Kapitel Sechs – Der Biss der Schlange

Es hatte sehr lange gedauert, bis Jacob den fremden Vampir zum Reden bringen konnte. Doch nach tagelanger Folter und aushungern hatte er ihn endlich soweit gebracht. Schließlich hatte er in Altair einen sehr guten Lehrmeister und wusste, wie man selbst einen starken Kämpfer wie seinen Gefangenen brechen konnte.

Noel lauschte aufmerksam der Befragung, während Djoser an seiner Seite stand. Zwischen ihnen war es wieder wie in früheren Zeiten, in denen Djoser seinem Sirus kaum von der Seite wich und ihn in allem unterstützte. Noel hatte es geschafft, ihr altes Band wieder zu knüpfen. Im Moment hielt er die Zügel noch etwas straffer als früher und ließ Djoser immer wieder seine Macht über ihn spüren, doch genau dies war es, was sein Centra brauchte. Er brauchte genau diese Führung und Sicherheit, um zu seinem alten Gleichgewicht zurückzufinden.

Die Dinge, die sie von ihrem Gefangenen erfuhren, waren sehr besorgniserregend. Er erzählte ihnen von einem Bündnis, das sein Clan mit einem einflussreichen Menschen abgeschlossen hatte. Es handelte sich dabei um einen hochrangigen Soldaten, der ein militärisches Forschungslabor leitete. Es überraschte Noel wenig, dass dieser Soldat sehr an den gesteigerten Fähigkeiten der Vampire interessiert war. Um sich selbst vor dem Schicksal als Laborraten zu retten, war der Clan das Bündnis eingegangen und versprach dem Soldaten, andere Vampire auszuliefern. Sie waren es gewesen, die zusammen mit einer Truppe von Soldaten das Nest der Volganer gestürmt hatten. Dies erklärte nun auch Jermyns Erzählung der Schüsse. Seine Aufgabe war es gewesen das Versteck der Altair ausfindig zu machen.

Im Laufe der Befragung erfuhr Jacob auch von der Gefangennahme seines Centras und dessen qualvollem Tod. In grausamer Folter hatte man versucht das Versteck der Altair in Erfahrung zu bringen, doch Thomas gab das Geheimnis nicht preis. Der Gefangene lobte Thomas’ Standhaftigkeit und beteuerte glaubhaft, dass nicht sein Clan, sondern die Menschen ihn gefoltert hätten.

Noel wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis man das Versteck finden würde. Er musste handeln, und zwar schnell. Und er musste Zaida warnen.

 

*****

 

Die Vorbereitungen zur Evakuierung liefen auf Hochtouren. Spätestens in drei Tagen wollte Noel die unterirdische Behausung verlassen und den gesamten Clan in mehreren kleinen Gruppen in ein sicheres Gebiet umgesiedelt haben. Dies war ein monumentales Vorhaben, das bisher noch nie in dieser Art durchgeführt worden war. Seit vielen Jahrhunderten lebten sie nun schon hier in dieser Behausung unter der Erde und sie hatten keinen geeigneten Zufluchtsort, wo der gesamte Clan untergebracht werden konnte. Es war ein sehr risikoreiches Vorhaben, doch in Anbetracht der Gefahr, die ihnen drohte, war es der einzige sichere Ausweg.

Den Antares hatte er sein Vorhaben bereits mitgeteilt und auch Zaida lenkte Maßnahmen zur Evakuierung ein. Sie planten ein gemeinsames Ziel bei ihrer Flucht und wollten soweit weg von der Zivilisation wie möglich eine neue Existenz aufbauen.

Um den Ablauf der Flucht so gut es ging planen und organisieren zu können, saß Noel mit seinen drei Nachkommen und ein paar weiteren Clanmitgliedern zusammen in dem Besprechungsraum, in dem die große Tafel stand. Jacob saß mit seinem Centradu und seinem Loraib bei ihnen. Des Weiteren waren noch jeweils zwei Vertreter der Kalkadore und der Moras mit am Tisch. Jeder der Anwesenden war sich der Schwere der Situation bewusst und so besprachen sie gemeinsam die Lage des Clans und ihre Möglichkeiten, wobei jede Stimme der Anwesenden gleichermaßen angehört und respektiert wurde.

Sie waren mitten in der Besprechung, als ein Klopfen sie störte. Ein Mora trat mit entschuldigender Miene herein und überbrachte folgende Nachricht: „Mein Sirus. Bitte verzeih die Störung. Dr. Lemon hat uns gerade informiert, dass Jermyn oben ist und unbedingt zu Djoser will. Er lässt fragen, ob er ihn hereinlassen soll."

Als Djoser dies hörte, spürte er einen Stich in seinem Herzen. Er fragte sich, was der Junge von ihm wollte, doch er brauchte Noels Erlaubnis, um mit Jermyn zu sprechen, weshalb er fragend zu seinem Sirus blickte.

Sehr besorgt über diese Entwicklung, meinte Noel darauf: „In Ordnung. Er kann ihn runterschicken."

Erleichterung spiegelte sich in Djosers Blick wider, doch ehe er sich erheben konnte, ermahnte ihn Noel: „Er kann nicht hier bleiben. Du musst ihn zurückschicken und ihm sagen, dass er nicht mehr hierher zurückkommen darf."

„Ja mein Sirus", erwiderte Djoser gehorsam.

„Wir führen die Besprechung in einer Stunde weiter", informierte Noel die Anwesenden und erhob sich von seinem Platz, worauf auch alle anderen aufstanden, um die Tafel zu räumen.

Noel deutete seinem Bruder noch an, dass er ihn begleiten solle und ging dann in raschen Schritten zu dem großen Raum, an den die Treppe von oben mündete. Gefolgt von Joshua, Djoser und Peter. Viele der Vampire hielten sich im Augenblick dort auf, um das Ergebnis der Besprechung abzuwarten. Unter ihnen auch Karen, die freudig lächelte, als sie Peter erblickte.

„Seid ihr schon fertig?", flüsterte sie Peter fragend zu, als dieser sich zu ihr gesellte, um das Geschehen aus kurzer Entfernung beobachten zu können.

„Nein. Noel hat die Besprechung für eine Stunde unterbrochen, weil sich ein überraschender Besuch angekündigt hat", erklärte er ihr, während er gleichzeitig nach oben auf die Treppe deutete, wo Edmond und Jermyn gerade herunterkamen.

„Jermyn?", meinte Karen erstaunt und war nun ebenfalls sehr neugierig darauf, was nun passieren würde.

Als Djoser ihn erblickte, war er sofort über den Zustand des Jungen besorgt. Jermyn wirkte abgekämpft und verloren, doch als er Djoser und Noel sah, ging er zielstrebig auf die beiden zu. Sich der Bedeutsamkeit der Rangorder bei den Vampiren bewusst, trat er zuerst vor Noel und sagte mit unsicheren Worten: „Danke, dass ich reinkommen durfte. Kann ich bitte mit Djoser sprechen?"

Noel war über Jermyns Verhalten angenehm überrascht. Doch auch ihm fiel auf, dass der Junge in keinem stabilen Zustand war. „Wie hast du uns gefunden? Woher wusstest du von welchem Haus aus, wir erreichbar sind?", wollte er zunächst wissen, da Jermyn den Clan weder über das Haus betreten, noch verlassen hatte. Und er es deshalb nicht hätte wissen dürfen.

„Ich wusste, in welcher Stadt ich suchen musste und hab nach der Adresse von Dr. Edmond Lemon gesucht", erklärte Jermyn wahrheitsgemäß.

Mit dieser Antwort zufrieden, nickte er Jermyn zu und trat einen Schritt zur Seite, sodass dieser näher an Djoser herantreten konnte. Dieser musste sich zurückhalten, den Jungen nicht sofort in seine Arme zu schließen und fragte deshalb reserviert: „Warum bist du zurückgekommen?"

„Kann ich bitte bei dir bleiben? Kann ich wieder dein Parley sein? Bitte!", bat Jermyn mit verzweifeltem Blick. Seine Hände zitterten vor Nervosität und seine Stimme bebte.

Djosers Herz wurde schwer, denn er konnte dieser Bitte unmöglich nachkommen. Sein Sirus hatte ihn ermahnt, dass es nicht in Frage kam und ein kurzer Blick zu Noel bestätigte ihm, dass er seine Meinung nicht geändert hatte. Im Moment war es einfach zu gefährlich und Jermyn stellte eine unkalkulierbare Schwachstelle für den Clan dar. Allein die Tatsache, dass er den Weg zurück zum Clan gefunden hatte, war besorgniserregend für Noel.

„Es geht nicht. Du musst zurück nachhause, zu deiner Familie. Du kannst nicht hier bleiben", erklärte Djoser möglichst sachlich, ohne sich äußerlich anmerken zu lassen, wie sehr ihm diese Worte schmerzten.

„Aber warum nicht? Ich würde euch bestimmt nicht zur Last fallen und ich würde alles tun, was du mir sagst", beteuerte er eindringlich.

Edmond verstand nicht weshalb der Junge wieder zurück zu den Vampiren wollte und fragte: „Aber Jermyn, warum willst du hierher zurück? Willst du denn nicht bei deinen Eltern bleiben?"

Zu Edmond blickend, erklärte Jermyn: „Ich habe keine Eltern. Mein Vater ist schon lange tot. Ich hab nur noch meine Mutter."

„Und du willst nicht bei ihr bleiben?", wiederholte Edmond seine Frage.

„Doch! Aber ich kann nicht!", erwiderte er verzweifelt. Sich zu Djoser zurückdrehend, erklärte er genauer: „Ich habe ständig Angst. Nachts kann ich nicht schlafen und wenn ich nur einen Schritt vor die Tür setze, bekomme ich Panik. Hier herzukommen war die reinste Hölle für mich. Ständig rechne ich damit, dass sie kommen, um mich zurückzuholen. Bitte."

Djosers Blick blieb äußerlich ungerührt, doch innerlich kämpfte er dagegen an, Jermyns Flehen nachzugeben. Denn er war derselben Meinung wie Noel. Im Moment war es zu gefährlich den Jungen bei sich zu haben und er wollte Jermyn auch nicht der Gefahr aussetzen, das ihm etwas passieren würde, falls sie von Menschen angegriffen werden sollten. Dies und die Tatasche, dass er sich bereits zu viel Eigenmächtigkeit erlaubt hatte, als er den Clan unerlaubt verlassen hatte, machten es ihm unmöglich, sich gegen den Willen seines Sirus’ zu stellen.

Mit möglichst kühler Miene sagte Djoser: „Du brauchst keine Angst vor den Volganern haben. Soweit wir wissen, wurde der gesamte Clan vernichtet. Niemand wird kommen und dich holen. Und nun geh zurück zu deiner Mutter. Sie wird dich sicher vermissen. Hier kannst du nicht bleiben."

Verletzt wich Jermyn zurück und blickte Djoser ungläubig entgegen. Er hatte so sehr gehofft, er könnte zurückkehren in Djosers Obhut und sich endlich wieder sicher fühlen. Er wollte keine Angst mehr haben. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf und er meinte aufgeregt: „Ist es wegen dem Sex? Ist das der Grund? Ich hab gesehen, wie du mit Peter geschlafen hast. Ich kann das alles auch tun, wenn du willst. Das wär’ mir egal! Ich werde dir ein richtiges Parley sein, ich verspreche es! Ich werde alles tun, was du von mir verlangst!" Während er dies sagte, unterstrich er seine Aussage, indem er sich hektisch seine Jacke und sein T-shirt auszog, bis er mit nacktem Oberkörper dastand.

Wie im Schock blickte Djoser ihn an und auch die anderen Anwesenden waren von Jermyns bereitwilligem Verhalten entsetzt. Hastig fummelte Jermyn bereits an seiner Hose und wollte sich auch dieser entledigen, bis Djoser ihn gerade noch rechtzeitig stoppte, indem er dessen Arme ergriff, ihn eindringlich ansah und betonte: „Es ist nicht der Sex. Dass du nicht hier bleiben kannst, hat nichts mit dir zu tun. Es hat andere Gründe, die den Clan betreffen. Bitte glaub mir. Du musst zurückgehen und darfst nie wieder hierher kommen. Hast du verstanden? Es ist zu gefährlich."

„Nie wieder?", fragte Jermyn, während Tränen ungehindert über seine Wange rollten.

Liebevoll wischte Djoser die Tränen beiseite und nahm seinen Jungen schließlich in die Arme. „Es tut mir Leid", sagte er, wobei er es nun nicht mehr schaffte, seinen eigenen Schmerz aus der Stimme zu halten. Hilfe suchend sah er zu seinem Sirus, der die beiden mit tiefem Mitgefühl beobachtete. Wäre der Clan nicht in einer so ernsten Lage, wäre er längst eingeschritten und hätte dem Jungen erlaubt zu bleiben, doch im Moment stand das Wohl des gesamten Clans im Vordergrund.

Ohne ein weiteres Wort, löste sich Djoser aus der Umarmung und ging mit raschen Schritten davon. Peter wollte ihm folgen, da er den Schmerz seines Bruders fühlen konnte und ihm Trost spenden wollte, doch Noel hielt ihn auf, indem er seinen Arm nach ihm ausstreckte und ihm damit den Weg versperrte.

„Wohin willst du?", fragte Noel seinen Centradu mahnend.

„Ich wollte nur…", begann er zu erklären, doch er stockte, als er den strengen Blick seines Sirus’ sah und er sich daran erinnerte, dass er sich von Djoser noch immer fernhalten sollte.

Nachdem sein Centradu sein Vorhaben aufgegeben hatte, hob Noel Jermyns Sachen vom Boden auf, reichte sie dem Jungen und fragte ihn: „Brauchst du jemand, der dich nachhause bringt?"

Jermyns Blick war noch immer starr auf den Fleck gerichtete, wo Djoser im Gang verschwunden war, bis er Noels Stimme hörte und diesem geistesabwesend entgegensah. Noel wollte seine Frage gerade wiederholen, als Jermyn plötzlich antwortete: „Ich hab ein Hotelzimmer."

An Edmond gerichtet, fragte Noel daraufhin: „Können Sie ihn bitte begleiten?"

Edmond nickte zustimmend, griff den Jungen sanft bei den Schultern, um ihn herumzulenken und sagte freundlich: „Komm mein Junge, ich bring dich in dein Hotel."

Trotzig schüttelte sich Jermyn aus Edmonds Griff frei und stapfte alleine zur Treppe nach oben.

„Soll ich nach Djoser sehen?", bot Joshua sich hilfsbereit an, doch Noel lehnte das Angebot mit verneinender Kopfbewegung ab und sagte: „Ich rede selbst mit ihm."

Zurück in Jermyns Richtung blickend, meinte Noel noch: „Ich hoffe, er kommt darüber hinweg."

Edmond, der Noels Blick nicht sah und deshalb dachte, dass Noel von seinem Centra sprechen würde, meinte daraufhin etwas schroff: „Denken Sie eigentlich ununterbrochen nur an Ihre Sohne und Ihren Clan?"

Darüber seltsam beruhigt, dass Edmonds Zweifel doch nicht alle verschwunden waren und er somit doch nichts wesentliches versäumt hatte, klärte Noel ihn auf: „Ich sprach eigentlich von Jermyn. Von Djoser weiß ich, dass er den Schmerz und diesen Augenblick sein Leben lang mit sich tragen wird. Vampire vergessen niemals etwas in ihrem Leben. Diejenigen, denen noch nie Schlimmes widerfahren ist, nennen es eine Gabe. Die anderen einen grausamen Fluch."

„Niemals?", erwiderte Edmond verblüfft, während er sich überlegte, wie enorm groß das Wissen und das Erinnerungsvermögen eines Vampirs dann sein musste, wenn dieser mehrere hundert Jahre alt war.

Ein pochendes Geräusch, das von oben herkam, deutete an, dass Jermyn sich gerade selbst einen Weg nach draußen suchte, weshalb Edmond ihm schließlich rasch nacheilte.

Noel folgte seinem Centra, um diesem etwas Trost zu spenden, während Peter zurück zu Karen trat und mit freudlosem Lächeln meinte: „Weißt du jetzt, was ich damit gemeint habe, dass ein Centra nicht frei ist?"

„Ich beginne es langsam zu begreifen", sagte Karen betroffen. Während ihrer Zeit bei den Antares hatte sie nie so tiefen Einblick in das Geschehen des Clans erhalten, wie hier. Sie begann nun einiges besser zu verstehen und ihr wurde immer klarer, wie vermessen ihr Vorhaben, Centra zu werden, gewesen war. Ein erster Centra unterlag noch mehr dem Willen des Sirus’, als ein Centradu oder ein rangniedrigerer Vampir und sein ganzes Verhalten und jegliches Handeln war auf das Wohl des Clans ausgerichtet. Er konnte es sich nicht erlauben, an eigene Wünsche zu denken.

Niemandem fiel auf, wie verloren Joshua zwischen all den Vampiren stand und seinem Sirus nachblickte. Er hatte noch immer das Gefühl gelähmt zu sein und damit unfähig, für Noel da zu sein. Nur, dass es keine Krankheit mehr war, die sie voneinander trennte, sondern Noels distanziertes Verhalten.

 

*****

 

Eisige Stille herrschte in dem kleinen Wagen, mit dem Edmond den Jungen zu seinem Hotel fuhr. Der Doktor bemerkte, wie Jermyn nervös an seinen Nägeln kaute und jede Person am Straßenrand argwöhnisch musterte. Es stand außer Zweifel, dass der Junge die Wahrheit über seine großen Ängste erzählt hatte.

Als sie am Hotel ankamen, blickte sich Jermyn mehrmals um anstatt auszusteigen, und bat schließlich: „Würden Sie bitte noch mit rein gehen?"

„Oh, aber natürlich", stimmte Edmond sofort zu und stieg rasch aus dem Auto aus.

Jermyn zögerte noch kurz, bevor er endlich ebenfalls ausstieg. Und erst als der Doktor an seiner Seite war, ging er eilig auf das Hotel zu. Edmond folgte ihm in das Hotel und begleitete ihn schließlich direkt bis ans Zimmer, wo er wartete, bis Jermyns Mutter ihnen die Tür öffnete.

Sie wirkte überrascht, die beiden zu sehen und schloss ihren Sohn sofort in eine feste Umarmung, aus der sich Jermyn jedoch recht schnell befreite.

„Ist das der Mann, von dem du mir erzählt hast?", fragte die Mutter freundlich und reichte Edmond die Hand.

„Nein", erwiderte Jermyn verstimmt und verschwand im Hotelzimmer.

„Mein Name ist Dr. Lemon. Ich freue mich, Sie kennen zu lernen", stellte sich Edmond höflich vor.

„Ganz meinerseits. Möchten Sie hereinkommen?", fragte die Frau.

„Nein Danke. Ich muss leider weiter. Es war nett, Sie… ähm… ich meine. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag", stotterte Edmond unbeholfen und ging dann rasch davon, bevor er sich noch weiter verhaspeln konnte.

Die besorgte Mutter ging zurück ins Zimmer, um nach ihrem Sohn zu sehen, den sie schließlich zu einem kleinen Ball eingerollt und in eine schwarze Decke eingewickelt auf dem Bett liegend vorfand.

 

*****

 

Den Vampiren stand eine lange Nacht bevor. Die ersten Clanmitglieder hatten die Behausung bereits verlassen. Nie mehr als fünf Vampire bildeten eine Gruppe und in jeder davon waren mindestens ein Kalkador und ein ranghöheres Mitglied vertreten. Somit bildeten sich mehrere kleine Gruppen, die den Clan zu unterschiedlichen Zeiten verließen. Abwechselnd oben über das Haus und unten über die unterirdischen Höhlen.

Noel wollte den Clan mit seiner Gruppe als letzter verlassen und stand deshalb im oberen Stockwerk des Hauses hinter einem unbeleuchteten Fenster, um die Straße zu beobachten. Die trügerische Stille beunruhigte ihn sehr. Er ahnte, dass bald etwas passieren würde und er hoffte inständig, dass es nichts mit Soldaten zu tun haben würde.

Seine drei Nachkommen waren bei ihm, um eventuell noch letzte Anweisungen entgegenzunehmen. Niemand mochte den Gedanken, ihr vertrautes Heim verlassen zu müssen, weshalb die Stimmung entsprechend gedrückt war.

„Peter, du gehst mit deiner Gruppe als nächster", informierte Noel seinen Centradu.

„In Ordnung. Dann bis in drei Tagen", versuchte Peter möglichst unbekümmert zu wirken, wobei er sich in Wahrheit ganz und gar nicht wohl dabei fühlte, die nächsten Tage ohne seine Familie zu verbringen. Noch dazu weil er Karen in seiner Gruppe mit dabei hatte und er ein verheiratetes Pärchen mit ihr vortäuschen sollte. Soviel wie sie sich zankten, war dies jedoch kaum eine Schwierigkeit.

