Kapitel Fünf – Der verlorene Sohn

Die nächsten Wochen war es sehr ruhig unter den Vampiren. Für einige unter ihnen zu ruhig.

Das bestehende Ausgangsverbot nagte allmählich an den Nerven aller Clanmitglieder. Nur mit Noels ausdrücklicher Erlaubnis war es den Vampiren gestattet, das sichere Versteck zu verlassen. Und Noel erteilte eine solche Erlaubnis nur sehr selten.

Der Einzige, der von dieser Regelung profitierte, war Edmond. Aufgrund der Ausnahmesituation war er oben in das Haus eingezogen und stellte fortan wahrlich eine Verbindung zur Außenwelt dar. Nachdem sichergestellt war, dass er den Geruch der Altairvampire vollkommen abgelegt hatte, erledigte er diverse Einkäufe und Botengänge. Er sorgte dafür, dass der großzügige Blutvorrat nicht zur Neige ging und machte die notwendigen Einkäufe für Karens und Jermyns menschliche Nahrung.

Selbst Karens Anwesenheit sorgte kaum für Abwechslung unter den Vampiren. Widererwarten verhielt sie sich sehr gesittet und steckte ihre Nase nur in die Bücher, die Edmond ihr besorgte. Das einzige, was sich nicht geändert hatte, waren die kleinen Plänkeleien zwischen ihr und Peter, die mittlerweile zum täglichen Ritual geworden waren.

Jermyns Verfassung war besser geworden. Zwar war er noch immer sehr ängstlich, weshalb er kaum einen Schritt von Djosers Seite wich, jedoch ließen seine Alpträume allmählich nach und auch sein Bein war schon beinahe verheilt. Nur noch eine runde Narbe und sein leichtes Hinken erinnerten an den Ring, den er einst tragen musste.

Was Noel sehr belastete, war das spurlose Verschwinden eines Clanmitgliedes, das seit Wochen vermisst blieb, und eine beunruhigende Veränderung seiner Beziehung zu seinen Söhnen. Vor allem Djoser schottete sich regelrecht von ihm ab und auch Peter wirkte ihm gegenüber verändert. Es schien beinahe so, als hätte das enge Band zu seinen Centras nur deshalb bestanden, weil Joshua krank gewesen war, doch dies wollte Noel nicht wahrhaben. Er vermisste das innige Verhältnis zu seinen Centras. Besonders unter Djosers distanzierter Haltung litt er sehr und ihm fehlten die kleinen Reibereien mit Peter, weshalb er sich manchmal dabei ertappte, wie er innerlich eifersüchtig auf Karen reagierte.

Auch seine Beziehung zu Joshua hatte besorgniserregende Veränderungen angenommen, was ihn ebenfalls sehr belastete. Der Grund dafür war für ihn nicht deutlich sichtbar, doch er spürte, dass etwas zwischen ihnen lag. Doch seine momentanen Sorgen erlaubten ihm nicht die notwendige Ruhe, um sich nähere Gedanken darüber zu machen. Anderes war im Augenblick wichtiger, als seine persönlichen Beziehungsprobleme, weshalb er dieses Gefühl weitgehend ignorierte.

Es konnte so jedoch nicht weiter gehen, weshalb Noel ein Gespräch mit seinem Centradu suchen wollte. Über Peter könnte er vielleicht schon mal erfahren, weshalb sich Djoser ihm gegenüber so kühl verhielt, denn die beiden Brüder waren schier unzertrennlich.

Deshalb machte sich Noel auf die Suche nach seinen Söhnen, doch zu seinem Schrecken war keine Spur von den Beiden zu finden. Jermyn war alleine in Djosers Zimmer und konnte Noel keine Auskunft geben, wo sich sein Centra befand und auch Karen konnte ihm nicht sagen, wo sich Peter gerade aufhielt. Ganz offensichtlich waren sie entgegen dem Verbot nach oben gegangen.

Darüber sehr verärgert, machte es sich Noel in Djosers Zimmer gemütlich und wartete auf die Rückkehr seiner Söhne.

 

*****

 

„Das gefällt mir ganz und gar nicht. Wir sollten zurückgehen, bevor Noel merkt, dass wir den Clan verlassen haben", drängte Peter zum wiederholten Male.

„Jetzt stell dich nicht so an. Du bist doch sonst auch nicht so", erwiderte Djoser ohne Verständnis für Peters Bedenken, während er ein dunkelblaues Hemd mit seidig schimmernden Stoff an Peters Brust hielt, um die richtige Größe schätzen zu können.

„Was ist, wenn uns diese mysteriöse Gefahr begegnet?", gab Peter unsicher zu bedenken.

„Unsinn. Ich wette, die gibt es gar nicht. Oder hast du in den letzten Wochen irgendetwas gesehen oder gehört, was auf eine dunkle, mysteriöse Gefahr hindeutet?", winkte sein Bruder sorglos ab, während er weitere Hemden und T-Shirts abwechselnd gegen Peters Brust hielt.

Leicht gereizt schob er die Kleidungsstücke von sich und motzte: „Und was ist dann mit Thomas passiert? Glaubst du, er hat sich in Luft aufgelöst?"

„Vielleicht hatte er keine Lust mehr im Clan zu bleiben", erwiderte Djoser noch immer wenig besorgt.

„Ja sicher. Das glaubst du doch selbst nicht. Thomas klebte wie ein Bilderbuch-Centra an Jacob. Eher fress’ ich einen Besen, bevor ich glaube, dass er den Clan absichtlich verlassen hat", brummte Peter missmutig.

Von Peters ewigen Bedenken genervt, legte Djoser seine Hand in Peters Nacken, blickte ihm direkt in die Augen und betonte: „Jetzt hör endlich auf, mir auf die Nerven zu gehen. Wir machen nur einen kleinen Abstecher, um Jermyn was Anständiges zum Anziehen zu kaufen. Noel wird nicht einmal merken, dass wir weg waren und es wird auch keine bescheuerte Gefahr kommen und uns bedrohen. Hast du mich verstanden?" Er unterstrich seine Worte, indem er den Griff um Peters Nacken ein klein wenig verstärkte, wodurch Peter automatisch seinen Kopf leicht zurücklegte und damit seinen Hals offenbarte. Ein feines Lächeln spiegelte sich daraufhin auf Djosers Lippen, während Peter schwer schluckte.

„Ich habe verstanden", erwiderte Peter rasch, um seine bereitwillige Haltung zu zeigen.

„Wir werden jetzt diese paar Sachen hier einkaufen und danach gehen wir wieder zurück. Und ich will kein Wort mehr über irgendeine Gefahr hören, ist das klar?", fragte Djoser mit schneidender Stimme, während er Peter noch immer in einem dominierenden Griff festhielt.

„Ja", hauchte Peter, während er die Augen zukniff.

 

*****

 

Seltsame elektronische Pieplaute erweckten seit einigen Minuten Noels Aufmerksamkeit. Jermyn hatte sich in seiner Gegenwart nicht besonders wohl gefühlt und lenkte sich selbst ab, indem er sich mit einer Videospielkonsole die Zeit vertrieb. Diese hatte ihm Peter erst vor kurzem im Zimmer aufgebaut. Zusammen mit einem kleinen Fernseher, der nun vor der Couch stand.

