jungen Mann wie Jermyn antun", verteidigte Edmond die menschliche Rasse.

Djoser sparte es sich, weiter mit dem Doktor über solche Dinge zu diskutieren. Er wusste genau, dass es auch in Zeiten der modernen Zivilisation Menschen gab, die noch viel grausamere Dinge ihren Mitmenschen antaten, als einen Ring durchs Fleisch zu schlagen. Stattdessen versuchte er möglichst ruhig und freundlich zu bleiben und fragte: „Haben Sie den Eindruck erhalten, dass Jermyn in meiner Obhut gequält und gefoltert wird?"

„Nein, das habe ich auch nie behauptet", erwiderte Edmond rasch.

„Sind Sie der Meinung, dass ich seine Wunden gut versorgt habe?"

„Ja, ganz ausgezeichnet sogar", musste der Doktor zugeben.

„Denken Sie, Peter und ich sind dazu in der Lage, uns um Jermyns tägliche Bedürfnisse, wie Nahrung, Schlaf und Hygiene zu kümmern, sodass er gesund bleibt?", fragte Djoser weiter.

„Nun, nachdem was ich bisher gesehen habe, ja", bestätigte Edmond.

„Wirkt er Ihrer Meinung nach so, als wäre er krank oder als würde er an einem schweren Gebrechen leiden?"

„Nein. Äußerlich macht er einen sehr guten Eindruck auf mich", antwortete Edmond und ahnte langsam, worauf Djoser hinauswollte.

„Gut, dann wäre die Sache hiermit erledigt. Wir gehen", meinte Djoser simpel und erhob sich von seinem Sitzplatz. Jermyn war darüber sichtlich erleichtert und folgte Djosers Beispiel. Er hatte befürchtet, sich vor dem Arzt ausziehen zu müssen, was ihm seltsamerweise unangenehm gewesen wäre, obwohl es ihn in Gegenwart der Vampire kaum gestört hatte.

„Aber ich habe doch noch gar nicht mit der Untersuchung begonnen", wollte Edmond noch einlenken, doch da waren Jermyn und Djoser bereits dabei, durch die Tür zu verschwinden.

Peter wollte ihnen gerade folgen, als sein Blick auf den Tisch fiel und er dabei eine Art Tagebuch aufgeschlagen liegen sah, in dem ein paar merkwürdige Notizen vermerkt waren. Neugierig fragte Peter nach: „Führen Sie über uns Buch?", während er ungeniert ein paar Seiten zurückblätterte.

„Lassen Sie das! Das ist persönlich", versuchte Edmond ihn aufzuhalten und wollte sich das Notizbuch greifen, doch Peter war schneller und las nun genauer. Dabei stellte er fest, dass sich die Notizen hauptsächlich um Karen drehten, weshalb er verwundert wissen wollte: „Wieso interessieren Sie sich für Karens Vergangenheit? Und woher zum Teufel haben Sie all diese Informationen? Weiß sie, dass Sie hinter ihr herspionieren?" Ohne es zu wollen, wurde Peter dabei immer lauter.

„Um Himmels Willen! Ich spioniere niemanden hinterher. Sie hat mich gebeten, sie zu unterrichten und ich bat sie, mir von ihrer Vergangenheit zu erzählen, damit ich mir einen Eindruck von ihrem Bildungsstand machen kann. Die Geschichte ihrer Kindheit hatte mich sehr bewegt, deshalb habe ich es schriftlich erfasst. Ich tue das manchmal, um persönliche Dinge besser verarbeiten zu können. Einer meiner Professoren hatte mir dies einmal empfohlen, als ich noch studierte", bemühte sich Edmond den Vampir zu überzeugen.

Betroffen, über die persönlichen Dinge von Karen, die Peter aus dem Notizbuch erfuhr, gab er es Edmond stumm zurück und verließ ohne ein Wort des Abschieds das Zimmer. Edmond blickte noch eine ganze Weile auf die geschlossene Tür und fragte sich ernsthaft wie es ihm immer wieder gelang, die Vampire auf ihn wütend zu machen.

 

*****

 

Am darauf folgenden Nachmittag, als Peter im großen Eingangsbereich ankam, um sich nach einer Beschäftigung umzusehen, fiel seine Aufmerksamkeit auf Karen, welche sich weit abseits der anderen zurückgezogen hatte und konzentriert über einem Buch lehnte. Mit lautlosen Schritten näherte er sich ihr und lugte verstohlen über ihre Schulter, um zu sehen in welche Art von Literatur sie so versunken war. Als er erkannte, dass es eine eher langweilige Lektüre über Naturwissenschaften war, konnte er sich einen neckenden Kommentar nicht verkneifen und sagte: „Suchst du nach etwas bestimmten?"