Gerade als Peter das verdunkelte Zimmer verlassen wollte, hielt Djoser ihn noch auf, da dieser nahe an der Tür gestanden war, legte ihm seine Hand an die Wange und meinte eindringlich: „Pass gut auf dich auf."

Ohne dass Noel es eigentlich wollte, behielt er die beiden misstrauisch im Auge, um sicherzustellen, dass Djoser keine Macht über seinen Centradu ausspielen würde. Doch diese Sorge war unbegründet. Djoser bereute es mittlerweile sehr, dass er Peter auf diese Weise benutzt hatte, um gegen seinen inneren Schmerz anzukämpfen. Denn dadurch stand nun eine Barriere zwischen ihnen, die viel Zeit benötigen würde, bis sie überwunden werden konnte.

„Keine Sorge, so schnell bringt mich nichts um", erwiderte Peter mit einem frechen Augenzwinkern und ging schließlich davon.

Peters Gruppe verließ den Clan über die Höhlen, weshalb es außer einer leeren Straße nichts Interessantes zu sehen geben sollte. Deshalb erstarrte Noel, als plötzlich ein Taxi vor dem Haus anhielt und eine Frau mittleren Alters zielstrebig auf sie zuging.

„Wer ist das?", fragte er Djoser und Joshua und deutete aus dem Fenster, doch keiner seiner Nachkommen konnte diese Frage beantworten.

Die Frau läutete an der Tür und gleich darauf hörten die Vampire die Stimme der Frau und die von Edmond, der sie offensichtlich kannte.

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Bitte verzeihen Sie, ich kann Ihnen nicht helfen", log Edmond, als Jermyns Mutter nach Djoser fragte.

„Bitte! Es ist wichtig. Ich weiß, dass er hier ist. Sie müssen mich zu ihm bringen!", flehte sie weiter.

„Es gibt hier keinen Djoser. Bitte glauben Sie mir", wiederholte Edmond erneut.

„Hören Sie! Mein Junge würde mich nie anlügen. Er hat gesagt, dass es einen versteckten Eingang gibt, der nach unten führt und dass dort diese Leute leben, die meinen Jungen gerettet haben. Ich muss mit diesen Leuten sprechen. Es ist wirklich wichtig!" Unbeirrbar fing sie an das Erdgeschoss nach besagtem Eingang abzusuchen, während Edmond ihr immer wieder klarzumachen versuchte, dass sie sich irrte.

Djoser blickte fragend zu Noel, doch dieser deutete ihm stumm, dass er nicht zu der Frau gehen sollte, dem Djoser sich ohne Widerrede beugte.

„Wehrte Dame, bitte glauben Sie mir. Hier ist niemand!", beteuerte Edmond zum wiederholtem Male.

„Sie lügen! Ich weiß, dass er hier ist! Djoser!", rief sie lautstark nach ihm.

„Um Himmels Willen, bitte seien Sie leise! Sie wecken mir noch die ganze Nachbarschaft auf", versuchte Edmond sie zur Vernunft zu bringen.

„Ich höre nicht eher auf zu schreien, bevor Sie mich zu ihm bringen!", drohte sie entschlossen.

Edmond seufzte tief auf, bevor er erneut sagte: „Es wird Ihnen nichts bringen. Er ist nicht hier."

„Djoser!", schrie sie aus Leibeskräften.

„Bitte, seien Sie still! Er wird nicht kommen!"

„Bitte, Doktor. Sie müssen mir helfen. Sie müssen mich zu ihm lassen. Er muss meinem Jungen helfen!", bat sie nun mit Tränen in den Augen.

„Sie wissen doch gar nicht, was Sie damit verlangen. Glauben Sie mir. Für Ihren Sohn ist es besser, wenn er ihm nie wieder begegnet", meinte Edmond, während er die Frau tröstend in den Arm nahm und damit indirekt zugab, dass er Djoser kannte.

Edmond von sich drückend, betonte sie: „Ich weiß genau, was ich damit verlange. Jermyn hat mir alles genau erzählt. Diese Leute sind Vampire und sie können meinen Jungen beschützen. Die Ärzte sagen, dass mein Junge verrückt geworden ist, doch ich glaube ihm. Er hat mich noch nie belogen."

„Wenn Sie tatsächlich glauben, dass Djoser ein Vampir ist, wie können Sie dann von ihm erwarten, dass er Ihrem Sohn hilft? Was, wenn er ihn ebenfalls in einen Vampir verwandeln wird? Was, wenn er ihn tötet? So oder so, Sie würden Ihren Sohn vielleicht nie wieder sehen. Ist es wirklich das, was Sie wollen?", versuchte Edmond es mit Logik.

„Wenn es meinen Jungen damit glücklich macht und er dadurch ohne Angst ist, bin ich gerne bereit ihm Lebewohl zu sagen. Auch wenn ich ihn dann nie wieder sehen werde, doch ich kann dann wenigstens mit der Gewissheit leben, dass es ihm gut geht. Ich will doch nicht mehr, als dass er ihn in der Klinik besucht. Wenn Sie ihm das wenigstens ausrichten könnten. Ich schaffe es nicht, ihm diese Angst zu nehmen, doch dieser Mann könnte es. Er soll keine Angst mehr haben. Bitte!"

„Klinik? Weshalb ist Jermyn in der Klinik?", fragte Edmond überrascht.

„Er hat versucht sich umzubringen", gestand die Frau unter Tränen.

Innerlich hatte Noel lange nach einem triftigen Grund gesucht, und als die Frau etwas von einer Klinik erwähnte und von Ärzten, die Jermyn wegen seiner Erzählung über Vampire für verrückt erklärten, war er erleichtert, einen Grund gefunden zu haben. So stellte Jermyn außerhalb des Clans ein größeres Risiko dar, als wenn sie ihn bei sich hätten, weshalb er zu Djoser blickte und nicht mehr zu tun brauchte, als nur zu nicken, um diesem das Zeichen zu geben, dass er gehen und Jermyn zu sich holen durfte.

Dankbar über diese Entscheidung, erwiderte Djoser noch das Nicken, bevor er nach unten zu Edmond und der Frau eilte. Diese erschrak, als plötzlich ein Mann, wie aus dem Nichts, neben ihr stand und sie fragte: „Wo finde ich ihn?"

„Sind Sie Djoser?", wollte die Frau wissen, während sie ihn mit großen Augen ansah.

Nickend bestätigte er ihr: „Ja, der bin ich."

„Werden Sie meinem Jungen helfen?"

„Das werde ich", versicherte er ihr zuversichtlich.

Mehr brauchte sie nicht zu hören. Erleichtert nannte sie ihm die Klinik und das Zimmer, in dem Jermyn lag. Sofort setzte sich Djoser in Bewegung, um Jermyn zu holen, doch Edmond rief ihm nach: „Warten Sie! Wenn die Ärzte eine psychische Störung diagnostiziert haben, werden Sie nicht ohne weiteres zu ihm gelangen. Sie brauchen einen Arzt, der Sie dazu ermächtigt. Ich begleite Sie."

„Können Sie als auswärtiger Arzt tatsächlich ein Besuchsrecht erwirken?", bezweifelte Djoser.

„Normalerweise nicht. Aber ich kann es zumindest versuchen. Um diese Zeit sind kaum Ärzte anwesend und die Nachtschwestern können sich nirgends eine Bestätigung einholen, ob ich wirklich dazu berechtigt bin oder nicht. Ich werde versuchen einen dringenden Notfall vorzutäuschen", erklärte Edmond seinen Plan.

„Also gut, dann kommen Sie!", meinte Djoser ungeduldig, da er möglichst schnell zu Jermyn wollte.

„Soll ich nicht mitkommen?", fragte die Frau ebenfalls.

Verneinend antwortete ihr Djoser: „Fahren Sie nachhause und machen Sie sich keine Gedanken. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich mich gut um ihn kümmern werde. Und ich verspreche, dass Sie ihn wieder sehen werden."

„Danke", sagte sie aufrichtig, und sah den beiden Männern nach, wie sie das Haus verließen.

 

*****

 

Djoser fuhr den Kleinwagen, den die Vampire Edmond zur Verfügung gestellt hatten, in zügigem Tempo zur Klinik. Während der Fahrt sprachen die beiden kein Wort. Sich am Haltegriff festkrallend, hielt Edmond seinen Blick fest auf die Straße gerichtet, da Djoser für seinen Geschmack etwas zu schnell fuhr. Er war sichtlich erleichtert, als sie endlich an der Klinik ankamen.

Gerade, als Edmond aussteigen wollte, fragte Djoser ihn noch: „Warum helfen Sie mir? Ich dachte, Sie sind der Meinung, dass Jermyn besser bei seiner Mutter sein sollte, als bei mir."

Kurz darüber nachdenkend, antwortete Edmond: „Vielleicht habe ich mich geirrt? Wie käme ich dazu, zu behauten Jermyn wäre bei Ihnen nicht in guten Händen, wenn sogar seine eigene Mutter darum fleht, dass Sie sich um ihn kümmern, und sogar freiwillig darauf verzichten will, ihren Sohn jemals wieder zu sehen."

Verstehend nickte Djoser und war damit beruhigt. Ihm lag so viel daran, Jermyn zu sich zu hohlen, dass er fürchtete, Edmond hätte sich nur deshalb angeboten ihm zu helfen, damit er ihn im letzten Augenblick noch aufhalten könne, doch scheinbar wollte der Doktor ihm wirklich helfen.

Für Edmond war es kein großes Problem, sich in der Klinik zurechtzufinden. Mit sicheren Schritten steuerte er auf die richtige Abteilung zu, in der so spät kaum noch Angestellte unterwegs waren. Als Edmond jedoch die Nachtschwester erblickte, die an diesem Abend Dienst hatte und den Eingang zur geschlossenen Abteilung bewachte, gab Edmond einen ziemlich unschicklichen Fluch von sich und machte sofort wieder kehrt.

„Was ist?", fragte Djoser sofort misstrauisch, als Edmond ihn in den nächstgelegenen Gang schob, sodass sie von der Nachtschwester nicht gesehen werden konnten.

„Ich kenne diese Schwester. Sie wird uns nicht rein lassen. Wir müssen uns etwas anderes überlegen", informierte ihn Edmond und suchte fieberhaft nach einer Lösung.

„Ich warne Sie, falls das ein Trick sein soll…", sagte Djoser und ließ das Ende des Satzes als offene Drohung im Raum stehen.

Edmond jedoch ignorierte diese Drohung vollkommen, da ihm gerade eine Idee kam und weshalb er eilig fragte: „Wenn ich es schaffe, die Schwester von dort wegzulocken, glauben Sie dann, dass Sie durch diese Tür gelangen können?"

Um darauf zu antworten, brauchte Djoser sich die Tür nicht genauer anzusehen, denn er hatte sich diese Frage selber bereits gestellt, als er diese zuvor erblickt hatte: „Ja, das müsste gehen."

„Gut, dann halten Sie sich bereit", fügte Edmond noch hinzu, bevor er ohne auf Djosers Reaktion zu warten zurück in den Gang ging und dort direkt auf die Nachtschwester zusteuerte.

Gespielt aufgebracht, fing er bereits unterwegs an zu rufen: „Valerie, gut, dass ich dich sehe! Es ist eine Katastrophe! Diese jugendlichen Rabauken schrecken heutzutage doch wirklich vor gar nichts mehr zurück. Ich wollte eigentlich gerade nachhause fahren, als ich es gesehen habe, es ist wirklich unfassbar. Es tut mir ja so Leid für dich. Wie hast du den Schrecken nur verkraftet? Kann ich irgendwas für dich tun?"

„Himmel Lemon, wovon zum Teufel sprichst du?", fragte die Nachtschwester besorgt.

„Na von deinem Liebling! Hast du es noch nicht gesehen? Mein Gott, sag nicht, dass ich derjenige bin, der dir die schlechte Nachricht überbringt!", erwiderte Edmond mit sichtbarem Entsetzen.

„Was ist mit meinem Baby? Los, sag es sofort!", drängte die Frau energisch.

„Oh, ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll", tat Edmond, als hätte er Angst ihr davon zu erzählen.

Wie erwartet, zögerte sie keinen Augenblick länger und eilte rasch davon, um sich selbst von dem Ausmaß der Katastrophe zu überzeugen. Edmond musste sich arg beherrschen, nicht lauthals loszuprusten, hielt sich deshalb die Hand vor den Mund und mimte ein besorgtes Gesicht.

Als die Nachtschwester endlich außer Sichtweite war, eilte Djoser rasch herbei und machte sich sofort an der Tür zu schaffen. Es war ihm ein Leichtes die massive Sicherheitstür mit einem kräftigen Stoß aufzustoßen und sofort verschwanden die Beiden im dahinter liegenden Gang.

„Von was für einem Ding haben Sie der Schwester eigentlich erzählt?", fragte Djoser, während sie rasch nach der Zimmernummer suchten.

„Ich redete von ihrem Auto. Es ist ihr Heiligtum. Diese Frau würde über Leichen gehen, wenn jemand ihr Auto bedrohen würde", erklärte Edmond, doch Djoser hörte gar nicht mehr genau zu, da er plötzlich den feinen Geruch von Blut aufgenommen hatte und jeder seiner Sinne daraufhin Alarm schlug. Denn es war eindeutig Jermyns Blut.

Nicht mehr länger nach der Zimmernummer suchend, sondern nur noch diesem Geruch folgend, fand Djoser den Jungen binnen weniger Sekunden. Jermyn hatte sich in dem kleinen Badezimmer seines Krankenzimmers versteckt. Dort kauerte er zusammengerollt auf dem kalten Fliesenboden. Er trug nicht mehr als das dünne Nachtgewand der Klinik. Er hatte seine schwarze Decke bei sich, doch anstatt sich damit einzuwickeln, hatte er den weichen Stoff als Kissen unter seinem Kopf liegen. Vereinzelte blutbefleckte Glasscherben lagen auf dem Boden verteilt, welche anscheinend von einem Trinkglas stammten. An Jermyns beiden Armen waren Reste eines Verbandes, den er offensichtlich mit den Scherben aufgeschnitten und sich damit gleichzeitig tief ins Fleisch geschnitten hatte, um die noch frischen Narben seines Selbstmordversuchs erneut aufzuschneiden. Eine dunkelrote Blutlache hatte sich bereits unter seinem Körper gebildet.

Ein leichter Anflug von Panik durchfuhr Djoser bei diesem Anblick. Sofort stürzte er sich neben Jermyn auf den Boden und griff prüfend nach dessen Armen. Mit den aufgeschnittenen Verbandsresten versuchte er die Blutung zu stillen und erschrak dabei, wie schnell sich der Stoff dunkelrot färbte.

„Jermyn, hörst du mich?", redete er drängend auf den Jungen ein und strich ihm dabei hastig übers Gesicht, um ein Lebenszeichen von Jermyn zu erlangen, doch er erhielt keinerlei Reaktion.

„Oh mein Gott!", hörte Djoser nun die Stimme von Edmond, der nun ebenfalls von dem blutigen Anblick geschockt war. „Ich hole Hilfe", sagte er entschlossen und eilte sogleich davon, doch ehe er das Zimmer verlassen konnte, war Djoser ihm nachgeeilt und hielt ihn nun mit einem festen Griff am Arm auf.

„Um Himmels Willen, lassen Sie mich los! Er stirbt vielleicht", drängte Edmond den Vampir, doch dieser ließ ihn nicht los. Stattdessen zog er ihn mit finsterer Miene zurück in das Badezimmer schob ihn dort grob gegen die Wand und meinte warnend: „Sie bleiben hier, verstanden?"

„Aber Jermyn braucht Hilfe! Sehen Sie denn nicht, wie viel Blut er bereits verloren hat?", argumentierte Edmond mutig und deutete dabei auf die große Blutlache vor Jermyns Körper.

Ohne Edmonds zeigendem Finger zu folgen, sondern dem Doktor weiter fest in die Augen blickend, sagte Djoser: „Ich brauch es nicht zu sehen. Ich kann es spüren. Es ist zu spät für ihn. Er wird es nicht schaffen."

„Woher…?", erwiderte er sprachlos über den Schock, dass sie scheinbar zu spät gekommen waren. Er fühlte sich schuldig, da er Noel durch seine Bitte dazu gebracht hatte, Jermyn nachhause zu schicken.

„Ich weiß es einfach", antwortete Djoser nur knapp, bevor er den Doktor aus seinem festen Griff befreite. Er wirkte nachdenklich, als stünde er vor einer schwierigen Entscheidung, die ihm Angst bereitete.

„Können Sie ihn nicht…?", ließ Edmond die Frage offen stehen. Er konnte seine Frage nicht in Worte fassen. Er konnte nicht danach fragen, ob Djoser den Jungen verwandeln könnte.

Traurig erwiderte Djoser den besorgten Blick des Doktors und erklärte: „Ich habe noch keinen Centra. Mein erster Nachkomme würde automatisch ein Centra werden und so sehr ich ihn auch liebe, ich kann ihn nicht zum Centra machen. Mein Status als erster Centra des Clans verbietet es mir. Ich muss meine Nachkommen mit Bedacht wählen. Ich darf nicht einfach irgendjemand verwandeln, weil ich nicht will, das er stirbt."

„Sagten Sie gerade, sie lieben ihn? Warum verwandeln Sie ihn dann nicht einfach in Ihren Loraib?", erwiderte Edmond engagiert, ohne sich über die Absurdität dieser Bitte zu wundern. Noch vor wenigen Wochen hätte er solche Worte nie in den Mund genommen.

„So einfach ist das leider nicht. Um ihn zu meinem Loraib zu machen, ist mehr notwendig, als ihn nur von mir trinken zu lassen", deutete Djoser an und fügte hinzu: „Außerdem brauche ich dazu seine Zustimmung. Wenn ich ihn gegen seinen Willen zum Loraib verwandle, wird er für den Rest seiner Existenz unter der aufgezwungenen Bindung an mich leiden, so wie Svenja. Das will ich ihm nicht antun."

„Ich bin mir sicher, er würde Ihnen die Zustimmung geben", sprach Edmond offen aus, was Djoser im Inneren seines Herzens zu wissen hoffte.

„Vermutlich ja, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er viel zu schwach…", stockte er mitten im Satz, als er sich plötzlich an etwas erinnerte.

Rasch beugte er sich erneut zu Jermyn herab und überprüfte dessen Zustand genauer. Jermyns Puls war kaum noch wahrnehmbar. Er war ohne Bewusstsein und sein Herz würde jeden Augenblick aufhören zu schlagen. Es galt keine Zeit zu verlieren.

„Ich brauche Ihre Hilfe. Kommen Sie her", forderte der Vampir den Doktor auf.

„Wozu? Was haben Sie vor?", fragte Edmond, während er neben den beiden auf dem Boden in die Hocke ging, wobei er darauf achtete, dass er nicht in die Blutlache trat.

„Ich brauche etwas von Ihrem Blut", erklärte ihm Djoser, worauf Edmond erschrocken aufsprang und einen Schritt zurückwich. „Sie scherzen!"

„Wir haben keine Zeit für Scherze. Bitte vertrauen Sie mir. Ich schwöre, ich werde Sie nicht töten. Ich brauche nur ein oder zwei Schlucke", versuchte Djoser den Doktor zu überreden.

„Wozu soll das gut sein?", fragte Edmond misstrauisch.

„Ich erkläre es Ihnen später. Ich verspreche es! Und wenn Sie wollen, können Sie auch dabei sein, wenn ich ihn verwandle, aber bitte geben Sie mir jetzt Ihre Hand!", drängte Djoser flehend, da er kaum noch Lebenszeichen von Jermyns Körper wahrnehmen konnte.

Zögernd reichte ihm Edmond schließlich seine Hand. Langsam, um den Menschen nicht zu erschrecken, griff Djoser danach und führte Edmonds Handgelenk an seinen Mund heran. Er blickte Edmond prüfend entgegen, bevor er seine rasiermesserscharfen Schneidezähne in das zarte Fleisch bohrte, wobei er darauf achtete, möglichst schmerzfrei zuzubeißen.

Edmond spürte erst ein kurzes schmerzvolles Stechen und dann das Saugen des Vampirs. Überraschenderweise tat es kaum noch weh und war beinahe ein angenehmes Gefühl. Vor allem ein bestimmter Teil seines Körpers reagierte mit großem Interesse. Niemals hätte er geglaubt, dass der Anblick eines Mannes, der an seinem Handgelenk saugt, zusammen mit dem Gefühl feuchter Lippen auf seiner Haut, ihn erregen würde.

