Kapitel Sieben – Die Stunde unseres Todes

Der Treffpunkt, den Noel und Zaida miteinander vereinbart hatten, war bewusst an einem von Menschen belebten Ort. Es war eine große Benefizveranstaltung mit einigen bekannten Live-Bands und vielen Vergnügungsmöglichkeiten für Jung und Alt. Dementsprechend wimmelte es nur so von Menschen. Hier waren sie sicher vor plötzlichen Angriffen, da sofort eine Massenpanik ausbrechen würde, und sie selbst in einem solchen Falle zwischen den Menschenmassen verschwinden und fliehen könnten. Und für die Vampire würde es nicht schwer sein, sich gegenseitig zu finden. Sie brauchten nur ihrem Instinkt folgen.

Obwohl sie sich kaum eine Pause gegönnt hatten, war die kleine Reisegruppe spät dran. Das Festival war bereits in vollem Gange und die unzähligen Besucher drängten sich vor der Bühne der Rockband, die gerade etwas zum Besten gab.

Während die Gruppe sich einen Weg durch den Parkplatz suchte, begann Djoser bereits seine Sinne zu schärfen und nach einem Clanmitglied zu suchen. Auch Niclas und Peter hielten nach anderen Vampiren Ausschau, während Karen offen kundgab, wie unsinnig sie ein Treffen an solch einem Ort fand. Doch nicht einmal Edmond reagierte auf ihre Kommentare, weshalb sie schließlich verstummte und den anderen eingeschnappt hinterher trottete, wobei sie tötende Blicke auf Isabels Kehrseite warf.

Für Julian war es ein sehr ungewöhnliches Gefühl, seinem Sirus durch den Park zu folgen. Unglaublich viele verwirrende Eindrücke nahm er wahr. Verführerische Düfte, die er nicht zuordnen konnte, Geräusche, die ihm fremd und beunruhigend laut waren, und eine ständige Sehnsucht nach Djoser und den drängenden Wunsch, dessen Aufmerksamkeit auf sich zu spüren. Die vielen Menschen ängstigten ihn, weshalb er dicht bei Djoser blieb. Es war die erste Nacht, in der er keinerlei Schmerzen mehr hatte und sein Körper sich so gut wie vollkommen auf sein neues Dasein umgestellt hatte. Nur seine Vampirzähne fehlten ihm noch, um ein vollwertiger Vampir zu werden, doch diese würden bis zu zwei Jahre brauchen, bis sie sich gebildet und vollkommen aus seinem Kiefer gewachsen waren. Bis dahin war er ein junger Zögling, der auf den Schutz seines Sirus’ und des Clans angewiesen war.

Kaum als sie in die Nähe einiger Jahrmarktstände kamen, witterte Djoser den vertrauten Geruch eines seiner Clanmitglieder. Sofort wurden seine Schritte schneller und führten ihn zielsicher zu einem Vampir. Nur ein einziger Vampir, anstatt von beinahe vierzig, wie sie es sein sollten und weit und breit keine Spur von den Antares.

„Mein Sirus", begrüßte der stattliche Kalkador den ersten Centra seines Clans.

„Bernardo, es tut gut, dich zu sehen. Wo sind die anderen?", begrüßte ihn Djoser noch, bevor der Rest seiner Reisetruppe sich an seiner Seite versammelte.

Bernardo war sichtlich erleichtert, die beiden Centras des Clans zu sehen. Er schenkte Peter und auch allen anderen einen kurzen Gruß, indem er seinen Kopf kurz verneigte, bevor er Djoser zu erklären begann: „Der Clan wurde angegriffen. Nur die Hälfte konnte fliehen. Vier von uns sind vermutlich tot. Die Angreifer waren Menschen. Sie hatten…"

Ungeduldig unterbrach Djoser den Bericht des Klakadors und fragte: „Was ist mit Noel und Josh?"

Mit trauriger Miene meinte Bernardo: „Wir wissen es nicht. Wir vermuten, dass die Menschen sie mitgenommen haben. Wir hatten gehofft, dass sie noch kommen würden."

„Wie viele von uns sind hier?", wollte Djoser weiter wissen.

„Wir sind einundzwanzig."

„Und wo sind alle?", drängte Djoser ungeduldig.

„Zaida meinte, wir sollten…", versuchte Bernardo zu berichten, und wurde sofort von Djoser unterbrochen: „Zaida? Sie ist hier? Sind noch mehr der Antares hier?"

„Sie will dich sehen. Sie wird es dir erklären. Folgt mir", meinte Bernardo schließlich, als ihm klar wurde, dass es besser war, Zaida die Erklärungen zu überlassen.

Ohne Bernardo aus den Augen zu lassen, fasste Djoser neben sich und schloss Julians Hand in einen festen Griff. Ihm gefiel das alles hier ganz und gar nicht, weshalb er Julian nahe bei sich haben wollte, falls dies eine Falle war. Auch Peter und Niclas hatten kein gutes Gefühl dabei und gingen ohne sich abzusprechen instinktiv jeweils rechts und links außen an der Gruppe, um im Falle eines Hinterhalts die schwächeren Mitglieder der Gruppe in der Mitte versammelt schützen zu können.

Bernardo führte sie zielsicher durch die Menschenmenge hindurch, bis zu einem abgesperrten Bereich, der für die Schausteller reserviert war. Ungehindert passierten sie das Absperrband und gingen weiter zu einem Zelt, vor dem ein Vampir Wache hielt. Djoser erkannte sofort, dass es sich um ein Mitglied der Antares handelte und erwiderte freundlich seinen Gruß. Ohne große Worte betraten sie das Zelt, welches nicht besonders groß war, jedoch groß genug, um aufrecht darin gehen zu können. Ein Vorhang trennte etwa die Hälfte des Zeltes und als sich dieser bewegte und ein weiterer Vampir erschien, stürmte Karen aufgeregt auf ihn zu und rief freudig: „Mateo!"

Mateo schloss die junge Dame in eine innige Umarmung. Er war froh, sie lebendig wieder zu sehen. Nach all den schlechten Nachrichten, hatte er sich große Sorgen um sie gemacht. Während er sie fest an sich drückte, warf er Peter einen bösen Blick zu, als ob es dessen Schuld gewesen wäre, dass Karen in Gefahr war.

„Wo ist Zaida", fragte Djoser, ohne Mateo zu grüßen. Dieser löste sich daraufhin von Karen, nickte Djoser zu und antwortete: „Folgt mir." Dann nahm er Karen bei der Hand und verschwand hinter dem Vorhang. Bevor auch Karen durch den Vorhang trat, warf sie Peter einen frechen triumphierenden Blick zu, wie als wenn sie genau wusste, dass es ihn stören würde, wenn sie mit Mateo an der Hand ging. Und das tat es auch. Peter nervte es tierisch, wie sie sich an Mateos Hals geworfen hatte und es nervte ihn auch, wie dieser ihn angesehen hatte, als wäre er der Böse. Während er seinem Bruder durch den Eingang folgte, grummelte er griesgrämig: „Was zum Teufel hab ich nur verbrochen, um diese Frau kennen zu lernen?"

„Soll ich es dir in alphabetischer Reihenfolge aufsagen?", neckte Djoser ihn, ohne jedoch Mateo aus den Augen zu lassen, welcher sie durch einen Schacht im Boden in die Tiefe führte.

Je weiter sie der Wendeltreppe nach unten folgten, umso deutlicher konnten sie die Gegenwart anderer Vampire wahrnehmen. Djoser begann seinen Instinkten zu misstrauen, da es enorm viele Vampire waren, die er spürte. Zu viele, als dass es nur von einem oder zwei Clans herrühren könnte und vor allem schienen es lauter fremde Vampire zu sein, dessen Witterung er noch nie vernommen hatte. Und tatsächlich, als sie schließlich das Ende der Treppe erreicht hatten, standen sie inmitten einer ganzen Horde von Vampiren. Nur wenige waren ihnen vertraut. Und jeder von ihnen schien einen anderen Duft zu tragen, als ob jeder von einem anderen Clan stammte. Noch nie hatten sie so viele verschiedene Clans an einem Ort versammelt gesehen. Überrascht blickten sie sich um, bis eine bekannte Stimme näher kam und sie grüßte: „Ihr seid am Leben! Wie bin ich froh, euch zu sehen! Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet."

„Das Schlimmste?", wiederholte Djoser distanziert, da es seiner Meinung nach kaum schlimmer hätte kommen können. Schließlich waren sie aus ihrem Zuhause vertrieben worden, wobei einige von ihnen entweder gefangen oder ermordet waren. Und niemand wusste, was mit Noel war. Wie viel schlimmer hätte es also noch kommen können? Außerdem ahnte er, dass Zaida ihnen einiges verschwiegen hatte und er war mehr als neugierig zu erfahren, was es mit all diesen Vampiren auf sich hatte.

Zaida bemerkte die distanzierte Haltung des jungen Centras, welcher im Moment das Oberhaupt der Altairs darstellte, und entschied, ihn auch als solches zu behandeln, indem sie ihre Haltung straffte und eine erneute Eröffnung des Gespräches versuchte: „Ich gehe davon aus, dass du viele Fragen hast, die ich dir gerne beantworten will. Ich bitte dich als vorübergehender Führer der Altairs, mich in mein Privatgemach zu begleiten. Sei der meine."

Djoser musterte den Ausdruck der erfahrenen Clanführerin. Sie war wesentlich älter als er und er wusste auch um ihre Fähigkeiten bescheid. Er war sich nicht sicher, ob er ihr vertrauen konnte, doch er wusste, dass Noel sie immer wie einen Sirus betrachtet hatte, weshalb er ihr vorsichtig zur Antwort gab: „Der will ich sein."

Ein feines Lächeln zeichnete sich auf Zaidas Lippen. Kein Vampir, der sich ihres Standes bewusst war, hätte es jemals gewagt eine solche Antwort auf ihre Einladung zu geben. Ihr gefiel seine offene Ehrlichkeit und sie hatte Respekt vor seiner Zurückhaltung. Wäre sie selbst in seiner Lage, hätte sie vermutlich genauso gehandelt. Rasch wirbelte sie herum und ging eiligen Schrittes auf eine Tür zu, die von ihrem Centradu bewacht wurde. Dieser öffnete ihr sofort und ließ auch Djoser und seine Begleiter eintreten. Niclas, Miguel und Isabel wagten es nicht, das Gemach der Clanführerin zu betreten und warteten stattdessen vor der Tür, während Peter, Edmond und Julian, wie selbstverständlich folgten.

Sich umdrehend, blickte Zaida irritiert auf die vielen Leute, die ihr zusammen mit Djoser gefolgt waren. Ihre Einladung hatte nur allein Djoser gegolten und nicht all den anderen und vor allem nicht Menschen. Angesichts der schwierigen Situation entschied sie diese Unhöflichkeit zu ignorieren und gesellte sich zu Nathaniel auf eine weiße halbrunde Couch, welcher dort lasziv ausgestreckt mit nacktem Oberkörper lag und sofort Platz machte, nur um gleich darauf ihren Schoß als Kopfkissen zu nutzen.

„Setzt euch", bot sie ihren Gästen an und deutete auf eine zweite Couch, welche parallel zur ersten im entgegen gesetzten Halbmond aufgestellt war.

Während sie ihnen zusah, wie sie sich der Reihe nach setzten, begann sie bereits deren Gedanken zu erforschen, um zu sehen, wie ihr Verhältnis zueinander stehen würde. Djoser schien ihr sehr zu mistrauen, was sie als gute Eigenschaft für einen so ranghohen Vampir, wie ihn, ansah, während Peter auf erfrischend übliche Weise völlig unbesorgt schien. Aus Edmonds Gedanken konnte sie ein deutliches Interesse für ihren Loraib erkennen, worauf ihr ein unbewusstes Knurren entwich. Das blauäugige Wunder neben Djoser hatte sie bisher vollkommen ignoriert, doch als dieser ihr Knurren vernahm, zuckte er erschrocken zusammen, weshalb ihre Aufmerksamkeit unweigerlich auf ihn gelenkt wurde. Was sie in ihm erkannte, erstaunte sie sehr.

„Du hast dir einen Loraib erschaffen?", fragte sie teilweise erstaunt und teilweise darüber entsetzt, dass er sich in einer so gefährlichen Lage die Last eines Zöglings auferlegte.

Verunsichert rutschte Julian näher an seinen Sirus heran, und versuchte seinen Blick nicht auf Zaida zu richten. Der hübsche Vampir, dessen Kopf in ihrem Schoß lag, wirkte jedoch auf seltsame Weise anziehend, sodass er immer wieder hinsehen musste.

„Das habe ich", antwortete Djoser reserviert und bemühte sich sehr, die Clanführerin nicht nach den versprochenen Antworten zu drängen.

Ihr war es zu mühsam, die Antwort aus den Gedanken der Anwesenden zu lesen, weshalb sie verständnislos fragte: „Warum um Himmels Willen hast du das getan? Wie willst du dich ausgerechnet jetzt um einen Zögling kümmern können?"

„Ich hatte meine Gründe", antwortete Djoser nur. Doch allein ihre Frage brachte das vergangene Geschehen in die Köpfe der Anwesenden zurück, weshalb sie ihre Antwort dennoch bekam. Vor allem Edmond war als Mensch sehr leicht für sie zu durchschauen.

Sie erkannte auch die Ungeduld in Djoser und entschied, endlich zu erklären, weshalb sie alle hier waren: „Wie hat euch das Konzert gefallen? Schon seit einigen Jahren organisieren wir hier ein alljährliches Benefizkonzert zu Gunsten irgendeiner Hilfsorganisation der Menschen. Eine kleine gute Tat, um den wahren Hintergrund dieser Veranstaltung zu verschleiern. Einmal im Jahr treffen hier alle Mitglieder des alten Bundes zusammen, um Kontakte zu knüpfen oder um Veränderungen innerhalb der Clans öffentlich bekannt zu geben. Oder um Krisensituationen wie die eurige zu besprechen."

„Wie kommt es, dass wir noch nie etwas über diesen Bund gehört haben?", wollte ausgerechnet Peter wissen, weshalb Zaida überrascht zu ihm blickte. Von ihm hatte sie nicht viel Beteiligung erwartet.

„Was hat Altair euch erzählt, weshalb es außer ihm keine vorangegangenen Clanmitglieder gab? Habt ihr euch nie gewundert, weshalb keines euer Clanmitglieder älter als fünfhundert Jahre ist?", stellte Zaida ihrerseits eine Gegenfrage.

„Warum erzählst du uns nicht einfach den Grund dafür? Wie mir scheint, weißt du darüber bestens bescheid", meinte Djoser mit leichtem Sarkasmus in der Stimme.

„Altair war mein Bruder. Als unser Sirus starb, ertrug er es nicht, dass er als einfacher Kalkador zurückgestuft wurde. Er verließ die Antares und gründete einen eigenen Clan. Noel war sein erster Zögling. Er war so sehr damit beschäftigt ein eigenes Heim für seine Pläne zu finden, dass er Noel zu mir schickte, damit ich ihm lehre, was ein Vampir zu wissen hat. Wenige Wochen danach trat er vor den Rat des Bundes und verkündete die Nachricht, dass er einen eigenen Clan gegründet habe und er fortan als Clanführer anerkannt werden wollte. Die Mitglieder des Bundes waren nicht sehr erfreut. Sie wollten ihn und Noel töten, doch ich sprach für ihn und bat um Gnade. Ich wusste, dass Noel eines Tages ein guter Clanführer sein würde. Ihnen wurde Gnade erteilt, doch man verwehrte Altair die Mitgliedschaft des Bundes. Damit war er fortan auf sich allein gestellt. Niemand glaubte, dass ihr es allein schaffen würdet, und mir war es nicht erlaubt, euch zu unterstützen. Nur das Wissen, das ich Noel mitgegeben hatte, war die einzige Hilfe, die ich bieten durfte. Nun wisst ihr die ganze Wahrheit und ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen, dass ich nicht mehr für euch tun konnte. Ich hatte Noel hierher beordert, um ihm die Möglichkeit zu geben, vor dem Bund zu sprechen und um Hilfe zu bitten. Doch nun wirst du dies tun müssen, mein junger Centra."

„Du hattest also nie vor, mit uns zu flüchten? Wir haben unseren Clan verlassen, um hierher zu diesem Treffen zu kommen? Damit all diese Clanführer uns begutachten können, ob wir es wert sind, aufgenommen zu werden? Oder weshalb wolltest du, dass wir alle hierher kommen?", wollte Djoser genauer wissen.

„Noel fürchtete um eure Sicherheit. Und seine Angst war nicht unbegründet. Wir wissen, dass die Volganer angegriffen und alle, bis auf einige wenige, entweder getötet wurden oder spurlos verschwunden sind. Die Volganer waren kein Mitglied des Bundes, weshalb sie keine Hilfe von uns erwarten konnten, ebenso wenig wie ihr. Euch hierher zu führen, verstößt gegen unsere Gesetze und ich werde mich dafür vor dem Rat verantworten müssen. Doch ich konnte nicht zulassen, dass euch dasselbe Schicksal ereilen würde, weshalb ich euch unter einem Vorwand hierher locken musste. Hier seid ihr sicher und selbst wenn man euch nicht im Bund aufnimmt, werdet ihr hier bleiben können, bis ihr ein neues sicheres Versteck gefunden habt. Darauf gebe ich euch mein Wort als Oberste Sirus des Bundes."

„Du bist die Oberste von allen hier?", warf Peter die erstaunte Frage ein.