Sich seiner Anwesenheit bisher nicht bewusst, schreckte Karen hoch und funkelte ihn sogleich mit kampflustigen Augen an, was ihn jedoch nur noch mehr amüsierte und weshalb er weiterbohrte: „Stimmt es, dass du seit neuestem nach Wissen strebst?"

„Wüsste nicht, was dich das angeht?", erwiderte sie trotzig und versuchte ihn bewusst zu ignorieren, um weiter ihr Buch zu studieren.

Davon wenig beeindruckt, setzte sich Peter absichtlich direkt neben sie an den Tisch und beugte sich penetrant nahe an sie heran, um ebenfalls in dem Buch lesen zu können.

„Hol dir gefälligst ein eigenes Buch", motzte sie erbost und rückte einen Platz weiter.

„Auch wenn du alle Bücher der Welt auswendig lernst, wird Djoser dich nicht verwandeln", informierte Peter sie, während er sie musternd beobachtete.

Ein kurzer Schmerz huschte über ihr Gesicht, doch dieser wurde sogleich von ihrem unverkennbaren Trotz überschattet, mit dem sie ihm nun entgegenblickte. So herablassend und selbstsicher wie es ihr möglich war, erwiderte sie ihm: „Ich habe nun andere Pläne für meine Zukunft. Djoser kann meinetwegen verwandeln wen er will, das ist mir egal."

„Ah, ich verstehe, dann willst du nun Professorin werden? Oder gar Wissenschaftlerin? Oder strebst du noch höhere Ziele an? Willst du etwa Präsidentin werden?", neckte er sie weiter.

„Das geht dich gar nichts an", erwiderte sie sofort, meinte dann aber etwas verunsichert: „Wie kommst du darauf, dass ich Präsidentin werden will?"

„Nun ja, nachdem du dich als Vampir auch nicht mit einem einfachen Rang zufrieden gegeben hättest, sondern gleich erste Centra werden wolltest, dachte ich, dass du auch als Mensch sofort hoch hinaus willst", erklärte er ihr voller Sarkasmus.

„Was ist so falsch daran erste Centra werden zu wollen?", fragte sie nach, wobei ihr Schmerz nun deutlich in ihren Augen lag.

„Was ist falsch daran Centradu zu sein? Oder Centra eines Centradus?", stellte Peter die Gegenfrage und erhob dabei eine Augenbraue.

Noch bevor Karen darauf antwortete, spiegelte sich auf ihrem Antlitz wider, wie lächerlich sie diesen Vorschlag fand und sie fügte schließlich hinzu: „Ehe ich mich von dir verwandeln lasse, begehe ich Selbstmord!"

Dies kränkte Peter mehr als er es sich selbst eingestehen wollte, weshalb er im ersten Augenblick zu keiner Reaktion fähig war. Er fing sich jedoch recht schnell und überspielte seine wahren Gefühle, indem er möglichst äußerlich unbekümmert behauptete: „Du wärst der letzte Mensch auf Erden, den ich verwandeln würde."

„Fein! Dann sind wir uns ja einig!", erwiderte Karen trotzig, denn insgeheim hatte sie sich eine andere Reaktion von Peter erhofft.

„Yeah, das sind wir!", betonte Peter ebenso trotzig und erhob sich abrupt von seinem Sitzplatz, um nicht länger in der Nähe dieser störenden Person sein zu müssen. Als er sich abwenden wollte, kam er jedoch nicht weit, denn ein ziemlich muskulöser Körper versperrte ihm plötzlich den Weg. Mateo stand nun direkt vor ihm und brummte muffig: „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst mein Mädchen in Ruhe lassen?"

„Krieg dich wieder ein. Die Kleine würde ich nicht mal mit Handschuhen anfassen", betonte Peter möglichst lässig. Mit Erleichterung stellte er fest, dass Mateo nicht allein war, sondern dass Noel und Zaida ihm gefolgt waren. Er wollte sich nur ungern mit Mateo anlegen müssen.

Mateo entschied, Peter einfach zu ignorieren und meinte stattdessen zu Karen: „Karen komm, wir reisen ab."

„Was? Ich kann jetzt nicht abreisen!", erwiderte sie energisch und sprang entsetzt von ihrem Platz auf, als wollte sie im Notfall vor Mateo davonlaufen.

Zaida hatte keine Zeit für lange Diskussionen, weshalb sie ruhig einlenkte: „Karen, bitte. Du hast selbst gesehen, dass du keine Chancen bei Djoser hast, also tu uns bitte allen einen Gefallen und benimm dich einmal wie eine Erwachsene und geh ohne Widerrede mit."