Den ersten Schluck stahl Djoser für sich selbst, da der köstliche Geschmack zu verlockend für ihn war und seinem Gaumen schmeichelte, um so eine seltene Gelegenheit, frisches Blut direkt aus der Ader zu bekommen, ungenutzt verstreichen zu lassen. Doch dann saugte er nur solange weiter, bis sein Mund gut gefüllt war. Vorsichtig löste er sich von Edmond und nickte ihm dankbar zu.

Neugierig beobachtete Edmond das weitere Geschehen, wobei er nur einen kurzen Blick auf die zwei runden Einstichstellen an seinem Unterarm warf. Djoser kramte währenddessen in der Innentasche seiner Lederjacke und holte daraus einen kleinen Edelstahlflachmann hervor.

„Was ist das?" fragte Edmond interessiert.

Djoser konnte ihm nicht antworten, da sein Mund mit Blut gefüllt war, weshalb er mit seinem Finger nur kurz auf seine geschlossene Lippen deutete und dann mit seinem Vorhaben fortfuhr. Er füllte nur ein klein wenig von der Flüssigkeit aus der Flasche in den Deckel um diese dann in Jermyns Mund tropfen zu lassen. Es war kaum genug, um Jermyns Zunge zu benetzen, doch es verursachte den gewünschten Effekt. Die konzentrierte Flüssigkeit hatte einen stark bitteren Geschmack, die sogar Tote aus der Erde erwecken würde, wenn diese etwas schmecken könnten. Dementsprechend kam Jermyn etwas zu sich und sein Kreislauf bekam einen kurzen Schub. Dieser Zustand würde aber nur wenige Sekunden anhalten, weshalb Eile geboten war. Rasch senkte Djoser seine Lippen auf Jermyn herab und ließ das Blut in dessen Mundhöhle fließen. Zum Glück schluckte Jermyn ganz automatisch, als das Blut seinen Gaumen erreichte. Anschließend biss sich Djoser mit einem seiner Zähne ins eigene Backenfleisch, um auch etwas von seinem vampirischen Blut an Jermyn weiterzugeben. Ihre Zungen trafen sich dabei und sie vereinten sich zu einem sanften Zungenkuss, wobei Djoser mit Freude verspürte, wie Jermyn regelrecht nach mehr hungerte und schwach an ihm saugte. Nur ungern musste Djoser sich schließlich von Jermyn trennen, wobei er erleichtert feststellte, dass dieser bei Bewusstsein war.

Jermyn war es bisher vorgekommen, als wäre er in einem angenehmen Traum, doch als er Djoser nun erblickte, realisierte er langsam, dass es Wirklichkeit war. Sofort richtete er sich deshalb mit aller Kraft auf und schlang seine Arme um den Hals des Vampirs. Djoser nutzte diese Gelegenheit, um Jermyn zu greifen und vom Boden hochzuheben.

„Würden Sie mir kurz helfen?", fragte er den Doktor und blickte dabei auf die am Boden liegende Decke.

„Äh was? Oh ja sicher." Edmond war so von dem Gesehenen fasziniert, dass er sichtlich irritiert war. Als er Jermyn die Decke über den Körper legte, fragte er neugierig: „Was war das grad eben?"

Djosers ganze Aufmerksamkeit war jedoch auf Jermyn gerichtet, der noch immer einen besorgniserregenden Eindruck machte. Bestimmend sagte er zu ihm: „Versuch wach zu bleiben! Hörst du? Es ist wichtig, dass du wach bleibst!"

„Kann ich doch bei dir bleiben?", fragte Jermyn mit schwacher Stimme und voller Hoffnung.

„Ja, aber nur, wenn du wach bleibst", wiederholte Djoser erneut mit strengem Ton.

Nickend bestätigte Jermyn daraufhin: „Ich werde wach bleiben."

„So ist es gut", erwiderte Djoser zufrieden und trug Jermyn dann aus dem Bad ins angrenzende Krankenzimmer. Dort stand das Krankenbett, an das Jermyn offensichtlich gefesselt war, damit er sich nicht selbst verletzen würde. Offensichtlich war es ihm gelungen sich daraus zu befreien.

Dort auf das Bett setzte Djoser den Jungen kurzzeitig ab, um dann das Fenster zu öffnen und die Gitterabsperrung mit einem kräftigen Stoß aus den Angeln zu reißen.

„Sie haben versprochen mir alles zu erklären!", meldete sich Edmond beleidigt zu Wort.

Djoser seufzte auf, bevor er, während er Jermyn erneut hochhob, erklärte: „Also gut, was wollen Sie wissen?"

„Was war das für eine Flüssigkeit und was bewirkt sie?"

„Das war dieselbe Flüssigkeit, die wir Jermyn auch gegeben haben, als wir das Aufnahmeritual durchgeführt haben. Es bewirkt im Grunde nur, dass sein Körper das vampirische Blut aufnehmen kann. Und je nach Zusammensetzung hat es entweder eine belegende oder aphrodisische Wirkung auf den menschlichen Körper oder eine tödliche. Ohne mein Blut wäre es absolut tödlich für ihn", erklärte er rasch, während er mit Jermyn im Arm auf den Fenstersims rutschte und sich dann anschließend nach unten auf den Boden fallen ließ.

„Wäre es dann nicht möglich ihn jetzt mit einer Blutkonserve zu behandeln?", rief Edmond ihm mit gesenkter stimme nach, bevor er ihm ebenfalls durchs Fenster ins Freie folgte.

Sich im Schutze einiger Büsche versteckend, richtete Djoser sein Augenmerk auf den Parkplatz des Krankenhauses, um zu sehen, ob sie unbemerkt zum Auto zurückgehen könnten, während er gleichzeitig im Flüsterton erklärte: „Das wird nicht funktionieren. Sobald die Wirkung meines Blutes nachlässt wird er sterben. Es ist eigentlich ein Trick, der zu früheren Zeiten bei Folterungen angewandt wurde. Wenn das Folteropfer zu sterben droht, gewinnt man dadurch etwas Zeit, da diese Mischung kurzzeitig sehr belebend wirkt. Wenn wir Glück haben, gewinnen wir so genug Zeit, um das Ritual durchzuführen."

„Welches Ritual?", fragte Jermyn mit kaum hörbarer Stimme, als er dies hörte.

Auf Jermyn herabblickend, meinte Djoser: „Ich erkläre dir alles genau, sobald wir an einem ruhigen Ort sind. Hab keine Angst, es ist alles in Ordnung."

Dadurch beruhigt, kuschelte sich Jermyn wieder zurück an Djosers Hals.

„Ich hole das Auto", meinte Edmond währenddessen, da er endlich gemerkt hatte, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für ein Frageantwortspiel war.

 

*****

 

Schon während der Fahrt zurück zum Haus der Altair hatte Djoser ein ungutes Gefühl, was sich verstärkte, je näher sie an ihrem Ziel angelangten, sodass er Edmond wenige Straßen vor dem Haus bat, anzuhalten.

„Was ist? Geht es Jermyn schlechter?", fragte Edmond sofort besorgt und blickte zurück auf den Rücksitz.

„Nein. Ich habe nur ein ungutes Gefühl. Warten Sie hier. Ich werde kurz nachsehen, ob alles in Ordnung ist", erwiderte Djoser, während er Jermyn sachte auf den Sitz absetzte und mahnend zu ihm meinte: „Denk daran wach zu bleiben! Ich bin in ein paar Minuten wieder bei dir."

„Okay", sagte Jermyn nickend.

Ängstlich blickte er Djoser nach, wie dieser das Auto verließ und mit raschen Schritten im Schatten der Dunkelheit verschwand. Die Müdigkeit nagte sehr an ihm, doch er wollte Djoser um keinen Preis enttäuschen, weshalb er sich mit aller Kraft zwang, wach zu bleiben.

 

*****

 

Djoser lauschte in die Nacht, um eine Antwort auf seine Gefühle zu erhalten. Die Geräusche, die er hörte, gefielen ihm ganz und gar nicht. Anstatt direkt auf die Straße zuzugehen, in der das Haus stand, hielt er einen Häuserblock weiter auf ein höheres Gebäude zu, von dem aus er wusste, dass man die ganze Gegend gut überblicken konnte. Von dort aus wollte er versuchen einen Blick auf das Haus zu werfen.

Was er dann sah, ließ ihn zutiefst erschaudern. Bunte Lichter von Polizei und Feuerwehrautos erhellten die Straße. Einsatztruppen der Armee waren in der ganzen Gegend verteilt. Die Straßen rund um das Haus waren abgesperrt. Sensationslustige Menschen waren an den Absperrungen versammelt, um zu sehen, was dort vor sich ging. Größere militärische Fahrzeuge standen direkt am Haus, wo Djoser gerade noch sehen konnte, wie ein Mitglied seines Clans hinein geschoben wurde.

Geschockt wandte er sich ab und versteckte sich im sicheren Schatten, um dem schrecklichen Anblick zu entgehen. Tausende Gedanken rasten ihm durch den Kopf, bis er endlich einen klaren Gedanken fassen konnte und wusste, was zu tun war. Zunächst musste er aber erstmal zurück und Edmond und Jermyn an einen sicheren Ort bringen.

 

*****

 

Bewusst steuerte Djoser kein bekanntes Versteck seines Clans an, sondern ein einfaches Motel außerhalb der Stadt, das sie nicht mit dem Wagen, sondern mit einem Taxi erreichten. Das Auto ließen sie einfach in der Straße stehen, da es zu leicht mit Edmond und dem Haus in Verbindung hätte gebracht werden können. Unterwegs hatte Djoser den beiden anderen erklärt, was er gesehen hatte, worüber jeder ebenso geschockt reagierte, wie er. Jermyn konnte sich am besten vorstellen, was passiert war und obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte, Vampire zu hassen, fühlte er Mitleid mit den Altairs. Vor allem um Peter und Noel sorgte er sich.

Djoser hoffte, dass wenigstens Peter in Sicherheit war, da dieser vor ihm den Clan verlassen hatte. Im Moment konnte er jedoch nicht mehr tun, als die nächsten drei Nächte abzuwarten, bis der vereinbarte Zeitpunkt ihres Treffens kam. Bis dahin hatte er einen sterbenden Jungen bei sich, den er zu seinem Loraib machen wollte und einen wissbegierigen Menschen, dem er leichtsinnigerweise versprochen hatte, dabei zuzusehen. Es konnte also kaum noch schlimmer kommen.

Nachdem Djoser Jermyn auf dem Bett des Motels abgesetzt hatte, zog er sich zurück und schloss sich in dem angrenzenden Badezimmer ein. Edmond sah ihm verwirrt nach, besaß jedoch genug Feingefühl, Djoser nicht anzusprechen. Stattdessen überprüfte er Jermyns Zustand und achtete darauf, dass dieser nicht einschlief. Jermyn war sichtlich erschöpft und kämpfte mit sich, wach zu bleiben.

Auf dem Boden des Badzimmers sitzend, starrte Djoser ins Leere und versuchte eine Entscheidung für seine nächsten Schritte zu treffen. Jermyn gerade jetzt zu verwandeln, trug ein großes Risiko in sich. Im Moment hatte Djoser keine sichere Zuflucht und keinen Schutz durch seine Clanmitglieder. Er würde sich allein durchschlagen und sich für die nächsten Tage um eine vertrauenswürdige Blutquelle kümmern müssen. Viel leichter wäre es für ihn, wenn er Jermyn sterben lassen und sich auf die Suche nach Peter machen würde. Gewiss könnte er es schaffen, seinen Bruder ausfindig zu machen. Er wünschte sich, er könnte bei seinem Sirus nach Rat fragen, wobei ihm nach langer Zeit wieder richtig bewusst wurde, wie sehr er seine Familie brauchte.

Auch nach langen Überlegungen schaffte es Djoser nicht, sich zwischen seinen Gefühlen und der Vernunft zu entscheiden, weshalb er die Entscheidung jemanden anderen überlassen wollte.

Er ging zurück ins Zimmer und setzte sich neben Jermyn, der halb sitzend auf dem Bett lag.

Mit bedrückter Miene versuchte Djoser dem Jungen den Ernst der Lage zu erklären: „Jermyn, du musst mir jetzt genau zuhören. Du hast zu viel Blut verloren. So oder so, du wirst diese Nacht nicht überleben, doch es liegt an dir, ob du weiterleben willst, oder nicht."

Verständlicherweise blickte Jermyn ihn irritiert an und sagte: „Was?"

„Du weißt, was ein Loraib ist, nicht wahr?", fragte Djoser nach.

„Ja", antwortete Jermyn und fügte genauer hinzu: „Ein Loraib ist ein fester Partner eines Vampirs."

„Ganz recht. Er ist ein Gefährte und ein Geliebter. Ein Loraib ist durch seine Verwandlung an seinen Sirus gebunden. Nicht einmal der Tod kann diese Verbindung trennen. Der Hauptgrund jedoch, warum ein Vampir sich einen Loraib zum Partner macht ist, weil dieser ihm jederzeit sexuell frei zur Verfügung steht. Ein Loraib kann sich seinem Sirus nicht verweigern. Da es im Leben eines Vampirs kaum etwas Weltbewegendes gibt, um das er sich kümmern muss, außer, dass er genug Blut zum Überleben bekommt, wurde der Sex im Laufe der Zeit ein sehr wichtiger Bestandteil unserer Existenz. Wir treiben es oft und heftig, wie du es ja bei mir und Peter miterlebt hast."

Nickend bestätigte ihm Jermyn, dass er ihm folgen konnte, worauf Djoser weiter fragte: „Als du vor drei Nächten bei uns warst, hattest du mir angeboten, mir ein richtiges Parley zu sein. Wie ernst war dir das?"

„Ich meinte es wirklich ernst. Ich kann dir ein Parley sein, wenn du es willst!", bestätigte Jermyn bereitwillig und versuchte sich vorzulehnen, um Djosers Lippen für einen Kuss zu erreichen, doch Djoser schob ihn zurück aufs Bett und sagte: „Ich will dich nicht als mein Parley. Ich frage dich, ob du mein Loraib sein willst."

„Natürlich! Alles, was du willst", antwortete Jermyn sofort, ohne darüber nachzudenken.

„Jermyn! Überlege dir gut, ob du das auch wirklich willst. Das ist eine Entscheidung für die Ewigkeit. Wenn dir der Gedanke daran, Sex mit mir zu haben, Unbehagen bereitet, weil du durch deine Erlebnisse bei den Volganern geprägt bist, wird sich auch nach deiner Verwandlung nichts daran ändern. Du wirst für die Ewigkeit damit leben müssen und ich will kein Loraib, das sich mir nur wegen des Bandes zwischen Sirus und Loraib hingibt."

Nach diesen offenen Worten dachte Jermyn noch einmal genauer darüber nach und antwortete schließlich: „Ich will dein Loraib sein. Deine Nähe bereitet mir kein Unbehagen. Wenn ich bei dir bin, habe ich keine Angst. Und auch der Gedanke an Sex mit dir stört mich nicht. Ich will keine Angst mehr haben. Bitte."

Erwartungsvoll blickten nun beide Menschen auf den Vampir und warteten auf seine Reaktion. Djoser war nicht wirklich von Jermyns Aussage überzeugt. Zwar glaubte er ihm, dass er sich ihm freiwillig hingeben würde, schließlich hatte man ihm dies über Jahre hinweg gelernt, doch er bezweifelte, dass Jermyn es aus echter Zuneigung heraus tun wollte, sondern nur aufgrund seiner tiefen Ängste.

Er hatte immer davon geträumt, eine ebenso tiefe und innige Beziehung zu seinem Loraib führen zu können, wie Noel und Joshua es taten. Anhand von Svenja hatte er gesehen, wie sehr ein Loraib unter einer aufgezwungenen Verbindung leiden konnte und dies wollte er Jermyn eigentlich nicht antun und er war sich nicht sicher, ob er mit ihm als Loraib eine so innige Beziehung haben könnte, wie er sie es sich erträumte.

Allerdings lief ihm die Zeit davon, um sich ausreichend Gewissheit zu verschaffen, weshalb er schnell handeln musste, wenn er die Verwandlung tatsächlich durchziehen wollte.

Also erhob er sich, nur um sich rasch seiner Kleidung zu entledigen. Anschließend warf er Jermyns Decke beiseite und befreite ihn von dem dünnen Krankenhauskittel. Prüfend achtete er darauf, wie Jermyn auf sein Tun reagierte und ob dieser Zeichen von Furcht zeigen würde, doch Jermyn blieb vollkommen ruhig und ließ sich ohne Widerwehr ausziehen.

Edmond wich einen Schritt zurück und beobachtete etwas verstört, wie Djoser sich sachte neben den nun nackten Jermyn legte, dessen Lippen zu einem sanften aber fordernden Kuss eroberte und dessen Hand gleichzeitig zwischen Jermyns Beinen wanderte. Bereitwillig öffnete Jermyn seine Schenkel ein kleines Stück, um Djoser besseren Zugriff zu gewähren. Er verspürte keine Angst, sondern war innerlich bereit alles zu tun, um Djoser gefällig zu sein.

„Jetzt weiß ich es! Es ist der Sex! Sie schlafen mit ihm, während Sie ihn verwandeln. Das ist der Unterschied zu einer normalen Verwandlung, nicht wahr?", rief Edmond plötzlich aus, als ihm die Erleuchtung traf.

Leise lachend löste sich Djoser von Jermyns Lippen, blickte zu dem Doktor auf und fragte amüsiert: „Was dachten Sie, worin der Unterschied liegt? Dachten Sie, ich spreche eine mystische Zauberformel, damit mein Loraib mir für ewig verfallen bleibt?"

Etwas verlegen meinte Edmond daraufhin: „Nun ja, ich dachte, es liegt vielleicht an dieser seltsamen Flüssigkeit. Woher hätte ich es denn ahnen sollen?"

Grinsend lenkte Djoser seine Aufmerksamkeit zurück auf Jermyn und versuchte dabei zu vergessen, dass ein sensationslustiger Edmond ihn mit neugierigen Blicken beobachtete.

Mit geschickten Griffen und Streicheleinheiten versuchte er Jermyn in einen Zustand der Erregung zu bringen, doch wegen des hohen Blutverlusts zeigte sich kein deutlich sichtbarer Erfolg. Aber Djoser wusste, dass keine volle Erektion notwendig war, um zu einem Orgasmus zu kommen, weshalb er sich dadurch nicht beirren ließ. Jermyns Stöhnen und seine drängenden Bewegungen zeigten ihm mehr als genug, dass er sein Handwerk nach wie vor sehr gut beherrschte.

Leider konnte er sich nicht viel Zeit nehmen, um Jermyn auf den eigentlichen Akt vorzubereiten und unglücklicher Weise hatte er auch kein Gleitmittel zur Hand, weshalb er schließlich tief zwischen Jermyns Schenkel versank und dessen zuckende Öffnung mit einem intensiven Zungenspiel verwöhnte. Es war das erste Mal, dass Jermyn die Zunge eines anderen an seiner Öffnung spürte und er stellte überrascht fest, dass es ein großartiges Gefühl war, das ihm seiner Sinne beraubte.

Als Djoser seine Zunge durch seinen Zeigefinger ersetzte, zuckte Jermyn kurz zusammen, weshalb Djoser prüfend zu ihm aufblickte und fragte: „Ist das unangenehm?"

Jermyn schluckte schwer, bevor er antwortete: „Es ist seltsam. Aber nicht unangenehm. Es tut nicht weh."

Dies überzeugte Djoser kaum, weshalb er die ganze Sache abbrechen wollte, bevor er einen großen Fehler beginnen würde. Deshalb zog er seinen Finger zurück und ließ sich ausgestreckt neben Jermyn aufs Bett fallen. Seufzend verbarg er sein Gesicht mit seinem Arm und stellte sich darauf ein, Jermyn sterben zu lassen, anstatt ihn zu etwas zu machen, was er vielleicht gar nicht sein wollte.

Enttäuscht blickte Jermyn zu dem Vampir neben ihm. Er glaubte, etwas Falsches gesagt zu haben. Er erkannte, dass Djoser ihm seine Bereitschaft nicht glaubte, weshalb er es ihm beweisen wollte. Mühevoll richtete er sich auf und setzte sich auf Djosers Körper. Überrascht blickte Djoser auf und wollte gerade fragen, was Jermyn vorhatte, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er dessen Vorhaben erkannte. Durch den hohen Blutverlust waren Jermyns Bewegungen unsicher und er fühlte sich berauscht, doch es gelang ihm, sich ein Stück aufzurichten, nach Djosers Härte zu greifen und sich dann selbst darauf niedersinken zu lassen. Djoser stöhnte überwältigt auf, als Jermyn sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn setzte und seinen Schaft tief in dessen warmen Körper vergrub.