„Die bin ich", erwiderte Zaida voller Stolz.

„Wow", meinte Peter noch, bevor Djoser auf das eigentliche Thema zurücklenkte und fragte: „Wenn der Bund uns akzeptiert, wird er uns dann helfen, unsere Leute zu befreien?"

„Das kommt darauf an, was mit ihnen passiert ist. Bis jetzt wissen wir noch nicht, wer hinter den Anschlägen steht und aus welchem Grund ihr angegriffen worden seid. Wir haben viele Verbindungen zu einflussreichen Leuten in der Welt der Menschen. Wenn es tatsächlich Soldaten waren, die euch angegriffen, so wie mir eure Brüder es berichtet haben, dann wäre die Tatsache, dass es Vampire gibt, schon längst irgendwo an einer unserer Verbindungsstellen aufgetaucht. Doch bisher hat uns keiner unserer Verbündeten etwas in dieser Richtung berichtet. Wir müssen also erst noch in Erfahrung bringen, wer hinter der Sache steckt", erklärte Zaida genauer.

„Denkst du, unsere Leute haben gelogen? Ich selbst habe es gesehen! Es waren Soldaten. Vielleicht sind deine Leute es, denen du mistrauen solltest?", erwiderte Djoser brüskiert.

„Ich habe nicht behautet, dass deine Leute gelogen haben. Ich sagte lediglich, dass wir mehr Informationen brauchen, um deiner Familie zu helfen", betonte Zaida in einem gebieterischen Ton.

Durch ihre gereizte Stimmlage erkannte Djoser, dass er zu weit gegangen war und der Clanführerin schon zu lange den notwendigen Respekt verwehrt hatte. Er war es nicht gewöhnt, die gesamte Verantwortung des Clans auf seinen alleinigen Schultern zu tragen, weshalb ihn das sehr unter Druck setzte. Hinzu kam noch die Sorge um seinen Sirus und seinen Bruder. Und die zusätzliche Sorgepflicht, die er sich mit Julian auferlegt hatte. Dies alles war etwas zu viel für ihn, weshalb er unüberlegt gehandelt hatte. Entschuldigend meinte er deshalb: „Bitte Verzeih meine Respektlosigkeit. Ich bin der deine in allen Dingen, wie es mein Vater sein würde. Ich bitte dich, hilf mir, damit der Bund uns akzeptiert und wir um Hilfe bitten können."

Erneut überrascht über das Verhalten des jungen Centras, begann Zaida leicht zu lächeln. Trotz seiner Unerfahrenheit, benahm sich Djoser wie ein echter Clanführer, wie sie es sich bei so manch anderem alteingesessenen Clanführer des Bundes wünschen würde. Sie schätzte seine Kühnheit, weshalb sie meinte: „Sei der meine, doch nicht deines Vaters willen, sondern entscheide für dich, ob ich es in deinen Augen wert bin. Und was den Bund betrifft, so wirst du allein vor ihm sprechen müssen. Ich kann dir keine Hilfestellung geben. Allein die Wahl deiner Worte wird über das Urteil des Bundes entscheiden. Ich bin mir jedoch sicher, dass du die richtigen Worte finden wirst."

Darin war Djoser sich nicht so sicher. Er wünschte nur, Noel wäre bei ihm und würde diese schwere Aufgabe übernehmen. Er fühlte sich einer solch großen Verantwortung nicht gewachsen.

Zaida erkannte seine Zweifel und fügte deshalb hinzu: „Hab Vertrauen in dich, junger Centra. Dein Vater hat dir alles mitgegeben, was du brauchst, um diese Prüfung zu bestehen. Du hast ein reines Herz und du liebst deinen Clan. Das ist alles, was du wissen musst."

 

*****

 

Zaida wollte sich gerade auf den Weg zur Versammlung machen, wo bereits alle Clanführer versammelt waren und auf sie warteten, als der noch junge Clanführer der Seraphim mit gesenktem Haupt an sie herantrat und eindringlich bat: „Gebieterin, ich muss dich dringend sprechen. Bitte gewähre mir einen Augenblick, bevor du die Versammlung eröffnest."

Sanft hob sie sein Kinn an, um das Gesicht des Clanführers zu erkunden. Sie erkannte ihn sofort und erinnerte sich, dass er bis vor kurzem noch ein Centra war. Ein kurzer Blick in seine Gedanken ließ sie erschrecken und recht schnell begreifen, dass sein Anliegen in der Tat sehr wichtig war.

„Weshalb bist du nicht viel eher zu mir gekommen? Ich fürchte, jetzt kann ich nichts mehr für dich tun. Du wirst dich für dein Handeln verantworten müssen", erklärte sie traurig.

„Verzeih mir, meine Gebieterin. Der Tod meines Vaters hatte mich schwer getroffen und ich fürchtete um das Leben meiner geliebten Gwenifer. Ich war noch nicht bereit, um Clanführer zu werden und habe falsch gehandelt. Ein stolzer Vampir, der eines Clanführers wahrlich würdig ist, hat mir meine Augen geöffnet. Ich werde mich meiner Verantwortung stellen und die Konsequenzen für mein Verhalten tragen", erklärte der junge Clanführer.

„Selbst wenn deine Strafe der Tod sein wird?", fragte Zaida streng.

„Ich bin der Deine", erwiderte er, während er sein Haupt senkte.

„Nun gut. Komm mit mir, Reginald der Seraphim und erzähle mir genau was sich vorgetragen hat, damit ich entscheiden kann, was getan werden muss", lud sie ihn ein, mit in ihr Gemach zu gehen.

 

*****

 

Der unterirdische Raum, in dem die zahlreichen Clanführer des Bundes versammelt waren, glich einem gigantischen Besprechungssaal. Nur dass hier statt Stühlen, viele kleine Liegewiesen verteilt waren, von denen gewiss mehr als hundert im ganzen Raum verteilt waren. Jede dieser Liegewiesen schien für einen Clan reserviert zu sein und ähnelte ein wenig dem alten Sessel, den die Altairs im Zentrum ihres alten Zuhauses hatten, nur dass diese viel niedriger waren, womit jedem Anwesenden eine gute Sicht nach vorne zum Hauptgeschehen gesichert war. Auf jedem dieser bequemen Plätze hatte ein Clanführer mit mindestens einem oder mehreren Begleitern aufrecht sitzend Platz. Den Altairs hatte man einen Platz ganz weit hinten zugewiesen, wo Djoser zusammen mit Peter und Julian saßen und auf die Eröffnung der Versammlung warteten.

Ein Sprecher verkündete, dass die hohe Gebieterin in ein wichtiges Gespräch verwickelt sei und sich die Eröffnung deshalb um ein paar Minuten verspäten würde. Bis dahin mussten Djoser und seine Familie also noch Geduld haben.

Die anderen Clanmitglieder der Altairs warteten derweilen in einem Nebenraum, wo auch Edmond ungeduldig auf das Ergebnis der Versammlung wartete. Zu gern hätte er diesem einzigartigem Ereignis beigewohnt, doch leider hatte man ihm den Zutritt zum Saal verwehrt, da er ein Mensch war.

Mehr Glück hatte Karen, denn als offizielles Parley der Antares war es ihr gestattet, das Geschehen an Mateos Seite mitzuverfolgen. Sie saß ganz vorne, auf einer erhöhten Liegefläche, direkt neben Mateo. Es war der Thronsitz des obersten Clans, und für sie als Mensch war es eine besondere Ehre, worüber sie sich sehr wohl bewusst war. Triumphierend blickte sie deshalb auf die Menge herab, als sei sie die Herrscherin über all diese Vampire, wobei sie einen ganz bestimmten Vampir geflissentlich ignorierte.

„Was läuft da eigentlich zwischen dir und Karen?", fragte Djoser bei seinem Bruder nach, um seine Nervosität durch ein Gespräch zu vertreiben.

„Zwischen mir und dieser… Frau… läuft überhaupt nichts", betonte Peter leicht gereizt. Schon die ganze Zeit starrte er zu ihr und Mateo und verspürte dabei einen unerklärlichen Ärger in sich.

„Du liebst sie", erklärte Djoser feststellend.

„Das tue ich ganz bestimmt nicht!", widersprach Peter sofort und funkelte Djoser energisch entgegen. „Sie treibt mich in den Wahnsinn!", fügte er noch hinzu, bevor er protestierend die Arme verschränkte und sich in das Seitenpolster lehnte, damit sein Blick nicht mehr nach vorne, sondern zu seinem Bruder gerichtet war.

„Du liebst sie", meinte Djoser erneut.

„Nein, tu ich nicht! Hörst du mir nicht zu? Wie könnte ich dieses nervige Ding lieben? Ich sehne mich danach sie mit dem Gesicht nach vorne in die Matratze zu drücken, damit sie endlich still ist! Noch nie ist mir ein Mensch begegnet, der so anstrengend ist, wie sie!"

Peters Argumente ignorierend, fragte Djoser: „Wirst du sie verwandeln?"

„Huh? Teufel nein! Das werde ich nicht tun! Ich halte es keine fünf Minuten mit ihr aus, wie soll ich sie dann eine Ewigkeit lang ertragen?"

„Warum machst du sie nicht zu deinem Loraib? Dann würde sie dir gehorchen", fragte Djoser weiter.

„Yeah, schon, aber sie würde niemals ein Loraib sein wollen. Außerdem bin ich ihr als Centradu ohnehin nicht gut genug. Schon vergessen? Sie strebt mehr eine Karriere als Clanführerin an. Die armen Teufen, die dann unter ihr stehen würden, tun mir jetzt schon leid."

Djoser musste lachen, als er seinen Bruder so reden hörte, wobei er bemerkte, wie die Anspannung aus seinem Körper entwich. Es tat gut mit Peter ein so sorgloses Gespräch zu führen.

„Du liebst sie wirklich, nicht wahr?", fragte er ihn erneut.

Seufzend gab Peter zu: „Scheiße ja, das tu ich. Ich wünschte nur, es gäbe ein Mittel dagegen. Sie wird mir lachend das Herz aus der Brust reißen und mich dann sterbend liegen lassen."

„Jetzt übertreib nicht so. Ich sagte dir doch, sie war tierisch eifersüchtig, als sie dich mit Isabel gesehen hat. Ich wette, sie empfindet auch etwas für dich", meinte Djoser mit einem Augenzwinkern.

„Dann hat die Kleine aber eine verdammt seltsame Art, mir das zu zeigen", erwiderte Peter grummelnd, während er sie abschätzend von der Ferne betrachtete.

„Genauso seltsam wie du", neckte Djoser und wollte noch etwas hinzufügen, doch eine seltsame Angstwelle durchfuhr ihn plötzlich, ohne dass er es war, der sich fürchtete. Er brauchte einen kurzen Moment, bis er begriff, dass es Julian war, der diese Angst empfand und wie erstarrt wirkte.

„Julian, was ist mit dir?", fragte Djoser besorgt und legte seinen Arm schützend um die Schultern seines Loraibs.

Schutzsuchend versteckte sich Julian an der Brust seines Sirus’. Die Anwesenheit all dieser vielen Clanführer verängstigte ihn sehr. All die schrecklichen Erinnerungen von früher, als er noch Parley der Volaner war und deren Clanführer ihn auf so grausame Weise misshandelt hatte, drängten sich nun immer mehr in sein Bewusstsein. Sein Verstand sagte ihm, dass er an Djosers Seite sicher war, doch sein Instinkt meldete ihm, dass diese Clanführer ranghohe Vampire waren und er ihnen als junger Loraib den größtmöglichen Respekt erweisen musste. Zusammen mit seinen Erinnerungen löste dieses Gefühl eine große Angst aus, dass, wenn er nicht tat, was man von ihm erwartete, man ihn schwer bestrafen würde.

„Was ist mit ihm?", fragte nun auch Peter besorgt und strich Julian liebevoll über den Hinterkopf.

„Er hat Angst", erklärte Djoser, während er Julian zu sich heranzog und in eine feste Umarmung schloss.

Julians Furcht war für jeden Vampir deutlich erkennbar, weshalb sich einige fragende Blicke zu ihnen bewegten. Aus den Gesichtern der Clanführer konnte Djoser erkennen, dass diese ihn als Grund für Julians Angst vermuteten. Kein Loraib sollte Angst vor seinem Sirus haben, weshalb die Vampire ihn abschätzend beobachteten.

Djoser war es egal, was die anderen Vampire über ihn dachten, doch es war ihm nicht egal, dass Julian unter so großer Angst litt, weshalb er sich für eine etwas ungewöhnliche Art der Beruhigung entschied. Er drängte Julian zwischen seine Beine auf den Boden, öffnete sein Hemd, griff in seine hintere Hosentasche und holte von dort ein kleines Taschenmesser hervor, mit dem er sich dann in die nackte Brust schnitt. Direkt über seinem linken Brustnippel. Julians Blick war sofort wie paralysiert auf diesen kleinen Schnitt gerichtet, aus dem eine dünne Spur vom Blut seines Sirus’ lief. „Trink", lud Djoser ihn ein, sich an der Wunde zu bedienen, was Julian sofort tat. Gierig leckte und saugte er an Djosers Brust. Der Schnitt war zu klein, weshalb er verschwindend wenig Blut ergattern konnte, doch das Saugen lenkte ihn von all den Clanführern ab und ließ ihn sich allein auf Djoser konzentrieren, weshalb er mit voller Inbrunst den steifen Nippel seines Sirus bearbeitete. Nicht ohne seinem Sirus in höchste Erregung zu treiben, was es für Djoser schwierig machte, nicht die Beherrschung zu verlieren.

Doch auch Julian selbst wurde dadurch sehr stark erregt, weshalb sich der süße Geruch eines willigen Loraibs in der Luft verteilte. Nichts wirkt anregender für einen Vampir, als der erregte Duft eines so jungen Zöglings. Ähnlich wie ein erwachsener Mensch sich gegenüber einem Baby fühlt, so empfinden auch Vampire für einen Zögling, solange er noch keine Vampirzähne hat. Der Beschützerinstinkt eines jeden Vampirs wird geweckt und besonders zu einem Loraib fühlen sich ranghöhere Vampire, die selbst auch Loriabs haben, magisch hingezogen. Es dauerte keine fünf Minuten, bis Julian und Djoser die Aufmerksamkeit des gesamten Saals auf sich ruhen hatten. Djoser bemerkte, dass sie der plötzliche Mittelpunkt im Raum waren und er wusste auch genau weshalb, doch er ließ sich nicht davon stören. Stattdessen kraulte er Julian liebevoll im Nacken und gab einen beruhigenden schnurrenden Laut von sich, damit sein Loraib nicht bemerken würde, dass alle Vampire sie beobachteten.

Peter blickte sich verblüfft um und war sich nicht sicher, ob dies eine so gute Sache war, dass alle sie anstarrten. Er wollte Djoser gerade zuflüstern, ob er damit nicht aufhören wolle, als plötzlich eine sanfte weibliche Stimme hinter ihnen ertönte und fragte: „Wie alt ist er?"

Die liebreizende Clanführerin, die diese Frage gestellt hatte, war von hinten an sie herangetreten und stand nun neben ihnen. Zu ihr aufblickend, antwortete Djoser: „Dies ist seine dritte Nacht."

Verstehend nickte sie und fragte weiter: „Bist du dir dessen im Klaren, wie bedeutend diese Versammlung ist?"

„Das bin ich", erwiderte er, während er sich fragte, worauf die Clanführerin hinauswollte.

„Und dennoch hast du einen so jungen Loraib bei dir? Hältst du das für angebracht?", meinte sie, ohne in ihrem Antlitz einen Hinweis auf ihre Gefühle zu geben.

„Ich wüsste keinen Ort, zu dem ich ihn bringen wollte. Sein Platz ist an meiner Seite", antwortete Djoser mit Überzeugung, auch auf die Gefahr hin, dass dies in den Augen der Clanführerin überheblich klingen könnte.

Ihr Blick blieb weiter blank und ließ keine Annahme zu, ob ihr seine Antwort missfallen hatte oder nicht und sie fragte weiter: „Wovor hatte er Angst?"

Auf Julian herabblickend und ihn weiter kraulend, antwortete Djoser bedrückt: „Er musste schweres erdulden, bevor er in meine Obhut gelegt wurde. Die Anwesenheit fremder Vampire erweckt die Dämonen seiner Erinnerungen."

„Vampire waren es, unter denen er litt?", fragte sie, wobei diesmal ein Erstaunen an ihr zu erkennen war.

Erneut zu ihr aufblickend, erklärte er: „Er war ein Parley der Volganer."

Die Clanführerin wirkte plötzlich sehr betrübt über diese Information. Auch die anderen Clanführer schienen sich der genauen Bedeutung darüber bewusst und wirkten ähnlich bedrückt.

Vorsichtig trat die liebreizende Clanführerin an Julian heran, ging neben ihm in die Hocke und streichelte ihm zärtlich durchs Haar. Aufgeschreckt durch diese Berührung, löste Julian sich von Djosers Brust und blickte erschrocken zu ihr. Mit einem sanften Lächeln sprach sie zu ihm: „Junger Loraib, fürchte dich nicht. Niemand hier in diesem Raum wird dir ein Leid antun."

Ihre sanfte Art wirkte beruhigend auf Julian, weshalb er nicht zurückwich, als sie ihm einen leichten Kuss auf die Stirn gab, bevor sie sich wieder erhob. An Djoser gerichtet, fragte sie dann: „Weshalb bist du hier? Was ist dein Begehren?"