Bisher hatte sich Noel noch nie mit solchen Elektronikschnickschnack beschäftigt und auch nie verstanden wie sich manche seiner Clanmitglieder stundenlang damit beschäftigen konnten. Er zog es lieber vor, seine Zeit mit der klassischen Methode zu vertreiben, indem er ein gutes Buch las.

Während er auf seine Söhne wartete, beobachtete er das Geschehen auf dem Bildschirm, wobei er erstaunt feststellen musste, dass dieses Spiel durchaus amüsant auf ihn wirkte.

Bis auf die Geräusche aus dem Fernseher, herrschte eisige Stille zwischen den Beiden. Auch wenn Jermyn inzwischen sicher war, dass Noel ihm nichts antun würde, fühlte er sich in der Gegenwart des Clanführers noch immer unsicher, was mehr daran lag, weil er sich der großen Macht bewusst war, die Noel über den Clan hatte.

Für einen Augenblick vergaß Noel, weshalb er gerade in diesem Zimmer saß, weil er so sehr in das Spiel vertieft war. Eher unbewusst unterbrach er die Stille, um Jermyn Tipps und Hilfestellung zu geben, wodurch sich plötzlich ein kurzer Moment friedlichen Zusammenseins entwickelte und Jermyn schließlich seine Angst vollkommen verlor.

Doch dieser Augenblick wurde jäh zerstört, als Joshua plötzlich zur Tür hereinstürmte und mit sorgenvoller Miene rief: „Noel schnell! Es ist was passiert!"

 

*****

 

Als Noel die große Treppe nach oben zur Wendeltreppe eilte, die zum geheimen Eingang des Hauses führte, kamen ihm seine Söhne bereits entgegen. Der Anblick der beiden schockte ihn zutiefst. Beide wurden von anderen Clanmitgliedern gestützt, da sie sich nur mühevoll auf den eigenen Beinen halten konnten. Zahlreiche Schrammen und offene, blutende Wunden zeugten von einem schweren Kampf.

Djoser hielt ein blutgetränktes Tuch gegen seine Stirn gedrückt, wo er offensichtlich verwundet war. Er wich Noels Blicken aus, zeigte aber mit seiner Körperhaltung, dass er sich keiner Schuld bewusst war. Peter schien eine schwerere Wunde an der Brust zu haben, die er sich mit der Hand zudrückte, wobei Blut durch den Stoff seines Shirts und zwischen seinen Knöcheln hervorquoll. Als dieser seinen Sirus erblickte, sank er mühevoll auf seine Knie herab und bat mit einer eindeutigen Haltung um Verzeihung, indem er den Kopf leicht schräg senkte.

Dieser Anblick schockte Noel noch mehr als die Verwundungen seiner Söhne. Nie hätte er geglaubt, Peter jemals in einer solchen Stellung zu sehen. Nicht so und nicht ihm gegenüber. Auch wenn sein Centradu sehr oft aufmüpfig und anstrengend war, so hatte er sich ihm nie wissentlich widersetzt oder gegen seine Anweisungen gehandelt. Für dieses Verhalten musste es einen Grund geben und Noel brannte darauf diesen Grund zu erfahren.

Betroffen trat er vor seinen Centradu und berührte ihn leicht an der Wange, worauf Peter seinen Kopf unbewusst weiter zur Seite neigte und seinem Sirus damit einen deutlichen Blick auf einige Bisswunden zeigte, die zuvor unter dem Kragen seiner Lederjacke verborgen waren. Es waren keine üblichen Bisse, die im Laufe eines gewöhnlichen Sexspiels zustande kommen, sondern eindeutige Zeugnisse einer Dominierung durch einen anderen Vampir. Etwas harscher, als er es eigentlich wollte, griff er nach Peters Kopf und legte ihn zurück, um sich die Bisswunden genauer ansehen zu können, worauf ein leichtes Stöhnen von Peters Lippen entwich, was Noel in seinem Verdacht nur noch mehr bestätigte. Jemand übte Macht über seinen Sohn aus und er ahnte, wer derjenige war.

Seit ihrer kleinen Demonstration für Jermyn hatte sich das Verhältnis zwischen Djoser und Peter in eine einseitige Richtung gewandelt. Djoser übernahm vollkommen die Führungsrolle und Peter ließ sich zu weit in seine unterwürfige Seite zurückdrängen. Anfangs hatte Peter dies zugelassen, um seinen Bruder aus seiner Lethargie zu helfen, was auch recht gut funktioniert hatte, doch er hatte sich zu weit fallen gelassen. Ihm fehlte der notwendige Ausgleich, weshalb er schließlich zu sehr in seiner Untergebenenrolle gefangen war und von alleine nun nicht mehr herauskam. Djoser hatte die feine Grenze zwischen gesundem Rollenspiel und absichtlicher Manipulation bewusst überschritten. Er hatte gemerkt, dass Peter sich zu weit hatte zurückdrängen lassen und die Gelegenheit wissentlich genutzt, um ihn zu beherrschen.

„Es war nicht seine Schuld", mischte sich Djoser furchtlos ein, stellte sich schützend vor seinen Bruder und drängte sich dadurch direkt vor seinen Sirus, das blutige Tuch in seiner geballten Hand haltend und zu einer offenen Auseinandersetzung bereit.

Angetrieben von all der Wut und dem Schmerz, welche Noel in diesem Augenblick verspürte, schlug er Djoser mit dem Handrücken ins Gesicht. Es war kein fester Schlag, sondern der klare Ausdruck seiner Enttäuschung über seinen Centra, und dies war viel schmerzvoller als eine richtige Ohrfeige.

„Was ist hier passiert?", fragte Noel schließlich, wobei ein bedrohliches Vibrieren in seiner Stimme lag.

„Wir wollten nur…", setzte Djoser zu erklären an, doch Noel unterbrach ihn mit einem scharfen: „Von dir will ich nichts hören!"

Den Zorn seines Sirus’ deutlich auf sich spürend, senkte Djoser schließlich seinen Blick und verstummte.

Erst dann fiel Noels Aufmerksamkeit auf einen ihm unbekannten Vampir, der weiter hinten von Jacob bewacht wurde. Dieser kniete geknebelt und gefesselt auf dem Boden und blickte ihm mit einem abschätzenden Blick entgegen.

„Wer ist das?", fragte Noel an seinen Bruder gerichtet, worauf dieser respektvoll antwortete: „Wir wissen es nicht, mein Sirus."

„Kannst du mir erklären, weshalb meine Söhne blutüberströmt sind?", fragte Noel weiter und kämpfte darum, seine Geduld nicht zu verlieren.

„Ich weiß es nicht genau. Oben im Haus gab es einen Kampf, in den deine Söhne und zwei fremde Vampire verwickelt waren. Mir sind die genaueren Umstände nicht bekannt, doch ich weiß, dass allein durch Dr. Lemons umsichtiges Verhalten Schlimmeres verhindert wurde", erklärte Jacob seinem Bruder soviel er wusste.

„Ein Kampf zwei gegen zwei und ihr wart auf die Hilfe eines Menschen angewiesen?", wiederholte Noel entsetzt, während sein Blick fassungslos zwischen seinen Söhnen wechselte.

Peter schwieg, da er sich seiner erbärmlichen Lage bewusst war und sich sehr schämte. Und Djoser wagte nicht zu antworten, da ihm sein Sirus zuvor das Wort verboten hatte. Doch Noel wollte in diesem Moment auch gar keine Antworten haben. Zumindest nicht von seinen Söhnen.