Jermyn selbst verspürte dabei kaum Schmerzen. Er hatte gelernt seine Schließmuskeln bei plötzlichem Eintreten eines harten Gegenstandes zu lockern, weshalb er nur einen kurzen Moment brauchte, um sich an Djosers Härte zu gewöhnen.

Selbst wenn Djoser es gewollt hätte, hätte er sich nun nicht mehr zurückhalten können. Er griff Jermyn bei den Hüften und stieß begierig nach oben; tiefer in die berauschende Wärme die ihn umgab; tiefer in den Körper des Jungen, der sein Herz im Sturm erobert hatte.

Er richtete sich mit seinem Oberkörper auf, um Jermyns Lippen zu erreichen, wodurch Jermyn nun direkt in seinem Schoß saß. Liebevoll schlang er seine Arme um Jermyns Körper, während sie einander erneut küssten, doch diesmal war es kein Kuss, der von Djoser dominiert wurde, sondern ein gleichermaßen sehnsüchtiger und verlangender Kuss sowohl von Djoser, als auch von Jermyn.

Mit jedem von Djosers Stößen wurde in Jermyns Innerem ein Punkt stimuliert, der sehr erregend wirkte und kleine Stromstöße durch seinen Körper jagte. Obwohl er durch seine Beobachtungen von Djoser und Peter bereits wusste, dass es möglich war, große Lust auf der empfangenden Seite zu verspüren und obwohl er dieselbe Lust auch bei seinem Aufnahmeritual zum Parley verspürt hatte, war es dennoch eine Überraschung für ihn, weshalb er zugleich fasziniert und entzückt in Djosers sanfte Augen blickte. Dies war ein Anblick, den Djoser für den Rest seines Lebens niemals vergessen würde. Tiefblaue Augen blickten ihm entgegen und strahlten vor Entzückung.

Djoser hätte diesen Ritt noch ewig weiterführen können, doch ein unbewusstes Augenverdrehen von Jermyn sagte ihm, dass sie nicht mehr viel Zeit hatten und Jermyn diese Anstrengung unmöglich noch sehr lange durchhalten konnte. Deshalb richtete er sich weiter auf und legte Jermyns Körper auf das Bett zurück. Mit tiefen gleichmäßigen Stößen führte er seinen Rhythmus weiter, während er Jermyns Schaft gleichzeitig mit der Hand stimulierte. Es war wichtig, das er Jermyn zum Höhepunkt bringen konnte, sonst würde die Verwandlung zum Loraib nicht gelingen.

Ohne Jermyns leicht anschwellende Härte loszulassen, streckte er sich nach einem Kuss. Biss sich zuvor jedoch in seine eigene Zunge und ließ dann sein Blut in Jermyns Mundhöhle wandern. Als wüsste Jermyn, dass dies ein entscheidender Moment war, saugte er gierig an Djosers Zunge und ignorierte den kupfernen Geschmack an seinem Gaumen. Er wollte so sehr einen festen Platz in Djosers Existenz bekommen, dass er sich ihm vollkommen hingab. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig ließ er alle Schranken fallen und ließ sich von der dominierenden Stärke des Vampirs leiten. Das vampirisch Blut bewirkte gleichzeitig einen erneuten Kreislaufschub in Jermyns Körper. Dies war der Augenblick, in dem sich die Spannung in ihm immer mehr aufbaute und sich schließlich mit einem Male mit einem plötzlichen Höhepunkt entlud.

Angetrieben von Jermyns zuckendem Anus folgte ihm Djoser direkt über die Klippe und versenkte gleich darauf seine Zähne in Jermyns Hals. Es war kein Biss, um Jermyn das Blut aus den Adern zu saugen, denn davon hatte dieser nicht mehr genug, um zu überlegen, sondern mehr ein Symbol für die Verwandlung. Mit diesem Biss machte er Jermyn unwiederbringlich zu seinem Eigentum.

Nach nur wenigen Schlücken löste sich Djoser von seinem Jungen und biss sich sofort in sein eigenes Handgelenk, während Jermyn ihn aus trüben Augen beobachtete. Er war von dem Akt so erschöpft, dass er die Augen kaum noch aufhalten konnte, doch er wehrte sich mit aller Kraft gegen die Dunkelheit. Willig öffnete er den Mund und saugte mit letzter Kraft an der offenen Wunde, die Djoser ihm darreichte. Das Schlucken fiel ihm immer schwerer, als würde sein Hals sich mit jedem Tropfen weiter zuschnüren, weshalb er schließlich aufhusten musste und nach Luft rang.

„Entspann dich", flüsterte Djoser ihm liebevoll zu und strich ihm beruhigend über das Gesicht, während er mit seinem Schaft noch immer tief in seinem zukünftigen Loraib vergraben war.

Schmerz zog sich plötzlich durch Jermyns ganzen Körper. Er bekam das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Stöhnend bäumte er sich auf und wandte sich von Djosers Handgelenk ab.

„Es tut so weh!", jammerte er mit schwacher Stimme.

„Ich weiß, doch es ist bald vorbei", erwiderte Djoser beruhigend, was seltsam tröstend auf Jermyn wirkte. Allein die Tatsache, dass Djoser bei ihm war und noch immer tief mit ihm verbunden war, wirkte tröstlich auf ihn, weshalb er die Schmerzen tapfer ertragen wollte.

Djoser war sehr froh, dass Jermyn so geschwächt war, wodurch er schneller als normal das Bewusstsein verlor und in einen tiefen unruhigen Schlaf driftete. Die Zellen aus Djosers Blut begannen von Jermyns Körper besitz zu ergreifen, wodurch dieser sich Stück für Stück verwandelte und von Schmerzen begleitet starb.

Als Jermyn schließlich regungslos in sich zusammensackte, wusste Djoser, dass der Augenblick gekommen war. Jermyns Herz hatte aufgehört zu schlagen und er war wirklich tot. Doch die vampirischen Zellen ihn ihm versorgten den Körper weiter mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff und trieben den Kreislauf selbstständig voran. In den nächsten Stunden würde sich sein ganzer Körper auf seine zukünftige Bestimmung umstellen. Sobald Jermyn erwachen würde, würde er ein junger Frischling sein, der die Nähe seines Sirus’ brauchte, um sich richtig weiterzuentwickeln und um das starke Loraibband zu festigen.

Erst als Djoser beruhigt realisierte, dass ihm die Verwandlung gut gelungen war und Jermyn als Loraib erwachen würde, fiel ihm auf, dass Edmond gar nicht mehr mit im Raum war. Er hatte nicht bemerkt, wie der Mensch sich während ihrer Paarung davongeschlichen hatte.

Jermyn würde gewiss einige Stunden bewusstlos sein, weshalb er sich von ihm löste und nur rasch in seine Hose schlüpfte, um draußen nach Edmond zu sehen.

Dieser saß in einem Stuhl auf der Veranda und betrachtete sich den prächtigen Vollmond der späten Nacht, der schon bald von der aufgehenden Sonne verdrängt werden würde.

„Ich dachte, Sie wollten zusehen, wie ich Jermyn zu meinem Loraib mache?", fragte Djoser, worauf Edmond sich erschrocken zu ihm umblickte, da er den lautlosen Vampir nicht näher kommen gehört hatte.

„Oh, äh ich besitze genug Fantasie, um mir die Einzelheiten vorzustellen", kommentierte Edmond das wenige, was er von der Verwandlung gesehen hatte und schickte die offene Frage hinterher: „Ist er jetzt…?"

„Tot?", vollendete Djoser die Frage für ihn, worauf Edmond bestätigend nickte.

„Ja. Jermyn ist tot. Und in ein paar Stunden wird ein neuer Vampir geboren werden", erwiderte Djoser mit Stolz in der Stimme.

 

*****

 

Voller Sorge wanderte Noels Blick zwischen den Gitterstäben und seinen Clanmitgliedern hin und her. Der Raum, in dem sie eingesperrt waren, war mehr als groß genug, um den zwölf Vampiren ausreichend Platz zu bieten, doch anstatt den Platz zu nutzen, waren alle in einer Ecke eng versammelt. Diejenigen, die von den betäubenden Waffen der Angreifer noch bewusstlos waren, oder Verletzungen im Kampf davongetragen hatten, wurden von den andern nahe an der Wand in gemeinsamer schützender Umarmung bewacht, während die stärkeren Kalkadore sich am äußeren Rande der Gruppe befanden. Sie alle boten sich gegenseitig Trost, indem sie sich eng aneinander schmiegten und sich gegenseitig kleine trostreiche Berührungen schenkten.

Nur Noel lief am Rande seiner Familie auf und ab und beobachtete misstrauisch das Geschehen vor den Gitterstäben, während er immer wieder einen besorgten Blick zu Joshua warf.

Während des überraschenden Angriffs hatte Joshua sich selbstmörderisch gegen die Angreifer gestellt, um Noel und den Clan zu schützen, wobei er lebensbedrohliche Verletzungen davongetragen hatte. Wäre Joshua ein Mensch gewesen, wäre er bereits gestorben. Er brauchte dringend Blut, doch solange er bewusstlos war, konnte Noel ihm nichts von sich zu trinken geben.

Noel sehnte sich danach, seinen Loraib selbst in den Armen zu halten und über dessen Zustand zu wachen, doch im Moment stand das Leben vieler anderer Clanmitglieder mit auf dem Spiel, weshalb er als Clanführer verpflichtet war, sich um alle seine Mitglieder zu kümmern und nicht nur um seinen Loraib. Deshalb überließ er die Wache über seinen Loraib den wenigen Moras, die nicht verletzt oder bewusstlos waren.

Einige Soldaten reihten sich plötzlich direkt vor den Gitterstäben auf und richteten ihre Betäubungsgewehre auf die Vampire. Sofort stellten sich die Kalkadore auf und bildeten eine schützende Mauer, während Noel vor dieser Mauer stand und abschätzend beobachtete, was als nächstes passieren würde.

Ein Mann erschien und ging hinter den Soldaten vorbei. Sich von einem der Soldaten die Gittertür aufsperren lassend, trat er schließlich herein, ohne auch nur den geringsten Anschein zu erwecken, dass er sich vor Noel und den Kalkadoren fürchtete.

Noel brauchte nicht lange, bis seine Sinne ihm sagten, dass dies kein Mensch, sondern ein Vampir war.

„Du bist also Noel", stellte dieser richtig fest, worauf jedoch keine Antwort von Noels Seite kam.

„Dann hast du es also tatsächlich getan? Du hast Altair getötet?", fragte der fremde Vampir.

Noel fragte sich, wer dieser Vampir war und woher er Altair kannte. In seinen mehr als fünfhundert Lebensjahren, war er ihm nie begegnet.

„Du kennst mich nicht. Mein Name ist Reginald. Ich wünschte ehrlich, wir hätten uns bei anderer Gelegenheit kennen gelernt. Ich bin hier, um dir ein Angebot zu unterbreiten", redete der Vampir weiter, worauf Noel sofort das untrügliche Gefühl bekam, dass dieser Reginald vielleicht seine Gedanken lesen konnte, weshalb er seinen Geist vorsichtshalber vor seinem Feind verbarg.

Offensichtlich ernüchtert, über die Abwehrhaltung von Noel, trat Reginald näher an die Kalkadore heran, welche ihm alle kampfbereit entgegenblickten.

„Sie tragen das Blut deines Vaters in sich, doch sie lieben dich, als wärst du ihr Erschaffer. Scheinbar hatte Zaida doch Recht", meinte der Fremde mehr zu sich selbst, worauf Noel sofort aufmerksam wurde.

„Du kennst Zaida?", fragte er misstrauisch nach.

„Natürlich kenne ich sie. Jeder Vampir des alten Bundes kennt sie. Sie ist schließlich die Ranghöchste von uns allen. Aber du kennst den alten Bund noch nicht, nicht wahr? Ich glaube kaum, dass Altair dir davon erzählt hat, doch es wundert mich, dass Zaida es noch nicht getan hat. Aber bestimmt hätte sie es noch getan, wenn ich die Volganer nicht vernichtet hätte", berichtete Reginald weiter im Plauderton, als wäre dies eine Unterhaltung unter Freunden gewesen.

Noel misstraute dem Fremden, weshalb er es vermied, etwas auf sein Gerede zu erwidern. Doch dies hielt Reginald nicht davon ab, weiter zu erzählen: „Du warst noch ein sehr junger Vampir, als Altair sich stolz dem Bund als neuer Clanführer präsentiert hatte. Entgegen den Willen seines Vaters wollte er einen eigenen Clan gründen, da er glaubte besser zu sein, als seine Schwester. Viele von uns wollten ihn damals töten. Ihn und seine Brut, die er erschaffen hatte, doch Zaida hielt uns auf. Sie bürgte für ihren Bruder, oder besser gesagt bürgte sie für dich. Sie sagte, du hättest das Herz eines echten Clanführers in dir und dich zu töten wäre ein schwerer Verlust für die Welt der Vampire. Niemand glaubte ihr, doch sie war schließlich die erste Centra unseres ehemaligen Herrschers und damit die Neue Führerin des Bundes. Also haben wir zugestimmt euch zu verschonen. Dich und den Abschaum deines Vaters." Mit großer Verachtung spie er die letzten Worte heraus.

Verwirrt über all diese Informationen blickte Noel dem Vampir entgegen. Er konnte kaum glauben, dass Zaida ihm all diese Dinge vorenthalten hatte. Aus welchem Grund hätte sie ihm dies alles verschweigen sollen? Sollte er diesem fremden Vampir wirklich Glauben schenken, oder war dies alles nur ein Trick, um sein Vertrauen zu gewinnen?

Skeptisch beobachtete er seinen Gegenüber weiter, wie dieser mit seinem Selbstgespräch fortfuhr: „Vielleicht hatte Zaida ja recht? Ich sah selten einen Clan, der seinen Clanführer so liebt, wie deine Leute dich lieben. Und du selbst stellst dich vor den kümmerlichen Rest deiner Leute, um sie zu beschützen, anstatt dich um deinen letzten Nachkommen zu kümmern. Sieh dich um. Es sind nur noch ein paar Kalkadore übrig und der Rest sind Moras. Weshalb stellst du dein Leben und das deines Loraibs auf gleiche Ebene, wie das deiner Moras?"

„Ich erachte jedes Mitglied unseres Clans als gleichermaßen wichtig", erwiderte Noel stolz.

„Zaidas Idealismus spricht aus dir. Langsam verstehe ich, weshalb sie dich dem Bund noch nicht vorgestellt hat", erklärte er spöttisch.

Bewusst wandte Noel dem Vampir den Rücken zu, um zu verdeutlichen, wie wenig er sich von dessen Gerede beeinflussen ließ. Er drückte damit sichtbar aus, dass er dem Älteren den angebrachten Respekt verweigerte und dessen Anwesenheit nicht länger wünschte. Die Tatsache, dass er ein Gefangener war, hinderte ihn daran, Reginald aus dem Raum zu verweisen, doch zumindest konnte er es ihm mit dieser Geste offen zeigen.

Reginald seufzte, bevor er mit versöhnlicher Stimme sagte: „Du warst gnädig zu Samuel, obwohl er deine Leute angegriffen hat. Du hättest allen Grund gehabt, ihn zu töten, dennoch hast du sein Leben verschont und seine Wunden gepflegt. Weshalb hast du das getan?"

Samuel war der Vampir, der Djoser und Peter angegriffen hatte und von dem Jacob wertvolle Informationen durch Folter erzwingen konnte. Doch statt diesen zu töten, hatte Noel ihn verschont und angewiesen, die Verletzungen der Folter zu versorgen. Der junge Kalkador hatte nur im Befehl seines Sirus’ gehandelt und in Noels Augen war dies kein Grund, ihn zu töten.

„Er hat den Tod nicht verdient", antwortete Noel simpel.

„Er hat deine beiden…", stoppte er sich selbst und fügte ruhiger hinzu: „zwei deiner Clanmitglieder angegriffen. War dies nicht Grund genug?"

Noel bemerkte, wie Reginald in seinem Reden absichtlich nicht sagte, dass es seine beiden Söhne waren, die Samuel angegriffen hatte. Dies verwirrte ihn etwas, weshalb er sich wieder zu Reginald umwandte und schließlich antwortet: „Was er tat, tat er nur, weil er seinem Sirus damit diente. Meine beiden Clanmitglieder blieben unbehelligt und dein Kalkador hat sich später ehrenhaft erwiesen. Hätte ich ihn töten lassen, wäre ich nicht besser als der räudige Köter, der ihm den Befehl dazu gab, meine Leute anzugreifen."

Als er seine „Clanmitglieder" erwähnte, musterte Noel genau den Blick seines Gegenübers und es war beiden klar, über welche Clanmitglieder sie genau sprachen. Aus irgendeinem Grund aber wollte Reginald diese Tatsache vor den Menschen verbergen und Noel war bereit dieses Spiel mitzuspielen, weshalb er Reginald anschließend mit einer Beleidigung angriff, um den Schein verfeindeter Gegner deutlich zu wahren.

Reginald schluckte diese Beleidigung mit einem entrüsteten Schnauben hinunter und äußerte besonders herablassend: „Kein besonders kluger Schachzug von dir." Seine Augen jedoch sprachen eine andere Sprache und Noel erkannte die Dankbarkeit in dessen Blick.

„Ich habe dem Mann, der das hier alles kontrolliert, bereits alle Geheimnisse über Vampire erklärt, also brauchst du ihm nichts vorzulügen. Er weiß, dass nur ein Clanführer neue Nachkommen erschaffen kann und da du außer einem armseligen Loraib keine Centras hast, schlage ich vor, du gehst auf sein Angebot ein."

Dies war so nicht ganz richtig. Im Grunde konnte jeder Vampir eigene Nachkommen erschaffen, doch nur mit ausreichend Blut aus einer starken Blutlinie konnten vollwertige Vampire erschaffen werden. Ganz offensichtlich hatte Reginald den Menschen einige Lügenmärchen über Vampire unterbreitet und hoffte nun darauf, dass Noel ebenfalls darauf einging. Natürlich war Noel bereit, auf diese Lügen einzugehen. Schon allein zum Schutze seiner beiden Centras. Deshalb frage er: „Was ist das für ein Angebot?"

„Er bietet dir und deinem Loraib freies Geleit, wenn du ihm im Gegenzug dafür ein paar seiner Soldaten in Vampire verwandelst. Ich würde es ja selbst tun, doch ich hab für dieses Jahr bereits mehr als fünf Vampire erschaffen und wie du weißt, kann ich erst nach meiner Regenerationszeit wieder neue Vampire verwandeln", unterrichtete Reginald ihn über weitere Einzelheiten des Lügenmärchen, das er den Soldaten vorgaukelte.

Noel hätte über so einen Unsinn lauthals gelacht, wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre. Besorgt fragte er deshalb: „Und was ist mit dem Rest meiner Leute?"

„Vergiss deine Leute! Rette dich und deinen Gefährten und laufe mit ihm soweit weg, wie nur möglich!", drängte Reginald mit echter Besorgnis.

„Nein", erwiderte Noel simpel und ruhig, da eine solche Flucht nie für ihn in Frage kam, wenn er dafür den Rest seiner Leute opfern sollte.

„Sein kein Narr, Noel! Du weißt nicht, mit wem du dich anlegst. Dieser Mann ist sehr mächtig. Nimm sein Angebot an und rette dich", drängte Reginald weiter.

„Ist es das, was du getan hast? Hast du deinen Clan verkauft, um dich zu retten?", vermutete Noel und blickte Reginald herausfordernd entgegen.

Getroffen wich Reginald einen Schritt zurück und erwiderte verteidigend: „Ich habe getan was ich tun musste, um meine Leute zu schützen. Glaube mir, du hättest dasselbe getan, wenn du an meiner Stelle gewesen wärst."

„Ich hätte niemals mein eigenes Volk verraten", erklärte Noel mit Überzeugung.

Unerwartet hechtete Reginald plötzlich hervor, griff Noel am Kragen und drückte ihn mit einer raschen Bewegung gegen die Wand der Zelle. Sofort wollten Noels Kalkadore heraneilen, um ihren Clanführer zu beschützen. Im gleichen Moment richteten die Soldaten vor dem Gitter ihre Waffen auf die Vampire. Bevor ein Unglück geschehen würde, richtete Noel seine Hand zu seinen Kalkadore und gebot ihnen Einhalt. Erst als sich die Kalkadore daraufhin zurückzogen, beruhigte sich die Situation wieder.