„Ich bin hier, um anstelle meines Vaters um Hilfe zu bitten. Mein Sirus und einige unserer Leute wurden von Menschen gefangen genommen. Wir erbitten den Schutz des Bundes", erklärte Djoser.

„Wenn dein Sirus stirbt, bist du der Clanführer. Weshalb also suchst du nach Hilfe?", wollte sie wissen, wobei ihr Blick erneut ausdruckslos war, wie zuvor.

„Ich erbitte den Schutz für alle Mitglieder meines Clans", meinte Djoser daraufhin, da er sich nicht sicher war, was die Clanführerin von ihm hören wollte. Ihre Fragerei machte ihn langsam nervös.

„Das habe ich nicht gefragt. Ich wollte wissen, warum du um Hilfe für deinen Sirus bittest, wenn sein Tod deinen Ruhm bedeutet?", erklärte sie genauer.

Sich in seiner Ehre verletzt fühlend, erwiderte er: „Ich strebe nicht nach dieser Art von Ruhm."

„Du siehst dich also nicht der Anforderung gewachsen, deinen Clan anzuführen?", drehte die Clanführerin ihm die Worte im Mund herum, worauf Djoser irritiert stutzte und zur Antwort gab: „Falls meine Stunde kommen sollte, werde ich unseren Clan anführen, so gut es in meiner Macht steht, selbst wenn es schon morgen sein sollte. Doch solange mein Sirus lebt, werde ich alles tun, um ihn zu retten."

„Warum? Wäre es nicht klüger, die Flucht zu ergreifen und den Rest deines Clans in Sicherheit zu bringen? Die Rangorder wird mit dir weiter bestehen bleiben, also ist die Existenz deines Clans nicht bedroht. Doch wenn du dein Leben riskierst, um deinen Sirus zu befreien, riskierst du das Bestehen deines gesamten Clans."

Ihre Worte klangen logisch, doch es deckte sich nicht mit dem Verständnis, das Noel ihm beigebracht hatte, weshalb er ihr mit sicheren Worten antwortete: „Ein Clan kann nicht allein durch eine Person existieren. Jedes Mitglied zählt und ist wichtig. Und ich werde weder meinen Sirus, noch unsere Leute ihrem Schicksal überlassen."

„Altair wäre vermutlich anderer Meinung", meinte sie mit einem herausfordernden Blick, der Djoser deutlich zeigte, dass sie die ganze Zeit nur mit ihm gespielt hatte und diese Fragerei dazu diente, ihn auszuhorchen.

„Altair war ein selbstherrliches Arschloch, das sich selbst über jedes andere Leben stellte", konterte er furchtlos.

„Hältst du es für rechtens, so über den Erschaffer deines Erschaffers zu sprechen?", wollte die Clanführerin wissen, wobei sie so wirkte, als wäre sie schockiert über seine blumige Ausdrucksweise.

„Er hat uns betrogen. Er hat den Loraib meines Vaters vergiftet, nur weil er dessen Gesicht nicht leiden konnte. Er hat mich bis aufs Blut gefoltert, weil er Zorn auf meinen Vater verspürte. Er hat uns alle hintergangen und uns wie Abschaum behandelt. Er ist es nicht wert, dass ich ihm Respekt erweise. Der Erschaffer meines Vaters zu sein macht ihn nicht gleichzeitig zu einem guten Clanführer und solange ich lebe, werde ich ihn dafür verachten, was er uns allen angetan hat."

Der Blick der Clanführerin verschloss sich erneut und zeigte keinerlei Regung. Vorne am Platze der obersten Familie erschien Zaida in Begleitung eines anderen Clanführers, weshalb sie Djoser freundlich zunickte und sich schließlich von ihm abwandte, ohne ihm zu offenbaren, ob sie ihm gegenüber nun Freund oder Feind war. Auch in den Gesichtern der anderen Clanführer konnte er nicht erkennen, ob sie seine Haltung gut hießen, oder ihn wegen seiner Meinung verachteten. Es ärgerte Djoser, dass man ihn so behandelte. Er bereute keines seiner Worte und selbst wenn all diese Clanführer anderer Meinung sein würde, wollte er seine Haltung nicht ändern.

Der Clanführer, der zusammen mit Zaida eingetreten war, ging durch die Mitte der Plätze hindurch zu einem freien Platz, wo bisher nur ein Vampir gesessen war, wobei er Djoser und Peter einen langen Blick zuwarf, bevor er sich setzte.

„Psst", hörte Djoser plötzlich neben sich und als er sich nach dem Geräusch umdrehte, sah er einen Clanführer von einem Platz unweit neben ihnen, der zu ihnen gerichtet über der Seitenlehne gebeugt war und ihm mit viel sagender Miene zuflüsterte: „Du wirst einen Führsprecher brauchen. Wenn du mir den Kleinen für ein paar Stunden überlässt, werde ich für dich sprechen."

Djoser konnte kaum glauben, was er da hörte, und antwortete sofort: „Wenn du dich sofort entschuldigst, sehe ich davon ab, dir das Genick zu brechen."

Verteidigend hob der Clanführer sofort beide Hände in die Luft und meinte: „Schon gut, vergiss es."

Djoser reichte es. All diese Clanführer schienen sich kaum von Altair zu unterscheiden. Einem solchen Bund wollte er ganz gewiss nicht beitreten, weshalb er sich erhob und Julian mit sich zog, um den Saal demonstrativ zu verlassen. Peter war noch zu geschockt von dem unverschämten Angebot des Clanführers, als dass er reagieren konnte und blickte nun irritiert zu seinem Bruder auf. Gerade als Djoser gehen wollte, hörte er erneut eine Stimme, doch er hörte sie nicht wirklich. Die Stimme war klar und deutlich, schien aber nur in seinem Kopf zu existieren: „Djoser, setzt dich. Bitte."

Es war eindeutig Zaidas Stimme, weshalb er sich verwundert zu der Clanführerin umdrehte. Diese stand vorne auf dem Podest und blickte ihm freundlich entgegen. Nachdem er einfach nur dastand und sie verblüfft anstarrte, sprach sie erneut in Gedanken zu ihm und sagte: „Bitte. Setzt dich und höre dir an, was ich zu sagen habe."

Nickend bestätigte er ihr, dass er sich anhören wolle, was sie sagen würde, bevor er sich wieder zurück auf seinen Platz setzte und Julian dabei zwischen sich und Peter platzierte.

Nachdem sie nun die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich ruhen hatte, begann Zaida endlich die Versammlung zu eröffnen: „Brüder und Schwestern des alten Bundes. Es betrübt mich sehr, dass ich euch an diesem heutigen Abend eine so schlechte Kunde übermitteln muss. Aufgrund einiger besorgniserregender Nachrichten, die für uns alle Existenz bedrohend sind, werde ich die üblichen Formalitäten überspringen und sofort zum Thema kommen. Zuvor muss jedoch nur eines geklärt werden, da dies im direkten Zusammenhang mit den aktuellen Geschehnissen steht. Centra Djoser der Altair ist heute hier unter uns anwesend und bittet im Namen seines Vaters um die Aufnahme in unseren Bund. Ich bitte die Beauftragten, mit der Befragung zu beginnen."

Die hübsche liebreizende Clanführerin von zuvor erhob sich und antwortete mit ihrem Blick zu Zaida gerichtet: „Die Befragung fand bereits statt. Ich stimme der Aufnahme zu." Zu Djoser blickend, fügte sie noch hinzu: „Ich erachte die Nachkommenschaft Altairs unseres Bundes für mehr als würdig."

Verblüfft erwiderte Djoser den freundlichen Blick der Clanführerin mit einem anerkennenden Nicken.

In offizieller Manier meinte Zaida: „Ich danke dir, Sophia", und fragte weiter: „Was ist mit dir, Sir Alfred? Hast du noch Fragen oder steht dein Urteil ebenfalls schon fest?"

Der Clanführer, der Djoser zuvor zugeflüstert hatte, erhob sich nun und antwortete etwas leger: „Ich stimme zu. Der Junge ist in Ordnung", bevor er sich zu Djoser wandte und entschuldigend meinte: „Verzeih meine Frage von vorhin. Ich wollte nur sehen, ob etwas von deinem Großvater in deinem Blut steckt, oder ob es wahr ist, was Zaida behauptet, und Noel tatsächlich ein so guter Clanführer ist. Wie ich sehe, hatte unsere weise Herrscherin recht damit."

Also waren all die Fragen tatsächlich dazu da gewesen, um ihn auszuhorchen. Dem etwas schrullig wirkenden Clanführer ebenfalls freundlich zunickend, zeigte Djoser seine ehrliche Dankbarkeit.

„Gibt es einen Anwesenden unter uns, der sich gegen eine Aufnahme der Altair ausspricht?", fragte Zaida in die Runde und wartete einen Moment, ob sich jemand aus den Reihen der Vampire melden würde.

Nachdem sich niemand meldete, verkündete Zaida feierlich: „Dann erkläre ich hiermit, dass der Clan der Altair als offizielles Mitglied des Bundes anerkannt ist. Und damit komme ich sogleich zu meinem nächsten Punkt. Ich bitte alle anderen Antragsteller des heutigen Abends um Verständnis, dass wir keine anderen Themen besprechen werden. Die aktuelle Situation erfordert unser sofortiges Handeln, weshalb wir alle Anträge abhandeln werden, sobald die Krisensituation vorbei ist."

Auf diese Worte hin, ging ein beunruhigtes Murmeln durch die Reihen, weshalb Zaida einen Moment innehielt, bis alle wieder still waren. Dann fuhr sie fort: „Reginald der Seraphim hat mich vor der Versammlung über die genauen Umstände der Vernichtung der Volganer und des Angriffes auf die Altair unterrichtet. Er hat sich einiger Vergehen gegen unsere obersten Gesetze schuldig gemacht und wird sich später dem Tribunal stellen. Die Angreifer waren Soldaten einer militärischen Forschungsstation, in der gegenwärtig Experimente an Vampiren durchgeführt werden, um die Geheimnisse unserer Stärken zu erforschen und um einen Weg zu finden, wie man uns töten kann. Ich glaube, ich spreche in unser aller Interesse, dass derartige Informationen auf keinen Fall an die Weltöffentlichkeit weitergereicht werden dürfen. Soweit uns durch unsere Verbindungen zu Militär und Regierung bekannt ist, weiß außer den Menschen in dieser Forschungsstation niemand sonst von unserer Existenz und im Interesse aller Vampire soll dies auch so bleiben."

Eine Todesstille breitete sich nun im Saal aus. Jeder schien Zaidas nächste Worte zu ahnen, doch keiner wagte, auch nur daran zu denken.

Sie selbst schien es eine große Überwindung zu kosten, bis sie ihren Entschluss letztendlich fasste und schweren Herzens sprach: „Seit Anbeginn der Zeit haben wir uns dem Schutze der Menschheit verschworen. Selbst in den Zeiten, in denen die Menschen uns zum Feind gemacht haben, versuchten wir die Opfer so gering wie möglich zu halten. Durch unsere Stärke verpflichteten wir uns, sie zu beschützen, denn schließlich waren wir alle selbst einmal Mensch. Es ist eines der obersten Gesetze eines jeden Vampirs, keinen Menschen vorsätzlich zu töten und selbst die Volganer hielten sich daran. Zumindest die meiste Zeit." Die Volaner waren bekannt für ihre Verbrechen an der Menschheit, weshalb ein paar der Clanführer bei dieser Erwähnung zu schmunzeln begannen.

„Doch in dieser Nacht und für diese Mission, setze ich dieses Gesetz außer Kraft. Mögen meine Vorfahren mir beistehen und mir die Kraft geben, damit ich das Richtige tun kann. Es gilt nicht länger, nur einen Clan zu beschützen, sondern unsere ganze Rasse. Jeder von uns ist davon betroffen. Ich rufe diejenigen unter Euch auf, die schnell genug ihre stärksten Kalkadore zusammenrufen können, uns in unserem Kampf beizuwohnen, denn hiermit erkläre ich den Krieg."

Erst geschah absolut nichts im Raum. Man hätte selbst eine Stecknadel fallen hören können, bis einer der Clanführer sich erhob, nur um anschließend vor Zaida niederzuknien. Gleich darauf folgten dessen Begleiter dem Beispiel und gleichzeitig mit ihnen standen weitere Clanführer und Clanführerinnen zusammen mit ihrem Leuten auf, um auf gleiche Weise zu bekunden, dass sie bereit waren, ihr Leben zu opfern, falls das Schicksal es von ihnen fordern sollte. Schließlich hatten sich nahezu alle Vampire erhoben und knieten auf diese Weise, während Zaida erhobenen Hauptes zu Djoser blickte, welcher als einziger Vampir im Raum aufrecht stand und sie ansah.

Ein Blick in seinen offenen Geist genügte ihr, um seine Furcht zu erkennen. In Gedanken sprach sie auf versöhnliche Weise zu ihm: „Das Leben deines Vaters und das deiner Leute zu retten, wird mein zweitoberstes Ziel sein, darauf gebe ich dir mein Wort. Doch du musst verstehen, dass weit mehr auf dem Spiel steht, als deren Leben allein. Verzeih mir junger Centra. Mehr kann ich nicht für dich tun."

Er war sich dieser schrecklichen Tatsache nur allzu bewusst, dennoch fiel es ihm schwer, es zu akzeptieren. Nicht die Rettung seines Clans stand im Vordergrund, sondern die Bewahrung der Existenz der Vampire und so sehr er es sich wünschte, sah er keinen Weg, dies zu ändern. Zaida würde alles tun, um die erlangten Informationen über die Rasse der Vampire zu vernichten. Selbst wenn dies ihren eigenen Tod bedeuten würde. Dies wurde ihm nun klar, weshalb er sich nicht länger sträuben konnte und nun ebenfalls vor ihr auf die Knie ging, worauf Peter und Julian seinem Beispiel folgten.

Damit stand es einstimmig fest. Es würde Krieg geben.

 

*****

 

Die Folter hatte ewig gedauert und außer dem Major schien am Ende niemand mehr einen wirklichen Sinn darin gesehen zu haben. Selbst die Soldaten und die ausführenden Wissenschaftler waren von der Grausamkeit des Majors entsetzt.

Noel musste mit ansehen, wie zwei seiner Clanmitglieder einen quälend langsamen Tod erlitten. Immerwährend mit der Angst, dass auch Joshua dieses Schicksal bald teilen würde. Doch der Major schien andere Pläne mit Joshua zu haben, denn er brach die endlose Quälerei ab, bevor er starb.

Man erlaubte Noel, seinen Loraib zurück in ihre Zelle zu tragen. Der Schock des Gesehenen lag so tief in ihm, dass er wie betäubt auf den geschundenen Körper in seinen Armen blickte. Unter ungenierten Tränen hielt er ihn weiter in den Armen und wachte über jede Regung seines Geliebten.

Selbst als sich kurze Zeit später erneut die Gittertüre zu seiner Zelle öffnete und er deutlich spüren konnte, dass ein Mann sein karges Gefängnis betrat, blickte er nicht auf, sondern wachte weiter über die leblose Gestalt in seinem Arm, während er Joshua liebevoll über das Haar strich, das als einziges Körperteil nicht verletzt zu sein schien. Das hübsche Antlitz seines Loraibs war überdeckt mit blauen Flecken, Schwellungen und verkrusteten Wunden. Und auch der Rest von Joshuas Körper war ein einziges Meer von Schmerzen, weshalb Noel ernsthaft darüber nachdachte, sein Leiden mit einem schnellen Biss zu beenden.

Wenn er nicht bald eine Möglichkeit erhalten würde, um die Wunden seines Geliebten zu verpflegen und ihm genug frisches Blut zu geben, würde er ohnehin sterben. Doch noch wollte Noel nicht aufgeben. Noch hoffte er auf ein Wunder.

„Es tut mir leid um Ihren Freund", meinte eine unsichere Stimme, worauf Noel kraftlos aufblickte, um zu sehen, wer mit ihm sprach.

Es war einer der Soldaten, doch er war unbewaffnet und es war auch keine Wache vor dem Gitter, um den Besucher zu beschützen.

„Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?", fragte Noel misstrauisch.

„Ich will nichts von Ihnen. Ich bin hier, weil der Major mich unter Arrest gestellt hat. Ich bin nur ein einfacher Captain. Mein Name ist Forghes, Sir. Bitte glauben Sie mir, ich habe nicht vor, Ihnen oder Ihrem Freund etwas zu tun", erwiderte der junge Captain verunsichert und drängte sich mit den Rücken so weit zurück ans Gitter wie möglich. Es war nicht zu übersehen, wie sehr er sich vor den Vampiren fürchtete.

„Er ist nicht mein Freund", erwiderte Noel wenig interessiert und blickte indessen wieder auf Joshua herab.

„Bitte verzeihen Sie, falls ich Sie irgendwie beleidigt habe. Das war nicht meine Absicht", stotterte der Captain.

Die Anwesenheit des Menschen irritierte Noel, weshalb er fragte: „Warum hat man Sie zu uns in Arrest gesperrt? Gibt es nicht genug Zellen in dieser Anstalt?" Noels Sarkasmus war kaum zu überhören, weshalb der junge Mann etwas weiter entlang des Gitters zurückwich, bevor er zur Antwort gab: „Doch, eine Menge sogar. Ich schätze, es ist nur eines seiner grausamen Spielchen. Ich habe ihm gedroht das Hauptquartier zu unterrichten, wenn er nicht mit all diesen sinnlosen Folterungen aufhört, doch anstatt auf mich zu hören, befahl er, mich hier einzusperren. Ich vermute, er will sehen, wie Sie mich töten."