Gekränkt darüber, dass alle sie wie ein kleines Mädchen behandelten, beschwerte sie sich lautstark: „Djoser ist nicht der Grund, warum ich bleiben will. Der Doktor hat mir versprochen, mich zu unterrichten. Ich will lernen. Ich bin alt genug, um auf eigenen Beinen zu stehen. Er will mir helfen meine Versäumnisse aufzuholen, damit ich einen Schulabschluss machen kann."

Ein Blick in ihre Gedanken ermöglichte es Zaida zu erkennen, dass Karen es damit wirklich ernst meinte. Karens flüchtiger Blick zu Peter sagte ihr noch zusätzlich, dass es außer Djoser noch andere Vampire im Clan gab, von denen Karen sich erhoffte, verwandelt zu werden. Auch wenn ihr dies selbst vielleicht noch nicht bewusst war.

Zaida dachte eine Weile darüber nach, was für Karen das Beste sein würde. Wegen der unbekannten Gefahr, die ihnen drohte, wollte sie möglichst rasch zu ihrem Clan zurückkehren. Vor allem, da einer von Noels Leuten noch immer spurlos verschwunden blieb. Doch falls tatsächlich eine Gefahr auf offener Straße auf sie lauerte, dann war es für Karen womöglich bei den Atlairs sicherer, als sie auf die Reise mitzunehmen.

Zudem gab es da einen weiteren entscheidenden Gesichtpunkt, den sie berücksichtigen musste. Mateo hatte sich seit einiger Zeit weniger um seine eigenen Nachkommen gekümmert, weil er zu sehr damit beschäftigt gewesen war, die widerspenstige Natur des Mädchens im Zaum zu halten. Etwas Abstand von ihr würde ihrem Centra gewiss gut tun. An Noel gerichtet, meinte sie deshalb mit überraschend seidiger Stimme: „Ich würde es ihr erlauben, wenn einer deiner Leute sich bereit erklären würde, sich um sie zu kümmern. Vielleicht will Peter diese Bürde übernehmen?"

Ein deutliches Entsetzen über diese Möglichkeit stand sowohl Karen, Mateo, als auch Peter auf das Gesicht geschrieben.

„Du kannst Karen unmöglich der Obhut dieses Winzlings übergeben wollen", meinte Mateo ungläubig.

„Hey, wer ist hier ein Winzling, du Fleischklops", konterte Peter sofort, ohne Mateo den gebotenen Respekt zu erweisen, was ein absolut typisches Verhalten für ihn war.

Erzürnt schnellte Mateos Hand hervor und packte Peter am Hals. Finster funkelte er ihm entgegen und knurrte drohend: „Wie nennst du mich?"

„Ich nenn dich wie ich will, du Riesenwarzenschwein. Wenn du mich nicht sofort loslässt, dann knall ich dir eine!", presste Peter aus zusammengepresster Kehle hervor.

Mateo lachte ungerührt und kommentierte herablassend: „Er kann nicht mal auf sich selbst aufpassen, wie soll er sich dann um mein Mädchen kümmern können? Ich bin dafür, dass Karen bei mir bleibt."

„Vielleicht hast du recht?", erwiderte Zaida mit einem fragenden Blick zu Noel, welcher das Schauspiel bisher unbekümmert beobachtet hatte und nun zu seinem Centradu sagte: „Wieso zeigst du Mateo nicht, dass du durchaus in der Lage bist, auf dich und Karen aufzupassen?"

Über diese Aussage überrascht, blickte Peter zu seinem Sirus, um sicherzugehen, dass dies auch ernst gemeint war. Als Noel ihm schließlich bestätigend zunickte, hielt Peter sich nicht länger zurück, sondern ging zum Angriff über. Blitzschnell schlug er Mateo mit der flachen Hand direkt gegen die Nase, sodass diesem sofort Tränen in die Augen schossen und er Peter mehr aus Reaktion heraus losließ. Er gab Mateo keine Gelegenheit, einen klaren Blick zu erlangen, sondern schenkte ihm sofort ein paar kräftige Fausthiebe, ebenfalls direkt ins Gesicht. Allerdings zeigten diese Schläge kaum nennenswerte Wirkung bei Mateo, sondern machten ihn nur noch wütender.

Als dieser sich wieder gefangen hatte, ließ er seine ganze Kraft in seinen Faustschlägen mitschwingen, die jedoch das gewünschte Ziel kläglich verfehlten, da Peter wendig genug war, um Mateos Angriffen gekonnt auszuweichen. Wie ein unruhiger Falter hüpfte er um Mateo herum und erzürnte ihn noch mehr, indem er ihn immer wieder mit dem Finger piekste, als wäre das alles ein harmloses Spiel unter Kindern.