Noels Körper weiterhin gegen die Wand gepresst, funkelte Reginald ihm drohend entgegen und sprach zu ihm mit gesenkter Stimme, sodass die Menschen außerhalb der Zelle es unmöglich hören konnte: „Die Volganer waren kein Mitglied des Bundes, ebenso wenig wie du und deine Leute. Sie waren uns allen verhasst und bildeten seit jeher eine Gefahr für die Vampire, da ihre Lebenseinstellung sich gegen die Menschheit richtete, doch unsere Gesetze verboten es, sie zu vernichten. Ich hatte die Wahl. Ich hätte zusehen können, wie diese Menschen jedes Mitglied meines Clans zu Tode quälen, doch stattdessen habe ich ihnen die Volganer ausgeliefert. Und aus demselben Grund lieferte ich ihnen auch die Altairs. Glaube mir, es tut mir Leid, dass ich nicht eher von dem Tod deines Vaters erfahren habe, doch nur so konnte ich meine Söhne retten. Ich rate dir auf das Angebot einzugehen. Rette wenigstens deine Söhne."

Noel schwieg für einen Moment und sagte dann: „Ich verstehe deine Beweggründe, doch ich kann dieses Angebot nicht eingehen. Ich kann nicht mich selbst retten und dafür meine Leute zurücklassen. Und ich werde keine Vampire erschaffen, damit sie zum Werkzeug dieser Menschen werden."

„Du musst ihnen nur zu wenig Blut geben. Dann werden sie zu schwach, um richtige Vampire zu werden. Und ohne die Führung eines anderen Vampirs werden sie sich nicht richtig entwickeln. Sie können keine eigenen Nachkommen erschaffen, sie werden nicht viel stärker als normale Menschen sein und schon nach wenigen Jahren sterben sie", erklärte Reginald ihm eine mögliche Lösung aus dieser Situation.

Verstehend lachte Noel kurz freudlos auf und sagte: „Die Rache der Untoten. Du hast Belungas aus ihnen gemacht."

Eine alte Geschichte erzählte von einem Vampir namens Belunga. Dessen gesamter Clan von einer Gruppe Menschen vernichtet wurde, indem sie Feuer in deren Unterschlupf legten und wodurch alle Vampire bei lebendigen Leib verbrannt waren. Aus Rache verwandelte Belunga jeden einzelnen dieser Menschen in einen Vampir, gab ihnen jedoch gerade genug Blut von sich zu trinken, damit die Verwandlung geschah und ließ sie dann auf sich allein gestellt zurück und sperrte sie in ein unterirdisches Gefängnis aus kalten Stein. Es dauerte Wochen, bis die geschwächten Vampire starben. Sie töteten sich gegenseitig, um sich zu ernähren, doch ihr Organismus war zu schlecht entwickelt, um das Blut ihrer Leidensgenossen richtig aufnehmen zu können. Ohne die Obhut und das Blut ihres Sirus’ waren sie zum Sterben verurteilt.

Reginald hatte diesen Trick angewandt und den Soldaten, die er verwandelt hatte, zu wenig von sich zu trinken gegeben. Dadurch waren unterentwickelte Vampire mit nur geringer Lebenserwartung entstanden, die jedoch viel mehr Blut zum überleben benötigten, als normale Vampire, da ihr Organismus sich nicht zu richtigen Vampiren entwickeln konnte.

In Reginalds Gesicht spiegelte sich die Wahrheit wider, sodass es nicht nötig war, darauf zu antworten. Stattdessen meinte er traurig: „Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass du nicht hier sein willst, wenn sie einen nach dem andern deiner Leute holen. Du wirst dein gutes Gehör verfluchen, wenn ihre Schreie durch das ganze Gebäude hallen. Du wirst es nicht miterleben wollen, wenn sie deinen Leuten die grausamsten Dinge antun, um hinter das Geheimnis der Unsterblichkeit zu kommen."

Noel erschauderte bei dem sichtbaren Schmerz, der bei diesen Worten in Reginalds Augen lag. Er fühlte Sympathie für den Clanführer und konnte dessen Handeln verstehen, doch er selbst war nicht bereit denselben Weg zu gehen.

Er wollte Reginald gerade sein Mitgefühl ausdrücken und ihm erneut sagen, dass er auf das Angebot nicht eingehen werde, als plötzlich ein weiterer Soldat wie aus dem Nichts hinter den Gittern erschien. Sichtbare Rangabzeichen zeigten, dass er einen hohen Rang belegte. Als Reginald den Soldaten erblickte, wich er sofort von Noel zurück und sah dem Neuankömmling nervös entgegen. Noel ahnte, dass dies der Mann war, von dem Reginald zuvor gesprochen hatte. Dieser Mann hielt das Schicksal seiner Clanmitglieder in der Hand.

„Genug geredet. Geht er auf das Angebot ein oder nicht?", fragte der Mann mit herablassendem Ton in seiner Stimme.

Reginald blickte fragend zu Noel, doch dieser schüttelte verneinend den Kopf. Diese Entscheidung aufrichtig bedauernd, sagte Reginald: „Nein."

„Gut, dann kannst du jetzt gehen. Deine Hilfe wird nicht länger benötigt. Ich werde mich ab jetzt persönlich um meinen kleinen Wildfang hier kümmern", meinte der Mann selbstzufrieden, während er sich mit der Schulter gegen die die Innenseite der offenen Gittertüre lehnte und seine Gefangenen interessiert musterte, als würde er eine schmackhafte Ware abschätzen.

Mit einem letzten Blick zurück auf Noel, der sein aufrichtiges Mitleid offen zeigte, verabschiedete Reginald sich mit einem respektvollem Nicken, um sich dann rasch aus der Zelle zu entfernen, als wollte er möglichst schnell von diesem Ort flüchten.

Sich schützend vor seine Leute stellend, sah Noel seinem Feind in die Augen und wünschte sich, er würde ihm auf offenem Feld gegenüberstehen, wo keine bewaffneten Soldaten diesem Menschen Schutz boten.

Im Plauderton fing dieser nun an: „Ich habe hier das Kommando und ihr alle werdet tun, was ich euch sage, oder jeder von euch wird sterben. Und nur damit wir uns richtig verstehen, ich bin durchaus in der Lage einen unsterblichen Vampir zu töten. Figgins, zeigen Sie unseren Gästen, was ich damit meine."

Mit diesen Worten schoss einer der Soldaten direkt auf einen von Noels Kalkadoren, welcher ganz vorne in der Reihe gestanden war. Stöhnend brach dieser zusammen und wurde von den anderen Vampiren aufgefangen. Sofort eilte Noel an dessen Seite heran. Erst jetzt erkannte er mit Entsetzen, dass es sein Bruder war, der getroffen wurde. Unter Schmerzen bäumte Jacob sich auf und sackte leblos in sich zusammen. Hastig riss Noel das Hemd seines Bruders auf, um dessen Wunde genauer untersuchen zu können. Ihm war unbegreiflich, wie ein einziger Schuss einen Vampir töten konnte. Das Blut, welches aus der Eintrittswunde heraus quoll, hatte einen fremdartigen Geruch. Mit den Fingern nahm er etwas davon auf und roch genauer daran. Was auch immer es war, womit der Soldat auf Jacob geschossen hatte, wirkte tödlich auf Vampire.

„Wie ich sehe, verstehen wir uns jetzt", kommentierte der befehlshabende Offizier den hasserfüllten Blick Noels, der ihn nun traf.

 

*****

 

„Kannst du mir erklären, warum wir den ganzen Weg wieder zurück fahren? Mir leuchtet das irgendwie nicht ein. Hat Djoser nicht irgendwas davon erzählt, dass der Clan angegriffen wurde? Wäre es dann nicht sinnvoller, wir würden uns weiter weg vom Clan treffen, anstatt darauf zuzufahren?", fragte Karen schnippisch, womit sie Peter erneut auf die Nerven ging.

„Zum tausendsten Mal: Djoser hat gesagt, wir sollen zu ihm kommen, also kommen wir zu ihm. Ist das so schwer zu verstehen?", erwiderte Peter genervt.

„Er hat also seine Dominanz an dir ausgespielt. Ist das nicht genau das, was er nicht tun darf? Solltest du dich nicht dagegen wehren?", lenkte sie neunmalklug ein, worauf die anderen drei Vampire, die mit ihnen hinten im Auto saßen, ebenfalls zweifelnd dreinblickten. Auf der Rücksitzbank saßen der Mora Miguel, der für Karens leibliches Wohl sorgte, das Moramädchen Isabel, welche auf Noels Anweisung hin für Peters leibliches Wohl sorgen durfte, jedoch in anderer Hinsicht, als bei Karen. Und Nicolas, der als stattlicher Kalkador für den Schutz der Reisenden sorgte.

„So ein Unsinn! Wie hätte das übers Handy gehen sollen? Und außerdem hat er überhaupt nichts an mir ausgespielt. Er hat kein Auto mehr. Deshalb wollte er, dass wir zu ihm kommen", versuchte er die Lage zu erklären, bevor die anderen Vampire auch noch misstrauisch würden.

„Und wie stellt er sich das dann vor? Will er dann mit uns weiter mitfahren? Wir haben keinen Platz mehr in unserem Auto", argumentierte Karen weiter.

„Was weiß ich? Vielleicht lassen wir dich aussteigen und fahren ohne dich weiter", erwiderte Peter drohend, da er ihre ewigen Debatten satt hatte.

Unberührt von dieser Drohung, redete sie weiter: „Und was, wenn es eine Falle ist? Vielleicht hat man ihn gezwungen uns zu ihm zu locken und wenn wir dort ankommen, wird man uns alle erschießen."

Leises Kichern von der Rücksitzbank kommentierte deutlich, wie absurd diese Idee war, weshalb Peter froh war, dass wenigstens seine vampirischen Wegbegleiter nicht auf so verrückte Ideen kamen wie Karen. Jeder im Clan kannte Djoser und wusste genau, dass dieser seine eigenen Leute selbst unter der schlimmsten Folter niemals in eine Falle locken würde.

Etwas beruhigter meinte er deshalb zu Karen: „Nichts was du sagst, kann mich davon abhalten, zu ihm zu fahren. Wenn du so große Angst hast, dass es eine Falle ist, schlage ich vor, du steigst aus und reist allein weiter. Sag bescheid, wenn ich anhalten soll."

Beleidigt verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und blickte demonstrativ zum Seitenfenster hinaus. Damit schien das Thema zum Glück erledigt, sodass Peter sich endlich weiter auf den Verkehr konzentrieren konnte. Doch nach einer Weile murmelte Karen kaum verständlich vor sich her: „Wie komme ich eigentlich dazu, mir wegen so einem aufgeblasenen Idioten Sorgen zu machen?"

„Huh? Wer ist hier ein aufgeblasener Idiot?", fragte Peter beleidigt.

„Du!", erwiderte Karen energisch und blickte mit wütender Miene zu ihm.

Erst als er ihrem wütenden Blick kurz entgegensah, wurde ihm der ganze Sinn ihres vorherigen Gemurmels bewusst und er fragte überrascht: „Du machst dir Sorgen um mich?"

„Das tu ich ganz bestimmt nicht!", erwiderte sie energisch.

Ein breites Grinsen zeichnete sich auf Peters Gesicht ab, als ihm klar wurde, dass sie sich tatsächlich um ihn sorgte.

Gleich darauf folgte ein zwanzigminütiges Geplänkel, in dem sie sich gegenseitig mit den verschiedensten Beleidigungen bewarfen, damit ja nicht auffiel, wie sehr sie einander eigentlich mochten. Die drei Leidensgenossen auf der Rücksitzbank verdrehten genervt die Augen und hofften darauf, dass sie endlich ankommen würden. Seit sie zusammen in diesem Auto saßen, taten Peter und Karen nichts anderes, als sich ständig über jede Kleinigkeit zu zanken, wobei noch nicht klar war, wer von den beiden nun schlimmer war; Peter oder Karen.

Dementsprechend erleichtert waren sie deshalb, als sie schließlich das abgelegene Motel erreichten, in dem Djoser ihre Ankunft erwartete.

Sich weiter kleine Sticheleien an den Kopf werfend, stiegen Peter und Karen gleichzeitig aus dem Wagen, während die drei auf der hinteren Sitzreihe sich gegenseitig amüsierte Blicke zuwarfen und erstmal sitzen blieben, um die kurze Ruhe zu genießen.

Auch während Peter an der Zimmertüre des außen gelegenen Zimmers klopfte und darauf wartete, dass Djoser ihnen öffnen würde, diskutierten er und Karen weiter über ein völlig belangloses Thema. Erst als Djoser ihnen schließlich öffnete, endete ihr kleines Gezanke, denn als Djoser seinen kleinen Bruder gesund und munter sah, stürmte er regelrecht vor und nahm Peter in eine feste Umarmung, die Peter und Karen sprachlos machte.

„Bin ich froh, dich zu sehen!", murmelte Djoser in die Umarmung. Peter wunderte sich über Djosers überschwängliche Begrüßung, weshalb er ihn skeptisch von sich drückte und sagte: „Okay, raus mit der Sprache. Was genau ist passiert?"

Bisher hatte Djoser ihm nichts Genaueres erzählt. Er hatte nur kurz erwähnt, dass der Clan angegriffen wurde und Peter so schnell wie möglich zu ihm kommen sollte. Den Rest wollte er ihnen dann schonend beibringen, wenn sie bei ihm wären.

Peter brauchte jedoch nur den bekümmerten Ausdruck in Djosers Augen zu sehen, um sofort zu erkennen, dass die Lage ernst war. Als die drei Vampire aus dem Auto sich schließlich zu ihnen gesellten, berichtete Djoser von den schrecklichen Geschehnissen, die er beobachten konnte.

Karen wunderte sich, warum sie dies alles vor der Türe diskutierten und fragte schnippisch: „Gibt es einen bestimmten Grund, warum wir das alles hier auf der Terrasse besprechen?"

„Allerdings, den gibt es. Der Angriff ist nicht die einzige Neuigkeit, von der ich erzählen muss", meinte Djoser geheimnisvoll.

„Was denn noch?", fragte Peter erstaunlich gelassen, da er die volle Bedeutung von Djosers Bericht noch nicht ganz realisierte. Er konnte und wollte nicht wahrhaben, dass Noel und den anderen Clanmitgliedern etwas zugestoßen sein könnte, weshalb er diese Neuigkeit zunächst verdrängte.

Statt davon zu erzählen, öffnete Djoser nur die Türe zu dem Zimmer und gewährte den Anderen somit einen Blick auf das große Bett, das den Raum dominierte. Nur halb bis zur Hüfte mit der schwarzen Decke zugedeckt lag Jermyn darauf und wirkte sichtlich wie ein Toter. Neben ihm in einem unbequemen Sessel kauerte Edmond, der aufgrund seiner Übermüdung im Sitzen eingeschlafen war. Er hatte darauf verzichtet, sich ins Bett zu legen, damit Djoser über den Todesschlaf seines Loraibs wachen konnte.

„Hast du das getan, von dem ich denke, dass du es getan hast?", fragte Peter frech grinsend, während er das Zimmer mit vorsichtigen Schritten betrat.

„Ich habe unsere Familie etwas erweitert", bestätigte Djoser stolz.

„Hast du die beiden verwandelt?", fragte Karen mit Entsetzen.

Daraufhin blickten beide Brüder gleichzeitig fragend zu Karen, bis Peter abwinkte und spöttisch zu Djoser meinte: „Ignorier sie einfach."

Genau das tuend, näherte Peter sich vorsichtig Jermyn und besah sich das neue Clanmitglied von der Nähe, während Karen erbost schnaubend die Hände in ihre Hüften stemmte. Durch die anwesenden Personen schreckte Edmond aus seinem Schlaf hoch und zeige Karen damit, dass zumindest der Doktor noch lebte. Schließlich wusste sie über die Verwandlung eines Vampirs einigermaßen bescheid und es wäre unmöglich gewesen, dass ein frisch verwandelter Vampir nach seinem Erwachen sofort so hastig von einem Sessel aufspringen konnte, wie Edmond es tat.

„Sch! Sie wecken ihn ja noch auf!", ermahnte Peter den Doktor um Ruhe und fragte Djoser anschließend interessiert: „Wie ist sein Name?"

„Sein Name ist Jermyn, du Idiot", brummte Karen griesgrämig. Ihr passte es ganz und gar nicht, dass Djoser den Jungen zum Vampir verwandelt hatte. Schließlich hatte sie Djosers Centra werden wollen und wie es schien, war Jermyn nun der Glückliche.

Djoser ließ sich diesen besonderen Augenblick nicht von Karen vermiesen und antwortete seinem Bruder stolz: „Sein Name wird Julian sein."

Hellhörig geworden, fragte Edmond sofort interessiert nach: „Sie geben ihm einen neuen Namen?"

„Jeder Vampir erhält bei seiner Verwandlung einen neuen Namen", erwiderte Djoser erklärend, wobei er Karen einen neckenden Blick zuwarf, da ihr dieses kleine Detail ganz offensichtlich nicht bekannt war und sie das sichtlich wurmte.

„Das ist faszinierend und es erklärt einiges. Ich fand es verwunderlich, dass Zaida einen so passenden Namen trägt. Denn soweit ich weiß, kommt ihr Name aus dem Arabischen und bedeutet ‚Herrscherin’. Und stammt Djoser nicht aus dem Ägyptischen? Ich glaube, es gab einen Pharao, der diesen Namen trug, nicht wahr?", sprudelte es regelrecht aus Edmond heraus.

„Nicht nur einen", gab Djoser zu, während sein Blick musternd auf seinen Loraib ruhte, der sehr bald erwachen und dann den Namen Julian tragen würde.

„Ist das üblich, dass ein Sirus seinem Nachkommen einen Namen mit tieferer Bedeutung gibt?", fragte Edmond weiter.

„Peter scheint mir als Name nicht sehr bedeutungsvoll", lenkte Karen sarkastisch ein.

„Ich brauche keinen bedeutungsvollen Namen. Ich bin voller tieferer Bedeutung", äußerte Peter übertrieben selbstbewusst, worauf Djoser und die anderen Clanmitglieder amüsiert grinsten.

„Ein neuer Name verdeutlicht die Geburt eines jungen Vampirs und schließt damit das vergangene sterbliche Leben als Mensch ab. Es ist nicht notwendig, dass der Name eines Vampirs eine tiefere Bedeutung haben muss, doch bei einem Centra, der ein zukünftiger Clanführer sein soll, macht sich ein großer Name natürlich nicht schlecht. Aber es obliegt allein der Entscheidung des Sirus. Zum Beispiel glaube ich kaum, dass Altair sich etwas dabei gedacht hatte, als er Noel seinen Namen gab", erklärte Djoser ausführlich, wodurch Peter ihn überrascht ansah. Anscheinend hatte nun Djoser seine Rolle als offizieller Fragenbeantworter übernommen, worüber er ganz bestimmt nicht traurig war. Jetzt musste er nur noch seinen Job als Karenbabysitter auf jemanden anderen abwälzen und er könnte endlich wieder zu seinem alten sorglosen Leben zurückkehren, dachte er sich insgeheim.

„Aber einen besonders guten Zeitpunkt hast du dir nicht gerade ausgesucht, um dir ein kleines Baby zuzulegen", äußerte Peter mit erhobenen Brauen, als wäre er der vernünftigere unter den beiden.

„Ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich ihn nicht verwandelt hätte, wäre er gestorben. Aber jetzt verstehst du sicher, warum ich eure Hilfe brauche", verteidigte Djoser sein Handeln.

„Yeah sicher. Wenn der Kleine mal wach ist, bist du eine Vollzeitmutter", erwiderte Peter liebevoll. Für ihn war es das erste Mal, dass er die Verwandlung eines Vampirs miterleben durfte, weshalb er sich wie ein kleines Kind auf das Erwachen seines Neffen freute.

„Ich werd ganz bestimmt keine Mutter sein!", protestierte Djoser.

„Ey, aber sicher doch! Du lässt ihn doch bestimmt von deiner Brust trinken, also bist du seine Mutter", witzelte Peter frech.

„Okay, das reicht. Los raus mit dir. Sieh zu, dass du uns einen zweiten Wagen besorgst, womit wir von hier verschwinden können. Außerdem brauchen wir dringend einen größeren Blutvorrat. Aber halte dich ja fern von der Stadt und kontaktiere keine unserer üblichen Quellen! Das ist im Augenblick zu gefährlich."

„Machst du Witze? Wo soll ich dann so schnell Blut auftreiben? Ist nicht so, dass das Zeug auf der Straße herumliegt", zweifelte Peter sarkastisch.

Djoser sah ein, dass dies zu einem echten Problem für sie werden könnte, weshalb er besorgt fragte: „Wie viel habt ihr bei euch?"

„Nicht sehr viel. Es ist für jeden von uns höchstens eine Mahlzeit, doch wenn wir dich und Julian mit durchfüttern, wird es verdammt eng."