Zu seinem Centradu meinte er schließlich: „Um Himmels Willen steh endlich auf!" Daraufhin erhob sich Peter von seiner demütigen Haltung, wagte es jedoch nicht, seinem Sirus direkt in die Augen zu sehen. Noel hatte solch ein Verhalten bisher nur einmal gesehen und dies war bei einem Mora, den Altair zu Demonstrationszwecken gebrochen hatte, um seine Macht über seine Untertanen zu zeigen.

Er musste sich seine beiden Söhne nur genauer ansehen, um zu begreifen, was zwischen ihnen vorgefallen war. Wütend auf sich selbst, dass er nicht viel früher erkannt hatte, dass seine Söhne gegen ihre natürlichen Bedürfnisse gehandelt hatten und sich damit auf einer selbstzerstörerischen Linie bewegten, wandte er sich Hilfe suchend zu Joshua um. Dieser hatte genau wie er erkannt, was mit Peter und Djoser los war. Mit einem zuversichtlichen Blick meinte er zu seinem Sirus: „Ich kann mich um Peter kümmern, wenn du es möchtest."

Peter brauchte dringend Abstand zu Djoser und er brauchte einen Ausgleich zu seiner devoten Phase. Joshua bot sich mehr oder weniger selbst an, Peter diesen Ausgleich zu geben, was angesichts seines Ranges nur mit Erlaubnis seines Sirus möglich war.

„Einverstanden", sagte Noel mit einem dankbaren Nicken. Er wusste Peter bei Joshua in besten Händen und brauchte sich deshalb keine Sorgen mehr um seinen Centradu zu machen. Peter stützend, führte Joshua ihn die Treppe hinab und zu Noels Zimmer.

Doch um Djoser würde Noel sich selbst kümmern müssen, womit ihm eine sehr schwierige Aufgabe bevorstand. Zuerst einmal musste er herausfinden, wie es überhaupt soweit kommen konnte, und weshalb sein Centra sich so untypisch verhielt.

„Du begibst dich sofort nach unten in den Trainingsraum und wartest auf mich. Dort werden wir beide ein längeres Gespräch führen", gab Noel Djoser einen Hinweis darauf, was ihn sehr bald erwarten würde.

Als Antwort nickte Djoser nur kurz und wollte ohne ein Zeichen seines Respekts davongehen, worauf Noel zwei nebenstehenden Kalkadoren die Anweisung gab ihn zu begleiten, um sicherzustellen, dass er den Befehl auch direkt befolgen würde. Denn er ahnte, dass Djoser vorher noch woanders vorbeisehen wollte.

Djoser passte es gar nicht, dass er eine Eskorte auf den Hals bekam und protestierte deswegen: „Ich muss zu Jermyn und ihm bescheid sagen, wo ich bin."

„Das musst du nicht! Du hast ihm ja auch nicht bescheid gesagt, als du dich davongeschlichen hast", informierte ihn Noel mit einer deutlichen Warnung in den Augen.

„Vater, bitte, ich will ihm nur…", versuchte Djoser seinen Sirus zu beschwichtigen, doch Noel schnitt ihm das Wort ab und mahnte streng: „Du tust, was ich dir sage! Noch ein Wort und ich führe unser Gespräch hier sofort unter den Augen jedes einzelnen Clanmitgliedes!"

Dies war eine mehr als deutliche Drohung und Djoser ahnte, dass sich das angekündigte Gespräch womöglich nicht nur auf Worte beschränken würde, was unter den Augen des gesamten Clans sogar noch unwahrscheinlicher war und eine große Schande nach sich ziehen würde. Deshalb fügte er sich dem Willen seines Sirus’ und schritt davon, ohne jedoch seinen Widerwillen dabei zu verbergen.

Erst als Djoser außer Sichtweite war, ließ die Anspannung von Noel etwas nach. Er fragte sich, wie es nur so weit kommen konnte und machte sich große Vorwürfe, dass er nicht schon früher genauer auf das Verhalten seiner Söhne geachtet hatte. Er strich sich mit der flachen Hand selbst über den Nacken, wobei er erschüttert feststellte, dass er wieder ein leichtes Zittern in einer Hand hatte.

„Noel?", hörte er die sanfte Stimme seines Bruders, womit er zurück in die Gegenwart gerissen wurde.

„Wo ist der Doktor?", fragte Noel, ohne sich seine kurze Abwesenheit anmerken zu lassen.

„Er ist oben. Ein paar unserer Leute sind noch bei ihm und helfen, die Schäden zu beseitigen. Was soll ich mit dem Gefangenen machen?"

„Bring ihn hinunter und versuche in Erfahrung zu bringen wer er ist, und was er vorhatte", wies Noel seinen Bruder an.

„Ja, mein Sirus", erwiderte dieser respektvoll und zerrte den Gefangenen auf die Beine, um ihn gemeinsam mit einem der Kalkadore hinunter zu führen.

Noel nutzte die Gelegenheit, um oben im Haus nach dem Rechten zu sehen. Dort waren Edmond und zwei der Clanmitglieder in der Tat noch immer damit beschäftigt aufzuräumen und Teile von zertrümmerten Möbeln für den Abtransport zusammenzutragen. Hier lag auch noch die Leiche des zweiten Angreifers, welche sichtbare Brandspuren aufwies, mitten im Schlafzimmer.

Eine umgeworfene Einkaufstüte, welche das Logo eines ihm bekannten Geschäftes trug und aus der ein paar Kleidungsstücke halb heraus gefallen waren, gab Noel schließlich die Erklärung, aus welchem Grund seine Söhne den Clan unerlaubt verlassen hatten.

Als Noel den Doktor erblickte, fragte er ihn sofort: „Edmond! Können Sie mir erklären, was hier passiert ist?"

„Ähm, ja. Ich denke, das kann ich", meinte Edmond zunächst etwas verwirrt, da er dachte, Noel hätte die Informationen bereits von seinen Söhnen erhalten und legte deshalb die Sachen zur Seite, die er gerade wegräumen wollte, um anschließend mit seinem Bericht zu beginnen: „Ich war ziemlich überrascht, als Peter und Djoser von draußen hereinkamen. Ich wollte gerade fragen, ob die Ausgangssperre nicht mehr gültig sei, als plötzlich zwei Männer hinter den beiden hereinstürmten und direkt auf Peter und Djoser losgingen. Ich lief sofort ins Schlafzimmer und sicherte den Eingang nach unten, damit die Eindringlinge ihn nicht entdecken würden, während hier im Wohnzimmer das Chaos ausbrach. Peter und Djoser hatten sehr große Mühe, sich gegen die Angreifer zu behaupten. Mir war klar, dass es Vampire waren, gegen die ich wenig ausrichten konnte, doch ich konnte unmöglich tatenlos daneben stehen, also griff ich zu einem Trick, den ich während meines Studiums gelernt hatte." Erklärend griff er sich dabei eine Dose Haarspray und zeigte sie Noel.

Dieser schlussfolgerte schließlich: „Sie haben einen Feuerwerfer gebaut?"

„Ja, und ich zielte damit auf einen der Angreifer", beendete er seinen Bericht.