Es gelang Peter mit Leichtigkeit genügend Abstand zwischen sie zu bringen, sodass Mateo ihm immer wieder folgen musste. Auf diese Weise tänzelte sich Peter durch den halben Raum. Mittlerweile waren die beiden zur allgemeinen Hauptattraktion geworden, weshalb sich einige der Vampire um sie herum versammelt hatten. Deshalb stieß Peter bei seinen Ausweichaktionen des Öfteren gegen einen der schaulustigen Vampire, was Mateo immer wieder neue Angriffsmöglichkeiten bot und wodurch Peter ein paar empfindliche Schläge einstecken musste.

Allmählich passte sich Mateo an Peters außergewöhnlichen Kampfstil an. Schließlich war er um einiges erfahrener und durch sein hohes Alter auch viel stärker als Peter. Dennoch kostete es ihn viel Anstrengung den flinken Bewegungen des Jüngeren zu folgen.

Schließlich bekam Mateo seinen Gegner zu fassen und drängte ihn mit aller Wucht zu Boden. Durch die mächtige Körpermasse gefangen, lag Peter unter ihm auf dem Boden, doch sein Blick war triumphierend, weshalb Mateo ihn anfuhr: „Was gibt’s da zu grinsen? Ich habe dich besiegt!"

Peters Grinsen wurde breiter, als er mit knapper Luft erwiderte: „Das denkst du." Ein deutliches Klickgeräusch ertönte und die unmissverständliche Spitze einer scharfen Klinge drückte sich unerwartet gegen Mateos Männlichkeit. Während Peters ungeschickt wirkenden Ausweichmanövern hatte dieser sich von einem der Kalkadore unbemerkt ein kleines Klappmesser geklaut.

Mit verständlicher Vorsicht richtete Mateo sich nun auf und lugte argwöhnisch auf die drohende Klinge herab, während Peter sich ebenfalls mit ihm aufrichtete und Mateos Bewegungen genau im Auge behielt. Sich in seinem Stolz verletzt fühlend, schlug Mateo das Messer schließlich ungeachtet zur Seite, sodass er seine Hand an der scharfen Klinge verletzte, und ging erneut auf Peter los.

„Genug, das reicht!", rief Noel aus und befahl den beiden Vampiren Einhalt.

Der stolze Mateo musste schwer mit sich kämpfen, um dem Ruf des Clanführers zu folgen. Als er sich schließlich beruhigt hatte, ging Noel auf ihn zu und meinte: „Es steht außer Frage, dass du viel älter und stärker bist als er. In einem echten Kampf würdest du ihn gewiss besiegen, sobald du hinter alle seine Tricks gekommen bist, doch du musst zugeben, dass er durchaus im Stande ist, sich zu verteidigen und selbst einen so stattlichen Vampir wie dich eine Zeitlang in Schach halten kann. Zum Beispiel lange genug, damit sich das Objekt der Begierde unbemerkt davonstehlen kann."

Ein suchender Blick in Karens Richtung zeigte Mateo recht schnell, was Noel damit meinte. Während seines Kampfes hatte er nicht bemerkt, wie diese sich davongeschlichen hatte. Dies war typisch für sie. Immer wenn es für sie brenzlig wurde, versteckte sie sich so, dass niemand sie so schnell finden würde, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte, oder in diesem Falle, bis Mateo, Zaida und Nathaniel ohne sie abreisen würden.

Mateo musste zugeben, dass er Peter ziemlich unterschätzt hatte, weshalb er zögernd meinte: „Dafür, dass du so ein Winzling bist, kämpfst du nicht schlecht."

Frech grinsend reichte Peter ihm seine Hand und erwiderte: „Dafür, dass du so ein riesiger Fleischklops bist, kämpfst du beinahe wie ein richtiger Vampir."

Kurz zögerte Mateo und überlegte, sich einfach abzuwenden, doch in Peters grünen Augen funkelte nicht nur Dreistigkeit, sondern auch eine offene Freundlichkeit, die Mateo gerne bereit war zu erwidern. Schließlich hatte Peter wirklich bewiesen, dass er auf Karen aufpassen konnte, weshalb er die offene Hand lächelnd annahm, Peter nicht gerade sanft an seine Brust drückte und ihm kräftig auf den Rücken klopfte.

„Pass mir gut auf mein Mädchen auf, sonst prügle ich dich windelweich", meinte Mateo leise, sodass es nur Peter hören konnte. Laut fügte er dann rasch hinzu: „Ich beglückwünsche Noel zu solch einem Centradu. Er hat mit dir eine gute Wahl getroffen."

Dies war ein sehr großes Kompliment, das Peter gleichwertig zurückgab, indem er sagte: „Dasselbe kann ich auch über Zaida sagen. Du bist eines zukünftigen Clanführers würdig."

Damit war es beschlossene Sache. Karen blieb bis auf weiteres bei den Altairs und Peter hatte das zweifelhafte Vergnügen auf sie aufzupassen.

 

 


 

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