„Es wird gehen müssen. Vielleicht finden wir unterwegs eine Lösung", sagte Djoser mehr zu sich selbst, während er besorgt auf Julian herabblickte. Als frisch geborener Vampir würde er viel Blut benötigen, was er vor allem in den ersten Tagen ausschließlich von Djoser bekommen würde. Dies war besonders Kräfte zehrend für einen Sirus, weshalb Djoser bald einen wesentlich größeren Bedarf an Blut haben würde als normal.

Karen teilte die Sorge der Vampire nicht und lenkte verständnislos ein: „Ich weiß gar nicht, weshalb ihr euch darüber so große Gedanken macht? Ihr habt doch mehr als genug Blut dabei."

„Es wäre genug, wenn wir kein neugeborenes Baby mit durchfüttern müssten", erwiderte Peter sichtlich genervt von Karens ständigen Einmischungen.

„Hör bitte damit auf, Julian mit einem menschlichen Baby zu vergleichen!", mahnte Djoser mit leichtem Ärger in der Stimme.

„Wieso? Er ist doch wie ein kleines süßes Baby", neckte Peter frech.

„Er hat absolut nichts mit einem kleinen süßen Baby gemeinsam", erwiderte Djoser streng.

„Oh doch, er hat sogar ’ne ganze Menge damit gemeinsam", ließ Peter nicht locker und strich Julian dabei liebevoll über die Wange.

„Peter!", mahnte Djoser ein letztes Mal und warf ihm einen drohenden Blick zu, wobei Peter unbewusst zusammenzuckte und seine Hand zurückzog. Djoser besaß noch immer tieferen Einfluss auf Peters innere unterwürfige Seite, weshalb die direkte Mahnung stärker wirkte, als von Djoser beabsichtigt. Als Djoser die plötzliche Veränderung in seinem Bruder bemerkte, tat ihm sein strenger Ton sofort leid und er meinte aufrichtig: „Bitte, verzeih mir."

Das Unbehagen in seinen Eingeweiden verdrängend, antwortete Peter seinem Bruder: „Schon okay."

Karen mischte sich erneut ein und diesmal war Peter das erste Mal froh über ihre Einmischung: „Leute, ihr hab mich nicht verstanden. Als ich sagte, dass ihr genug Blut bei euch habt, meinte ich mich und den Doktor! Mateo hat mir mal erzählt, dass eine komplette Rangorder sich auf Dauer von einem einzigen Menschen ernähren könnte, ohne diesen dabei ernsthaft zu schädigen."

Verblüfft sahen die Vampire zu Karen, wobei ihr Vorschlag durchaus Sinn ergab. Nur Edmond war von dieser Idee ganz und gar nicht begeistert und protestierte energisch: „Oh nein, ohne mich! Ich lasse ganz bestimmt keinen Vampir von mir trinken."

Djoser, der die deutliche Erregung von Edmond wahrgenommen hatte, als er in der Nacht zuvor von ihm getrunken hatte, fragte daraufhin amüsiert: „Wieso nicht? Hat es Ihnen letzte Nacht nicht gefallen? Ich hatte schon den Eindruck, dass ein gewisser Teil Ihres Körpers es genossen hatte."

Wie ein Fisch im Trockenen schnappte Edmond nach Luft und lief augenblicklich feuerrot an, als er sich an seine Erektion erinnerte. Anstatt den peinlich berührten Doktor weiter zu necken, wandte sich Djoser wieder zu Julian, der jeden Augenblick aus seinem todgleichen Schlaf erwachen würde. Zum Glück für Edmond gingen auch Peter und die anderen Vampire nicht genauer auf Djosers Bemerkung ein. Stattdessen machte sich Peter zusammen mit Niclas dem Kalkador auf den Weg, um einen zweiten Wagen zu besorgen.

Die hübsche Isabel gesellte sich neben Djoser auf das Bett und bot damit freiwillig ihre Unterstützung an, so wie es ihr Stand von ihr forderte. Als Mora war es ihre Pflicht, jedem ranghöheren Vampir im Clan zu dienen. Wären sie nicht hier in diesem Motelzimmer, sondern im sicheren Unterschlupf gewesen, würden Djoser und Julian die nächsten Stunden in dem großen Sessel verbringen, der für jeden neuen Vampir die erste Ruhestatt darstellte, bis er offiziell im Clan aufgenommen wurde. Die Moras des Clans hätten sich die um Bedürfnisse der beiden gekümmert. Sie mit Nahrung versorgt und sie mit einem wohlriechendem Gemisch aus Wasser und ätherischen Ölen gereinigt. Zwar standen ihnen weder der große Sessel, noch die feinen Kräuter für die rituelle Reinigung zur Verfügung, dennoch machte sich Miguel unaufgefordert an die Arbeit, um zumindest etwas Ähnliches vorzubereiten.

So kam es, dass Isabel und Miguel kurze Zeit später ihre ganz Konzentration dafür verwendeten, den leblosen Körper des neuen Clanmitglieds mit einfachen Lappen zu reinigen und die Muskeln dabei mit gleichmäßigen Massagebewegungen zu stimulieren. Dies würde zumindest etwas schmerzlindernd wirken, sobald Julian erwachen würde. Anstatt ätherischer Kräuter stand ihnen leider nur ein billiges Duschgel zur Verfügung, was gewiss keine positive Wirkung hatte, aber wenigstens gut duftete.

Während Karen sich schrecklich langweilte und immer wieder aus dem Fenster schaute, ob Peter und Niclas bald zurückkommen würden, war Edmond fasziniert von dem Verhalten der Vampire und beobachtete gebannt, wie Miguel und Isabel sich mit ebenso großer Sorgfalt und Zärtlichkeit um Julian kümmerten, wie Djoser selbst. Dieser hatte sich inzwischen seiner Kleider entledigt und sich den nackten Körper seines Loraibs auf die Brust gelegt.

Erneut machten sich seine Fantasien selbständig, indem er sich vorstellte, wie wundervoll es sein musste, in eine so enge Familiengemeinde aufgenommen zu werden und von allen wie ein junger Prinz behandelt zu werden. Unter den Vampiren schien es kein Schamgefühl und keine Eifersucht zu geben. Sie nahmen Djosers Wahl für seinen Loraib als vollkommen selbstverständlich hin und boten ungefragt ihre Hilfe an. Jedes Mitglied im Clan schien seine Aufgaben zu kennen und diese mit Freude zu erledigen. Nie hatte er den Eindruck erlangt, dass ein Clanmitglied etwas unter Zwang tat, oder die erlegten Aufgaben als unangenehm empfand. Es schien eine perfekte Familienstruktur zu sein.

Schmerzerfülltes Stöhnen riss den Doktor jäh aus seinen Fantasien. Sofort besorgt näherte er sich den Vampiren, um zu sehen, was passiert war. Dem Verhalten der Vampire nach, schien nichts Ungewöhnliches vor sich zu gehen. Es war Julian, der unter Schmerzen die ersten Sekunden seines Daseins als Vampir erlebte.

„Ist alles in Ordnung?", fragte Edmond besorgt.

„Keine Sorge, das ist normal", versicherte ihm Djoser, während er Julian liebevoll über den Rücken strich.

Julian hörte das Brummen einer vertrauten Stimme an seinem Ohr. Diese schenkte ihm unendliches Vertrauen, weshalb er sich fester gegen den Körper presste, der ihn in einer sicheren Umarmung umschloss. Jeder Muskel schmerzte mit jeder noch so kleinsten Bewegung, die er machte. Es schien kein Blut, sondern brennendes Feuer durch seine Adern zu jagen, das sich unerbittlich selbst bis in den kleinsten Zeh drängte. Wie wenn Ameisen durch eingeschlafene Glieder krabbeln würden, nur tausendmal schlimmer.

Obwohl seine Augen offen waren, nahm er um sich herum nichts weiter wahr, als den vertrauten Körper unter sich und die unbeschreiblichen Schmerzen in seinem Körper. Er spürte die zärtlichen Hände zweier Moras nicht, die seine Glieder mit sanftem Druck massierten.

„Julian", nannte Djoser ihn, worauf er sich unbewusst fragte, wer dieser Julian sei, bis er instinktiv erkannte, dass er damit gemeint war. Er zwang sich selbst aufzublicken und blickte in das warme Gesicht seines Sirus’. Eine ihm bisher unbekannte tiefe Zuneigung machte sich plötzlich in seinem Inneren breit. Er fühlte sich unendlich zu diesem Gesicht hingezogen. Instinktiv wollte er sich seinem Sirus hingeben und sich ihm unterwerfen. Wollte ihm in jeglicher Hinsicht gefällig sein. Zwischen seinen Beinen richtete sich seine Männlichkeit zu einer schmerzhaften Erektion auf, die ihm ein weiteres Stöhnen entlockte, wobei Djoser sofort den Grund für dieses Stöhnen erkannte. Sein junger Loraib erwachte damit endgültig zum Leben.

Er ließ seine Hand zwischen ihre Körper zu Julians Härte wandern und umschloss diese mit seiner Faust, während er sich gleichzeitig zu ihm herabbeugte, sodass sich ihre Lippen zu einem Kuss zusammenschlossen. Julian stöhnte erneut auf, doch diesmal nicht aus Schmerz, sondern vor Erregung und Sehnsucht. Diese Sehnsucht wurde mit jeder Sekunde größer, sodass er die starken Schmerzen, unter denen er litt, aus dem Bewusstsein drängte. Als er dann auch noch das Blut seines Sirus’ auf seiner Zunge schmeckte, raubte es ihm beinahe das Bewusstsein. Wie berauscht lag er in Djosers Umarmung und saugte begierig an dessen Zunge, als würde sein Leben davon abhängen.

Über den kleinen Schnitt in seiner Zunge konnte Djoser ihm nur sehr wenig Blut von sich geben, weshalb er sich schließlich von dem Kuss löste. Enttäuscht wimmerte Julian auf und versuchte Djosers Lippen erneut zu erreichen.

„Isabel, würdest du mir bitte helfen?", fragte Djoser freundlich, worauf Edmond neugierig wurde, was Djoser von dem Moramädchen wollte.

„Es ist mir eine Ehre", antwortete die hübsche Isabel und beugte sich nach vorne, um in Djosers Hals zu beißen. Normalerweise wäre dies Noels Privileg gewesen und hätte höchstens von einem anderen Mitglied der Rangorder übernommen werden können, doch niemals gebührte einem Mora die Ehre eines solchen Bisses. Unter diesen Umständen hätte Djoser sich selbst mit einem Messer schneiden müssen, doch er zog es vor, sich von Isabel beißen zu lassen, was wesentlich angenehmer war, weshalb er diese Tradition absichtlich brach.

Anschließend hob er Julian an seinen Hals heran und forderte ihn mit einem einfachen „Trink" auf, von ihm zu trinken. Augenblicklich begann Julian an der Bisswunde zu saugen und spürte, wie mit jedem Tropfen Blut, das er aufnahm, seine starken Schmerzen gelindert wurden. Es war als würde Djosers Blut das brennende Feuer in seinen Adern Stück für Stück löschen und erst jetzt fing Julian an, sich seiner Umgebung bewusst zu werden. Er spürte die Anwesenheit zweier weiterer Vampire, die mit ihnen auf dem Bett saßen und von denen er instinktiv wusste, dass keine Gefahr von ihnen ausging. Er konnte auch die Anwesenheit zweier weiteren Personen wahrnehmen, die sich jedoch deutlich von den Vampiren unterschieden. Seine Erinnerung sagte ihm, dass eine dieser Personen Edmond sein könnte, doch er konnte die zweite Person nicht zuordnen und deren Anwesenheit machte ihn seltsam nervös. Deshalb wandte er sich mühevoll herum, ohne sich jedoch von Djosers Hals zu trennen, um einen Blick zurück werfen und sich umsehen zu können, wer noch mit im Raum war, doch es gelang eher schlecht als recht.

Djoser erkannte den Grund für Julians Unruhe, weshalb er liebevoll auf ihn einredete: „Es sind nur Karen und Edmond. Du bist in Sicherheit."

Dies beruhigte Julian zwar, doch er verspürte dennoch den Drang, sich in seiner Umgebung umzusehen, weshalb er sich trotz seines großen Verlangens nach Djosers Blut von dessen Hals löste und sich umblickte.

„Hallo Julian", grüßte Edmond ihn, als ihre Blicke sich trafen.

„Julian", wiederholte er seinen neuen Namen und wandte seinen Blick fragend zu seinem Sirus.

„Jermyn starb letzte Nacht. Du wurdest heute geboren", erklärte er ihm mit wenigen Worten den Sinn seines neuen Namens, worauf sich ein Lächeln auf Julians Lippen formte.

Dann sah er sich zu Karen um, die ihm weniger freundlich entgegensah und griesgrämig fragte: „Und? Wie ist es, als Centra geboren zu werden?"

Die beiden Moras blickten, über deren Respektlosigkeit entsetzt, zu der jungen Frau, während Djoser nur müde lächelte, da ihm nun der Grund für Karens reserviertes Verhalten klar wurde.

Er wollte gerade den Mund aufmachen, um Karen über ihren Irrtum aufzuklären, als er Julian voller Stolz sagen hörte: „Ich bin Djosers Loraib."

„Ja, das bist du", fügte Djoser stolz hinzu und lenkte Julians Aufmerksamkeit zurück auf sich, indem er ein paar Mal fester an dessen Härte pumpte. Erst dann wurde Julian bewusst, dass er vollkommen nackt aufgebart, wie ein Kind in Djosers Arm und zwischen dessen Beinen lag, während eine hübsche Vampirin seine Beine und Füße massierte und Miguel gleichzeitig einen seiner Arme hielt und ihm dort ebenfalls seine wunden Muskeln knetete. Doch am bizarrsten empfand Julian die Tatsache, dass Djoser ihn für alle Anwesenden offen sichtbar mit der Hand stimulierte und es ihn nicht im Geringsten störte. Weder seine Nacktheit noch seine unübersehbare Reaktion auf Djosers Tun beschämten ihn. Im Gegenteil. Gerade die Anwesenheit anderer Personen erfüllte ihn mit noch mehr Lust und er fühlte sich auf seltsame Weise schön und geliebt. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass sein Sirus ihn in aller Öffentlichkeit auf diese Weise berühren wollte.

 

*****

 

Weit entfernt an einem trostlosen Ort lag ein anderer Loraib in den Armen seines Sirus’ und fühlte sich durch dessen Aufmerksamkeit behütet. Ihnen stand kein bequemes Bett zur Verfügung, sondern nur der blanke kalte Boden bot ihnen eine karge Liegestatt. Noel bezweifelte es zwar, dass sie hier in ihrem Gefängnis ausreichend Nahrung erhalten würden, aber dennoch ließ er Joshua lange und viel von sich trinken, damit dessen Wunden rasch heilen konnten.

Mehrmals wollte Joshua bereits von sich aus aufhören, an Noels Hals zu saugen, doch jedes Mal bestand Noel darauf, dass er weiter trank. Außerdem schenkte ihm das saugende Gefühl seines Loraibs Trost und Ablenkung von den schrecklichen Geschehnissen der letzten Stunden.

Alle seine Clanmitglieder waren aus der Zelle geführt worden, bis nur noch er und sein Loraib übrig waren. Er wusste nicht, was mit seinen Leuten passieren würde und machte sich große Sorgen um sie. Die wenigen Andeutungen, die Reginald ihm gemacht hatte, trugen nicht gerade zu seiner Beruhigung bei.

Mittlerweile tat Joshua nur noch so, als würde er weiter saugen, nur damit beide das beruhigende Gefühl weiter genießen konnten, während Noels Gedanken um Zaida kreisten. Er fragte sich, ob die Dinge wirklich wahr waren, die Reginald ihm von der Clanführerin erzählte hatte.

Ein markerschütternder Schrei ließ die Beiden plötzlich hochschrecken. Noel erkannte die Stimme eines seiner Kalkadore, weshalb er entsetzt aufsprang, wobei er Joshua regelrecht von sich schubste und besorgt an die Gitterstäbe heraneilte. Nahezu hysterisch versuchte er durch die Gitterstäbe hindurch nach seinen Leuten zu suchen, doch außer einem leeren Gang konnte er nichts erkennen.

Mühevoll richtete sich Joshua auf seine Beine, um Noel zu folgen und ihn sanft an der Schulter zu berühren. „Noel", sagte er leise, um die Aufmerksamkeit seines Sirus’ zurück auf sich zu lenken. Als Noel sich zu ihm umwandte, war sein Blick voller Sorge und seine Hände zitterten. „Du konntest nichts dagegen tun", versicherte Joshua ihm.

Daran zweifelnd, erwiderte Noel: „Vielleicht hätte ich das Angebot eingehen sollen? Wir hätten nach den anderen suchen und dann zurückkehren können, um unsere Leute zu befreien."

„Sie haben Vampire auf ihrer Seite. Und wir wissen nicht wie viele von ihnen Belungas sind. Selbst Belungas haben einen besseren Instinkt als Menschen und mit meiner Verwundung hätten sie leichtes Spiel mit uns gehabt. Falls es ihnen gelungen wäre, uns zu folgen, hätten wir ihnen damit auch die anderen ausgeliefert. So ist es besser. Du hast die richtige Entscheidung getroffen", versuchte Joshua Noels Schuldgefühle zu nehmen.

„So hätte ich wenigstens dich retten können", sagte Noel traurig.

„Und du glaubst wirklich, sie hätten uns ziehen lassen, nachdem du ihnen gegeben hast, was sie wollten?", bezweifelte Joshua, ohne sich anmerken zu lassen, wie viel es ihm bedeutete, das Noel dies sagte.

„Einen Versuch wäre es doch wert gewesen", argumentierte Noel.

„Mein Leben rechtfertigt es nicht, den Menschen eine so gefährliche Waffe in die Hände zu spielen, wie blutgierige Belungas. Das weißt du genau. Anstatt dir die Schuld für die Gräueltaten dieser Menschen zu geben, solltest du lieber stark sein und ihnen die Stirn bieten", ermahnte Joshua ihn streng, beugte sich zu ihm vor und fügte in Noels Ohr flüsternd hinzu: „Und du solltest auf deine beiden Centras vertrauen. Wie ich sie kenne, werden sie nichts unversucht lassen, um uns zu finden."

Joshua in eine feste Umarmung schließend, erwiderte Noel daraufhin: „Genau das befürchte ich auch und es macht mir Angst."

„Hab Vertrauen", sagte Joshua sanft, um seinem Sirus die notwendige Ruhe zurückzugeben, die dieser brauchen würde, um einen kühlen Kopf in ihrer schwierigen Lage zu bewahren.

„Was täte ich nur ohne dich", erwiderte Noel, während er sich nur ein kleines Stück aus der Umarmung löste, um Joshua ins Gesicht blicken zu können.

„Ich erfülle nur meine Pflicht als dein Loraib", versuchte Joshua sein Handeln herunterzuspielen.

„Du bist weit mehr für mich, als nur mein Loraib. Schon seit dem ersten Augenblick, als ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass du etwas Besonderes bist. Uns beide verbindet mehr als nur das Band zwischen einem Sirus und einem Loraib", begann Noel seine Gefühle für Joshua auszudrücken, bis Joshua ihn eindringlich unterbrach: „Bitte tu das nicht."

„Was meinst du?", fragte Noel nach.

„Tu nicht so, als wäre dies unser letzter gemeinsamer Augenblick", bat Joshua mit feuchten Augen.

„Vielleicht ist er das aber", gab Noel zu bedenken.

„Genau das befürchte ich auch und es macht mir Angst", wiederholte er Noels Worte von zuvor.

Noel schloss Joshua erneut in eine enge Umarmung, um ihm Trost zu spenden und dessen Nähe bewusst spüren zu können. „Ich liebe dich", flüsterte er ihm ins Ohr und drückte damit mehr aus, was er sagen wollte.

„Ich liebe dich", erwiderte Joshua die drei Worte, während er seine Tränen zurückdrängte. So lange hatte er darauf gewartet, dass sein Sirus sich an ihre tiefe Liebe erinnern würde, und ausgerechnet dann, wo sie dem Tode nahe waren, kam Noel endlich wieder zu ihm zurück.

 

*****

 

Bei einer nervenaufreibenden Debatte darüber, wer bei wem mit in einem Auto sitzen sollte, verlor Djoser recht schnell die Geduld und nutzte schließlich seine Stellung als erster Centra, um ein abschließendes Machtwort zu sprechen. Es bleibt wohl unnötig zu erwähnen, welche zwei Personen dabei die verursachenden Streithähne bei dieser Debatte waren.