„Ich habe keinen Grund, Sie zu töten", meinte Noel simpel, womit für ihn das Gespräch erledigt war.

„Wollen Sie Ihren Freund und die anderen Vampire nicht rächen?", fragte Captain Forghes überrascht.

„Er ist nicht mein Freund", wiederholte Noel diesmal etwas energischer und fügte anschließend hinzu: „Und ich habe nicht gesehen, dass Sie etwas mit dem Tod meiner Clanmitglieder zu tun hatten oder an der Folter meines Loraibs beteiligt waren."

„Was ist ein Loraib?", fragte der Captain nun neugierig.

‚Wieder ein wissensdurstiger Mensch’, dachte sich Noel und musste dabei an Edmond zurückdenken, wobei er sich mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln fragte, was dieser im Moment gerade tat.

„Joshua wurde aus meinem Blut erschaffen. Er ist mein Gefährte. Mein Liebhaber, wenn Sie so wollen", erklärte er schließlich offen und ehrlich, da er das starke Gefühl hatte, dass er diesem Mensch vertrauen konnte. Außerdem schien der Major bereits über seine starke Bindung zu Joshua bescheid zu wissen, weshalb er keinen Grund sah, die Unwahrheit zu sprechen.

„Oh", erwiderte der Soldat verlegen und meinte mit aufrichtigem Mitgefühl: „Ich hoffe, Ihr Loraib erholt sich wieder. Meiner Meinung nach hatte der Major kein Recht, Ihnen das anzutun. Ich wollte nur, dass Sie das wissen. Ich meine, so wie er mit den Vampiren umgeht, macht ihn das genauso zu einem blutgierigen Monster." Je mehr der Soldat redete, umso mehr fing er an nervös zu stottern, als würde er spüren, dass er einen immer größer werdenden Unsinn sprach. Verstärkt wurde dieses Gefühl auch noch durch den bohrenden Blick, der ihn von Noel traf.

Absichtlich seine seidige Stimme einsetzend, sagte Noel daraufhin: „Was lässt euch Menschen denken, dass wir blutgierige Monster sind? Haben Sie je einen Vampir gesehen, der einen Mensch getötet hat, indem er ihm das Blut aus den Adern sog? Wirkliche echte Vampire meine ich und keine Fantasiefiguren auf der Leinwand."

„Ähm… Ich denke, nein. So etwas habe ich noch nicht gesehen", gab der Soldat zu.

„Woher also wollen Sie wissen, dass wir Monster sind?", fragte Noel simpel.

„Nun ja, Sie ernähren sich von Blut. Wie sonst sollten Sie überleben?"

Noel war es Leid, als grausames Monster dargestellt zu werden. Und er war es ebenfalls Leid, ständig so dumme Fragen zu beantworten, weshalb er entschied, dem Captain auf andere Weise zu zeigen, wie Vampire waren.

Vorsichtig legte er Joshua auf dem Boden ab, wobei er ihm sein eigenes Hemd als Kopfkissen unter den Kopf schob. Dann erhob er sich und ging auf den Soldaten zu. Dieser wich nervös zurück und drängte sich nun direkt in eine Ecke, wo er nicht mehr weiter zurückweichen konnte. Langsam näherte sich Noel, während er den Blick fest auf den jungen Mann fixierte. Der Captain versuchte nach rechts auszuweichen, doch Noel schnellte vor und schnitt ihm den Fluchtweg ab.

„Bitte, töten Sie mich nicht", flehte der Captain mit zittriger Stimme.

„Wieso nicht? Mein Loraib und ich brauchen dringend Blut zum Überleben. Das haben Sie doch selbst richtig festgestellt. Also wieso sollte ich Sie nicht töten? Wenn wir doch so grausame Monster sind", schnurrte Noel spielerisch, bevor er den Soldaten mit einer fließenden Bewegung packte und zu sich in die Arme zog. Seine Hand tief in den Haaren vergraben und den Kopf des Menschen weit genug zurückgezogen, um die einladende Halsbeuge direkt vor seinem Mund zu haben, während sein anderer Arm sich wie eine unerbittliche Schraubzwinge um den Körper des jungen Mannes schloss.

Noel biss mit größter Vorsicht zu, um zu zeigen, wie wenig der Biss eines Vampirs schmerzte. Das frische Blut berauschte seine Sinne so stark, dass er beinahe vergaß, was er damit demonstrieren wollte und die ersten Schlücke zu rasch in sich sog. Doch er beruhigte sich schnell wieder und fuhr mit seinem Plan weiter fort. Er leckte spielerisch über den Hals und saugte gerade so schnell, dass es den Soldaten in einen rauschähnlichen Zustand versetzte. Als er das überraschte Stöhnen des Captains hörte und eine unmissverständliche Härte sich ihm entgegendrückte, war er sich sicher, dass sein Plan funktionierte, weshalb er sich ebenso vorsichtig wieder von ihm löste. Ein starkes Schwindelgefühl beeinträchtigte das Gleichgewicht des Soldaten, weshalb Noel ihn zurück an die Gitterwand lehnte, damit dieser nicht umfallen würde. Dessen Gesichtsausdruck war geprägt von vollkommener Überraschung, weshalb Noel ihm ein wissendes Lächeln schenkte, bevor er sich zurück zu Joshua wandte.

Ungläubig fasste sich der Captain an seinen Hals, um zu sehen, ob der Vampir ihn wirklich gebissen hatte. Er war durch das Tun des Vampirs so erregt worden, dass er beinahe wie ein pubertärer Teenager in seinen Hosen gekommen wäre, hätte dieser nur ein wenig länger gesaugt.

„Was war das gerade?", fragte er schließlich total perplex, während Noel sich bereits wieder auf den Boden gesetzt und Joshua erneut in die Arme geschlossen hatte.

„Das, mein Freund, war in etwa der monatliche Bedarf eines einzelnen gesunden Vampirs", erklärte Noel, bevor er sich selbst in das Handgelenk biss und etwas von seinem Blut in Noels Mund tropfen ließ, in der verzweifelten Hoffnung, dass dieser zu sich kommen und von ihm trinken würde. Doch es war zwecklos. Joshua war zu schwer Verletzt, um das Bewusstsein zurückzuerlangen. Und so konnte Noel ihm unmöglich ernähren. Die einzige Möglichkeit wäre eine intravenöse Zuführung. Ohne baldige Hilfe, würde Joshua sehr bald sterben.

Noel begann die Hoffnung zu verlieren, weshalb er die einsamen Tränen nicht zurückhielt, die über seine Wangen rollten und auf den leblosen Körper seines Loraibs herabfielen. Verzweifelt drückte er Joshua an sich und wiegte ihn wie ein Kind. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so machtlos gefühlt, wie in diesem Moment.

Eine zaghafte Hand berührte ihn an der Schulter und als Noel aufsah, stand der junge Soldat über ihm gebeugt und fragte mit besorgter Miene: „Gibt es irgendetwas, dass ich für Sie tun kann?"

„Sie wollen mir helfen?", fragte Noel ungläubig, worauf der Captain seine Hand zurückzog und nickend zustimmte.

„Warum?"

„Weil ich glaube, dass Major Thompson im Unrecht ist und Sie keine Monster sind", antwortete der Soldat überzeugt.

Noel wollte gerade etwas darauf erwidern, als er plötzlich eine sehr starke Präsenz von Vampiren spürte. So stark, wie er es in seinem Leben bisher noch nie verspürt hatte, sodass ihm ein seltsamer Schauer über den Rücken lief.

„Was ist?", fragte der Soldat, der an Noels verändertem Gesichtsausdruck bemerkte, dass etwas nicht stimmte.

Einen kurzen Augenblick abwesend, schüttelte er irritiert den Kopf und blickte dem Soldaten verwirrt entgegen. Seine Sinne mussten entweder verrückt spielen, oder eine große Anzahl von Vampiren befand sich in der Nähe. Nahe genug, dass Noel sie spüren konnte.

Wieder legte er Joshua vorsichtig auf den Boden zurück, und ohne dem Soldat eine Antwort zu geben, ging er ganz vor, bis zur Gitterwand, um sich genauer auf seine Sinne zu konzentrieren. Es stand außer Zweifel und als er versuchte sich auf seine Söhne zu konzentrieren, konnte er auch diese lokalisieren. Entweder hatte man seine Söhne nun ebenfalls gefangen genommen, oder sie waren hier, um sie zu befreien. Ein neuer Hoffnungsfunke entzündete sich. Aufgeregt wandte er sich zu dem Soldaten um und fragte: „Wollen Sie mir wirklich helfen?"

„Ja", antwortete dieser sofort, worauf Noel weiter fragte: „Nur mal angenommen, ich würde es schaffen, uns aus dieser Zelle zu befreien. Könnten Sie mir dann zeigen, wo meine Leute sind?"

„Ja, sicher. Aber das können Sie unmöglich schaffen. Die Gitter wurden nachträglich verstärkt. Selbst einem Vampir ist es unmöglich sie aufzubrechen", gab der Captain zu bedenken, doch Noel hörte ihm gar nicht mehr genau zu, denn wenn sich seine Hoffnung bestätigen würde, wäre es nicht er, der sie aus der Zelle befreit.

 

*****

 

Die abgeschiedene ruhige Lage inmitten eines Waldes war ein großer Vorteil für die Vampire. So konnten sie sich nahe genug heranschleichen und im Schutze des Waldes ihre nächsten Schritte planen. Unter ihnen waren einige Spezialisten, denen es ohne nennenswerte Schwierigkeiten möglich war, sämtliche Sicherheitsvorkehrungen der Außenanlage zu übergehen oder so zu täuschen, sodass die Soldaten der Forschungsstation sich ihrer Anwesenheit noch nicht bewusst waren.

Durch ihre einflussreichen Verbindungen hatten sie Zugriff auf sämtliche Pläne der Anlage, weshalb sie genauestens über alle Sicherheitssysteme bescheid wussten. Die Jahrhunderte lange Pflege dieser vielen Beziehungen machte sich nun wirklich bezahlt.

Um sicher zu gehen, sandte Zaida zwei ihrer Späher aus, um die Richtigkeit ihrer vorliegenden Informationen zu prüfen, soweit dies von außerhalb der Anlage möglich war.

Geschützt vor den Augen der Außenkameras, schmiedete sie strategische Pläne und teilte die Vampire in drei Gruppen auf. Zusammen waren sie weit mehr als erhofft. Selbst in der kurzen Zeit war es erstaunlich vielen Clanführern möglich gewesen ihre stärksten Kämpfer zur Verfügung zu stellen und viele Clanführer ließen es sich nicht nehmen, selbst ebenfalls an diesem historischen Kampf teilzunehmen. Auf allen möglichen Wegen per Flugzeug, Expresszug und sogar per Hubschrauber waren sie aus allen Richtungen der Erde herbeigeeilt. Somit verfügte Zaida über mehr als hundert Kämpfer, die alle bereit waren ihr Leben zu geben, falls dies das Schicksal von ihnen fordern würde. Gegenübergesetzt zu den etwa dreihundertfünfzig stationierten Soldaten und knapp hundert Wissenschaftlern und Zivilisten war es dennoch ein harter Brocken für die Vampire.

Die erste und größte Gruppe würde direkt am Haupteingang angreifen, was angesichts der großen unüberschaubaren Fläche des Innenhofs die schwierigste Hürde zu bewältigen war. Gruppe zwei bestand aus nur etwa zwanzig Vampiren, deren Aufgabe es sein würde, die Soldaten vom Haupteingang abzulenken, und zwar noch bevor die erste Gruppe dort angreifen würde. Die dritte Gruppe schickte Zaida an mehrere strategisch wichtige Punkte. Deren Gelingen würde über den Ausgang der ganzen Mission entscheiden. Ihre Aufgabe war es, die gesamte Forschungsstation stromlos zu machen und technisch vollkommen von der Außenwelt zu isolieren. Den Soldaten durfte es nicht gelingen Alarm zu schlagen, oder um Verstärkung zu bitten. Und auf gar keinen Fall durften Informationen über die Existenz der Vampire die Station verlassen.

Djoser und Peter hatte Zaida ein paar ihrer Männer zur Verfügung gestellt, sodass sie zusammen mit vier ihrer eigenen Kalkadore eine vierte Gruppe von insgesamt 10 Vampiren bildeten. Ihre alleinige Aufgabe war es, so viele Clanmitglieder der Altair wie möglich zu finden und zu befreien. Dafür hatten sie jedoch nicht mehr als fünfzehn Minuten Zeit, denn falls es den Vampiren bis dahin nicht gelungen war, die eindeutige Oberhand im Kampf zu gewinnen würde Plan B aktiviert werden: Die vollkommene Zerstörung der gesamten Forschungsanlage. Ungeachtet dessen wer sich zu diesem Zeitpunkt noch im Gebäude befindet.

Jeder wusste genau, was er zu tun hatte und war sich der Konsequenzen jedes noch so kleinen Fehlers bewusst. Alle Vampire konzentrierten sich auf ihre Aufgabe und warteten äußerlich ruhig auf ihren Einsatzbefehl.

Peter bewunderte die Gelassenheit all dieser Vampire. Sie alle wirkten wie düstere Kämpfer aus einem packenden Abendspielfilm. Die meisten unter ihnen waren in Schwarz gekleidet, was ein wenig dem Stil von Djoser und Noel ähnelte, nur viel cooler. Das imponierte ihm irgendwie, weshalb er verlegen auf sich selbst herabblickte, da er nur seine üblichen Schmuddelklamotten trug und damit bei weitem nicht so finster wirkte.

Viele der Vampire trugen ihr Haar ähnlich lang wie Peter, doch niemand hatte so wirre Locken. Manche wirkten wie muskulöse Wikinger aus dem Nordland und andere wie zähe Sarazenen aus dem Osten. In den Augen mancher älterer Vampire erschien ein seltsames Glänzen. In ihnen erwachten die Erinnerungen längst vergangener Schlachten aus längst vergangenen glorreichen Tagen, in denen sie viele Siege davongetragen hatten.

Es zeigte deutlich, dass sie alle aus verschiedenen Epochen der Weltgeschichte stammten und jeder von ihnen eine eigene Geschichte in sich trug. Und dennoch hielten sie alle fest zueinander, auch wenn manche unter ihnen zu Lebzeiten verbitterte Feinde waren. Ihre alten Werte waren längst wertlos geworden. Was allein zählte, war der Zusammenhalt innerhalb der Clans und des Bundes.

Während Peter weiter die vielen verschiedenen Kämpfer bewunderte, konzentrierte sich Djoser einzig und allein darauf, Noel zu erspüren und zu lokalisieren. Er konnte nicht genau sagen, wo sein Sirus sich aufhielt, doch zumindest grob konnte er dessen Position einschätzen. Dies gab ihm zumindest einen ungefähren Hinweis, wohin sie sich als erstes durchschlagen würden.

Er sorgte sich sehr um die zurückgebliebenen Mitglieder des Clans. Falls in dieser Schlacht es keiner von Ihnen schaffen würde, war damit die Rangorder der Altair zerstört. Den Moras und den Kalkadoren bliebe dann nur die Möglichkeit, sich einem anderen Clan anzuschließen und an das Schicksal seines geliebten Loraib wollte er gar nicht denken.

Vor seiner Abreise hatte er Julian ohne dessen vorheriges Wissen mit einem schnellen Biss in den Tiefschlaf versetzt. Er hatte ihm einfach so lange das Blut aus den Adern gesaugt, bis dieser das Bewusstsein verlor. Dies war ein einfacher und relativ gefahrloser Trick, um einen jungen Zögling eine Weile lang außer Gefecht zu setzen. Später würde Djoser ihn mit seinem Blut wieder erwecken können, sofern er die Schlacht überleben würde. Falls nicht, hatte er ausdrücklich darum gebeten, dass man Julian noch während seiner Bewusstlosigkeit töten würde. Er wollte ihm den Verlustschmerz ersparen, den ein so junger Loraib durchleben muss, sollte sein Sirus sterben.

Kurz nach Sonnenuntergang meldeten sich die beiden Späher bei Zaida zurück und berichteten, dass sie äußerlich keine Abweichungen zu den ihnen vorliegenden Plänen entdecken konnten. Somit konnte die Mission beginnen.

Als erstes schickte Zaida Gruppe drei los, um die Station von der Außenwelt abzutrennen. Dies war mitunter einer der brisantesten Schritte. Falls dieser nicht gelingen würde, müsste Zaida sofort zu Plan B fortschreiten. Doch sie vertraute auf das Wissen ihrer Helfer und war überzeugt, dass diese ihren Teil der Aufgabe erfüllen würden.

 

*****

 

Plötzlich erlosch das Licht im ganzen Gebäude und überall schalteten sich die Notstromleuchten ein. Alle Computer und wichtige wissenschaftliche Geräte wurden über eine USV (Unterbrechungsfreie Stromversorgung) weiter mit Strom versorgt, doch diese konnte einen totalen Stromausfall nur maximal eine halbe Stunde lang überbrücken, weshalb sich die Dienst habenden Offiziere sofort auf die Suche nach der Ursache des Stromausfalles machten. Als der Strom nach fünfzehn Minuten noch immer weg war, wurden sämtliche Computersysteme automatisch heruntergefahren, um etwaige Datenverluste zu verhindern.

Wenig später erschien Major Thompson im Computerkontrollzentrum der Forschungsstation und verlangte sofort einen Bericht.