Damit war Noel nun einiges klarer und nun verstand er auch, was Jacob damit gemeint hatte, als er von Edmonds umsichtigem Verhalten gesprochen hatte. Es war weniger die Tatsache, dass Peter und Djoser sich nicht alleine verteidigen konnten, sondern die sofortige Reaktion den Eingang zum Clan für die Eindringlinge unkenntlich zu machen. Damit hatte Edmond zweifellos bewiesen, dass er dem Vertrauen gerecht wurde, das Noel in ihn gesetzt hatte.

„Ich danke Ihnen, Edmond. Anstatt sich selbst in Sicherheit zu bringen, haben Sie zuerst an die Sicherheit unseres Clans gedacht. Ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken. Gibt es irgendeinen Wunsch, denn ich Ihnen dafür erfüllen kann?", bot Noel dem Doktor offen an.

„Einen Wunsch?", wiederholte Edmond etwas überrumpelt von dem Angebot und wusste nicht so recht, was er darauf sagen sollte.

„Denken Sie darüber nach. Wenn ich etwas für Sie tun kann, das in meiner Macht steht, werde ich es für Sie tun. Geben Sie mir einfach bescheid, wenn Ihnen etwas einfällt", meinte Noel freundlich und machte anschließend kehrt, um zurück nach unten zu gehen. Hier oben gab es nichts mehr für ihn zu tun und er hatte noch eine sehr schwierige Aufgabe vor sich.

„Warten Sie!", rief Edmond ihm noch nach, als er bereits aus dem Wohnzimmer gegangen war, und folgte ihm aufgeregt. Noel blieb wie aufgefordert stehen und wandte sich erwartungsvoll zu ihm um. „Kann ich mir auch etwas für jemand anderen wünschen?", fragte Edmond nach.

„Das kommt darauf an welche Art von Wunsch es ist und wen es betrifft", antwortete Noel.

„Es betrifft Jermyn", sagte Edmond daraufhin, rückte jedoch noch nicht mit dem eigentlichen Wunsch heraus.

Noel ahnte, was der Doktor im Sinne hatte, fragte aber dennoch: „Und was ist es, dass Sie sich für ihn wünschen?"

„Ich denke, er würde sehr gern nach Hause zu seiner Familie gehen. Denken Sie nicht? Würden Sie nicht zurück zu ihrer Familie wollen?", meinte Edmond und spielte dabei gleichzeitig an Noels enge Bindung zu dessen Clan an.

Noel nickte in Gedanken und musste zugeben, dass Edmond damit ein gutes Argument benannt hatte. Ohne eine richtige Zusage zu machen, antwortete er vorerst: „Ich denke darüber nach. Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich diese Entscheidung nicht sofort treffen kann, aber bitte vertrauen Sie mir, dass ich in Jermyns Sinne handeln werde."

„Ich vertraue Ihnen", antwortete Edmond mit einem freundlichen Lächeln und überraschte Noel damit erneut. Scheinbar hatte es in den letzen Wochen mehrere Veränderungen gegeben, die ihm entgangen waren, denn Edmond schien sein grundsätzliches Misstrauen den Vampiren gegenüber abgelegt zu haben. Vielleicht lag dies an den vielen Unterrichtsstunden, die er mit Karen verbrachte? Sie übte anscheinend einen positiven Effekt auf ihn aus.

 

*****

 

Noels erster Weg führte ihn zurück zu Jermyn in Djosers Zimmer. Dieser saß wie zuvor vor dem Fernseher und spielte dasselbe Videospiel.

„Ich hoffe, du gewinnst", versuchte Noel das Gespräch freundlich zu eröffnen.

„Geht es Djoser gut?", wollte Jermyn sofort wissen, nachdem er zuvor mitbekommen hatte, dass etwas passiert war und Djoser sich noch nicht bei ihm gemeldet hatte.

Etwas überrascht über Jermyns Sorge um seinen Sohn, erwiderte Noel beruhigend: „Es geht ihm gut. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Ich habe nur einige Dinge mit ihm zu klären, weshalb er erst später zu dir kommen wird. Hast du alles, was du brauchst? Oder soll ich dich zu Peter bringen?"

„Danke, ich komme allein zurecht", erwiderte Jermyn selbstsicher.

Dies zeigte Noel, dass Jermyn nicht mehr der verängstigte Junge war, der zu ihnen gekommen war, weshalb eine Rückkehr zu seiner Familie durchaus denkbar war.

Um sicherzugehen, näherte er sich dem Jungen, um so zu tun, als würde er auf den Fernseher blicken wollen und fragte beiläufig: „Jermyn, würdest du gerne nach Hause gehen?"

Überrascht blickte Jermyn zu ihm auf und starrte ihn wie benommen an. Seine Unachtsamkeit rächte sich, wodurch die Spielfigur auf dem Bildschirm einem tödlichen Angriff erlag, doch dies merkte er nicht einmal. Er starrte nur zu dem Clanführer und fragte sich, ob dies ein grausames Spiel sein sollte.

Noel brauchte keine Antwort zu erhalten, um am Blick des Jungen zu erkennen, dass dieser sich nach seinem Zuhause sehnte, was nur verständlich war. Verstehend nickte er deshalb und machte sich auf, um das Zimmer wieder zu verlassen. Bevor er durch die Tür verschwinden konnte, hörte er Jermyns zögernde Frage: „Darf ich… nach Hause?"

Innehaltend, blickte Noel schließlich zu dem Jungen zurück und antwortete ihm: „Pack deine Sachen. Du verlässt uns noch heute."

Damit verließ Noel das Zimmer. Regungslos starrte Jermyn auf die Tür und versuchte sich der Bedeutung dieser Worte bewusst zu werden. Irgendetwas fehlte ihm, doch er begriff nicht, was es war. Jahrelang hatte er nur auf diesen einen Augenblick gewartet und nun endlich sollte es soweit sein, dass er endlich zurück nach Hause durfte, doch er fühlte nicht die erwartete Freude, von der er gedacht hätte, dass er sie empfinden würde. Sollte er sich denn nicht freuen?

 

*****

 

Bevor Noel nach unten zu seinem Centra gehen würde, wollte er noch nach Peter sehen. Dieser lag aufgebettet wie ein junger Prinz in den Kissen von Noels Bett und wurde mit viel Liebe und Aufmerksamkeit von Joshua und zwei hübschen Moramädchen verpflegt.

Es war genau die Art von Aufmerksamkeit, die Peter im Moment brauchte und er genoss es unendlich, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. So königlich umsorgt zu werden war wie Honig für seine Seele.

Als er seinen Sirus erblickte, wollte er sich sogleich erheben und diesen demütig begrüßen, doch Noel winkte sofort ab und befahl ihm, liegen zu bleiben.

Mit sorgenvoller Miene setzte sich Noel an Peters Seite und fragte: „Wie geht es dir?"

„Ich komme mir vor wie ein Vollidiot", gab Peter offen zu.

„Ich weiß", erwiderte Noel wissend und fügte fragend hinzu: „Weshalb hast du zugelassen, dass Djoser so weit gehen konnte?"

„Ach, ich weiß auch nicht? Ich wollte ihm nur helfen. Nach der Sache mit Altair war er so verändert. Anfangs war’s ganz harmlos. Nur ein Ausgleich zu dem, was Altair ihm angetan hat, doch dann wurde es mehr. Ich dachte, es würde ihm gut tun und es machte mir nichts aus. Du weißt ja, dass ich gern den Bottom** spiele. Doch irgendwann habe ich die Grenze übersehen, vor der du mich immer gewarnt hast. Ganz plötzlich konnte ich nicht mehr zurück. Und es hat auch kaum was gebracht, denn hin und wieder ist er immer noch so komisch. Es tut mir leid. Ich hätte zu dir kommen und dich um Hilfe bitten sollen."