Peter hatte darauf bestanden, bei seinem Bruder mitzufahren, während Karen sich als Djosers persönlicher Blutlieferant zur Verfügung stellte und deshalb mit im selben Wagen sitzen sollte. Allerdings weigerte sie sich, weiter im selben Auto wie Peter zu sitzen. Den anderen Vampiren war im Grunde egal, in welchem Auto sie sitzen würden, solange nicht Peter und Karen gemeinsam mit ihnen im selben Auto saßen. Peter ärgerte sich, dass er wegen Karen zurückstecken sollte und wollte deshalb auf seine Rechte als Centradu pochen, doch dies nützte ihm am Ende nichts. Nach nur wenigen Augenblicken anstrengendem Wortgefecht beschloss Djoser, dass Karen und Nicolas bei ihm und Julian mitfahren sollten, während der Rest der Gruppe den zweiten Wagen nahm, den Peter günstig bei einem Autohändler erstanden hatte. Nachdem dies endlich geklärt war, konnte die lange Reise beginnen.

Noch immer geschwächt durch die Verwandlung, lag Julian angelehnt an Djosers Brust auf der Rücksitzbank. Die Schmerzen in seinen Gliedern waren durch das Blut seines Sirus wesentlich leichter geworden, weshalb er ein wenig Erholung im Schlaf finden konnte. Djoser wachte sorgfältig über den Schlaf seines Loraibs. Schon sehr bald würden die Schmerzen wieder stärker werden und Julian war dann auf sein Blut angewiesen, um sich zu einem starken Vampir zu entwickeln.

In den ersten Stunden im Leben eines Vampirs ist dieser besonders auf die Hilfe anderer Vampire angewiesen. Je nach Art der Verwandlung und der Bestimmung des Vampirs wird gerade in diesen ersten Momenten das gesamte spätere Leben geprägt. Deshalb ist es gerade für einen Loraib und dessen Sirus entscheidend, dass sie die ersten Stunden zusammen verbringen, da sich dadurch ihre Verbindung zueinander mit jedem Augenblick stärkt.

Noel hatte ihm öfter zu erklären versucht, wie es ist, einen Loraib zu haben, doch erst jetzt, als Doser seinen eigenen ersten Nachkommen im Arm hielt, begann er zu begreifen, wie bedeutend und tief greifend eine Verbindung zu einem Loraib war. Schon seit den ersten Momenten, als er in Jermyns tiefblaue Augen geblickt hatte, war Djoser von dem Jungen verzaubert gewesen, doch nun, nachdem Jermyns sterbliches Dasein beendet und Julian als sein Loraib wiedergeboren war, spürte er eine tiefe Verbindung zu seinem Nachkommen. Es schien als ob Julian zu einem Teil von ihm geworden wäre. Und mit jeder Sekunde, in der Djoser auf seinen schlafenden Loraib herabblickte, wurde diese Verbindung stärker. Er begann fremdartige Gefühle zu empfinden und begriff erst nach einer Weile, dass er nun in der Lage war, Julians Befinden zu erfassen. Je mehr er sich auf seinen Loraib konzentrierte, umso genauer konnte er erkennen, wie sich sein Nachkomme fühlte. Dies war ein atemberaubendes Gefühl für Djoser, von dem er nie geglaubt hätte, dass es wirklich so klar und deutlich greifbar war.

„Djoser, kann ich dich etwas fragen?", riss Karen ihn aus seinen tiefen Gedanken, weshalb er etwas desorientiert zu ihr nach vorne zum Beifahrersitz blickte.

Ohne auf eine konkrete Antwort zu warten, stellte Karen ihre Frage, nachdem sie dessen Aufmerksamkeit auf sich wusste: „Hast du eine Ahnung, warum Noel ausdrücklich anordnen ließ, dass Isabel mit uns in der Gruppe mitfährt?"

Sich ernsthaft fragend, mit welcher Art von Problemen Karen zu kämpfen hatte, meinte er brummig: „Ich vermute, damit Peter während der Reise gut versorgt ist."

„Womit gut versorgt?", fragte Karen nicht verstehend, was Djoser damit meinte.

„Isabel ist eines der Mädchen, die Peter von Zeit zu Zeit für sich beansprucht", erklärte Djoser ausweichend.

„Was meinst du jetzt damit?", bohrte Karen weiter.

„Ich rede von Sex", brachte Djoser es schließlich auf den Punkt und beobachtete dabei amüsiert, wie Karen eine Nuance blasser wurde.

„Du meinst, Noel hat Isabel angeordnet Sex mit Peter zu haben?", erwiderte sie sichtlich entsetzt.

Kurz auflachend, antwortete er ihr darauf: „Dafür braucht es keine Anordnung. Isabel und Peter treiben es öfter miteinander. Ich schätze, Noel machte sich noch Sorgen um Peters inneren Ausgleich und wollte sicherstellen, dass jemand bei ihm ist, an dem er seine dominante Seite weiter stärken kann. Und ich schätze, das wird er auch brauchen, nachdem ihr beide euch ständig gegenseitig auf die Nerven geht."

Mit Genugtuung bemerkte er, wie diese Worte sie sichtlich aus dem Gleichgewicht warfen und auch Nicolas, der neben ihr den Wagen steuerte, grinste amüsiert vor sich hin, als er Karen daraufhin sprachlos erlebte.

Von der Vorstellung, dass Isabel sich an Peter ranschmeißen könnte angewidert, blickte Karen wieder nach vorne aus dem Fenster. Sie entwickelte eine tiefe Abneigung gegen die hübsche Vampirin, ohne dass ihr bewusst wurde, woher diese Gefühle kamen, denn schließlich hätte es ihr egal sein können, mit wem Peter intim war, oder nicht, da er ihr vollkommen gleichgültig war. Zumindest redete sie sich dies erfolgreich ein.

Wenigstens herrschte in den nächsten Minuten eine angenehme Stille im Auto, die besonders Nicolas sehr genoss.

 

*****

 

Argwöhnisch behielt Noel den Wachmann ihm Auge, dem er zu folgen hatte. Hinter ihm folgten zwei weitere Wachmänner, die ihre Waffe auf ihn gerichtet hielten. Nur unter der Androhung, Joshua zu töten, hatte Noel seinen Loraib allein in der Zelle zurückgelassen. Er wusste nicht, wohin man ihn bringen würde, doch er hoffte, dabei vielleicht etwas über den Verbleib seiner anderen Clanmitglieder zu erfahren.

Mit akribischer Genauigkeit prägte er sich jedes noch so kleine Detail ein, das er entdeckte. Angefangen von der Anzahl der Männer, die ihnen im Gang begegneten, und deren Bewaffnung, die Anzahl der verschlossen oder offenen Türen, die Art der Sicherheitsvorkehrungen an den Türen, das nicht Vorhandensein von Fenstern, obwohl er einen leichten Luftzug verspüren konnte, die Zugänge zu den Luftschächten, der Seitengang, der zu einem Aufzug führte, die Anzahl der Schalter im Aufzugraum, den Code, den der Wachmann in ein Tastenfeld tippte, um ein gesperrtes Stockwerk zu erreichen, das nobel eingerichtete Appartement, dass sie schließlich betraten, bis hin zu der Tür, die ihn von seinem Bestimmungsziel trennte. Es war keine sonderliche Überraschung für Noel, als er hinter dieser Türe schließlich dem Leiter dieser Institution begegnete.

„Ah, Noel war der Name, nicht wahr?", begrüßte ihn der Soldat für Noels Geschmack etwas zu freundlich, weshalb er ihn schlichtweg ignorierte und sich stattdessen in dem Appartement umsah. Die Einrichtung dieser kleinen Wohnung wirkte für militärische Standards übertrieben luxuriös und erinnerte Noel ein wenig an ein österreichisches Königshaus, in dem er vor fast dreihundert Jahren einmal gewesen war. Die Möbel waren hellbeige mit spielerischen Schnörkel und Bemalungen verziert. Der Boden war mit einem dunkelroten Teppich belegt. Die weiße Decke war mit Stuckarbeiten versehen und an den Wänden hingen große Wandteppiche mit aufwendig gestickten Mustern. Nach all den Geschmacklosigkeiten in diesem Raum entschied Noel, dass die österreichischen Königshäuser wesentlich sehenswerter eingerichtet waren, als dieses Appartement. Es war eine groteske Mischung aus antiken Möbelstücken und übertrieben vielen Dekorelementen, die den Raum schier erdrückten.

„Gefällt Ihnen meine Residenz?", richtete der Mann erneut das Wort an Noel. Er überlegte, ob er ihm seine ehrliche Meinung über diesen Einrichtungsstil mitteilen sollte, entschied sich jedoch weiter für das Schweigen.

„Sie wollen also nicht mit mir reden. Das kann ich sogar verstehen. Aber vielleicht erweisen Sie mir die Freundlichkeit, gemeinsam an einem Tisch Platz zu nehmen?", fragte der Soldat weiterhin freundlich, was Noels Mistrauen nur noch weiter ansteigen ließ. Offensichtlich führte dieser Kerl etwas im Schilde und Noel ahnte, dass ihm dieses „Etwas" nicht gefallen würde.

Der Soldat deutete ihm an, ihm in ein Nebenzimmer zu folgen, und nachdem Noel keinerlei Anstalten machte dies zu tun, spürte er den Lauf eines Gewehres in seinem Rücken. Einer der Wachmänner stieß ihn an, der Aufforderung seines Vorgesetzten zu folgen, also folgte Noel.

Das kleinere Nebenzimmer erfüllte offensichtlich den Zweck eines Speisezimmers. In der Mitte stand ein rechteckiger Tisch mit sechs Stühlen. Die Möbel der Sitzgarnitur und der des restlichen Raumes waren ebenso geschmacklos angerichtet, wie in dem größeren Raum, wobei Noel sich ernsthaft fragte, wie es möglich war, einen Raum so enorm mit antikem Prunk zu erdrücken.

Doch all dies war verschwindend gering mit dem Schock, der ihm ebenfalls in diesem Zimmer begegnete. Zum Fuße des einen Stuhles, der offensichtlich dem Soldaten gehörte, da dieser Platz mit einem üppigen Frühstück gedeckt war, kauerte eine Frau. Es kostete Noel keine Mühe zu erkennen, dass es sich um eine Vampirin handelte, und er war erleichtert, dass es niemand aus seinem Clan war, doch als die Frau seine Gegenwart ebenfalls spürte und zu ihm aufblickte, stockte ihm der Atem. Es war nicht ihre zauberhafte Schönheit, die einer jungen Elfe glich, sondern es war der Ausdruck in ihren Augen, der ihn erschreckte. Sie litt schreckliche Qualen, obwohl sie äußerlich unverwundet schien, was aufgrund des Mangels jeglicher Kleidung leicht zu erkennen war. Ihre Qualen kamen aus ihrem Inneren und Noel ahnte, dass sie ein Loraib war.

„Ah, ich dachte mir, dass sie Ihre Aufmerksamkeit erregen würde", bemerkte der Soldat sichtlich amüsiert, während er sich an seinen Platz neben die Vampirin setzte und ihr wie bei einem Hund über den Kopf tätschelte. In Noel begann es zu brodeln und nur allein der Gedanke an Joshua bewahrte ihn davor, etwas Unüberlegtes zu tun.

„Sie ist hübsch nicht wahr?", redete der Soldat weiter, ohne dass Noel darauf etwas zur Antwort gab. Sein Blick war fest auf den flehenden Ausdruck der Vampirin gerichtet. Ihre Lippen formten lautlos die verzweifelte Bitte, dass er sie töten solle, worauf Noel einen Stich in der Brust verspürte und seinen Blick abwenden musste.

„Sie stammt aus Reginalds Clan. Er hat mir gesagt, dass sie nur ein unbedeutendes Clanmitglied sei, doch ich glaube, er lügt. Können Sie mir sagen, wer sie ist?", richtete der Soldat seine Frage an ihn.

Noel blickte weiter in eine andere Richtung und versuchte das Geschwätz des Mannes zu ignorieren. Ein leises Wimmern zog seine Aufmerksamkeit jedoch rasch zurück auf das Mädchen, wo er dann sah, wie der Mann sie grob in den Haaren packte und ihr eine Pistole an die Schläfe drückte. Erst jetzt erkannte er das Halsband und die stählerne Kette, die die Vampirin an Ort und Stelle zwang.

Abstrakterweise schimmerte in ihren Augen keine Furcht, sondern Hoffnung, weshalb Noel gefasst blieb und dem Mann erwartungsvoll entgegen sah.

„Es scheint nicht so, als würde dich ihr Tod bekümmern? Habt ihr Vampire kein Herz? Ich dachte, ihr seid ein besseres Volk als die Menschen? Zumindest behauptet Reginald so etwas. Doch ich frage mich, wie das Ausliefern und Töten eines anderen Clans seiner eigenen Rasse mir zeigen soll, dass Vampire bessere Wesen sind? Und auch du scherst dich einen Dreck um das Leben eines Vampirs aus einem andern Clan. Für mich seid ihr alle Abschaum", redete der Soldat schließlich mehr zu sich selbst, während er abschließend die Vampirin grob von sich stieß und die Pistole wieder in den Halfter zurücksteckte.

Zwar war Noel noch immer misstrauisch, doch er sah keine Gefahr darin mit dem Mann zu sprechen, weshalb er in ruhigen Worten sagte: „Weshalb soll mich der Tod der Tochter eines anderen Clans kümmern, wenn sie selbst sich danach sehnt? Ihr den Tod schenken wäre eine größere Gnade, als sie unter solch unwürdigen Bedingungen unter dem Joch eines Menschen leben zu lassen."

„Unter dem Joch eines Menschen?", wiederholte der Soldat amüsiert und fügte hinzu: „Du scheinst klüger zu sein, als die anderen Vampire, die ich bisher bei mir hatte. Warum setzt du dich nicht und wir sprechen ein wenig über deinen Clan?"

Sich zu setzen konnte nicht schaden. Vielleicht war er so in der Lage etwas über seine Clanmitglieder zu erfahren? Deshalb setzte er sich dem Mann gegenüber an den Tisch. Er hatte kaum die Sitzfläche des Stuhls berührt, als es plötzlich an der Tür klopfte. Nachdem der Mann ihm den Eintritt gewährte, meldete der Ankömmling übereifrig: „Major Thompson, wir haben alle Vorbereitungen soweit getroffen, wie Sie es wollten. Haben Sie weitere Anweisungen für uns?"

„Gut gemacht, Soldat. Wartet solange, bis ich dem Experiment beiwohne und haltet einen Platz für meinen Gast bereit." Noel wurde es heiß und kalt, als er daran dachte, welche Art von Experiment dies sein könnte.

„Jawohl Sir!", rief der eifrige Soldat und ließ sie wieder alleine.

„Verzeihen Sie die Störung", meinte der Major zu Noel, wobei ihm der erneute Wechsel zwischen „sie" und „du" auffiel.

„Wo waren wir? Ach ja. Sie wollten mir gerade etwas von sich und Ihrem Clan erzählen", meinte der Mann, während er sich ein Brötchen schmierte.

„Wie haben Sie es geschafft, Major zu werden? Zu meiner Zeit musste man sich einen solchen Titel sehr hart erarbeiten", konnte Noel es sich nicht verkneifen.

„Sie waren Soldat? Als Sie noch lebten?", fragte dieser von Noels Bemerkung ungerührt.

„Ja", antwortete Noel.

„Doch jetzt sind Sie es nicht mehr. Sie sind weder Soldat, noch sind Sie am Leben. Denn Vampire sind technisch gesehen ja bereits tot, nicht wahr? Aber halt, wenn Vampire bereits tot sind, dann ist es auch kein Verbrechen, sie zu töten? Stimmen Sie darin nicht mit mir überein? Denn wie kann man etwas töten, das bereits tot ist?", mutmaßte der Major mit einem schmierigen Grinsen.

„Es ist der Mensch, der stirbt, worauf der Vampir geboren wird. Dies ist eher ein symbolischer Akt, als dass er tatsächlich stirbt. Doch wenn Sie einen Vampir töten, bleibt nichts zurück. Und wenn Sie wirklich so denken, wie können Sie es dann verantworten, dass einer Ihrer Männer in einen Vampir verwandelt wird? Töten Sie damit nicht Ihre eigenen Männer?", argumentierte Noel mit ruhigen Worten, wobei er bei dem Major erreichte, dass dieser ihm für einen kurzen Augenblick starr entgegenblickte.

„Im Kampf muss man Opfer bringen, um zu gewinnen", erwiderte der Major rasch, als wäre ihm in letzter Sekunde die richtige Antwort eingefallen.

„Im Kampf gegen wen?", fragte Noel simpel.

„Gegen alles und jeden, der sich mir entgegen stellt", antwortete der Major grimmig, bevor er einen großen Bissen von seinem Brötchen nahm.

Das gesamte Verhalten des Majors wirkte auf Noel so, als ob dieser die Vampire ohne das Wissen seiner Vorgesetzten gefangen hielt und womöglich unerlaubte Experimente durchführte. Bei einer so sensationellen Entdeckung wie der Existenz von Vampiren, wäre mit viel hochrangiger Präsenz zu rechnen, als nur einem Major. Die Sicherheitsvorkehrungen wirkten nicht so als ob sie aufgrund einer ungewöhnlichen Situation erhöht worden wären. Und auch die Zahl der anwesenden Soldaten wies nicht darauf hin, dass das gesamte Militär bereits von der Entdeckung des Majors wusste. Die wenigen Auszeichnungen, welche an der Wand hingen und einem gewissen Eduard Thompson gehörten, hatten alle ein weit zurückliegendes Datum. Scheinbar war der Major aus irgendeinem Grund schon seit Längerem in dieses Forschungslabor versetzt worden. Die ungewöhnlichen Freiheiten, die man dem Major mit der Gestaltung seiner Privatgemächer gegeben hatte, wiesen darauf hin, dass man den Major besänftigen wollte, was Noel vermuten ließ, dass die Versetzung bei dem Major nicht gerade auf Gegenliebe gestoßen war. Zumindest passte dies alles in das Bild, das sich Noel allmählich von dem Major bilden konnte und falls er mit seinen Vermutungen recht behielt, hatte dies eine ganz entscheidende Bedeutung für ihn und seinen Clan. Dies würde nämlich bedeuten, dass das Militär offiziell noch keine Informationen über die Existenz der Vampire bekommen hatte. Und dies bedeutete Hoffnung.

Während Noel sich weiter im Raum umsah und jede Information zu seinem großen Puzzle zusammensetzte, redete der Major weiter und versuchte Noel zu einem Gespräch zu animieren. Es waren eher belanglose Dinge, die der Major ansprach, wie zum Beispiel die allgemeine Befehlsgewalt eines Vorgesetzten und dass ein Clanführer eines Vampirs ähnlichen Gesetzen unterliegen würde wie er. Das Geschwätz des Majors bewies Noel nur, dass dieser nicht die geringste Ahnung von Vampiren hatte, doch er sparte sich die Mühe, dessen Irrgedanken richtig zu stellen.

Scheinbar wollte der Major ihn unbedingt zum Reden bringen, denn er lenkte das Gesprächsthema erneut zurück auf die angekettete Frau zu seinen Füßen: „Sie kennen sich ja gut aus mit Vampiren, nehme ich an. Können Sie mir erklären, wie ich dieses kleine störrische Ding dazu kriege, mir zu gehorchen?"

Noel antwortete nicht, stattdessen starrte er dem Major mit einem finsteren Blick entgegen, der diesem einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Noels Schweigen bewirkte, dass der Major langsam die Geduld verlor und er etwas ruppiger meinte: „Ich hab Sie mit Reginald beobachtet. Sie ist eine verruchte kleine Schlampe, doch von mir lässt sie sich nicht freiwillig anfassen. Ist das, weil ich ein Mensch bin? Was muss ich tun, damit sie ein wenig gefügiger wird? Da muss es doch einen Trick geben? Los, verflucht, rede!"

Nach dem kleinen Wutausbruch des Majors, sprach Noel bewusst ruhig: „Sie haben nicht die geringste Ahnung, welch großes Leid Sie dieser Vampirin zufügen. Worin läge Ihrer Meinung nach der Trick, Sie für einen Mann gefügig zu machen? Wenn Sie sich das vorstellen können, haben Sie eine leise Ahnung davon, wie schlimm es für sie ist, von einem Mann berührt zu werden, der nicht ihr Sirus ist."

„Das reicht! Ich habe genug von diesem leeren Gelaber. Ihr Vampire wollt mir immer weismachen, dass ihr um so vieles besser seid als wir Menschen, doch ihr seid nicht besser als wilde Tiere. Jawohl, ihr seid wilde Tiere, die ihresgleichen töten und das ist gegen die Natur!", erwiderte der Major erzürnt, während er von seinem Platz aufsprang und seine Worte mit wilden Gesten unterstrich.

Vollkommen ruhig, meinte Noel darauf: „Ist es nicht ebenso wider der Natur, Armeen zu gründen und Kriege zu führen? Sind es nicht Menschen, gegen die Sie kämpfen? Und sind die Gründe, aus denen Ihr Menschen kämpft, nicht viel erbärmlicher, als unsere? Ich behaupte nicht, dass wir Vampire besser sind als Menschen, doch wir sind gewiss nicht schlechter."