Einer der Soldaten meldete gehorsam: „Sir, offenbar hatte ein wildes Tier einen Zusammenstoß mit unserem Stromgenerator. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, das Problem zu beheben. Die Reparatur sollte nicht mehr als zwei Stunden dauern."

„Und was ist mit dem Notstromaggregat?", wollte der Major wissen.

„Das ist ebenfalls ausgefallen, Sir. Die Ursache hierfür konnten wir noch nicht feststellen. Wir werden noch etwa zwanzig Minuten lang von der USV versorgt, danach haben wir einen Kompletausfall, bis der Gerator repariert ist", schilderte ihm der Soldat genauer.

Dies kam dem Major zu seltsam vor, weshalb er erneut nachfragte: „Also ein Tier hat es geschafft, die komplette Anlage außer Gefecht zu setzen?"

„Unglücklicherweise ja, Sir. Die ganze Anlage ist eigentlich gegen jegliche äußerliche Einwirkungen geschützt, doch es gibt eine ungeschützte Stelle auf dem Dach und genau dort war der Kadaver eines Vogels eingeklemmt und verursachte damit einen verheerenden Kurzschluss, der das ganze System lahm gelegt hat."

Misstrauisch geworden, befahl der Major: „Überprüfen Sie sofort alle Kameras und Sicherheitssysteme nach Eindringlingen."

„Aber Sir, die Computer sind alle ausgeschaltet", meinte der Soldat, der den Befehl erhalten hatte.

„Dann schalten Sie sie wieder ein!", rief der Major entrüstet darüber, dass sein Befehl noch nicht ausgeführt worden war.

„Das ist unmöglich, Sir. Laut Vorschrift müssen alle Systeme während eines totalen Stromausfalles ausgeschaltet werden. Das sind keine normalen Computer, sondern äußerst empfindliche Systeme, die…", versuchte der Soldat zu erklären, bis der Major ihm das Wort abschnitt und erzürnt ausrief: „Schalten Sie sofort ein, oder ich bringe Sie vors Kriegsgericht!"

Eingeschüchtert zuckte der Soldat zusammen und führte schließlich den Befehl aus.

„Und ihr seht zu, dass wir wieder Strom haben! Und zwar schnell!", herrschte er die anderen Soldaten an, worauf diese rasch die Zentrale verließen.

Nachdem das komplette System nach fünf endlosen Minuten wieder hochgefahren war, fing der Soldat an, die Außenanlagen durchzuchecken, während der Major hinter seinem Rücken stand und ihm über die Schulter blickte.

„Absolut nichts, Sir."

„Verständigen Sie das Hauptquartier über unsere Lage. Teilen Sie ihnen mit, dass ich den dringenden Verdacht eines Angriffs hege und wir sofort Verstärkung benötigen."

„Jawohl, Sir", antwortete der Soldat rasch und gab die Nachricht in den Computer ein.

Zwei Minuten später meinte dieser: „Es tut mir Leid, Sir. Die Verbindungen sind alle unterbrochen. Ich kann keine Nachricht senden."

„Dann schicken Sie es auf einem anderen Weg!", rief der Major unbeherrscht.

„Das habe ich bereits versucht, Sir. Weder die Funkanlage, noch die Satellitenverbindung funktionieren. Nicht einmal das Morsegerät geht noch."

„Was zum Teufel ist hier los?", fragte der Major noch, als plötzlich alle Lichter im Raum erloschen und alle Computersysteme mit ihnen. Vollkommene Stille und Dunkelheit herrschte für genau drei Sekunden, bis plötzlich das Geräusch einer Explosion zu hören war.

„Sofort Alarm an alle!", befahl der Major, während er sich blind durch den Raum tastete und aus einem Notfall-Schrank ein paar Knickleuchten suchte, mit denen er Licht ins Dunkel brachte.

„Warum steht ihr noch hier und starrt dumm rum?", frage Major Thompson fassungslos.

„Wie sollen wir Alarm schlagen, Sir? Wir haben keinen Strom", erklärte einer der Offiziere sein Zögern.

„Schreien Sie es meinetwegen! Was auch immer Sie tun, tun Sie es sofort!"

 

*****

 

„Wie ist die Lage?", fragte Zaida ruhig und konzentriert.

„Alle Systeme sind gekappt. Nicht mal ’ne Brieftaube könnte das Gebäude verlassen, ohne, dass wir es merken. Sie haben noch Strom für schätzungsweise vier Minuten, dann sind alle Computersysteme tot", berichtete einer ihrer Späher.

Auf diese Nachricht hin, schickte sie Gruppe zwei los und befahl, mit dem Ablenkungsmanöver zu beginnen, sobald der Strom weg wäre. Wenige Minuten später brachte eine Explosion die Soldaten in Aufruhr. Mit Knicklichtern und Taschenlampen behalfen Sie sich gegen die Dunkelheit und sicherten sofort das Gebiet rund um die Explosionsstelle, während sich, von den Soldaten unbemerkt, die erste Gruppe vor dem Haupttor versammelte. Gruppe zwei löste weitere Explosionen an strategisch günstigen Stellen aus, die die Soldaten in die Irre führten, als wollten sie an diesen Stellen eindringen, doch in Wahrheit lag das Hauptziel der Vampire darin, das Haupttor zu stürmen.

Die wenigen Kämpfer in der zweiten Gruppe stürmten voran und ergaben sich einem erbitterten Kampf um Leben und Tod. Nach Zaidas Verkündung war dies ein offener Krieg und somit zeigten Sie kein Erbarmen den Menschen gegenüber, sondern griffen mit aller Kraft, die ihnen zur Verfügung stand, zu. Dies kostete auch auf der Seite der Vampire einige Opfer, weshalb Zaida das Geschehen mit großer Trauer beobachtete.

Doch dies war nicht die Zeit, um zu trauern, sondern um zu kämpfen.

Als die erste Gruppe es endlich geschafft hatte, das Haupttor zu überwinden, deutete sie Djoser, dass er sich bereithalten solle.

Die erste Gruppe traf auf erschwerten Widerstand, weshalb das ganze Projekt zu scheitern drohte. Trotz ihres Vorteils des schärferen Augenlichts in der Dunkelheit, fiel es ihnen schwer die zahlreichen Soldaten zu bekämpfen. Doch die Vampire gaben sich nicht so leicht geschlagen. Niemand dachte daran, sich vor der ablaufenden Frist in Sicherheit zu bringen. Sie alle wollten bis zum Schluss kämpfen, um die Schlacht zu ihren Gunsten zu beenden.

Erst als Zaida ein Zeichen ihrer Leute bekam, dass der Vorhof der Anlage weitgehend unter ihrer Kontrolle war, schickte sie Djoser und seine Männer los, um nach seinen Clanmitglieder zu suchen.

Die kleine Gruppe stürmte mitten durch die Schlacht im Innenhof. Ein Anblick des Grauens begegnete ihnen dort. Blutüberströmte und verstümmelte Leichen sowohl von Menschen, als auch von Vampiren lagen überall verteilt und zeugten von dem Schrecken des Krieges.

Zielstrebig führte Djoser sie in ein Nebengebäude. Die wenigen bemitleidenswerten Teufel, die ihnen dort entgegenkamen, bemerkten ihre Gegner zu spät und fanden deshalb einen schnellen Tod. Weder Djoser, noch seine Begleiter ließen sich lange aufhalten und kämpften sich unerbittlich ihren Weg durch die Gänge. Bei einer Abzweigung hielt Djoser weiter geradeaus, während Peter den Weg nach rechts einschlug und seinem Bruder nachrief: „Wir müssen hier lang!"

Djoser zögerte und fragte ungeduldig: „Wie kommst du darauf?"

„Weil du nicht der einzige in der Familie bist, der seinen Sinnen folgen kann. Glaub mir, wir müssen hier lang!"

Sie hatten keine Zeit für Streitereien, und Djoser bezweifelte, dass Peter mit seiner Annahme recht hatte, schließlich war er der beste Fährtenleser in ihrem Clan, um jedoch einem Streit aus dem Weg zu gehen, folgte er Peter ein paar Schritte in den rechten Gang und überprüfte seine Sinne.

„Verdammt, du hast recht!", meinte Djoser vollkommen überrascht.

Während sie rasch dem richtigen Gang folgten, fragte Djoser: „Woher hast du das gewusst?"

„Ich wusste es einfach", winkte Peter ab, als wäre es eine Belanglosigkeit.

„Woher hatte er was gewusst?" kam eine vertraute Stimme vom Ende des dunklen Ganges.

„Noel!", riefen beide Brüder gleichzeitig aus, als sie die Stimme ihres Sirus’ erkannten. Eilig liefen sie zu ihm und stellten erleichtert fest, dass er unversehrt war. Im Gegensatz zu Joshua, der noch immer bewusstlos in einer Ecke der Zelle lag, und weshalb die Rettungstruppe betroffen dreinschaute.

Niclas und zwei weitere Vampire machten sich sofort an der Zellentür zu schaffen, während Noel durch die Gitter griff, um seine beiden Söhne zu berühren.

„Ihr solltet nicht hier sein", meinte er besorgt, wobei seine Stimme keinen echten Tadel ausdrückte.

„Keine Sorge, wir sind nicht allein hier. Wir haben einen ganzen Vampirbund als Verstärkung dabei", witzelte Peter und lenkte damit vom Ernst der Lage etwas ab.

„Dann ist es also wahr? Diesen Bund gibt es wirklich?", fragte Noel sofort interessiert.

Das ganze etwas ernster sehend, erklärte Djoser daraufhin: „Es gibt ihn. Und Zaida ist das Oberhaupt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Clans diesem Bund angehören. Sie kommen aus der ganzen Welt. Zaida hat das oberste Gesetz außer Kraft gesetzt, um zu verhindern, dass die Menschheit von uns erfährt. Niemand wird hier lebend rauskommen."

Im selben Moment, als Noel dies hörte, krachte die Gittertür auf und einer der Vampire ging sofort auf Captain Forghes los, welcher bisher verunsichert in einer Ecke gestanden war.

„Halt!", rief Noel sofort auf und eilte an die Seite des Soldaten. Mit einer flüssigen Bewegung packte er den jungen Captain im Nacken, zog ihn von dem Vampir weg und drückte ihn mit einer erstaunlichen Leichtigkeit auf die Knie. Eher der Captain verstand, wie ihm geschah, wurde er von Noel auf den Boden gedrückt; den Blick nach unten richtend.

„Der hier wird nicht getötet", meinte Noel mit strenger Miene, sodass keiner der Vampire es mehr wagte, sich seinen Worten zu widersetzen.

„Wer ist er?", fragte Djoser interessiert und musterte den jungen Captain genauer, während Niclas indessen den bewusstlosen Körper von Joshua griff, um ihn auf seinen Armen zu tragen.

„Er hat ein gutes Herz. Er wird uns helfen die anderen zu finden", erklärte Noel rasch, bevor er Forghes mit seinem Griff wieder auf die Beine zog und aus der Zelle bewegte. Der Soldat war klug genug, sich nicht dagegen zu wehren und verhielt sich ruhig, als Noel ihn weiter führte.

„Also, was war es, das Peter wusste?", griff Noel die Frage von zuvor erneut auf.

„Er hat gewusst, wo du bist. Besser als ich es konnte", erklärte Djoser noch immer neugierig darauf, mit welchem Trick Peter dies geschafft hatte, während sie alle rasch den Gang zurückliefen.

Noel schien dies nicht so sehr zu wundern wie ihn, und meinte mit viel sagendem Blick: „Du solltest deinen Bruder nicht unterschätzen. Er hat viele Qualitäten, die man ihm nicht sofort ansieht. Ich dachte, wenigstens du würdest das wissen."

„Ich werde wohl noch daran arbeiten müssen", meinte Djoser, bevor er sich daran erinnerte, dass die Zeit drängte und er fragend zu Peter meinte: „Wie viel haben wir noch?"

Ein kurzer Blick auf die Uhr und er antwortete: „Sieben Minuten und 40 Sekunden."

„Was passiert dann?", fragte Noel sofort misstrauisch.

„Wenn Zaidas Leute bis dahin noch nicht gesiegt haben, sprengt sie alles in die Luft", erklärte Djoser knapp.

Ein plötzlicher Hagelsturm von Feuerwaffen, hinderte sie daran, in den nächsten Gang einzubiegen.

„Ihr müsst aufpassen. Ihre Munition kann Vampire töten!", ermahnte Noel seine Leute zur Vorsichtig, wobei sich der junge Soldat plötzlich zu Wort meldete und erklärend einlenkte: „Das war nur ein Trick des Majors. Es gibt nur ganz wenig von dieser Munition. Die Herstellung kostete ein Vermögen."

„Ist das wahr?", fragte Noel sofort nach und blickte dem jungen Captain tief in die Augen.

„Ja, ich schwöre es!", bekräftigte dieser.

Ein seltsamer Funke leuchtete plötzlich in Noels Augen auf, und er meinte zu seinen Söhnen: „Geht allein weiter. Ich muss mich um etwas kümmern. Und schafft mir Joshua gefälligst hier raus!"

Ohne seinen Söhnen auch nur die geringste Chance einer Widerrede zu geben, stürmte Noel mit diesen Worten direkt auf die Soldaten zu, die ihnen im Seitengang aufgelauert waren. Sie trugen Nachtsichtbrillen, um im Dunkeln sehen zu können, doch er bewegte sich so schnell, dass die Soldaten kaum in der Lage waren zu reagieren und Noel mit nur einem schmerzhaften Treffer an seiner rechten Schulter davonkam. Doch dies beeinträchtigte ihn keinesfalls, die Soldaten allesamt anzugreifen und einen nach dem anderen in nur wenigen Sekunden außer Gefecht zu setzen.

Djoser und Peter hatten ihren Sirus noch nie so kämpfen gesehen, weshalb sie ihm sprachlos zusahen, bis alle erledigt waren, und er eilig im Gang verschwand.

„Also gut, wir teilen uns auf. Niclas, du schaffst Josh hier raus. Du und du, begleitet ihn", ordnete Djoser an und deutete dabei auf zwei der Vampire. „Der Rest geht mit mir und du wirst mir zeigen wo unsere Leute sind", meinte er anschließend noch zu dem jungen Captain, welcher ihm bestätigend zunickte.

 

*****

 

Dank seines ausgezeichneten Gedächtnisses, konnte sich Noel noch genau an den Weg erinnern und auch der Code, den er im Fahrstuhl eingeben musste, wusste er noch. So schaffte er es in kürzester Zeit in die privaten Gemächer des Majors, wo er das Ziel seiner Suche recht schnell fand. Die hübsche Vampirin war noch immer im selben Raum, wo sie an der Wand angekettet, in einer Ecke kauerte.

Als sie ihn erblickte, entfachte sich ein Hoffnungsfunke in ihrem Blick und sie bat sofort: „Töte mich!"

„Wie ist dein Name?", fragte Noel, ihre Bitte ignorierend.

„Gwenifer", antwortete sie.

„Nun, hübsche Gwenifer, ich bin nicht hier, um dich zu töten. Also verrate mir, wo die Schlüssel zu deinen Ketten sind", meinte Noel mit strengem Ton, um deutlich zu zeigen, dass er sich nicht auf eine Diskussion einlassen wollte.

„Er hat sie bei sich", meinte sie mit Schmerz in den Augen, um nicht den Namen dessen nennen zu müssen, der ihr all das angetan hatte.

Verstehend durchsuchte Noel das geschmacklos eingerichtete Zimmer, und fragte zeitgleich: „Hat er hier irgendwo eine Waffe?"

„Ja, dort drüben in der untersten Schublade. Er hütet sie wie einen wertvollen Schatz. Er drohte, mich damit zu töten, doch er tat es niemals", meinte sie verbittert.

Noel ahnte, was dies für eine Waffe war und machte sich sofort auf die Suche danach. Respektvoll holte er sie aus der Schublade hervor; sich der Gefahr ihrer Schusskraft wohl bewusst. Gleichzeitig griff er sich ein Hemd aus der Kommode, um es der Vampirin zu geben, da er ihr nicht zumuten wollte, nackt zu bleiben. Nicht nach all dem, was passiert war. Rasch eilte er zurück zu Gwenifer, reichte ihr das Hemd und zielte mit der Waffe ans äußere Ende der Kette, um keinesfalls die Vampirin zu treffen. Die Kugeln waren mit einer seltsamen Flüssigkeit gefüllt, die zähflüssig von der Wand lief, ohne jedoch die Kette vollkommen zerstört zu haben. Noel brauchte noch drei weitere Schüsse, bis diese endlich durchtrennt war.

„Komm schnell, wir müssen von hier verschwinden", meinte Noel, während er bereits auf den Ausgang zu lief und einen prüfenden Blick in den Nebenraum warf.

„Ich kann nicht!", rief sie ihm hinterher, worauf Noel sich verwirrt zu ihr umblickte. Sie deutete auf ihre Beine und erst da begriff er, was sie meinte. Beide Beine waren auf unnatürliche Weise gedreht. Er hatte sie ihr gebrochen, damit sie nicht fliehen konnte und sich nicht weiter gegen ihn wehren würde.

„Verfluchter Bastard!", schimpfte Noel, während er sich die Waffe rasch im Rücken in den Hosenbund steckte und zu ihr zurückeilte. Sie auf den Händen tragend, eilte er dann aus den beiden Räumen. Doch gerade als er durch die Tür in den Gang treten wollte, kam ihm der Major, ebenfalls mit einer Nachtsichtbrille und einer Schusswaffe, direkt auf sie beide gerichtet, entgegen.