(**Bottom bezeichnet im BDSM eine Person, die für die Dauer einer Spielszene die devote/passive Rolle einnimmt.)

„Ja, das hättest du tun sollen", stimmte Noel ihm traurig zu und fragte weiter: „Kannst du mir sagen was genau Altair ihm angetan hat? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es allein die Folter war, die ihn belastet."

Da Vampire für einen gewissen Grad an Schmerz empfänglich sind und diesen sogar bis zu einem gewissen Punkt als äußerst genussvoll empfinden können, war es unwahrscheinlich, dass Djoser sich deshalb so seltsam benahm und es hätte ihn auch nicht so lange belasten dürfen.

„Keine Ahnung. Er ist nie mit der Sprache rausgerückt, wenn ich ihn gefragt habe. Aber es muss irgendwas mit dir zu tun haben", antwortete ihm Peter.

„Wie kommst du darauf?"

„Weiß nicht? Ist so ’n Gefühl. Von der Art her, wie er ab und zu reagiert hat, wenn wir von dir geredet haben. ’Kann es nicht genau erklären, doch etwas belastet ihn."

Dies half Noel wenigstes ein bisschen weiter. Zumindest hatte er nun einen Anhaltspunkt in welcher Richtung er suchen musste.

Karen kam nun plötzlich hereingestürmt und machte einen besorgten Eindruck. Als sie jedoch sah, wie fürstlich Peter gebettet und umsorgt wurde, verflog die Sorge aus ihrem Blick und sie fragte frech: „Wem darf ich dazu gratulieren, dass er dich ordentlich verprügelt hat?"

Peters Gesicht verzog sich zu einer verärgerten Grimasse und er wollte gerade zu einem verbalen Gegenschlag ausholen, als Noel mahnend auf ihn einsprach: „Du musst in der nächsten Zeit sehr vorsichtig sein. Vor allem Djoser gegenüber. Nachdem du deine Schranken so weit niedergelegt hast, wirst du noch eine ganze Weile für ihn empfänglich bleiben. Ob du es willst oder nicht. So lange ich nicht herausgefunden habe, was mit ihm los ist, möchte ich, dass du dich von ihm fern hältst. Ist das klar?"

„Ja mein Sirus", erwiderte Peter reumütig.

Mehr als sonst bemerkte Noel, wie wenig es ihm gefiel, dass Peter sich so betont unterwürfig verhielt, weshalb er, während er sich umwandte, um zu gehen, neckend meinte: „Ich kann mich noch sehr gut an einen Centradu erinnern, der mich mit seinem respektlosen Verhalten ständig zur Weißglut brachte und es bei keiner Gelegenheit versäumte, sich neue Scherze und Ärgernisse einfallen zu lassen. Ich hätte früher nie geglaubt, dass ich das einmal sagen würde, doch dieser Centradu fehlt mir sehr. Vielleicht gelingt es dir ihn wieder zu finden?" Mittlerweile an der Türe angekommen, blieb sein Blick kurz auf Karen haften und er fügte hinzu: „Ich bin sicher, es findet sich jemand, der dir dabei den richtigen Weg zeigt."

Damit verließ Noel das Zimmer, worauf sowohl Peter als auch Karen ihm verwirrt nachblickten, bis Peter brummig kommentierte: „Jahrelang hat er sich beschwert, dass ich mich nicht standesgemäß verhalte und gegen die Regeln der Rangorder verstoße und jetzt, wo ich mich endlich mal gesittet aufführe, beschwert er sich, dass ich ihm zu brav bin. Kann der Mann sich endlich mal entscheiden, was er will?"

Als Joshua dies hörte, musste er sich stark zurückhalten, nicht laut aufzulachen, was Peter sehr wohl auffiel. Doch er bekam keine Gelegenheit etwas dazu zu sagen, denn Karen näherte sich gut gelaunt und fragte neugierig: „Los erzähl endlich. Wer hat dich so zugerichtet?" Dabei deutete sie auf den langen blutigen Schnitt, welcher quer über seine Brust ragte und von Joshua gerade vorsichtig mit einem Tuch gereinigt wurde.

„Oh bitte. Siehst du nicht, dass ich einen verdammt miesen Tag hatte? Kannst du nicht irgendwo anders jemanden auf die Nerven gehen?", fragte Peter mit leidender Miene.

„Sicher könnte ich, aber bei jemand anderen macht es nicht so viel Spaß. Außerdem bist du mein offizieller Aufpasser, also bleib ich bei dir", grinste sie ihm frech entgegen.

Seufzend ergab sich Peter seinem Schicksal, indem er den Kopf zurück in die Kissen fallen ließ, doch im Grunde war er über Karens Anwesenheit froh, denn sie lenkte ihn von seinem beschämenden Zustand ab. Außerdem verursachte ihre Anwesenheit automatisch, dass er sich von seiner starken Seite präsentierte. Gerade ihr gegenüber versuchte er immer der Stärkere zu sein und in ihr fand er einen würdigen Gegner für seine kleinen Neckereien. Und so dauerte es nicht lange, bis sich die beiden ein gekonntes Wortgefecht boten, um sich gegenseitig mit versteckten Plänkeleien aufzuziehen und zu ärgern.

 

*****

 

Unruhig, wie ein eingepferchtes, wildes Tier, tigerte Djoser den Trainingsraum auf und ab. Die beiden Kalkadore standen jeweils links und rechts neben der Tür und behielten ihn im Auge. Bis auf ein paar Waffen und Trainingsgeräte, die an einer Seitenwand des Raumes befestigt waren, und einem Sandsack, welcher direkt gegenüber an der anderen Seite von der Decke herabhing, war der Raum leer und bot für vier bis sechs Kämpfer genug Platz, um zu trainieren.

Jedem Clanmitglied war es jederzeit gestattet hier seine Fertigkeiten im Kampf zu verbessern, was besonders die Kalkadore und die obere Rangorder regelmäßig tat. Doch auch Moras hatten hier freien Zutritt, was nicht in jedem Vampirclan üblich war. Nicht Altair, sondern Noel war es zu verdanken, dass diese Regelung galt. Dies war eines von vielen positiven Dingen, die er im Laufe seiner Jahre bei seinem Vater erwirken konnte und wofür er viel Blut lassen musste.

Als Noel den Raum betrat, blieb Djoser abrupt stehen und richtete sich ihm kämpferisch entgegen, während Noel einfach nur kurz nach der Tür stehen blieb, die Arme verschränkte und seinen Sohn kritisch musterte. Er wusste nicht, wie er am besten beginnen sollte und wartete deshalb erst einmal ab. Die beiden Kalkadore schickte er aus dem Raum, da er nicht annahm, dass er deren Hilfe brauchen würde, und er wollte Djoser die Schande ersparen, in deren Gegenart zurechtgewiesen zu werden. Denn wenn Djoser sich nicht kooperativ zeigen würde, gab es nur einen Weg, den Noel gehen konnte. Er würde ihn notfalls mit Gewalt in die Schranken weisen müssen.