„Das wird sich noch rausstellen", meinte Major Thompson, bevor er sich umwandte und den Raum verließ. Noel blickte ihm irritiert nach und sah dann zu der Frau am Boden, die ihrerseits flehend zu ihm aufsah und ihn stumm anbettelte, die Gelegenheit zu ergreifen, um sie von ihrem Elend zu befreien. Doch ehe Noel handeln konnte, spürte er erneut den Lauf des Soldaten in seinem Rücken, der hinter ihm stand. Für einen kurzen Moment hatte er vergessen, dass dieser ihn im Visier hatte. Dies war mehr als leichtsinnig gewesen, weshalb er sich selbst schalte, bevor er der Andeutung durch den Lauf folgte und sich erhob.

„Conomi me inop", sagte er kaum hörbar in einer alten, längst vergangenen Vampirsprache, während er an der hübschen Vampirin vorbeiging. Die Worten bedeuteten „Verzeih meine Machtlosigkeit", und sie antwortete mit einer stillen Geste, indem sie den Kopf senkte und schräg zur Seite legte, als ob sie sich von ihm abwenden würde, doch in Wahrheit unterwarf sie sich ihm damit und bot ihm ihr Leben an; erneut mit der stummen Bitte dieses Opfer anzunehmen, wann immer er die Macht dazu besitzen würde. Noel war berührt über ihr erneutes Flehen und musste um seine Fassung kämpfen. Als wieder der Lauf eines Gewehres in seinen Rücken stieß, wandte er sich mit einem tiefen knurrenden Laut blitzartig zu dem Soldaten um und funkelte ihm drohend in die Augen. Der Soldat erstarrte vor Schreck und erbleichte augenblicklich. Doch Noel konnte seinen kleinen Triumph nicht genießen, da noch ein weiterer Soldat mit im Raum war und aufgeschreckt von seinem plötzlichen Knurren auf ihn feuerte. Zwar war es keine dieser tödlichen Munition, dafür aber war es ein elektrischer Schlag, der Noel durch jede Faser seines Körpers ging und ihn schmerzvoll zu Boden zwang. Er sah gerade noch, wie sich die Vampirin mit der Hand nach ihm streckte, bevor er das Bewusstsein verlor.

 

*****

 

Bereitwillig streckte Karen ihren Arm nach hinten zu Djoser, damit dieser von ihrem Handgelenk trinken konnte. Ihr war das Gefühl bereits bekannt, dennoch überraschte es sie wieder aufs Neue, wie wenig es schmerzte, als der Vampir seine Zähne in ihr Fleisch bohrte. Sie spürte sein sanftes Saugen zusammen mit dem leichten Schwindelgefühl, das sich in ihrem Kopf zu bilden begann.

Ein leises Stöhnen verriet den herrlichen Genuss, den Djoser verspürte, als er das seltene Geschenk einer warmen pulsierenden Ader an seinen Lippen spürte und er das kostbare Lebenselixier in sich saugen konnte. Viel zu selten hatte er dieses Vergnügen, weshalb er sich viel Zeit ließ, und den delikaten Geschmack genussvoll auf der Zunge verteilte, ehe er jeden Mundvoll andächtig schluckte.

Eingewickelt in seiner schwarzen Decke saß Julian neben seinem Sirus und beobachtete fasziniert das Schauspiel, während Nicolas draußen am Wagen lehnte und die Menschen an der Raststätte beobachte, um sie rechtzeitig warnen zu können, falls jemand auf das Geschehen im parkenden Wagen aufmerksam werden würde. Doch viel wahrscheinlicher war es, dass jemand auf den Wagen neben ihnen aufmerksam werden würde, da Peter seinerseits die kurze Rast dazu nutzte, sich auf dem Rücksitz mit Isabel zu vergnügen. Edmond und Miguel waren derweilen in dem kleinen Tankstellenshop, um Lebensmittel für die menschlichen Reisebegleiter zu besorgen.

Als Karen einen Blick durch die Wagenfenster in das andere Auto warf, erschrak sie über das Bild, dass sich ihr dort bot. Peter saß auf der Rücksitzbank und hatte Isabel in seinem Schoß. Der Beifahrersitz war nach vorne geklappt, wodurch die Liebenden mehr Bewegungsfreiheit gewannen. Isabels Bewegungen und ihr vor Lust zurückgelegter Oberkörper ließen Karen eindeutig erkennen, was genau gerade in diesem Wagen vor sich ging. Sie verspürte eine unbändige Wut auf das Paar und war drauf und dran zu ihnen zu stürmen, um sie von ihrem Liebesspiel abzuhalten, als sie plötzlich einen festen Griff um ihr Handgelenk spürte, der sie daran hinderte ihren Arm zurückzuziehen. Mit der Wut auf ihrem Gesicht blickte sie zu Djoser, wobei ihr erst wieder bewusst wurde, dass er noch immer an ihrem Handgelenk saugte. Sanfte braune Augen trafen sie und für einen Moment lang vergas sie alles um sich herum, während das Schwindelgefühl kurz stärker wurde, ehe er sich vorsichtig von ihr löste.

„Bitte entschuldige, dass ich dich festgehalten habe. Hättest du deine Hand zu schnell zurückgezogen hätte ich dich verletzt", sagte Djoser mit seidiger Stimme, die Karen ein erregendes Kribbeln durch die Lenden jagte.

„Ich wollte nicht…", begann Karen zu sprechen, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich sagen wollte, bis ihr plötzlich wieder einfiel, weshalb sie so wütend war und ihr Kopf zurück auf das Geschehen nebenan schnellte. Rasch wandte sie sich um, da sie aussteigen und hinüber gehen wollte, doch Djoser hielt sie mit sanfter Stimme auf: „Lass ihn. Wenn du etwas für ihn empfindest, dann lass ihm seinen Spaß. Das zwischen den Beiden hat nichts zu bedeuten. Doch es ist wichtig für ihn, dass er sich etwas abreagieren kann."

„Wie kommst du darauf, dass er mir was bedeutet?", erwiderte Karen und versuchte dabei die Absurdität dieser Vermutung in ihrer Stimme wiederzugeben.

Djoser sah ihr nur in die Augen und begann leicht zu lächeln, womit ihr klar wurde, dass ihre Zuneigung zu einem gewissen Vampir für ihn ziemlich deutlich auf der Hand lag. Hin und her gerissen zwischen dem Geschehen nebenan und den sanften braunen Augen, die ihr entgegensahen, wusste sie nicht, wie sie sich weiter verhalten sollte. Es erschreckte sie, dass Djoser ihre kleine Scharade so offensichtlich durchschauen konnte und ihr erster Impuls war es, ihre falsche Maske weiter zu festigen und alles abzustreiten, doch sie konnte es nicht.

Zufrieden darüber, dass er Karen davon abhalten konnte, zu Peter zu stürmen, wandte sich Djoser wieder seinem Loraib zu. Dieser machte jedoch keinen gesunden Eindruck, weshalb er sofort besorgt nach dessen Wange griff und fragte: „Julian, ist alles in Ordnung mit dir?"

„Ich weiß nicht. Mir ist irgendwie schlecht", antwortete Julian.

Djoser war von dem frischen Blut auf seinem Gaumen so abgelenkt gewesen, dass er Julians Zustand nicht sofort bemerkt hatte. Fluchend suchte er im Innenraum des Wagens nach Klamotten für Julian. Nachdem er nichts Passendes fand, murmelte er verärgert: „Das kann nicht wahr sein", bevor er aus dem Wagen stieg. Es war ihm gelungen Karen aufzuhalten und nun war er selbst es, der Peter stören musste. Als er Julian aus dem Krankenhaus mitgenommen hatte, trug dieser nur einen blutverschmierten Kittel bei sich, und er selbst hatte sein ganzes Gepäck in einem der anderen Wagen zurückgelassen, mit dem er eigentlich hätte reisen sollen. Also musste er Peter um Kleidung für seinen Loraib bitten, denn Julian konnte unmöglich nackt in der Gegend herumlaufen, auch wenn es für Djoser ein sehr reizender Anblick gewesen wäre.

Mit entschuldigender Miene öffnete er die hintere Türe des anderen Wagens und wartete kurz, bis Peter sich seiner Gegenwart bewusst wurde und ihm fragend entgegenblickte, während Isabel sich weiter gekonnt gegen seinen Schoß bewegte und ihm lustvolle Laute entlockte.

Unter Vampiren war Sex etwas Normales und selbstverständliches, weshalb es auch kein Schamgefühl unter ihnen gab. Deshalb wunderte sich Peter über den geknickten Gesichtsausdruck seines Bruders und er fragte besorgt: „Was ist los? Alles in Ordnung? Gibt es Probleme mit deinem Baby?"

Djoser versuchte nicht auf den Kosenamen zu reagieren, mit dem Peter seinen Loraib betitelte, und antwortet: „Es geht ihm nicht gut. Es tut mir Leid, dich zu stören, aber er braucht was zum Anziehen. Kann ich was von deinen Sachen haben?"

„Wenn das so weitergeht, stehe ich bald nackt da", meckerte er erst, bevor er auf selbstverständliche Weise hinzufügte: „Mein Zeug ist im Kofferraum eures Wagens. Nimm dir, was du brauchst."

„Danke", sagte Djoser und fügte seinem wörtlichen Dank noch einen kurzen Kuss hinzu. Nahe an Peters Ohr flüsterte er ihm noch zu: „Sieh jetzt nicht zu ihr, aber Karen reagiert ziemlich eifersüchtig auf euch beide." Bevor er sich von ihnen entfernte, gab er auch Isabel noch einen kurzen Kuss, wobei sich ihre Zungen kurz schmeichelten, und ging dann zurück zum anderen Wagen, um von dort Klamotten für Julian von Peters Sachen zu nehmen.

Vorsichtig lugte Peter hinüber zu Karen und traf dort auf ihren bohrenden Blick, der genau beobachtete, was zwischen ihm und Isabel vor sich ging. Ein breites Grinsen spiegelte sich auf seinen Lippen, während er sich zu der Frau in seinen Armen vorbeugte und ihre nackten Brüste mit seiner Zunge liebkoste. Seinen Blick weiter auf Karen ruhend, führte er das zärtliche Liebesspiel zwischen ihnen fort und erhöhte dabei das Tempo ihres Tanzes. In seiner Fantasie stellte er sich vor, Karen in seinen Armen zu halten und fragte sich dabei, ob sie sich ihm auch so willig hingeben würde wie Isabel.

Der Gedanke berauschte ihn und trieb ihn noch weiter an. Schließlich drückte er sie zurück gegen die Rückwand des Beifahrersitzes und beugte sich, so gut es in dem engen Wagen ging, nach vorne, um sich in drängenden Stößen in ihr zu vergraben. Bewusst legte Isabel ihren Hals weit zurück und stöhnte erregt auf, als sich sein fester Griff in ihren Haaren vergrub und sie mit ihrem entblößten Hals an seine Lippen zwang. Sein Biss war hart und fordernd. Er saugte in großen Schlücken und raubte ihr damit beinahe das Bewusstsein, während seine Stöße erbarmungslos in sie hämmerten. Es war wie ein Rausch, in dem sie beide gefangen waren. Ihre Hände suchten nach Halt und krallten sich in seinen Rücken, während er sie weiter fest in seinem Griff hielt. Angetrieben von dem Gedanken, Karen in seinen Händen zu halten und ihr seine Macht als Vampir zu demonstrieren.

Mit einem grunzenden Stöhnen vergrub er sich schließlich ein letztes Mal tief in ihre feuchte Scham und ließ seinem Höhepunkt freien Lauf, während Isabel unerlöst blieb und sich weiter erregt in seinem festen Griff wandte. Mit lustverschleiertem Blick sah er auf sie herab und war kurz irritiert, nicht Karen zu sehen, doch dann erinnerte er sich an seine Fantasie, lächelte Isabel wissend an und fragte spielerisch: „Warst du ein braves Mädchen?"

„Ja, das war ich. Bitte!", erwiderte sie stöhnend und versuchte ihre Hüften weiter gegen Peter zu drängen und spannte ihre inneren Muskeln an, um den noch immer harten Schaft, der tief in ihr vergraben war, besser spüren zu können.

„Ah, ich weiß nicht", zweifelte Peter mit einem frechen Grinsen.

„Oh doch, ich war brav. Bitte mach weiter!", drängte Isabel erneut.

„Halt still", forderte er sie nun streng auf, während er sich aus ihr zurückzog und sich zurück in den Rücksitz setzte. Wie befohlen, blieb Isabel in ihrer Stellung verharren und versuchte sich ruhig zu halten. Die plötzliche Leere in ihrem Inneren trieb sie zum Verzweifeln. Sie sehnte sich so sehr nach Erlösung. Die Lippen ihrer Scham brannten vor Erregung. Ihre Finger bohrten sich drängend in das Polster des Sitzes unter ihr, um sich selbst daran zu hindern, sich zu bewegen. Nur ihre Schenkel öffnete sie noch weiter, damit er ihre Erregung deutlicher sehen konnte. Sie spannte ihre Muskeln in gleichmäßigen drängenden Rhythmus an und bewegte ihr Becken dazu, als ob sie sich gegen einen unsichtbaren Freund drängen würde, der sich ihres unerfüllten Zustandes erbarmte. Durch ihr Tun steigerte sich ihre Lust noch mehr und weiße Schmierflüssigkeit quoll zusammen mit Peters Samen aus ihrer Scham hervor. Dieser Anblick zusammen mit dem süßen erregenden Duft, der sich im Wagen verbreitete, raubte Peter beinahe den Verstand. „Oh fuck!" war sein einziger geistloser Kommentar zu der Vampirin, die sich in Lust vor ihm wandte, bevor er seine Finger auf ihrem feucht glitzernden Lustpunkt legte und mit ihr spielte. Laut stöhnend bäumte sie sich ihm daraufhin entgegen und flehte mit zittriger Stimme: „Oh bitte! Ich bitte dich! Ich tu alles, was du willst!"

„Alles, was ich will?", fragte er mit rauer Stimme nach.

„Alles!", bestätigt sie ihm sofort bereitwillig.

„Und wenn ich will, dass du für mich in diesem Zustand bleibst? So erregt und fern von jeder Erlösung", schnurrte er verführerisch, während er sich zu ihr vorbeugte und kleine Küsse auf ihrer Brust verteilte; seine Finger weiter an ihrem Lustpunkt reibend und sie damit in den Wahnsinn treibend.

Das grausame Spiel erkennend, das er mit ihr spielte und das ihr nur allzu gut vertraut war, antwortete sie ergeben: „Was immer du verlangst, ich werde es tun."

Es war ein einfaches Spiel der Macht und sie beide kannten die Regeln. Es wäre ihr schon längst möglich gewesen, sich selbst zusammen mit Peter zum Höhepunkt zu treiben, doch er hatte es ihr untersagt. Nur mit seinen ausdrücklichen Worten war es ihr erlaubt, Erlösung zu erlangen und sie würde eher sterben wollen, als diese Regel absichtlich zu brechen. Schließlich war sie eine der besten Moras im Clan und damit stand ihre Ehre auf dem Spiel. Nicht ohne Grund hatte Noel gerade sie darum gebeten, sich um Peter zu kümmern.

Peter würde dieses Spiel noch über Stunden hinweg spielen können. Sie würde weiter in ihrem erregten Zustand bleiben und ihn anbetteln die ersehnten Worte zu sprechen, solange, bis er sich erbarmte. Oder er würde ihr den Mund verbieten und ihr bliebe nichts anderes übrig, als ihre unerfüllte Lust stumm zu ertragen. Er hatte dieses Spiel einmal über mehrere Tage hinweg mit ihr getrieben. Nichts stärkte die dominante Seele eines Vampirs mehr als das Flehen eines vor Lust vergehenden Liebespartners. Und das war genau das, was Peter brauchte.

Nur leider waren sie nicht in der behüteten Obhut des Clans, wo er sie für Tage in seinem Bett bei sich behalten konnte, sondern in einem engen ungemütlichen Wagen, mit dem sie schon sehr bald weiterfahren mussten. Auch wenn ihn der Gedanke verlockte, Isabel dennoch ihren Höhepunkt zu verwehren, nur um zu sehen, wie Karen darauf reagieren würde, entschied er sich, dem Spiel ein Ende zu bereiten. Mit einer fließenden Bewegung vergrub er seinen noch immer harten Schaft in ihre zuckende Scham, schenkte ihr lange und zärtliche Stöße, um sie weiter an die Spitze zu treiben, und schnurrte ihr verführerisch ins Ohr: „Coa fe me", was nichts anderes bedeutete, als „Komm für mich."

Irritiert starrte Edmond auf das Auto, als ein erlösender Schrei von Isabel heraushallte. Ein kurzer Blick erklärte ihm den Grund für diesen Aufschrei, ließ ihn augenblicklich erröten und sich rasch abwenden. Durch sein desorientiertes Verhalten stieß er direkt gegen Djoser und Julian, die gerade aus dem anderen Wagen gestiegen waren.

Julian war nun in eine von Peters hellblauen zerrissenen Jeans gekleidet wozu er ein schwarzes langärmliges Shirt trug, das seine leichten Bauchmuskeln hervorbrachte.

„Verzeihung", meinte Edmond rasch und versuchte seinen Blick weder auf das Geschehen im Auto neben ihnen, noch auf den anmutigen Körper des jungen Loraib an Djosers Seite zu richten.

Djoser ignorierte den Doktor und führte Julian stattdessen in die Richtung der Raststätte. Als die beiden Vampire an ihm vorbeigingen, fiel Edmond auf, dass Julian einen schlechten Eindruck machte. Neugierig geworden, eilte er den beiden nach und fragte besorgt: „Ist alles in Ordnung?"

Ohne die Schritte langsamer werden zu lassen, erklärte Djoser dem Doktor: „Es ist alles in Ordnung. Julian muss nur zur Toilette."

„Zur Toilette? Ich dachte, Vampire müssen nicht…", erwiderte Edmond verdutzt, ohne das Kind beim Namen zu nennen.

„Vorletzte Nacht war er noch ein Mensch und wie alle Menschen nahm er auch Nahrung zu sich und auf irgendeine Weise muss diese ja wieder aus seinem Körper heraus kommen. Deshalb rebelliert sein neuer Körper gerade und will das Zeug so schnell wie möglich loswerden", erklärte Djoser und zwinkerte ihm noch zu, bevor sie beide zusammen in der öffentlichen Toilette verschwanden.

 

*****

 

Als Noel zu sich kam und sein Blick wieder klar wurde, stellte er fest, dass er vollkommen bewegungslos an einen Stuhl gefesselt war. Sogar sein Kopf war so fixiert, dass er dem Geschehen vor ihm nur ausweichen konnte, wenn er die Augen schloss. Ein Knebel in seinem Mund hinderte ihn daran, seinem Unmut über seine Zwangslage freien Lauf zu lassen. Mehrere Soldaten standen im Raum, von denen einer seine Waffe auf ihn gerichtet hielt. Vor ihm war eine Art Untersuchungstisch, auf dem er den Leichnam seines Bruders liegen sah. Jacobs Brustkorb war aufgeschnitten und auseinandergeklappt, wodurch den Menschen sein Innerstes offenbart wurde. Auf einem metallischen Beistelltisch stand eine flache Schale, in der ein paar von Jacobs Organen lagen. Ein in einem weißen Kittel gekleideter Mann fingerte mit seinen in Handschuhen geschützten Händen in dem Leichnam herum und holte eine Niere heraus, um sie erst auf eine Waage und dann zu den anderen Organen in die Schale zu legen, während sein Kaugummi kauender Assistent sich das Gewicht der Niere notierte, als würde es sich um ein wertloses Stück Fleisch aus der Metzgerei handeln. Durch diesen Anblick angetrieben, versuchte er sich krampfhaft von seinen Fesseln zu befreien, doch die mit Metall verstärkten Seile zwangen ihn unerbittlich in seine gegenwärtige Sitzposition.

Major Thompson tauchte plötzlich in seinem Blickwinkel auf und sah ihm mit einem kalten Lächeln entgegen.

„Entspannen Sie sich. Genießen Sie die Show", meinte der Major und zog einen dunkelblauen Vorhang zur Seite, der direkt hinter dem Seziertisch vorbeilief und Noel nun den Blick auf den ganzen Raum freimachte.

Nebeneinander aufgereiht, mit ausgestreckten Armen und Beinen an der Wand angekettet, standen drei seiner Clanmitglieder. Unter ihnen, in der Mitte, war Joshua und blickte ihm traurig entgegen.

 

 


 

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