 

*****

 

Mit Forghes Hilfe war es der Gruppe möglich die meisten ihrer Clanmitglieder innerhalb der Frist zu finden, doch die Zeit drängte und sie mussten sich entscheiden, ob sie abbrechen oder weitersuchen sollten.

„Wir brechen ab. Falls wir es doch schaffen, können wir die anderen später befreien", sprach Djoser ein Machtwort, womit sie sich schließlich auf den Weg zurück machten. Sie waren ohnehin nur noch zu viert, da Djoser die gefundenen Clanmitglieder immer wieder mit ein paar seiner Leute in Sicherheit geschickt hatte.

„Und was machen wir mit ihm?", fragte Peter, der während seiner Frage mit den Haaren des jungen Captain spielte.

„Er soll sterben, wie die anderen", forderte einer von Zaidas Leuten.

„Er kommt mit. Sterben kann er später auch noch", entschied Djoser und packte den Captain mit einem festen Griff am Arm, um ihn aus dem Gebäude zu ziehen. Er wusste nicht, ob ihre Clanmitglieder zu retten der einzige Grund für Noel war, diesen Mann zu schützen, weshalb er seinem Sirus die Möglichkeit geben wollte, später über das Leben des Captains zu entscheiden.

Draußen im Hof war noch immer ein erbitterter Kampf im Gange und sie hörten das Geräusch eines Hubschraubers näher kommen. Scheinbar hatten die Soldaten es doch geschafft, Verstärkung zu rufen. Wen dem so war, würden sie die Stellung womöglich verlieren und Zaida wäre gezwungen alle Beweise ihrer Existenz mit einem gewaltigen Schlag zu vernichten. Besorgt blickte Djoser zurück auf das Gebäude, von wo er noch immer spüren konnte, dass Noel sich darin befand.

„Komm weiter!", rief Peter ihm nach, worauf er sich endlich wieder in Bewegung setzte und zusammen mit dem Captain aus der Gefahrenzone flüchtete.

 

*****

 

„Ich wusste es. Ich wusste, das ganze Gerede, von wegen ihr würdet keine Menschen töten, war alles nur leeres Geschwätz. Ihr seid kein Gramm besser als wir", meinte Major Thompson herablassend.

„Sie waren es, der uns dazu gezwungen hat", erwiderte Noel äußerlich ruhig und gelassen, während er einen kurzen Blick auf eine Uhr an der Wand riskierte und mit Schrecken feststellte, dass er kaum noch zwei Minuten Zeit hatte.

Vorsichtig wollte er Gwenifer auf den Boden absetzen, worauf der Major sofort nervös wurde und rief: „Keine Falsche Bewegung, oder ich schieße!"

Noel verkniff es sich, über diese Aussage zu lachen. Es wirkte einfach zu komisch für ihn und er fragte sich ernsthaft, worauf der Major noch wartete. Vielleicht war es wieder nur ein Trick und der Major hatte keine Munition mehr?

„Lassen wir sie aus dem Spiel. Das ist nur eine Sache zwischen uns beiden. Ich werde sie ganz langsam absetzen und hinter meinen Rücken schieben. Sie kann Ihnen nicht gefährlich werden, da sie nicht laufen kann", erklärte Noel mit einer seidigen Stimme, die beruhigend auf die Situation wirkte, wodurch der Major es zuließ, dass Noel die Vampirin vorsichtig auf ihre Knie absetzte und dann schützend vor sie trat. Ihr Blick fiel dabei direkt auf die Waffe in Noels Hosenbund und sie wusste, was zu tun war.

Blitzschnell griff Gwenifer sich die Waffe und feuerte damit auf den Major. Dieser feuerte seine Waffe ebenfalls ab und traf Noel direkt in der Brust. Beide Männer sanken zu Boden, sodass am Ende nur noch Gwenifer aufrecht auf ihren Knien stand und mit Schrecken auf Noel herabblickte.

„Verflucht!", stöhnte Noel und wunderte sich, dass er noch lebte. Ein höllischer Schmerz zog sich durch seine Brust, doch er zwang sich ein Lächeln ab, um die besorgt wirkende Vampirin zu beruhigen, die über ihm gebeugt war. Ein erneuter Blick zur Uhr sagte ihm, dass die Frist in wenigen Sekunden ablaufen würde.

„Wir müssen hier raus", meinte er deshalb und erhob sich trotz der schmerzenden Brust.

Er zwang sich selbst, das Brennen in seinen Lungen zu ignorieren und hob die Vampirin erneut auf seine Arme, um sie in Sicherheit zu bringen.

Ein Stöhnen lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf den Major. Die seltsame Munition hatte ihn zwar an einer empfindlichen Stelle getroffen, doch nicht sofort getötet. Unter Schmerzen, versuchte dieser sich nun aufzurichten.

Noel ignorierte den Major einfach und lief, so schnell es ihm in seinem verwundeten Zustand möglich war, zurück zum Fahrstuhl.

„Von einem Mädchen…", hörten sie den Major noch, zusammen mit einem hysterischen Lachen, bis sich die Fahrstuhltüre endlich schloss.

Die kurze Fahrt zwei Stockwerke tiefer kam Noel vor wie eine Unendlichkeit. Jeden Augenblick rechnete er fest damit, dass das Gebäude explodieren würde. Unruhig beobachtete er die Leuchten, die angaben, in welchem Stockwerk sie sich gerade befanden und er verfluchte innerlich, wie langsam sie sich bewegten. Gwenifers Körper schien immer schwerer zu werden, sodass er sich nicht sicher war, ob er sie tatsächlich bis ins Freie tragen konnte.

Endlich öffnete sich die Fahrstuhltüre und Noel wollte bereits hinausstürmen, als er plötzlich erkannte, dass der Weg blockiert war und er abrupt stehen bleiben musste. Erschöpft sank er auf die Knie, als er bemerkte, dass es ein paar Vampire zusammen mit seinen beiden Söhne waren, die vor ihm standen.

„Was zum Teufel hat dich so lange aufgehalten? Ich werde Josh verraten, dass du dich mit Mädchen rumtreibst, während er halb im Sterben liegt", begrüßte Peter seinen Sirus auf seine typische Art, während Djoser sofort hilfsbereit zu seinem Sirus auf die Knie sank und ihm die Vampirin aus dem Arm nahm.

„Geht es ihm gut?", war Noels erste Frage, nachdem er wieder einigermaßen Luft bekam.

„Es könnte ihm besser gehen, aber er wird es schaffen", sagte Peter nun deutlich ernsthafter, während er Noel auf die Beine half.

Erst jetzt erkannte Noel, dass Zaida zwischen den Vampiren anwesend war und ihn sorgenvoll musterte. Noel zwang sich ein schmerzverzerrtes Lächeln ab und meinte zu ihr: „Ich hoffe, meine Jungs haben dir keine Schwierigkeiten bereitet?"

„Weit gefehlt, mein werter Freund. Deine Söhne haben sich deinen Stolz verdient. Vor allem dein Centra hat bewiesen, dass er eines Clanführers würdig ist, auch wenn ich nicht hoffen will, dass dieser Tag wirklich eintreffen wird", meinte Zaida mit einem abschließenden Nicken, bevor sie sich in raschen Schritten entfernte. Es gab noch viele wichtige Dinge, die ihrer Aufmerksamkeit bedurften und die geklärt werden mussten.

Durch diese Worte aufmerksam geworden, blickte Noel voller Stolz auf seinen Centra zurück, welcher hinter ihm stand und Gwenifer auf sicheren Händen trug.

„Solch lobende Worte aus Zaidas Munde zu hören, erfüllt mich mit großem Stolz, mein Sohn", drückte Noel sich absichtlich gewählt aus, um die Bedeutung seiner Worte zusätzlich zu unterstreichen.

„Ich bin der Deine, mein Sirus. Aber warte lieber, bis du die ganze Geschichte hörst, bevor du mich lobst", erwiderte Djoser bescheiden, da er glaubte, dass Noel die Nachricht über seinen frisch verwandelten Loraib nicht so positiv aufnehmen würde.

Noel schmunzelte nur erleichtert, da zumindest zwischen ihm und seinen beiden Centras alles beim alten geblieben schien. Deshalb ließ er sich von Djosers Anmerkung nicht beunruhigen und sagte: „Was immer es ist, das du mir berichten wirst, wird meine Meinung nicht ändern. Doch jetzt bringt mich erstmal zu Joshua. Ich fürchte, ich hab einiges wieder gutzumachen, bei ihm."

 

*****

 

Außerhalb der Forschungsanlage, versteckt im dichten Wald, hatten die Vampire ein provisorisches Feldlazarett errichtet, das im Grunde nur aus ein paar Decken und Strohmatten bestand, die verteilt auf dem weichen Waldboden lagen und wo verwundete Vampire geduldig darauf warteten, ärztlich versorgt zu werden. Einige Moras verschiedener Clans waren hier anwesend und kümmerten sich auf gleichberechtigte Weise um alle hier liegenden Verwundeten.

Mit Peter als Stütze ließ sich Noel zu Joshua führen, wobei er überrascht feststellte, dass unter den Moras auch Edmond unterstützend mithalf, um die Verwundeten zu versorgen. Der Doktor kümmerte sich gerade um seinen Loraib, indem er die zahlreichen Verletzungen der Folter verpflegte. Als Edmond bemerkte, wer gerade auf ihn zukam, erhob er sich rasch von Joshua und wollte sich respektvoll zurückziehen, doch Noel hielt ihn auf und bat: „Bleiben Sie. Ihre Hilfe ist hier gerne gesehen."

Edmond wirkte sichtlich zerknirscht, als er zurückhaltend erwiderte: „Ich hätte nie geglaubt, dass Menschen zu solchen Gräueltaten fähig sind. Auch wenn ich weiß, dass meine Worte nichts daran ändern werden, möchte ich ausdrücken, wie leid es mir tut. Niemand hat es verdient, so behandelt zu werden."

Über Edmonds Einstellung mehr als überrascht, meinte Noel: „Sie entschuldigen sich für Ihresgleichen, obgleich wir ein solch großes Vergeltungsmanöver durchgeführt haben? Aus Ihrem Munde hätte ich eher Tadel erwartet, als eine Entschuldigung."

„Ich will nicht behaupten, dass ich die Methoden der Vampire gänzlich befürworte, doch ich sehe nun ein, dass ihnen keine andere Wahl blieb. Wenn ich sehe, wozu ein einziger Befehlshaber hier in unserem Lande fähig war, will ich nicht wissen, was vielleicht in anderen Ländern möglich wäre, wenn man über die Existenz der Vampire erfahren würde. Ich kann nun sehr gut verstehen, dass dieses Geheimnis gut bewahrt bleiben muss", erklärte Edmond seine Beweggründe genauer.

Mit einem freundschaftlichen Lächeln reichte Noel ihm seine Hand dar und sagte: „Ich bin froh, dass Sie es so sehen. Bitte erteilen Sie mir die Ehre und seien der Meine."

„Der will ich gerne sein", erwiderte Edmond wie es innerhalb der Vampire üblich war und erwiderte den Händedruck auf ebenso freundschaftliche Weise.

„Das freut mich. Ich hoffe, wir können dann in Zukunft auf die förmliche Anrede verzichten?", fragte Noel nach, worauf Edmond erleichtert antwortet: „Sehr gerne."

Nun aber wollte Noel keine weitere Zeit mehr mit Höflichkeitsfloskeln verschwenden, sondern setzte sich sofort auf den Boden an Joshuas Seite, um dessen Zustand genauer zu überprüfen.

„Ich habe ihm bereits zwei Bluttransfusionen gelegt, doch sein Zustand hat sich kaum gebessert", informierte Edmond besorgt.

„Mit welchem Blut?", fragte Noel genauer nach.

„Zaida hat mir die Blutbeutel gegeben. Sie sagte, es wäre ihr eigenes Blut."

Dies beunruhigte Noel sehr. Mit so mächtigem Blut, hätte Joshua eine sofortige Besserung zeigen müssen. Liebevoll strich er ihm deshalb über die Stirn und überprüfte anhand seiner Sinne wie es um seinen Loraib stand. Allein die zärtliche Berührung reichte aus, um Joshua aus seinem tiefen Schlaf zu reißen, weshalb ihre Blicke sich trafen und sie einander tief in die Augen blickten. Erleichtert stellte Noel dabei fest, dass es Joshua viel besser ging, als zuerst angenommen. Das reichhaltige Blut der Clanführerin hatte seinen Teil dazu beigetragen, dass er sich viel besser fühlte, und seine Wunden bereits zu heilen begannen.

„Noel", hauchte Joshua schwach, worauf Noel endlich aus seiner Starre gerissen wurde und sich zu seinem Loraib hinunterbeugte, um dessen Lippen in einem zärtlichen Kuss zu erobern.

„Noel", hörten sie erneut seinen Namen, doch diesmal war es Zaida, die ihn aussprach.

Widerwillig löste Noel sich von den Lippen seines Loraibs und blickte zu Zaida auf, die nun zwischen seinen Söhnen stand und auf ihn herabblickte.

„Bitte verzeih, dass ich dich störe, aber einige wichtige Angelegenheiten erfordern deine Anwesenheit", erklärte sie mit entschuldigender Miene, während sie einen kleinen Schritt zur Seite ging und ihm damit den Blick auf Reginald freigab, welcher etwas abseits stand und von zwei Kalkadoren begleitet wurde.

Noel war sich nicht sicher, aber er hatte eine leise Ahnung darüber, weshalb seine Anwesenheit gewünscht war. Doch gerade in diesem Augenblick hatte er keine Nerven für solche Dinge. „Djoser hat mich gut und würdig vertreten, solange ich es nicht tun konnte. Soll er weiterhin entscheiden, was immer entschieden werden muss. Ich muss mich um andere Dinge kümmern", erklärte Noel überraschenderweise, worauf alle erstaunt zu ihm blickten. Unter Vampiren war es äußerst unüblich, wichtige Entscheidungen einem Centra zu überlassen.

„Wie du wünschst", meinte Zaida respektvoll und wandte sich dann an Djoser, welcher noch völlig perplex über Noels Entscheidung war. Sachlich erklärte sie dann: „Reginald von den Seraphim ist hier, um sich freiwillig als Vergeltung anzubieten. Sein Vergehen gegen unser Volk fordert seinen Tod. Wenn du ihn tötest, werden sein Name und sein Clan auf dich und deine Familie übergehen. Da euer Clan durch seine Vergehen den größten Schaden davon getragen hat, gebührt euch das Recht der Vergeltung. Die Seraphim sind eine sehr alte und mächtige Blutlinie. Wenn du seine Gabe annimmst, wird es euch viel Rum und Ehre einbringen und die schweren Verluste euer gefallenen Brüder könnten dadurch gemindert werden. Willst du seine Gabe also annehmen und den Clan der Seraphim bei euch aufnehmen?"

Sprachlos blickte Djoser ihr entgegen. Sein Blick wechselte Hilfe suchend zwischen Noel und Zaida hin und her, doch keiner der Beiden schien ihm bei dieser Entscheidung helfen zu wollen. Schließlich fragte er genauer nach: „Was passiert, wenn ich es nicht tue?"

„Dann werde ich ihn hinrichten lassen und die Mitglieder seines Clans werden auf die Hilfe anderer Clans angewiesen sein, die sich bereit erklären, sie aufzunehmen. Gewiss werden sie dabei getrennt und auf verschiedenen Clans aufgeteilt werden", erklärte Zaida weiterhin sachlich, ohne dabei ihre persönlichen Gefühle zu offenbaren.

„Angenommen, ich würde mich dazu entschließen, die Seraphim bei uns aufzunehmen. Muss ich ihn dazu wirklich töten?", fragte er erneut.

Ein feines Lächeln zeichnete sich auf Zaidas Lippen ab, während sie zur Antwort gab: „Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, doch ich frage mich, ob du diese wirklich in Betracht ziehen willst, nachdem was er euch alles angetan hat?"

Sein Blick wanderte zu Gwenifer, welche unweit entfernt von einem Mora behandelt wurde und voller Sehnsucht zu ihrem Geliebten blickte. Die Angst um ihren Sirus stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Kurz darüber nachdenkend, argumentierte Djoser schließlich: „Er trägt nicht nur die Schuld gegen unseren Clan auf seinen Schultern. Auch gegenüber seinem eigenen Clan und seinen Nachkommen hat er sich zu verantworten. Sein Tod wäre kein Trost für das Leid, das seine Leute ertragen mussten. Außerdem glaube ich nicht, dass er aus egoistischen Gründen gehandelt hat." Und damit sprach er wie ein wahrer Clanführer, was den Stolz über seinen Centra in Noel nur noch mehr ansteigen ließ.

Zaida war sichtlich beeindruckt über Djosers Worte und erwiderte darauf: „Ich teile deine Ansicht und bin froh, dass du so entscheiden willst. Wähle einen beliebigen Rang und trinke von ihm, bis er dem Tode nahe ist. Dann gib ihm mit deinem Blut das Leben zurück und er wird fortan unter deinem Namen weiterleben. Mit den Rechten, die du ihm in deiner Wahl anerkennen willst. Ganz egal ob deine Wahl nun auf einen Centra oder ein Parley fällt." Absichtlich benannte Zaida den jeweils höchst- und niedrigmöglichen Rang, den Djoser vergeben konnte, um ihm seine Möglichkeiten genauer zu verdeutlichen.