„Worauf wartest du? Wenn du denkst, ich gehe freiwillig vor dir auf die Knie, dann hast du dich getäuscht. Und du wirst mich bestimmt nicht ohne Grund hierher geordert haben", meinte Djoser herausfordernd, doch Noel blieb ruhig und antwortete nichts darauf.

Leicht irritiert über Noels Verhalten, begann er wieder auf und ab zu laufen. Ihn störte es, dass Noel nichts sagte. Er hatte eine Moralpredigt erwartet und sich bereits die richtigen Worte zum Kontern zurechtgelegt.

Da sein Sirus nichts sagte, begann er schließlich von alleine zu wettern und meinte: „Gewiss sagst du mir gleich, wie sehr ich dich enttäuscht habe. Dass ich eine Schande für den Clan bin. Dass ich egoistisch gehandelt und uns damit alle in Gefahr gebracht habe, nicht wahr?"

„Wieso soll ich dir etwas sagen, was du selber weißt?", erwiderte Noel in ruhigem Ton, was Djoser nur noch mehr in Rage brachte, weshalb er stehen blieb und wütend rief: „Dann sag einfach irgendwas! Schrei mich an, oder schlag mich. Tu einfach irgendwas! Oder bin ich es dir nicht wert, dass du mich in die Schranken weist?"

Sich weiter ruhig verhaltend, blieb Noel einfach stumm stehen und blickte seinem Sohn mit ausdrucksloser Miene entgegen. Sein ruhiges Verhalten schien genau der richtige Weg zu sein, um Djoser aus der Reserve zu locken, weshalb er innerlich darauf hoffte, dass Djoser ihm von alleine den Grund für sein Verhalten nennen würde.

Und tatsächlich machte Noels Tatenlosigkeit ihn nur noch wütender und er rief weiter: „Na komm schon! Worauf wartest du? Zeig mir deine Macht über mich. Zeig mir, dass du mein Sirus bist. Oder bin ich dir als Centra nicht mehr gut genug? Willst du dir einen neuen suchen, oder Peter an meine Stelle setzen? Wirst du mich wieder verlassen?"

Die letzte Frage machte Noel stutzig, weshalb er fragte: „Wann habe ich dich verlassen?"

Dieser Frage ausweichend, tigerte Djoser wieder im Raum auf und ab.

„Djoser! Ich habe dich was gefragt. Wann denkst du, habe ich dich verlassen?", betonte Noel diesmal etwas schärfer, um eine Antwort zu erlangen. Es gefiel ihm nicht, dass er seine Macht über seinen Sohn so deutlich ausspielen musste, doch in Anbetracht der Situation blieb ihm nichts anderes übrig.

Von seinem Sirus abgewandt, blieb Djoser stehen und antwortete kaum hörbar: „Als ich dachte, du wärst tot."

Endlich begann Noel zu begreifen, worin der Grund für das ganze Desaster lag. Mehr zu sich selbst sagte er daraufhin: „Er hat dich gebrochen, nicht wahr? Er hat geschafft dich zu brechen, weil du dachtest, ich sei tot. Du hast geglaubt, ich habe mich umgebracht und dich absichtlich deinem Schicksal überlassen. Du hast dich von mir verstoßen gefühlt."

Der Wahrheit ins Auge blickend, konnte Djoser seine Kampfhaltung nicht länger aufrecht halten, weshalb er die Schultern hängen ließ und zustimmend sagte: „Er sagte, du hättest dich umgebracht, weil du außer Joshua keinen Lebensinhalt mehr hattest. Und ich und Peter wären dir vollkommen egal gewesen. Er redete so lange auf mich ein, bis ich sogar geglaubt habe, du hättest dich meinetwegen getötet. Ich war am ende. Ich wollte nur noch sterben."

„Es tut mir Leid", erwiderte Noel verstehend. Nun endlich begriff er, warum Djoser ihm gegenüber so reserviert war. Das feste Band, welches über die Jahre bestanden hatte, war zerstört worden, weil Djoser seinen Sirus tot geglaubt hatte. Nachdem Noel zurückgekommen war, hatte er sich nicht mehr über Djoser behauptet. Er hatte ihm nicht das Gefühl zurückgegeben, wieder einen Sirus zu haben, da er seinen Centra schonen und er die versäumte Zeit mit Joshua aufholen wollte, doch dies war genau der falsche Weg gewesen. Innerlich war Djoser noch immer führerlos und ohne Orientierung. Ihm fehlten die Gewissheit und die Bestätigung, der Centra von Noel zu sein. Dies war der Grund, weshalb er Peters offenes Geschenk ohne Rücksicht angenommen hatte.

Nun endlich ging er auf seinen Centra zu, nahm Djosers Gesicht in beide Hände und sagte: „Ich war immer sehr stolz auf dich und das bin ich auch heute noch. Ich werde nicht zulassen, dass Altair uns sogar nach seinem Tod das Leben schwer macht. Was geschehen ist, ist geschehen und kann leider nicht rückgängig gemacht werden, doch es soll kein Grund dafür sein, dass unser Band darunter leidet. Zeige mir, dass du der Centra bist, für den ich dich halte und ich werde dir den Sirus zurückgeben, den du brauchst."

„Ich will es versuchen", antwortete Djoser zurückhaltend.

Noel gab ihm noch einen Kuss auf die Stirn, bevor er ihn losließ und dann mit vorsichtigen Worten sagte: „Dein Handeln zog leider Konsequenzen nach sich. Deshalb bin ich gezwungen ein paar Regelungen zu treffen."

„Das verstehe ich. Was immer du entscheiden wirst, ich bin der deine", erwiderte Djoser, dazu bereit jede Regelung zu akzeptieren, ohne zu wissen wovon Noel sprach.

Von dieser Bereitschaft nicht ganz so überzeugt wie sein Sohn, erläuterte Noel: „Du und Peter werdet vorläufig keine Zeit miteinander verbringen, solange nicht ich, oder Joshua dabei ist und Jermyn wird nicht länger unser Parley sein. Er wird zurück nach Hause gehen."

Als Djoser dies hörte, fragte er erschüttert: „Warum Jermyn? Er hat doch mit der ganzen Sache gar nichts zu tun?"

„Edmond hat mich darum gebeten und nachdem wir alle tief in seiner Schuld stehen, da seine erste Sorge darauf gerichtet war den Eingang zu verbergen, anstatt sich selbst in Sicherheit zu bringen, habe ich ihm versprochen, ihm einen Wunsch zu gewähren", erklärte Noel genauer.

Den Kopf langsam schüttelnd, wich Djoser einen Schritt zurück und sagte: „Nein, bitte nicht! Nicht Jermyn. Gib ihm irgendwas anders, aber nicht das. Bitte!"

„Meine Entscheidung steht bereits fest und Jermyn weiß auch schon bescheid. Er wartet nur noch darauf, dass du dich von ihm verabschiedest", meinte Noel, ließ sich dabei aber nicht anmerken, wie schwer ihm dieser Entschluss gefallen war.

„Nein!", rief Djoser verzweifelt aus und ging direkt auf Noel los. Blitzschnell und ohne nennenswerte Schwierigkeiten blockte Noel den Angriff ab. Im selben Zug nahm er Djoser in den Schwitzkasten und warf ihn zu Boden, wo er ihn mit seinem eigenen Gewicht in Schach hielt. Mit einer gleichzeitigen flüssigen Bewegung beugte er sich zum Hals seines Sohnes herab und biss zu, ohne jedoch von ihm zu trinken. Der schwere Kampf gegen die feindlichen Vampire hatte empfindliche Spuren hinterlassen, weshalb Djoser stark angeschlagen war und die Stellung, in der er sich nun befand, ihn sehr schmerzte. Und auch der Biss, der nichts anderes war als ein Zeichen von Noels Macht über ihn, war sehr schmerzhaft.

Die Schmerzen waren ihm allerdings egal und er versuchte sich auch nur halbherzig aus seiner Gefangenschaft zu befreien. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte und er sich Noels Entscheidung fügen musste. Allein diese kleine dominierende Geste gab ihm das verlorene Gefühl zurück, Centra von Noel zu sein, doch der Preis, den er für sein Fehlverhalten zahlen musste, war höher, als er im Moment ertragen konnte.

„Tu es nicht, bitte", flehte er leise, obwohl er genau wusste, dass es keinen Sinn hatte, darum zu bitten.

Nachdem er sich von Djosers Hals zurückgezogen hatte, sagte er sanft: „Es tut mir leid mein Sohn." Noel wusste, wie groß Djosers Zuneigung zu Jermyn inzwischen war, weshalb ihm klar war, dass er ihn damit sehr tief traf. Beruhigend fügte er hinzu: „Denke auch daran, dass der Junge sich bestimmt sehr freuen wird, wieder nach Hause zu dürfen. Er ist kein freiwilliges Parley. Seine Wunden sind inzwischen verheilt, darum wäre es nicht gerecht, ihn viel länger bei uns zu halten. Denk darüber nach."

Mit diesen Worten löste er sich langsam von Djoser, doch dieser blieb regungslos auf dem Boden liegen und klagte kaum hörbar: „Es ist zu früh. Er braucht mich noch."

„Ist er es, der dich braucht, oder bist du es, der ihn braucht?", gab Noel offen zu bedenken, worauf Djoser sich in Sitzposition aufrichtete und traurig zu ihm aufblickte.

„Vielleicht etwas von beidem", gab er schließlich zu, wobei er schrecklich verloren wirkte.

„Jermyn hat eine Familie, die sich um ihn sorgen wird, und du hast mich. Ich werde dich nicht verlassen. Nicht solange ich es verhindern kann", meinte Noel mit fester Stimme und reichte Djoser die offene Hand.

Schweren Herzens nahm Djoser die Hand an und ließ sich auf die Beine ziehen. Damit unterstellte er sich freiwillig seinem Sirus und fügte sich seinem Willen, doch dies bedeutete auch, dass er Jermyn Lebewohl sagen musste.

 

*****

 

„Djoser! Ist alles in Ordnung?", fragte Jermyn erleichtert, ihn zu sehen, während er aufsprang und ihm entgegenlief, als Djoser das Zimmer betrat.

Als er dessen verkrustete Wunde an der Stirn sah und er erkannte, wie niedergeschlagen Djoser war, blickte er ihm verunsichert entgegen und griff mit der Hand nach der Wunde. Doch ehe er ihn an der Stirn berühren konnte, ergriff Djoser seine Hand und sagte sanft: „Es ist nur ein Kratzer. Nichts, worüber du dir Sorgen zu machen brauchst."

Jermyn lächelte erleichtert, doch sein Lächeln verschwand, als Djoser es nicht erwiderte, sondern dadurch noch trauriger wirkte.

Er wollte fragen was los war, doch Djoser ergriff das Wort und fragte: „Hast du deine Sachen gepackt?"

Ein wenig verlegen, meinte Jermyn daraufhin: „Ich wusste nicht, was davon meine Sachen sind."

Selbst nach all der Zeit bei Djoser, war Jermyn in manchen Dingen noch immer so unsicher und zurückhaltend. Darum fürchtete Djoser sehr, dass sein Junge ohne ihn nicht zurechtkommen würde. Er konnte seine Bedenken aber nicht in Worte fassen, da Noels Entscheidung ohnehin unumstößlich war und er Jermyn damit nicht unnötig beunruhigen wollte. Deshalb schloss er den Jungen in eine feste Umarmung, um ihm seine tiefe Zuneigung zu zeigen und um sich innerlich von ihm zu verabschieden. Wie selbstverständlich erwiderte Jermyn die Umarmung und drückte sich fest an Djosers Brust, wo er dessen Körpergeruch tief einatmete. Dieser Geruch vermittelte ihm soviel Vertrauen und Sicherheit, dass er sich nirgends sonst so geborgen fühlte.

Ohne die Umarmung zu lösen, sagte Djoser: „Nimm ruhig alles mit, was du möchtest."

„Das Videospiel auch?", erwiderte Jermyn hoffnungsvoll und blickte fragend auf.

„Ja sicher, das auch", bestätigte Djoser mit freundlichem Blick.

„Und Peters Sachen?"

„Wenn du die alten Lumpen wirklich haben willst?", meinte Djoser erstaunt.

„Oh ja bitte", nickte Jermyn erfreut, denn er mochte Peters Geschmack und genoss es sehr mit ausgewaschenen Jeans herumzulaufen, die schon das ein oder andere Loch hatten.

„Dann nimm sie ruhig mit. Ich helfe dir beim Packen", sagte Djoser und nutzte dies als Vorwand, um sich rasch von Jermyn lösen zu können, da sich Tränen in seinen Augen zu sammeln drohten.

Möglichst ohne genauer darüber nachzudenken, packte er rasch alle Sachen in eine einfache Reisetasche zusammen, während Jermyn das Videospiel zusammenräumte und ebenfalls mit in die Tasche legte.

Jermyns Blick fiel auf die auf dem Bett liegende, schwarze Decke, die er mittlerweile sehr lieb gewonnen hatte. Er nahm den weichen Stoff und drückte ihn sich an die Brust, während er Djoser fragte: „Darf ich die auch mitnehmen?"

„Natürlich. Sie gehört dir. Du hast sie in der Nacht bekommen, als wir dich mit dem Ritual zum Parley gemacht haben. Sie ist ein Überbleibsel früherer Traditionen, als Parleys nicht viel mehr als eine Decke bekamen. Du kannst mit ihr tun, was immer du willst", erklärte ihm Djoser die Bedeutung dieses Geschenks, wobei Jermyn sich plötzlich an den dünnen Fetzen erinnerte, den er bei den Volganern damals bekommen hatte.

Nachdenklich blickte er auf den flauschigen Stoff herab und überlegte, ob er die Decke wirklich mitnehmen wollte. Wollte er sich wirklich daran erinnern, dass er ein Parley war? Doch nach genauerem Überlegen wurde ihm klar, dass diese Decke kein Zeugnis seines Leidens war, sondern vielmehr genau das Gegenteil. Sie war der Beginn einer heilsamen Zeit in der schützenden Obhut eines Vampirs, der ihn niemals verletzt hatte, oder ihm in irgendeiner Form unsittlich zu nahe gekommen war. Das einzige Mal, als Djoser ihn mehr als freundschaftlich berührt hatte, war während der Demonstration gewesen. Danach nie wieder.

In zahlreichen Nächten, in denen Alpträume ihn geplagt hatten, war Djoser bei ihm gewesen und er hatte ihm mit seiner ruhigen und zuversichtlichen Art wieder mehr Selbstvertrauen zurückgegeben.