Die Clanführerin blickte zu Reginald zurück und winkte ihn zu sich heran. Sein Blick huschte kurz zu Gwenifer, bevor er ihrer Einladung folgte und direkt vor Djoser auf die Knie ging. Seinen Kopf mit der eindeutigen Haltung eines ergebenen Vampirs, der um Verzeihung bittet und sein Leben zur Wiedergutmachung anbietet. Den Kopf leicht schräg haltend und den nackten Hals offenbarend.

Etwas ratlos blickte Djoser auf den Clanführer herab und wusste nicht so recht, was er tun sollte, bis Zaida ihm etwas unter die Arme griff, indem sie fragte: „Welchen Rang willst du ihm zugestehen?"

Fragend blickte Djoser zu seinem Sirus, doch dieser schenkte ihm keinerlei Unterstützung. Es war Peter, der seine Unterstützung ungefragt anbot und frech meinte: „Mach ihn zum Parley. Wird sicher lustig mit ihm."

Reginald zuckte bei dieser Erwähnung unbewusst zusammen, doch er machte keine Anstalten, sich gegen diese Entscheidung zu wehren.

Bevor er eine Entscheidung treffen konnte, wollte Djoser wissen: „Was geschieht mit seinen Nachkommen? Werden sie weiter seine Nachkommen bleiben?"

Zaida hatte den Grund seines Zögerns längst aus seinen Gedanken gelesen, weshalb sie ihm antwortete: „Seine Nachkommen werden weiter seine Nachkommen bleiben. Inwieweit er jedoch das Recht dazu hat, sich weiter um seinen Loraib zu kümmern, hängt natürlich davon ab, welchen Rang du ihm zugestehen willst. Als Parley zum Beispiel würde ihm dieses Recht nicht zustehen."

Diese Information half ihm schließlich, seine Entscheidung zu treffen und er verkündete förmlich: „Also gut. Reginald der Seraphim, im Namen meines Vaters, nehme ich dein Opfer an und verkünde hiermit, dass der Clan der Seraphim fortan zu den Altair gehört. Mein Sirus möge auch der deine sein. Mit meinem Biss und meinem Blut mache ich dich zu einem von uns." Gleichzeitig griff er Reginald in den Nacken, beugte sich herab und zog ihn zu sich heran, um seinen ungeschützten Hals mit den Lippen zu erreichen. Dabei spürte er die Nervosität, die in Reginald herrschte. Bevor er zubiss, blickte er kurz zu Gwenifer, welche ihm mit großer Angst entgegenblickte, und verkündete gleichzeitig: „Du sollst den Rang eines Kalkadors tragen."

Eine Welle der Erleichterung fuhr durch Regnialds Körper und er schien den Biss, den Djoser ihm gab, willkommen zu begrüßen. Und dies, obwohl Djoser sehr schnell trank und ihn damit gefährlich nahe an den Tod herantrug. „Ich danke dir", flüsterte Reginald schwach, bevor er das Bewusstsein verlor. Sogleich löste sich Djoser, richtete sich zusammen mit dem bewusstlosen Körper auf und biss sich selbst in das Handgelenk, um sein Blut in Reginalds Mund tropfen zu lassen, während er ihn sicher in einem seiner Arme hielt. Kaum hatte der erste Tropfen seinen Gaumen berührt, kam Reginald wieder zu sich. Nur mit müden Bewegungen begann er mit der Zunge an der offenen Wunde zu lecken, bis er genug Kraft zurückerlangte und fester an Djosers Handgelenk saugen konnte.

Schließlich sank Reginald zurück auf die Knie, während er weiter mit kleinen zurückhaltenden Schlücken von Djoser trank, solange dieser es ihm erlauben würde. Noel trat plötzlich von hinten an sie beide heran und deutete Djoser an, dass er sich entfernen solle. Statt seiner trat nun Noel an Djosers Stelle und reichte Reginald eine offene Bisswunde am Handgelenk dar.

„Trink auch von mir und werde der Meine", sagte Noel noch, bevor Reginald der Einladung folgte.

„Aha, ein Kalkador also", brummte Peter ein wenig enttäuscht zu seinem Bruder, worauf dieser scherzend antwortete: „Ich bezweifelte, dass er als Mora etwas getaugt hätte. Außerdem brauchen wir kein Parley, solange wir dich haben."

„Hey, was zum Teufel soll das heißen?", protestierte Peter, doch Djoser schenkte ihm bereits keine Aufmerksamkeit mehr, sondern war zu Gwenifer gegangen, die dankbar zu ihm aufblickte.

Peter wollte ihm gerade folgen, als er Noels Stimme vernahm: „Peter, du auch."

„Huh? Wieso ich?", fragte er verwirrt, als er begriff, was Noel von ihm wollte.

„Damit er dich als Mitglied der Rangorder anerkennt und dein Blut kennen lernt", erklärte Noel genauer.

Widerwillig biss er sich deshalb ins Handgelenk und streckte es Reginald entgegen, der von Peters Benehmen sichtlich amüsiert war, das dargereichte Geschenk jedoch mit Demut annahm und Peter damit als ranghöheren Vampir anerkannte.

Als die Aufnahmezeremonie offiziell beendet war, meldete sich nun Sir Alfred zu Wort, welcher bisher geduldig im Hintergrund gewartet hatte, und meinte zu Zaida: „Was soll mit den Belungas geschehen."

Zaida hatte diese Entscheidung lange hinausgezögert, weil die Belungas im Grunde Vampire waren und sie es nicht übers Herz brachte sie zu töten, doch es wäre noch viel grausamer gewesen, sie ohne einen Sirus am Leben zu lassen, weshalb sie nun erleichtert darauf antworten konnte: „Reginald ist ihr leiblicher Sirus. Daher liegt die Entscheidung nicht länger bei mir, sondern bei den Altair."

Einige abwartende Blicke richteten sich daraufhin zu Djoser, der nun erst erkannte, dass schon wieder eine Entscheidung von ihm erwartet wurde. Zu seiner Erleichterung jedoch, meldete sich Noel rasch zu Wort und sagte: „Wir nehmen sie mit. Reginald wird sich um sie kümmern."

Womit Reginald gleichzeitig seinen ersten Befehl von seinem neuen Clanführer erhielt. Mit aufrichtiger Dankbarkeit und Respekt trat Reginald vor Noel, das Haupt zu Boden gesenkt, und sagte: „Ich habe mich sehr in dir getäuscht. Bitte verzeih, dass ich so viel Leid über deine Familie gebracht habe. Sei dir gewiss, dass ich dir mein Leben lang ein treuer Diener sein werde. Ich bin der Deine."

Gesättigt von all dem Förmlichkeiten, meinte Noel nur knapp: „So sei es." Und wandte sich anschließend wieder zu Joshua.

„Krieg ich auch einen Schluck?", schnurrte Joshua ihm leise ins Ohr, worauf Noel breit grinste und ebenso leise antwortete: „Jetzt noch nicht. Später, wenn wir allein sind." Joshua musste schwer an sich halten, nicht zu schmollen, wie ein zurückgewiesener Liebhaber. Zu sehr sehnte er sich danach, endlich mit Noel allein zu sein und ihre Rettung zu feiern.

Noel verteilte gerade ein paar zärtliche Küsse in Joshuas Nacken, als ein plötzliches Raunen durch die Menge ging, weshalb er alarmiert aufblickte. Die hübsche Sophia war zur Herrscherin des Bundes herangetreten und führte einen weiteren Verwundeten mit sich, welcher jedoch kein Vampir war, sondern ein Mensch. Es war Major Thompson, der sich heftig gegen seine Fesseln wehrte, die seine Hände auf den Rücken bannten. Die Wunde an seiner Brust blutete zwar, schien aber keinen lebensbedrohlichen Schaden hinterlassen zu haben.

„Zaida, was soll mit diesem Mann geschehen?", fragte Sophia möglichst sachlich, ohne ihrem Hass für den Major Ausdruck zu geben.

Als Noel den Major sah, erhob er sich sofort und trat näher an Zaida heran, da er diesem Geschehen beiwohnen wollte. Zaida zögerte ihre Entscheidung noch hinaus und blickte zu Noel, wobei sie dessen Gedanken nicht zu lesen brauchte, um auch dort einen tiefen Hass zu erkennen. Ihr war klar, wer für Joshuas schlimme Wunden verantwortlich war, weshalb ein einfacher Tod als Strafe nicht ausreichend wäre.

„Er soll den Fluch der Belungas erleiden. Ein Kalkador soll ihn verwandeln und er wird bis zu seinem Tode im Kerker der Antares verweilen", verkündete Zaida das Urteil über den Major.

Dies war eine der härtesten Strafen, die Noel kannte, doch er fühlte kein Mitleid für den Mann, der seinen Geliebten so sehr quälte und viele seiner Clanmitglieder töten ließ. Er war froh, dass Zaida so ein hartes Urteil fällte, damit war er nicht gezwungen, Vergeltung zu fordern. Als Belunga verwandelt zu werden und Jahre, oder gar Jahrzehnte lang nur auf seinen Tod zu warten, war als Strafe schlimm genug.

 

*****

 

Auf dem Weg zu dem Privatflugzeug, das Noel und einen Teil seiner Familie zurück nachhause bringen sollte, begleitete Zaida ihn und hielt noch ein kurzes Wort mit ihm. Noel war der ganzen Sache bereits müde geworden, dennoch schenkte er ihr seine Aufmerksamkeit, während er Joshua auf seinen Armen trug.

„Diese Wissenschaftler haben erschreckend viel über uns in Erfahrung bringen können. Ich frage mich, ob es klug ist, diese Informationen zu bewahren und sie für uns zu nutzen, oder sie allesamt zu vernichten. Solange diese Daten existieren, besteht die Gefahr, dass man sie entdeckt. Was meinst du, was ich tun soll?", bat Zaida ihn das erste Mal um Rat.

Sowohl Noel, als auch Joshua blickten daraufhin überrascht zu ihr. Sich über diesen Vertrauensbeweis geehrt fühlend, meinte Noel: „Diese Daten allein sind kein Beweis für unsere Existenz. Solange wir leben, stellen wir eine größere Gefahr für uns selbst dar, entdeckt zu werden, als wenn wir tot wären. Doch du kannst uns nicht alle töten, um uns zu schützen. Also weshalb sollten wir die Vorteile nicht nutzen, die uns durch diese schrecklichen Geschehnisse zuteil wurden?"

„Das ist ein guter Gedanke. Ich werde ihn bei meiner Entscheidung berücksichtigen. Doch bevor du gehst, gibt es noch etwas wichtiges, das ich dir sagen muss", meinte Zaida geheimnisvoll und blieb stehen, damit zwischen ihnen und Noels Clanmitgliedern eine kleine Lücke entstand, da diese gerade dabei waren, das Flugzeug zu betreten.

„Was gibt es noch?", fragte Noel nach.

Zaida zögerte und blickte zu Joshua, welcher ihr ebenso erwartungsvoll wie Noel entgegensah. Sie hätte diese Information lieber an Noel persönlich weitergegeben, doch ein kurzer Blick in Joshuas Gedanken erörterte ihr, dass sie ihm vertrauen konnte.

„Es gibt da etwas, das du wissen musst. Falls die Rangorder der Antares vollkommen ausgelöscht wird, geht die Herrschaft des Bundes automatisch an unsere direkten Blutverwandten weiter. Falls es keine direkten Blutverwandten gibt, wird die Herrschaft über ein Abstimmen der Bundmitglieder bestimmt. Altair war mein Bruder, also tragen du und deine Söhne mein Blut in den Adern. Sollte uns etwas geschehen, wirst du, oder deine Nachkommen Herrscher des Bundes sein. Deshalb halte ich es für notwendig, dass du und Djoser bei Gelegenheit zu mir kommt, damit ich euch mit allem vertraut machen kann, was ihr dazu wissen müsst."

„Dann war das also der Grund, warum Altair es auf einen Krieg mit den Antares abgesehen hat?", kam Noel plötzlich die Erleuchtung.

„Ganz recht. Hätte er uns besiegt, hätte er vor den Bund treten und sein Blutrecht einfordern können. Zum Glück ist es jedoch nie so weit gekommen", erwiderte sie lächelnd, bevor sie sich ohne ein Wort des Abschiedes von ihm abwandte und davon ging.

„Toll, das heißt dann wohl noch mehr Verpflichtungen für dich", grummelte Joshua griesgrämig.

„Was stört dich daran?", fragte Noel überrascht.

„Nichts. Ich freue mich für dich", erwiderte Joshua, wobei Noel ihm seine Freude nicht wirklich abkaufen konnte. Allerdings wollte er sich im Moment nicht weiter mit seinem Loraib auseinandersetzen. Zunächst mal war alles was er wollte, endlich nachhause fliegen. Später wollte er sich eindringlicher um Joshua kümmern.

 

*****

 

„Lass mich runter, ich kann alleine gehen", grummelte Joshua, als Noel ihn gerade die enge Treppe in ihr unterirdisches Zuhause tragen wollte.

„Gönn einem alten Mann doch das Vergnügen, seinen Geliebten über die Schwelle tragen zu dürfen", scherzte Noel gut gelaunt.

„Alter Mann?", wiederholte Joshua skeptisch.

„Immerhin bin ich um einiges älter als du", erklärte Noel seine Aussage, während sie mittlerweile die große Treppe erreichten und an den beiden Statuen vorbeigingen.

Neckend flüsterte Joshua ihm daraufhin ins Ohr: „Bist du also auch für Sex zu alt? Oder hast du vor, mir das Gegenteil zu beweisen?"

Mit ernster Sorge in der Stimme, meinte Noel dann: „Ich denke, es ist besser, wenn wir damit noch warten, bis deine Wunden alle geheilt sind. Außerdem habe ich Verpflichtungen im Clan. Djoser will mir seinen Loraib vorstellen."

Darüber missgestimmt, drückte sich Joshua von seiner Brust, sodass Noel ihn auf den Boden abstellen musste, und stapfte auf eigenen Beinen davon.

Mittlerweile unten im großen Vorraum angekommen, wurde Noel von einigen Moras herzlich begrüßt, welche bereits am Vorabend mit einem anderen Flugzeug angekommen waren, sodass er Joshua nicht folgen konnte. Es waren die Clanmitglieder, die im Versteck des Bundes den Ausgang des Kampfes abgewartet hatten und unter denen auch Julian und Karen anwesend waren. Während Julian bewusstlos in dem großen Sessel gebettet lag, kam Karen ihnen nun entgegen und hielt sogleich nach Peter Ausschau, welcher gerade die Treppe herunterkam.

Nachdem der ganze Begrüßungssturm vorüber war, fragte Djoser, der das Verhalten von Joshua bemerkt hatte: „Gibt es Probleme bei dir und Josh?"

Sorglos meinte Noel: „Merke dir eines, mein Sohn. Ein Loraib braucht viel Aufmerksamkeit, doch manchmal erreichst du mehr, wenn du ihm diese Aufmerksamkeit eine Weile lang verwehrst."

„Du lässt ihn also absichtlich zappeln?", wunderte sich Djoser.

„Nur ein bisschen", erwiderte Noel mit einem Augenzwinkern und meinte dann noch: „Du kümmerst dich jetzt am besten um deinen Nachwuchs. Wenn alle Clanmitglieder wieder hier sind, dann werden wir ein nachträgliches Aufnahmezeremoniell für ihn veranstalten. Da ich ihn ja bereits kenne, verzichte ich darauf, dass du ihn mir vorher persönlich vorstellst."

„Du bist mir also wirklich nicht böse, dass ich ihn verwandelt habe?", meinte Djoser noch immer überrascht. Während ihres Fluges hierher hatte er Noel bereits alles über ihr jüngstes Clanmitglied berichtet.

„Ich sagte doch schon, dass ich nicht böse bin. Ich kann verstehen, warum du es getan hast. Auch wenn es risikoreich war, war es das, was dein Herz dir sagte. Was die Entscheidung, einen Loraib zu nehmen, betrifft, ist das einzige, worauf du hören kannst, dein Herz. Glaube mir, ich weiß, wovon ich spreche", erklärte Noel und gab damit nur einen kleinen Hinweis darauf, wie schwer er es damals hatte, als er Joshua zu seinem Loraib gemacht hatte.

„Was hast du jetzt eigentlich mit ihm vor?", fragte Djoser und deutete dabei auf Forghes, welcher gerade von zwei Kalkadoren die Treppe herunter eskortiert wurde.

„Ich weiß noch nicht. Ich kann ihn nicht gehen lassen, denn wenn das Militär ihn in die Finger bekommt, werden sie ihm einige Fragen stellen, von denen ich nicht will, dass er sie beantwortet. Ich bezweifle zwar, dass er uns verraten würde, doch wir beide wissen, dass es sehr effektive Methoden der Fragestellung gibt."

„Du willst ihn also hier gefangen halten?", schlussfolgerte Djoser ein wenig überrascht, da er so etwas nicht von seinem Sirus erwartet hätte.

„Ich hoffe, er wird sich dazu überreden lassen, freiwillig hier zu bleiben. Ansonsten muss ich ihn dazu zwingen, was sehr schade wäre. Er hat ein gutes und gerechtes Herz. Er wäre eine gute Wahl für einen Centra", meinte Noel mit viel sagender Miene.

„Du willst, dass ich ihn zum Centra mache?", erwidert Djoser erstaunt und auch ein klein wenig verletzt. Er hatte gehofft, seinen Centra allein wählen zu können und hätte Noel nicht zugetraut, dass dieser ihm seine Wahl vorschreiben würde.