Er legte die Decke liebevoll zusammen und packte sie ganz oben auf die Tasche, die sich dadurch nicht mehr schließen ließ. Djoser legte die beiden Henkel zusammen, und hob die Reiseasche von dem Bett. Er ging auf die Tür zu und erwartete, dass Jermyn ihm folgen würde, doch dieser blieb unsicher stehen, fasste sich an den Hals, wo er das dünne Lederband zwischen den Fingern erfühlte, und fragte: „Bin ich jetzt kein Parley mehr?"

Djoser drehte sich zu Jermyn um und antwortete ihm traurig: „Solange ich lebe, wirst du immer mein Parley bleiben."

Diese Aussage verwirrte Jermyn. Wenn er noch immer Parley war, warum konnte er dann gehen? Und warum ließ man ihn überhaupt gehen? Er trug jedoch noch immer Reste von den Erziehungsmethoden der Volganer in sich, weshalb er Djosers Verhalten nicht genauer zu hinterfragen wagte. Also zögerte er nicht länger und folgte Djoser zur Tür.

Zu Jermyns großer Überraschung reichte dieser ihm dann eine kleine Karte und meinte eindringlich: „Ruf an, wenn du Hilfe brauchst."

Die Karte interessiert musternd, meinte Jermyn frech: „Ich wusste gar nicht, dass Vampire telefonieren können?"

Ganz offensichtlich hatte er zu viel Zeit mit Peter verbracht, was Djoser schmerzlich an sein Vergehen seinem Bruder gegenüber erinnerte. Lächelnd erwiderte er: „Du würdest staunen, wenn du wüsstest, wozu wir alles fähig sind, doch nun komm. Ich bring dich nach Hause."

 

*****

 

Im sicheren Schutz der Dunkelheit hatten sich die Vampire mit dem Jungen während der Nacht durch unterirdische Höhlen hinaus geschlichen. Noel selbst und einer der Kalkadore begleiteten Djoser auf seinem Weg. Weit abseits vom regen Stadtgeschehen hatten sie hier in einer alten Scheune einen Wagen versteckt, mit dem sie die lange Reise antreten wollten.

Jermyn war schrecklich aufgeregt. Es schien eine Ewigkeit für ihn zurückzuliegen, seit er zuletzt unter sternenklarem Himmel war, weshalb er wie hypnotisiert nach oben starrte. Dabei bemerkte er nicht, wie unglücklich Djoser über ihre baldige Trennung war. Noel hingegen spürte sehr deutlich, wie schmerzvoll dieser Weg für seinen Centra war.

Die Fahrt zu Jermyns Heimatort dauerte sehr lange. Zum Glück lag dieser nicht in der Nähe der Volganer. Jermyn wurde damals nicht von zuhause aus gefangen genommen, sondern während einer Klassenfahrt, weshalb keine Gefahr bestand, dass er erneut von den Volganern aufgegriffen werden konnte. Und soweit Noel wusste, war der einzige näher gelegene Vampirclan den Menschen ähnlich friedlich gegenüber gesinnt, wie sie selbst, also hatte er auch von dort nichts zu befürchten. Um sicherzugehen, erklärten sie Jermyn jedoch, wie er mit Hilfe des Minzöls den Geruch der Vampire am schnellsten ablegen konnte und ermahnten ihn dazu, alle Sachen nach seiner Ankunft gründlich zu waschen.

Jermyn versprach, alle Anweisungen artig zu befolgen. Ganz so, wie man es ihm jahrelang gelernt hatte. Je mehr Djoser nun darüber nachdachte, umso sicherer war er sich, dass es für Jermyn noch viel zu früh war, um zu den Menschen zurückzukehren. Er trug noch zu viele Verhaltensmuster in sich, die ihm von den Volganern eingehämmert worden waren. Würde er nun an den falschen geraten, würde dieser ihn ganz leicht manipulieren können und vielleicht noch schlimmeres mit ihm anstellen. Dieser Gedanke machte ihm Angst, doch es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Als Centra war es seine Pflicht, sich dem Willen seines Sirus’ zu beugen. Noels Worte waren sein Gesetz.

Während der langen Fahrt wurde Jermyn sehr müde, weshalb er sich erst nur ganz leicht an Djosers Schulter anlehnte und dort eindöste. Als sie schließlich am frühen Morgen an ihrem Ziel angekommen waren, schlief Jermyn mittlerweile tief und fest in Djosers Schoß, wo er sein Gesicht unbewusst gegen Djosers Bauch gedrückt hielt, während eine seiner Hände den Stoff von Djosers teurem Designerhemd fest zusammenknüllte, als wollte er sich daran festklammern.

Noel drehte sich zu seinem Sohn herum und konnte in dessen Augen die Furcht sehen, die dieser um den Jungen empfand. „Es wird Zeit", meinte er sanft und deutete Djoser damit an, dass er Jermyn wecken sollte.

Liebevoll streichelte er ein letztes Mal durch Jermyns Haare, bevor er ihn vorsichtig weckte.

Schlaftrunken richtete Jermyn sich auf und wollte gerade fragen, wo sie waren, als er plötzlich die Straße erkannte, in der der Wagen zum Stehen gekommen war. Wie betäubt starrte er auf das Haus, welches direkt neben ihnen stand. Nichts schien sich in den letzten drei Jahren verändert zu haben, weshalb es ihm nun alles wie ein schrecklicher Traum vorkam. Ohne zu Djoser zurückzublicken, stieg er aus dem Auto und rannte zur Haustüre.

Das späte Klingeln an der Tür riss die Mutter aus ihrem Schlaf und ließ sie zur Tür gehen, wo sie, als sie diese öffnete, ihren verloren geglaubten Sohn erblickte.

„Jermyn?", sagte sie wie in Trance und konnte ihren Augen kaum trauen.

„Mom", erwiderte er zurückhaltend und näherte sich zögernd.

Als sie sich sicher war, dass ihr Sohn zurückgekommen war, geriet die gute Frau total aus dem Häuschen. Sie schloss ihn zuerst in ihre Arme und berührte ihn dann überall im Gesicht und am ganzen Oberkörper, um zu begreifen, dass er wirklich lebte. Er wirkte sehr verändert, doch ihr Herz sagte ihr, dass es ihr Sohn war.

„Mein Junge, wie geht es dir? Wo bist du gewesen?", fragte sie, als sie endlich fähig war zu sprechen.

„Es geht mir gut", antwortete Jermyn nur und fügte hinzu: „Du hast mir so gefehlt."

Erneut umarmten sie einander, bis Jermyn sich an seine Begleiter erinnerte, sich dann rasch löste und meinte: „Mom, ich muss dir unbedingt jemanden vorstellen. Ihm verdanke ich…", er stockte, als er zurückblickte und dort, wo zuvor das Auto war, nur noch seine Reisetasche stand.

Er hatte nicht bemerkt, wie die Vampire ohne ein Wort des Abschiedes davongefahren waren. Er hätte Djoser noch so vieles sagen wollen, weshalb er es nun bereute, dass er einfach so aus dem Auto gestiegen war.

Rasch lief er zu der Tasche und blickte die Straße entlang, wo er gerade noch sah, wie das Auto um eine Kurve bog.

„Danke, für alles", flüsterte er ihnen nach.

 

 


 

weiter zu Kapitel 6  - oder -  zurück zu Be-my-Childe