„Das habe ich nicht gesagt. Aber es kann nicht schaden, ihn dir mal anzusehen. Vielleicht findet ja auch Peter Gefallen an ihm? Für euch beide wird es langsam Zeit, sich nach eigenen Nachkommen umzusehen, sonst besteht unsere Rangorder bald aus mehr Loraibs als Siruse", mutmaßte Noel, wobei er auf Peter und Karen anspielte, die sich eben mal wieder in den Haaren lagen.

Die Anspielung verstehend und amüsiert lächelnd, meinte Djoser daraufhin: „Ich werde ihn mir mal ansehen. Allerdings weiß ich nicht, ob ich im Augenblick überhaupt in der Lage wäre einen Centra zu erschaffen. Schließlich wird Julian mich in der nächsten Zeit brauchen. Und zwei Nachkommen auf einmal sind etwas viel", gab Djoser zu bedenken, während er liebevoll auf Julian blickte, welcher wie im Dornröschenschlaf auf ihn wartete.

„Erinnere dich an deine ersten Tage. Damals hatte ich Joshua nur wenige Wochen vorher verwandelt und es funktionierte trotzdem."

„Ja, aber ich war sehr eifersüchtig", gab Djoser offen zu.

„Ja, ich erinnere mich. Das ging so lange, bis ich euch beiden erlaubt hatte, euch zu lieben. Von da ab hattest du ihn akzeptiert", schwelgte Noel in lange zurückliegende Erinnerungen.

Leicht schmunzelnd gestand Djoser: „Ich war nicht eifersüchtig auf ihn."

Die Stirn in Falten runzelnd, fragte Noel verwundert: „Du warst eifersüchtig auf mich?"

„Ja. Ich wollte auch so einen Loraib haben, wie Joshua. Eure Liebe war schon damals etwas Besonderes", gestand Djoser zum ersten Mal in seinem Leben.

„Sie ist in der Tat etwas Besonderes", erwiderte Noel in Gedanken und sehnte sich sogleich nach der Nähe seines Loraibs.

„Du solltest zu ihm gehen", meinte Djoser.

„Ich muss noch einige Dinge regeln, bevor ich mich angenehmeren Dingen zuwenden kann", wies Noel auf seine Pflichten als Clanführer hin.

„Das könnte ich für dich tun", schlug Djoser freundlich vor.

„Ich will dich nicht aufhalten. Du brennst sicher darauf, deinen Loraib zu wecken", erwiderte Noel mit einem viel sagendem Augenzwinkern.

„Das kann warten. Ob er jetzt noch eine Stunde länger schläft oder nicht, spielt keine Rolle. Danach bleibt uns eine Ewigkeit, um diese Zeit nachzuholen", meinte Djoser zuversichtlich.

Dieses Angebot dankbar annehmend, nannte Noel ihm die Dinge, die er noch geregelt haben wollte und übergab ihm damit erneut das Zepter über den Clan.

Wenige Minuten später konnte Noel dann endlich nach Joshua sehen. Als er in ihrem gemeinsamen Zimmer ankam, war er überrascht, es dunkel vorzufinden. Nur das schwache flackernde Licht einer einzelnen Kerze erleuchtete den Raum und tauchte ihn in ein sanftes Licht.

Sein Loraib lag mit der Seite auf dem Bett; das Kissen mit beiden Händen umschlossen, als ob er damit kuscheln wollte. Er trug nur eine leichte bequeme Hose, während sein Oberkörper frei lag und sich im Kerzenlicht die vielen zahlreichen Wunden der Folter abzeichneten. Für einen Augenblick erstarrte Noel, als er sich an die schrecklichen Stunden zurückerinnerte, in denen er in jeder Sekunde mit Joshuas Tod rechnete. Teilweise hatte er sich sogar gehofft, Joshua würde endlich von dieser endlosen Folter erlöst werden, während ein anderer Teil wünschte, selbiges an dem Mann durchführen zu können, der seinen Geliebten so quälte.

Lautlos trat er an das Bett heran und strich mit seinen Fingern federleicht über eine der wunden Stellen. Sein Blut und auch das von Zaida ließen die Wunden sehr rasch heilen, weshalb nur noch gerötete Narben von dem Schrecken zeugten. Doch Noel erinnerte sich genau an jeden einzelnen Schnitt, jeden noch so kleinen Schlag und jede sonstige Grausamkeit, die die Menschen an seinem Geliebten ausgeübt hatten. Solange er lebte, würde er diese Erinnerungen mit sich tragen.

Obwohl Joshua die Augen geschlossen hielt und sich nicht im Geringsten bewegte, spürte Noel, dass dieser seinen schlafenden Zustand nur vortäuschte. Jahrelang hatte Noel nichts anderes getan, als den Zustand seines Loraibs mit seinen Instinkten zu erfühlen, weshalb er darin ein wahrer Meister geworden war.

Da er also wusste, das Joshua ihn genau hören würde, sagte er sanft: „In den Stunden, als ich zusehen musste, wie man dich vor meinen Augen gequält und gefoltert hat, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Mir wurde vieles klar."

Langsam öffnete Joshua die Augen und blickte zu seinem Sirus auf. Er blieb stumm und wartete geduldig, was Noel ihm zu sagen hatte. Seine Augen strahlten selbst in dem schwachen Licht in einem solch kräftigen Blau, dass Noel zu lächeln begann, als dieser Anblick sein Herz erwärmte.

„Du warst so lange krank gewesen, und ich hatte so lange mit der Angst gelebt, dich zu verlieren, weshalb ich versucht habe, ohne dich zu leben. Als du dann wieder gesund warst, habe ich noch immer versucht ohne dich zu leben, obwohl du da gewesen wärst. Mir war das gar nicht so richtig bewusst, doch als ich dachte, der Major würde dich töten, wurde mir klar, dass ich dich immer wieder von mir weggestoßen habe. Es tut mir so leid. Ich muss dich damit sehr verletzt haben."

Joshua schwieg weiter, doch sein Blick verriet Noel die Wahrheit, dass er tatsächlich sehr darunter gelitten hatte.

„Conomi me Loraib", bat Noel in ihrer alten Sprache um Verzeihung, um Joshua an eine längst vergangene Zeit zu erinnern, in der sie glücklich waren. Vor Jahren, als Noel seinem Loraib die alte Sprache der Vampire gelehrt hatte, hatten sie diese oft benutzt, um sich gegenseitig ihre Liebe zu erklären.

„Ich bin der Deine", erwiderte Joshua förmlich, womit er die Entschuldigung annahm. Seine Haltung zeigte aber, dass er sich nicht von Noels romantischen Anspielungen einschmeicheln ließ, weshalb Noel sich seufzend mit dem Rücken zu Joshua gewandt auf das Bett setzte.

„Ich plane einige meiner Pflichten an Djoser abzutreten, damit ich mehr Zeit für dich habe", unterrichtete Noel ihn von seinen Absichten. Darüber sichtlich entrüstet, richtete Joshua sich auf, sodass er nun neben seinem Sirus saß und erwiderte: „Das kannst du nicht tun. Djoser hat einen neugeborenen Zögling. Er wird all seine Zeit in seinen Loraib investieren müssen. Es ist deine Aufgabe, den Clan anzuführen, und nicht seine."

„Ich hatte zwei Zöglinge gleichzeitig und dennoch fand ich genug Zeit, um Altairs Pflichten mit zu übernehmen", argumentierte Noel.

„Gerade deshalb solltest du Djoser diese Bürde nicht auferlegen. Oder hast du vergessen, wie schwierig es damals für uns war?"

„Ich dachte, du würdest dich freuen, wenn ich mich mehr um dich kümmern würde? Ist es nicht das was du willst?", fragte Noel nicht verstehend, weshalb Joshua sich so dagegen sträubte.

„Was ich will, ist nicht deine Zeit! Was ich will, bist du. Mir ist nicht wichtig, dass du bei mir bist, wenn du in Gedanken bei anderen Dingen bist. Selbst wenn du alle deine Pflichten an Djoser übergeben würdest, wärst du ständig in Sorge um den Clan und das ist auch gut so, denn schließlich bist du unserer Clanführer. Alles was ich mir wünsche, ist nur, dass du mich brauchst und du meine Liebe als Unterstützung annimmst. Ich bin nicht mehr gelähmt. Ich kann und werde dir in jeder Situation beistehen. Das ist schließlich der Grund, warum ich existiere. Wenn du das akzeptieren kannst, dann spielt es keine Rolle, wie viele Pflichten du zu bewältigen hast, denn dann werde ich dir helfen können."

Nach diesem eindringlichen Vortrag sahen sich beide lange in die Augen, wobei Noel zu begreifen begann, wie sehr er Joshua mit seiner distanzierten Haltung verletzt hatte. Mit aufrichtiger Reue erwiderte er: „Ich brauche dich."

„Dann sei der Meine", sagte Joshua schlicht und drückte damit aus, dass Noel ihm gegenüber seine Haltung als Clanführer aufgeben und einfach nur er selbst sein sollte.

„Der bin ich", gab Noel zur Antwort.

Erleichtert lächelte Noel und beschloss, Noels Worte sofort auf die Probe zu stellen. Er erhob sich vom Bett, nur um Noel rasch seiner Kleider zu entledigen. Amüsiert beobachtete Noel seinen Loraib und wartete einfach ab, was als nächstes passieren würde.

„Leg dich mit dem Bauch auf das Bett", orderte Joshua ohne Druck in der Stimme.

Noel zögerte einen Moment, da eine solche Stellung viel Spielraum für einen Vampir zulassen würde. Doch dann begriff er, dass er gerade das brauchte, denn nachdem er nun der Clanführer war, besaß kein anderer Vampir das Recht ihn zu dominieren. Es war nun Joshuas Aufgabe ihm den nötigen Ausgleich zu geben, doch dies konnte nur geschehen, wenn er dies auch zulassen würde. Also ließ er all seine inneren Schranken fallen und legte sich, wie angeordnet, auf das Bett.

Mit Spannung hatte Joshua Noels Zögern beobachtet, und war nun erleichtert, als sein Sirus sich ihm tatsächlich anvertraute.

Vorsichtig drückte er Noels Beine auseinander, um dazwischen Platz nehmen zu können. Noel wurde leicht nervös, da es schon zu lange her war, dass er vor einem Vampir so schutzlos ausgeliefert dalag. Und es war noch viel länger her, als er zuletzt vor Joshua so dagelegen hatte, weshalb seine letzten Erinnerungen von Altairs teuflischen Spielchen geprägt waren. Doch als Joshua schließlich begann zärtlich über seinen Rücken zu streicheln, vergaß er seine unangenehmeren Erinnerungen sehr schnell.

Zunächst konzentrierte sich Joshua darauf, die verspannten Muskeln seines Sirus’ mit knetenden Fingern zu massieren, wobei nette kleine Stöhngeräusche aus dem Körper unter ihm drangen.

Während seiner langen Krankheit hatte Joshua nicht verlernt, wie er mit seinen Händen umgehen musste, damit Noel unter ihm zerging, wie Eis in der Sonne. Schließlich begann Joshua sein Augenmerk auf die beiden runden Backen direkt vor ihm zu legen, welche er mit langsam kreisenden Bewegungen knetete.

Anfangs waren die Stöhnlaute, die von Noel kamen, ein Ausdruck seiner Entspannung, doch dann wandelten sich diese langsam in etwas anderes. Denn immer wieder ließ Joshua seine Daumen in die Nähe des Analbereiches wandern, was prickelnde Gefühle in Noel auslöste.

Schließlich ertönte ein überraschter Laut, als Joshua sich herabbeugte, um mit seiner Zunge über die empfindsame Haut am Eingangsbereich zu streichen. Erschrocken zuckte Noel zurück, nur um sich gleich darauf der feuchten Zunge entgegenzustrecken, da es herrliche Gefühle in ihm auslöste. Es war lange her, dass ihm jemand einen solchen Dienst erwiesen hatte und aus seinen Erinnerungen wusste er sehr genau, wozu Joshua mit dieser Zunge fähig war. Vor allem an dem Ort, wo sich diese gerade befand.

Er wusste bereits jetzt, dass er in den nächsten Tagen ständig an diesen Augenblick zurückdenken würde und dabei dementsprechend erregt sein würde. Genauso, wie sich im Moment gerade seine erwachte Härte gegen die Matratze drückte, weshalb er sich selbst sehnsüchtig dagegen rieb.

Das Gefühlschaos in Noel wurde noch größer, als Joshua einen seiner Muskelringe mit der Zunge durchbrach, weshalb er erneut laut aufstöhnte und fortan nicht mehr fähig war, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen.

Das unbeschreibliche Gefühl zog sich durch seinen gesamten Unterleib, bis hinunter in die Zehenspitzen.

Joshua zog sich zurück, wodurch Noel einen kurzen Moment der Ruhepause bekam, doch diese hielt nicht sehr lange an, denn plötzlich drückte sich etwas kaltes Glattes gegen seine Öffnung. Verwundert wollte Noel zurückblicken, doch dieses Etwas drang nun tiefer in ihn ein und löste eine erregende Spannung ihn ihm aus, sodass alles, worauf er sich konzentrieren konnte, dieses dehnende Gefühl in seinem Anus war. Seine Muskelringe wurden immer weiter gedehnt und Noel bekam unweigerlich das Gefühl, etwas sehr langes und stetig dicker werdendes würde in ihn geschoben werden, bis das Ding plötzlich wieder enger wurde, seine Muskeln sich rasch wieder zusammenzogen und somit das Ding die letzten Millimeter rascher in ihn gezogen wurde. Automatisch keuchte Noel auf, als diese unerwartete Bewegung ein enormes prickelndes Gefühl im Anus auslöste.

Zu Joshua zurückblickend, fragte er neugierig: „Was ist das?"

Joshua grinste ihm erfreut entgegen und antwortet: „Das ist eine kleine Überraschung, die ich für uns besorgt habe. Es ist ein Plug aus Edelstahl."

„Wann warst du einkaufen?", fragte Noel irritiert, während er Joshua beobachtete, wie dieser vom Bett aufstand und sich seiner Hose entledigte. Dieser Anblick allein reichte bereits aus, um Noels Erregung noch weiter anzutreiben.

„Ist schon eine Weile her. Kurz vor der Ausgangssperre", erklärte Joshua, als er schließlich nackt war und sich vor Noel ans Bett stellte.

Über diese Antwort erschrocken, richtete sich Noel ruckartig auf und rief gleichzeitig: „Du bist allein raus gegangen? Dir hätte sonst was passieren…" Mehr konnte er nicht sagen, da seine ruckartige Bewegung ein lustvolles Gefühl in seinem Anus produziert hatte, er deswegen innehalten musste und statt weiter zu schimpfen aufstöhnte.

Joshua nutzte die Gelegenheit, dass sein Sirus auf den Knien im Bett saß und legte sich dort mit dem Rücken auf die Matratze, wo Noel zuvor noch gelegen war; die Beine weit gespreizt um Noels Körper gelegt und sich lasziv streckend, um Noel einen anreizenden Anblick zu bieten.

Alle Empörung über Joshuas Verhalten vergessend, glitt Noel zu seinem Loraib herab und eroberte dessen Lippen mit fordernder Gewalt. Söhnend ergab sich Joshua dem Drängen seines Geliebten und schloss seine Arme um dessen Körper. In tiefer Leidenschaft küssten sie einander. Beide sehnten sich danach sich endlich zu vereinen, weshalb beide sich gleichzeitig bewegten, um Noels Härte an Joshuas Anus heranzuführen. Noel hatte durch den erregenden Plug genug Lusttropfen produziert, um seine Härte zu schmieren und sich schließlich ohne Schwierigkeiten in den willigen Körper zu drängen.

Stöhnend drückte sich ihm Joshua entgegen, da er es nicht erwarten konnte, bis Noel mit seiner vollen Länge in ihm war. Er liebte dieses Gefühl.

Endlich wieder vereint, hielt Noel einen Augenblick still und blickte seinem Loraib tief in die Augen. Die Liebe, die er dort erkannte, schien unendlich zu sein und spiegelte sich mit seinen eigenen Gefühlen.

„Sollte ich nicht derjenige sein, der unten liegt?", fragte Noel mit einem sanften Lächeln.

Joshuas Grinsen wurde breit, als er erwiderte: „Du darfst mich ficken, so schnell und so hart, wie du willst, doch du darfst nicht eher kommen, bevor ich es nicht getan habe."

Allein bei diesen Worten lief Noel ein erregender Schauer über den Rücken, welcher sich direkt in seinem Anus zu bündeln schien und den Plug direkt gegen seinen inneren Lustpunkt drückte. Nun plötzlich wurde ihm klar, wie dieses Spiel laufen würde. Je mehr er sich bewegen würde, umso größer stieg die Lust in ihm, doch er musste sich zurückhalten, um nicht vor Joshua zum Höhepunkt zu kommen. Dieser Gedanke allein erschreckte und erregte ihn zugleich.

„Oh, du kleiner Bastard", sagte er scherzend, worauf Joshua mit frecher Miene erwiderte: „Es steht dir frei, später eine Revanche zu fordern."

„Das werde ich, verlass dich drauf", meinte Noel noch, bevor er sich herabbeugte, um Joshua erneut zu küssen, und gleichzeitig begann, sich zu bewegen.

Das war der Beginn einer sehr langen und ausdauernden Nacht und die Wiedervereinigung zweier sich liebender Vampire, deren Liebe und Bündnis weit über das zweier normaler Vampire hinausging. Selbst in tausend Jahren würden Sie einander noch lieben.

Und da sie nicht sterben können, lieben sie einander gewiss noch heute….

 

The End

 


 

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